- Beyer Anja Saskia
- Himbeersommer
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***
Es ist drei Uhr in der Nacht, Tobias
steht nackt neben der Wiege und sieht mich genervt an. „Was hat sie
denn jetzt schon wieder?“
Lisa schreit und schreit, und das,
obwohl ich ihr gerade die Flasche gegeben habe.
„Ich weiß es doch auch nicht, ich bin
so müde!“
„Was glaubst du, was ich bin? Ich kann
mich bei der Arbeit überhaupt nicht mehr konzentrieren. Gestern
habe ich einem Mandanten zur Scheidung geraten, obwohl er wegen
einer Bausache da war.“
„Oh Gott. Vielleicht hat sie
Blähungen?“
„Oder es sind die
Zähnchen?“
„Doch nicht so früh.“ Ich nehme Lisa
raus und laufe mit ihr im Zimmer auf und ab.
„Woher willst du das wissen, du kennst
dich doch auch nicht aus.“ Tobias sieht mich richtig entnervt
an.
“Danke. Willst du damit sagen, dass
ich eine schlechte Mutter bin?!“
„So ein Schwachsinn, das ist wieder
typisch Frau.“ Tobias wirft sich einen Bademantel über, er
friert.
„Vielleicht tut ihr ja irgendetwas
anderes weh?“ Ich sehe das brüllende Wesen besorgt an.
„Ach, Babys schreien halt, das hat die
Kinderärztin doch auch gesagt.“
„Aber doch nicht so viel!“ Zumindest
habe ich mir das nie so vorgestellt. Obwohl Jacky immer meinte,
dass sich kein Mensch vorstellen kann, wie das ist, mit einem
ständig brüllenden Kind.
„Ich schlafe ab jetzt jedenfalls unter
der Woche im Keller.“ Tobias schnappt sich Kopfkissen und Decke und
geht.
„Super, du gehst einfach - und ich?!“,
rufe ich ihm bissig hinterher. „Ich halte das auch nicht mehr aus,
ich kann einfach nicht mehr!“
Doch Tobias ist schon weg. Lisa
schreit und schreit, und ich lege sie neben mich in das große,
leere Bett, summe ihr etwas vor, was sie aber gar nicht hören kann,
so laut ist ihre Stimme.
Am nächsten Morgen wache ich auf -
durch Geschrei. Jetzt hat sie vermutlich Hunger, und ich beeile
mich, das brüllende Kind in der Linken, das Fläschchen mit rechts
in der Küche zu bereiten. Doch da ich leider zwei linke Hände habe,
rutscht mir das Milchpulver zu Boden und verteilt sich auf den
Fliesen.
Und meine Tränen fließen auch. So habe
ich mir das Mutterglück in meinen kühnsten Träumen nicht
vorgestellt.
Die einsame Espressotasse in der Spüle
scheint mich zu verhöhnen. Tobias ist schon zur Arbeit und ich
sitze hier. Im Morgenmantel, ungeduscht und völlig ungeschminkt.
Und Daniel versucht, mich am Handy anzurufen.
Gleichzeitig klingelt es an der Tür
und Lisa schreit. Mit dem Kind in der Hand hetze ich zur Tür, mache
sie auf, lasse meine verdutzte Mutter herein, drücke ihr das
schreiende Bündel in die Hand und rase zurück in die Küche. Dort
kratze ich das Milchpulver vom Boden, den Tobias zum Glück gestern
Abend noch gewischt hat, werfe den Wasserkocher an und mische das
lauwarme Wasser mit der Folgemilch zusammen.
„Wieso schreit sie denn so?“, will
meine Mutter, jetzt schon genervt, wissen. „Und wie sieht’s denn
hier aus? Du hast ja mal wieder gar nichts im Griff,
Nora!“
„Danke, Mama, genau du hast mir jetzt
noch gefehlt.“ Ich nehme ihr Lisa aus dem Arm, setze mich auf einen
Küchenstuhl und gebe der Kleinen die Flasche. Begierig trinkt sie
und schaut mich mit ihren babyblauen Augen groß an. Sofort geht es
mir wieder gut, und mein Herz hüpft.
