***

 

Tobias kommt müde und wortkarg von der Arbeit nach Hause.
„Abendbrot fertig?“, muffelt er vor sich hin, setzt sich vor den Fernseher, Füße auf den Couchtisch, die Socken riechen.
Und ich stelle mir meinen muskulösen Skilehrer vom letzten Skiurlaub vor, der ganz sicher auch müffelnde Socken hat und mit dem man sich nicht mal gut unterhalten konnte.
Das Gute an Tobias ist, er braucht eine halbe Stunde für sich, wenn er nach Hause kommt, gibt dann nur grammatikalisch mangelhafte Zweiwortsätze von sich, schaut sich die Börsennews in n-tv an und ist nach dieser halben Stunde dann wieder ganz da. Es gibt Männer, die aus einer halben Stunde den ganzen Abend machen.
Leider scheint es so, als habe Tobias das ausgerechnet heute vor. Und ich leide - sehr.

 

Ein Kind als Beziehungsretter ist so ziemlich das Dümmste, was man sich vorstellen kann, erinnere ich mich an Mamas Gejammer. Aber trotzdem will ich ein Kind.
„Schatz, machst du bitte mal den Fernseher aus?“ Ich fange vorsichtig an.
Er macht es sofort, sieht mich angespannt an. Hat Angst, ich mache jetzt Schluss. Und ein warmes Gefühl durchströmt meinen Magen.
„Wir sind füreinander geboren, vergiss das nie.“ Das hat er mir ganz am Anfang mal geschrieben. Erst spät habe ich herausgefunden, dass er den Satz aus dem Internet hat. „Liebesbriefe für Jedermann.“
„Ich habe was für uns gekocht“, sage ich und fliehe in die Küche, um die Schüsseln zu holen. „Also kochen ist etwas übertrieben. Sahneheringe mit Kartoffeln. Dein Lieblingsessen.“
Tobias lächelt ein wenig. „Heißt das, du verstehst mich ein kleines bisschen?“
„Also, ehrlich gesagt – nein. Ja. Ich muss. Weil selbst du nicht perfekt bist. Auch wenn ich es mir sieben Jahre eingeredet habe. In so was bin ich gut, weißt du ja.“
Er sieht mich ernst an. „Nora, ich wollte dir wirklich nicht wehtun. Ich wusste nur keinen Ausweg.“
„Ja klar. Aber ich versteh es trotzdem nicht. Wir haben uns doch immer alles gesagt. Also ich dir zumindest.“ Jede Gehirnwindung habe ich diesem Mann offenbart. Und das sind bei einer Frau Ende 30 mehrere Millionen.
Bis auf den Urlaub mit Olaf natürlich. Und heimliche Sexphantasien, die man nicht einmal seiner besten Freundin erzählt.
„Ich dir auch. Aber du wolltest dieses Kind so unbedingt. Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass du es mehr willst - als mich“, sagt er mit belegter Stimme.
Ich sehe ihn traurig an. Was ist aus uns geworden.
„Ich will dich. Und ein Kind. Ich stelle mir ein Leben ohne … einfach - sehr einsam vor.“
„Aber wir haben doch uns, wir haben uns doch all die Jahre vollauf genügt.“
„Willst du kein Kind mehr?“, frage ich ihn leise.
„Doch“, erwidert er schnell. „Aber ich weiß einfach nicht … wie … und …“
„Ich aber“, lächle ich ihn an. „Du hast dir doch immer ein kleines Mädchen gewünscht, das aussieht wie ich, hinten auf dem Fahrradrücksitz, mit wehenden Haaren.“
Tobias nickt angespannt. „Habe ich.“
„Also, ich habe eine Idee, die uns retten könnte! Wir suchen uns einen Spender, also einen Samenspender, aus dem Bekanntenkreis, jemanden, den wir kennen, der klug ist und okay aussieht und der soll mir … also kein Sex, … mit einer Spritze…“.
„Was?!“ Tobias wird ganz blass.
„Magda und Ines, du weißt schon, die Bauherrinnen aus Haus 5, die haben es auch so gemacht. Zweimal. Und sind total happy damit. Einen anonymen Samenspender finde ich irgendwie gruselig.“
Tobias starrt unsere Umzugskisten an, als wären sie Monster.
„Und wer soll so etwas mitmachen? Nora, derjenige wird tausend Ansprüche an uns stellen. Rechtlich ist das sehr kompliziert!“
Er steht auf, räumt sein Glas ordentlich in die Spülmaschine, obwohl er noch gar nichts gegessen hat, und geht ohne ein weiteres Wort raus. Ich starre traurig den Hering an. Wenigstens hat der keine Augen mehr, glotzt nicht zurück.

 

Je mehr sich Tobias von mir entfernt, desto bewusster wird mir, wie wichtig er mir ist. Es darf nicht sein, dass ein Eiweiß unsere Beziehung zerstört.

