***

 

Daniel darf Lisa ein- bis zweimal in der Woche sehen. Das ist unser Deal. Natürlich hat er darauf gedrängt, natürlich kann ich es ihm nicht verwehren.
Die Übergabe findet wortkarg im Volkspark statt.
„Nora, ich habe euch so vermisst.“
„Hi. Du, ich muss gleich noch ein paar Erledigungen machen, Windeln, Schnuller und so, und dann zum Frauenarzt. Ich hole Lisa hier um 15 Uhr ab, in Ordnung?“
„In Ordnung.“ Er sieht mich an und leidet.
„Hier ist ihre Windeltasche, mit Wechselwäsche, Fläschchen, heißem Wasser, kennst du ja alles. Wenn sie weint, dann ruf mich auf jeden Fall an, ja, vielleicht vermisst sie mich.“
„Ich dich auch.“
Ich ziehe mich rasch zurück.
Und Daniel versteht. Er genießt die Zeit mit seinem Kind und lässt mich sein. Es tut mir jedes Mal in der Seele weh, ihm meine Kleine zu geben, so lange getrennt zu sein von ihr. Doch ich weiß, es ist nur fair.

 

 

Die Tage und Wochen vergehen.
Ich sitze mal wieder auf dem Sofa und singe ihr vor: „Hier kommt der Sonnenkäferpapa, da kommt die Sonnenkäfermama …“, und denke, während ich singe, an Daniel, ihren Sonnenkäferpapa, und wie das werden soll mit uns allen. Schnell verdränge ich den Gedanken, und eine innere Leere nimmt Besitz von mir. Wie sehr fehlt mir meine Baustelle, meine Arbeit, die auch oft stressig war, mich aber doch sehr erfüllt hat.
Ich wackle Lisa mit einem kleinen Kasper etwas vor. Aber abendfüllend ist das irgendwie nicht. Meine Maus nimmt mir den Kasper aus der Hand und wirft ihn weg.
Ich starre auf den Kasper, der jetzt unter dem Couchtisch liegt und lasse ihn liegen.
Dann bestelle ich per Mouseklick eine neue Bluse im Designer-Outlet, vermisse Jacky, die bis jetzt nur zwei Mal da war, um Lisa und mich zu besuchen, und rufe sie an.
„Wie hältst du das aus?“, meine Stimme klingt irgendwie hohl.
„Was?“
„Na den ganzen Tag … nichts tun.“
Jacky lacht. „Also lass das ja nicht Tobias hören, sonst kommt der noch auf die Idee, du vernachlässigst sein Kind.“
„Ist nicht sein Kind.“ Ich kann es mir einfach nicht verkneifen.
„Ich weiß, du dumme Nuss. Du weißt genau, was ich meine. Männer glauben doch wirklich, mit Kind zu Hause, das ist total easy, fast wie Urlaub.“
„Ist es aber nicht. Sie hält mich ganz schön auf Trab. Aber das meine ich nicht. Ich bin so froh, dass es sie gibt, aber …“
„… du brauchst was für den Kopf, stimmt’s?“ Jacky kennt mich einfach zu gut.
„Stimmt. Das hätte ich nie gedacht!“
„Geht vielen Frauen so. Die wenigsten gestehen es sich selbst ein. Was glaubst du, wie ich manchmal durchdrehe. Den ganzen Tag nur Duziduzi, und sonst nur das Müttergequatsche aufm Spielplatz. Du hast wenigstens noch `nen Mann, mit dem du abends normal reden kannst.“
„Kann ich nicht.“
„Wie, kann ich nicht?“
„Tobias ist in letzter Zeit so … keine Ahnung … wie ein Fisch.“
„Stumm und glotzt nur?“
„Ja, irgendwie. Und Daniel ruft die ganze Zeit an und redet so viel. Und erzählt Lisa Geschichten …“
„Pffhhh“, Jackys Stimme wird eindeutig kühler. „Wie oft triffst du denn den?“
„Na, ein-, zweimal die Woche, wie ausgemacht. Ist ihm eh schon viel zu wenig. Und mir zu viel.“
„Pffh. Was sagt Magda denn dazu?“
„Wieso Magda?“
„Na, die ist doch jetzt deine neue Nr. eins. Immer wenn ich da war, war sie auch da.“
„So ein Bullshit, das war Zufall. Sie wohnt halt hier in der Siedlung. Und ist total nett und versteht mich. Und man kann ja wohl mehrere Freundinnen gleichzeitig haben.“
„Aber nur eine Beste. Und sie war dabei, bei Lisas Geburt.“
Stille am anderen Ende der Leitung, und auch ich halte den Atem an. Dann ein Klick und Jacky hat aufgelegt.
Lisa weint, und ich weine mit.

 

Als Tobias am Abend nach Hause kommt, gibt er mir einen Kuss auf die Stirn, Lisa aber nicht.
„Ich hab Tomaten, Mozzarella und ein Baguette gekauft“, sage ich bemüht fröhlich.
„Ach schön, aber ich habe leider schon gegessen. Wir haben doch eine neue Kollegin, hab ich das schon erzählt? Die hat ein paar Horsd’oeuvre spendiert, zum Einstand.“
„Ah.“ Eine neue Kollegin, denke ich, und stelle sie mir gertenschlank und bildhübsch vor.
„Wie sieht sie denn aus?“
Tobias verdreht innerlich die Augen. „Dicker als du und keine schönen Beine.“
„Was heißt denn dicker als ich? Heißt das, du findest mich dick?“
Tobias schaltet N24 an und wirkt sichtlich genervt.
„Nora, du drehst ja eh alles so, wie du es willst. Ich habe heut Nacht kaum geschlafen bei dem Gebrüll, und ich hatte einen wirklich anstrengenden Tag.“
Zack, legt er seine Beine auf den Couchtisch und starrt stumm in die Glotze.
Horsd’oeuvre essen und hässliche Beine anschauen, das nennt er anstrengend?! Das heißt also faktisch, er hat ihr auf die Beine geschaut und ihren Körper abgescannt? Welche Körbchengröße, und ist sie wohl gut im Bett? Ich weiß, dass ich spinne, aber ich drehe am Rad.
„Willst du gar nicht wissen, wie es heute mit Lisa war?“
„Doch, klar. Wie war es?“
„Sie hat den Kasper in die Hand genommen und weggeworfen.“
„Ach ja?“
„Und ein bisschen Flitzekacke hat sie. Ich mache mir Sorgen.“
Wieder dieser Blick. „Nora, das ist doch nicht schlimm.“
„Das nicht. Aber dass du dich überhaupt nicht mehr wirklich für mich oder Lisa interessierst!“ Ich sehe ihn verletzt an, er schaltet den Fernseher ab und steht auf.
„Nora, ich kann auch nicht mehr.“
„Was kannst du nicht mehr?“, ich sehe ihn ängstlich an.
„Ach alles. So tun, als ob es mein Kind wäre. Sie ist es einfach nicht. Akzeptieren, dass er sie ständig sieht, dass er dich sieht. Es geht einfach nicht. Ich kann Lisa nicht als mein Kind annehmen, so gern ich es will.“
Er schnappt sich seine Joggingschuhe und geht.

 

Und meine kleine, schöngeredete Welt bricht wie ein schlecht gestapeltes Kartenhaus in sich zusammen.
Lisa ist mein ganzer Halt. Ich liebe sie so, und egal was passiert, wir zwei werden für immer zusammen sein. Und egal, wie kompliziert das mit den Männern wird, ich habe sie und bereue nichts.
Ein heulendes Elend bin ich trotzdem.

 

Himbeersommer
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