„Du läufst herum wie die letzte
Schlampe! Willst du, dass dich Tobias gleich nach drei Wochen
sitzen lässt?!“
„Mama!“, herrsche ich sie an, wie ich
es bisher nur einmal gemacht habe, als sie mich als Teenie vor der
versammelten Verwandtschaft mit 18 Jahren als alte Jungfer, die
keinen mehr abkriegt, bloßgestellt hat. „Nora hat immer noch keinen
Freund, also nach mir kommt sie nicht“, hat sie damals gesagt. Und
damit meinen Onkel zu der polternden Aussage gebracht: „Die Nora,
die nimmt eben nicht jeden, da muss schon ein Prinz kommen, hoch zu
Ross.“
Und jetzt sitze ich da und habe das
Problem, von dem ich damals nur träumen konnte: zwei Prinzen und
sogar noch eine Prinzessin.
Was Schlafmangel und Dauergebrüll aus
einer Fastvierzigerin, die aufgrund ihres Alters eh nur noch eine
begrenzte Zahl an Nerven hat, machen können, ist nicht zu
unterschätzen.
„Ich habe ungefähr zwei Stunden
geschlafen, Lisa hat die ganze Nacht geweint, ich habe noch nichts
gegessen, geschweige denn einen Kaffee getrunken …“
„Na und?“, unterbricht mich meine
Mutter lächelnd. „Genauso geht es so ziemlich jeder Frau, die ein
Neugeborenes hat, was denkst du denn? Nur, wenn du das jemandem
erzählst, kann das wirklich keiner nachvollziehen. Und sogar die,
die Kinder haben, die haben das irgendwie wieder vergessen. Das ist
ja das Gute. Es geht vorbei.“
„Jetzt komm mir nicht wieder mit
diesem Das-ist-nur-eine Phase–Geschwätz.“
„Ist aber nur eine Phase. Dauert nicht
mehr lange, dann kommt die Phase, wo sie kaugummikauend keinen Bock
auf gar nichts haben, ihr Zimmer nicht aufräumen und die Mutter zum
Kotzen finden.“ Sie grinst. „Liebes, geh duschen, zieh dich hübsch
an, versuch einfach, immer eine wunderbare Frau zu sein. Männer
mögen keine aufgedunsenen, keifenden Muttis. Oder willst du etwa
das Gegenteil behaupten?“
Ich sehe sie an und weiß, dass sie
recht hat. Wie vielen meiner Freundinnen ist es genau so ergangen.
Diese anstrengende Baby-Anfangszeit kann die beste Beziehung
ruinieren. Und jetzt endlich weiß ich, warum. Ich liebe dieses
kleine Wesen über alles, aber ich bin auch nur ein Mensch. Ein
39-jähriger Mensch mit leider ziemlich angefressenen
Nervensträngen.
„Also, du passt auf Lisa auf, ich geh
duschen.“ Ich stehe auf, lege Lisa in ihren Laufstall und stelle
schon mal die Espressomaschine von Saeco an.
„Ich?! Na, du machst es dir wieder
leicht. Aber hurry up, ich habe eigentlich nur ein Viertelstündchen
Zeit. Mein Meditations-Kurs geht bald los. Und danach habe ich ein
Date. Aus einer dieser Eso-Partnerbörsen, www.Gleichklang.de. Seine
Schwingungen stimmen mit meinen zu 100 Prozent überein, ist das
nicht mystisch?!“
„Der Wahnsinn, Mum.“
Am Abend empfange ich Tobias mit einem
romantischen Candle-Light-Dinner wie aus der Werbung.
Zweimal Pizza Diabolo von Dr. Oetker,
immerhin etwas Warmes. Und Tobias ist wirklich
überrascht.
„Was ist denn nun schon wieder los?“,
begrüßt er mich alarmiert und mittelbegeistert.
„Nichts“, ich lächle ihn an und hoffe,
dass Lisa nicht aufwacht.
„Und was hast du überhaupt
an?“
Ich sehe an mir herunter und sehe,
dass mein gelbes Sommerkleid von Esprit zwar meine neue
Körbchengröße betont (der Ausschnitt geht fast bis zum Bauchnabel),
aber am Bauch extrem spannt.