 

Tobias hat sein Jogging-Outfit angezogen, kommt zu mir, kniet sich nieder und nimmt mich liebevoll in den Arm.
„Wir lassen nicht zu, dass das unsere Beziehung zerstört, okay?“
Erschrocken sehe ich ihn an, bin nur noch fähig zu nicken. Er hat also wirklich über eine Trennung nachgedacht?!
„Also, an wen hast du gedacht? Aber nicht Dirk!“
Schniefend muss ich grinsen. „Nein, auf keinen Fall Dirk. Keine Ahnung, so weit hab ich noch gar nicht überlegt. Ich wollte es erstmal mit dir besprechen. Ich will auch nicht, dass du Angst haben musst, dass ich dir heimlich ein Kind anhänge.“
Es ist ihm anzusehen, dass er diesen Gedanken schon hatte. „Wenn es ohne Sex geht…“
„Auf jeden Fall ohne Sex. Ich will nur mit dir schlafen, mit sonst keinem“, sage ich im Brustton der Überzeugung.
Natürlich stelle ich es mir ab und zu mit dem spanischen Kellner in meinem Lieblingslokal vor. An der Costa del Sol, am Sandstrand, nach ein, zwei Caipis, wie sich unsere Körper im Meer umschlingen …
„Und Jens bitte auch nicht. Der ist zwar Anwalt, aber total unsportlich und hat Mundgeruch“, unterbricht mich Tobias und scheint sich richtig zu ekeln.
Ich küsse ihn und liebe ihn gleich noch mehr. „Du bist das Beste, was mir je begegnet ist. Welcher andere Mann würde sich sonst auf so eine verrückte Idee einlassen.“
Tobias lächelt schwach, denkt nach.
„Und was, wenn derjenige dann das Kind ständig sehen will oder das Sorgerecht anficht?“
„Kann man das nicht vertraglich regeln?“, frage ich den Anwalt meines Vertrauens. Aber Tobias kennt sich in Familienrecht nicht genug aus. „Muss ich mich mal erkundigen.“
„Hätte auch seine Vorteile“, werfe ich lächelnd ein. „Wir hätten ständig einen kostenlosen Babysitter.“
Ich sehe Dollarzeichen in seinen Augen. Er nickt und ich setze noch eins drauf.
„Ich finde der genetische Vater muss dir schon sehr ähnlich sehen. Blond, blauäugig, sportlich.“
Tobias ist jetzt vollends überzeugt. „Von diesen Prachtexemplaren gibt es zwar nicht so viele, aber du hast vollkommen recht. Das ist es. Dann ahnt später keiner, dass es nicht mein Kind ist. Ich habe nämlich keine Lust auf Erklärungen. Außer uns beiden darf nie jemand von der Sache erfahren. Außer uns und dem Spender. Deal?“
„Deal. Und Jacky, ja?“, sage ich und lächle ihn bittend an.
Tobias lächelt zurück. „Von mir aus auch Jacky.“

 

Wir kuscheln uns mit einem Glas Bordeaux aufs Sofa und da ist sie wieder - diese beruhigende Nähe, die ich in letzter Zeit so oft vermisst habe. Und wunderbarerweise scheinen wir uns innerlich noch nicht entfremdet zu haben. Wir nehmen die Löffelchenstellung ein und gehen mein zerfleddertes Adressbuch durch.
Da, wie wär`s mit Alex, genannt die Birne. Er hat eine etwas verunglückte Figur, treibt zu wenig Sport – und fällt dadurch bei Tobias auch sofort durch.
„Willst du etwa, dass mein Sohn im Freibad gemobbt wird, weil er aussieht wie ein nasser Sack?“ Wir kichern wie alberne Teenager.
„Dann hätten wir da noch Stuart. Rotblond, Irische Abstammung, Jurist. Aber nein, denk dran, der lacht so quietschend wie ein Meerschweinchen. Ob das vererbbar ist?“ Wir amüsieren uns köstlich. Und finden an jedem etwas auszusetzen. Weder Anton noch Robert noch Markus noch Ralf kommen in Frage. Und mehr Blonde, Blauäugige haben wir nicht. Die, die in Beziehungen sind, fallen sowieso gleich weg, denn welche Frau bei klarem Verstand würde wollen, dass ihr Mann einer anderen ein Kind macht? Sei es auch nur per Spritze.
Noch dazu, wo es sich bei vielen Männer um Exemplare handelt, die seit Jahren damit prahlen, ein Leben ohne Kinder führen zu wollen. Sehr zum Leidwesen ihrer Frauen.
Denn eins ist ja wohl klar. Ein Mann, der einer Frau sagt, dass er kein Kind will, weil er noch nicht reif dazu ist, oder erstmal Karriere machen oder reisen will, der ist auf jeden Fall dazu fähig, der Nächsten, in die er sich unsterblich verliebt, sofort ein Kind zu schenken.
Tobias sieht etwas frustriert aus. „Mhmm, wen nehmen wir denn nun?“
Und auch ich habe mir die Sache wirklich leichter vorgestellt. Wir gehen noch mal die durch, die wir vielleicht etwas zu leichtfertig wegen Meerschweinchenquietschen ausgesondert haben und einigen uns darauf, Stuart zu fragen.
„Er ist überzeugter Single, DJ, hauptberuflich Anwalt für Menschenrechte, und wenn das Kind rote Haare kriegen sollte, können wir immer noch behaupten, dass es von deiner Oma mütterlicherseits ist“, resümiere ich.
Tobias nickt lächelnd. „Eine kleine Pippi Langstrumpf stelle ich mir niedlich vor.“
„Gut. Nur wie fragen wir ihn?“ Ich überlege laut. Eine doch recht heikle Angelegenheit. Wir beschließen, ihn zum Essen zu uns einzuladen.
Stuart wundert sich am Telefon. „Wie komme ich zu der Ehre?“
Ich druckse etwas herum und rede seltsames Zeug. Er will es sich überlegen.

 

 

 

Himbeersommer
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