„Shit, das sieht ja aus wie eine
Gelbwurst. Das hab ich ja gar nicht gesehen.“
Tobias nimmt mich liebevoll in den Arm
und schüttelt lächelnd den Kopf. „Sieht super aus, und dass dein
Bauch so kurz nach der Geburt nicht wieder wie früher ist, ist doch
völlig normal. Du siehst wirklich klasse aus. Ich bin froh, dass du
nicht eine von diesen Frauen bist, die wochenlang nach der Geburt
noch im Nicki-Hausanzug rumschluffen und sich nicht schminken,
damit der Mann am Abend auch ja sieht, was für ein Stressjob das
Mutter- und Hausfrauendasein ist.“
Ich sehe ihn baff an. Erstens hat er
schon lange nicht mehr so viel am Stück zu mir gesagt und zweitens
hätte ich nicht gedacht, dass Tobias doch auch nur ein Mann ist.
Genau wie ihn meine Mutter beschrieben hat. Danke, Mama, denke ich
und setze mich galant auf den Stuhl, schwinge ein Bein lasziv über
das andere und bin froh, sogar einen Lippenstift aufgetragen zu
haben. Männer sind ja so einfach zufriedenzustellen, wieso sollten
wir klugen Frauen das dann nicht ganz einfach tun?
Der Abend wird wunderbar, die Pizza
ist ein Genuss, und sogar Lisa, die ziemlich bald aufwacht, scheint
von dem Pizzaduft ein wenig betört zu sein. Denn immerhin schreit
sie nicht und lächelt uns an. Was sind wir doch für eine hübsche
Werbefamilie.
Die Nacht wird ein Albtraum. Gerade
als wir alle im Bett liegen, die Stimmung endlich mal wieder
prickelnd erotisch wird und Tobias an meinem Ohrläppchen knabbert,
schreit Lisa los. Sie ist glühend heiß und hat Fieber. Einerseits
bin ich froh, weil ein Teil von mir sich immer noch hundeelend
fühlt wegen Daniel, doch der andere Teil sehnt sich sehr nach
Tobias, nach seinem Geruch, seinen Berührungen und seiner
Kraft.
Lisa hat 40,2 Fieber, ich starre erst
das Fieberthermometer, dann Tobias panisch an.
„Wir müssen ins
Krankenhaus.“
„Mitten in der Nacht?“
„Willst du warten bis sie
stirbt?!“
„Nora, jetzt übertreib doch nicht
immer so. Kleine Kinder haben oft sehr hohes Fieber.“
„Ach ja, und woher willst du das so
genau wissen? Wie viele Kinder hast du denn schon?“
Er sieht mich sauer und verletzt an.
Fettnapf. Er kann keine Kinder bekommen, und ich reite darauf
herum.
„Tut mir leid, ist mir nur so
herausgerutscht. Aber was, wenn sie einen Fieberkrampf
bekommt?“
„Einen Fieberkrampf? Was soll das denn
sein?“
„Hatte der Kilian von Suse im
Supermarkt, vor der Fleischtheke. Das Kind krampft, wie bei einem
epileptischen Anfall, muss der Horror sein, sagt
Suse.“
„Also gut, lass uns ins Krankenhaus
fahren.“ Tobias seufzt, steht auf, zieht seinen Schlüpfer und seine
Hose an, und ich packe das Nötigste zusammen.
„Nora, wir fahren nicht vier Wochen
nach Mallorca, den Föhn kannst du wirklich
hierlassen.“
„Und was, wenn sie Lisa dabehalten,
also mich auch? Ich muss morgen unbedingt die Haare
waschen.“
„Deine Probleme will ich mal haben.“
Tobias legt Lisa vorsichtig in den Maxi-Cosi, und los
geht’s.
Im Krankenhaus speisen sie uns schnöde
mit Fieberzäpfchen ab und schicken uns wieder nach Hause. Der Arzt,
ein kräftiger Russe mit starkem Akzent, regt sich bei der etwas
auseinandergegangenen Krankenschwester noch über hysterische
Spätgebärende auf - ich habe es genau gehört - und sieht mir dann
auf den Hintern. Erst bin ich sauer, doch dann irgendwie froh. Als
ich im achten Monat schwanger und aufgedunsen war, hat mir keiner
mehr hinterhergepfiffen, nicht einmal Manni von meiner
Baustelle.
Am nächsten Morgen ist das Fieber weg
und Lisa wieder quietschvergnügt. Ein Glück.