***

 

Je mehr es regnet, desto mehr nehmen meine Zweifel an uns zu.
Der Umzug ist gerade mal eine knappe Woche her. Ich hatte bisher so viel auf der Baustelle zu tun, dass ich fast noch keine Kisten ausgepackt habe.
Meine Mutter hat mir am Telefon sofort angehört, dass etwas Furchtbares passiert sein muss!
„Es ist wirklich nichts, Mama.“ Ich habe versucht, sie abzuwimmeln. Jetzt steht sie vor der Tür. Mit einer Kuchentüte in der Hand.
„Zwei Sahneschnittchen, du kannst dir eins aussuchen.“ Sie versucht mich nur aufzuheitern und kommt einfach herein.

 

Meine Mutter ist eine seltsame Person. Sie wohnt in einer Einraum-Wohnung am Alex, die aussieht, als wären die 68er gerade mal zwei Jahre her. Weiße Kugellampen, orange-braune Tapeten und ein Foto, das sie mit meinem Vater bei einem Rockkonzert zeigt. Aktuell hat sie zwei Liebhaber. Beide verheiratet. „Kindchen, du hast zwei Kilo zugenommen, habt ihr keinen Sex mehr?“, fragt sie mich und kneift mir in die Hüfte. „Sag was los ist. Hat er eine andere?“
Ich starre die Glühbirne über mir an.
„Nein. Er kann keine Kinder kriegen und hat mir das ewig nicht gesagt.“
Mama sieht mich an, als habe ich einen Scherz gemacht.
„Und das ist alles?“, will sie fast schon amüsiert wissen.
„Nora, du bist doch überhaupt nicht der Mutti-Typ. Du wolltest nie Kinder, erst seit ein paar Jahren. Und auch nur, weil es alle machen.“
„Das stimmt nicht. Ich will schon länger ein Baby. Gut, früher nicht, aber jetzt schon sehr.“ Ich versuche, nicht in Tränen auszubrechen.
Jetzt sieht meine Mama mich an und sagt etwas, was ich nie vergessen werde.
„Nora. Ich habe es bereut. Wirklich. Versteh mich nicht falsch, ich liebe dich über alles. Und deine Schwester auch. Aber was das für ein Stress war, als ihr klein wart, die ganze Schreierei. Was glaubst du, warum Papa gegangen ist?“
„Papa ist wegen uns gegangen?“
„Nein, also ich meine, ja, auch. Er hat sich sein Leben so einfach nicht vorgestellt. Und ich auch nicht.“
Wir haben uns aufs Sofa gesetzt, ein großer Fleck von der Party gestern ist nicht zu übersehen. Und wird vermutlich für immer bleiben.
„Kinder sind keine Beziehungsretter. Im Gegenteil. Wie viele Väter lassen denn ihre zweijährigen Würmer sitzen. Das Geschrei, das hält doch kein Mensch aus“, sagt sie und zündet sich eine Zigarette an.
Ich starre sie an und sehe eine verbitterte Frau vor mir sitzen. Und ich will so nicht werden.

 

Da klingelt es. Ich stehe schnell auf und öffne den Polen die Tür, die das Parkett im Kinderzimmer auswechseln sollen.
„Wo ist Kinderzimmer?“, sie kommen polternd herein.
„Oben, im 1. Stock“, sage ich mit butterweicher Stimme und werfe meiner Mutter einen enttäuschten Blick zu. Dann führe ich die Polen nach oben.
„Ich habe fünf“, sagt der kleinere Pole lächelnd. „Soll ich machen Sandmann-Tapete?“
„Nein. Parkett“, erwidere ich ziemlich garstig. Der eine macht das Zeichen für dicke Luft zum anderen. Der grinst.
Ich geh schnell zu meiner Mutter runter und bitte sie, die Handwerker zu beaufsichtigen. Ich muss los. Eine Baubesprechung. Sie will protestieren, aber ich gehe. So sind Kinder eben. Undankbar bis zuletzt.

 

Ich habe einen Termin mit Magda und Ines, den ich fast vergessen hätte. Sie wollen in ihrem Häuschen noch ein, zwei Wände anders setzen, freuen sich sehr, mich zu sehen.
„Diese Wand hätten wir doch gerne da“, sagt Magda und sieht mich forschend an. „Wir sind eben manchmal etwas unentschlossen, sorry.“
„Kenn ich.“ Ich lächle traurig. „Ich leider auch.“
Magda und Ines werfen sich einen Blick zu, denn ich starre einfach nur aus dem Fenster, auf den welkenden Himbeerbusch.
Da klingelt es, Ines öffnet und zwei hübsche Mädchen stürmen herein.
„Das ist Ruby und das Wanda.“ Magda stellt mir die beiden zwölf- und neunjährigen Mädchen vor.
„Unsere Töchter.“
Ich sehe Magda und Ines verblüfft an. Mit was für einer Selbstverständlichkeit Magda das sagt. Ich wusste nicht, dass die beiden Kinder haben.
„Heute hat die Oma keine Zeit, normal nehmen wir sie nicht mit auf die Baustelle.“
Ruby und Wanda jagen durchs Haus und dann wieder raus in den Garten.
„Ich schätze, du weißt jetzt warum“, lacht Ines und sieht ihnen stolz nach.
„Und wie … ich meine, wer …,“ stammele ich ziemlich deppert. Ines erbarmt sich. „Wer der Vater ist? Ein guter Freund aus dem Hinterhaus, wo wir gerade noch wohnen. Willst du wissen wie?“
Ich nicke und wir setzen uns auf das frisch verlegte Nussbaum-Parkett. Magda verteilt eine Runde „Toffifee“.
„Auf die einfachsten Lösungen kommt man ja immer zum Schluss“, sagt Ines lächelnd. “Wir haben uns vor 13 Jahren kennengelernt, da war Magda 28 und ich 31. Und es war klar, das ist es, das ist meine große Liebe, und für Magda war es genauso, behauptet sie zumindest.“
Magda nickt mit einem wahnsinnigen Strahlen in den Augen.
„Vorher bin ich nur an Vollidioten geraten. Der letzte wollte, dass ich beim Sex ein Hund bin.“
Wir lachen.
Ines grinst. „Naja, und wir wollten beide schon immer Kinder. War klar, dass es schwierig wird, vielleicht unmachbar – was uns ziemlich traurig gestimmt hat. Aber jetzt, wo wir uns hatten, da mussten wir nicht mehr lange überlegen. Nur noch wie, von wem.“
Magda ergänzt. „Holland kam für mich nicht in Frage. Von irgendeinem arbeitslosen Holländer, der wichsen als Arbeit deklariert – nein danke. Mal davon abgesehen, dass ich den HIV-Tests bei so einer Sperma-Probe auch nicht so ganz vertraue. Und die Gene sind ja nun doch verdammt entscheidend. Einen Mann, mit dem sie Kinder will, sucht sich eine Hetero ja normalerweise auch in Ruhe aus.“

 

Stimmt. Wenn auch nur unbewusst. Schließlich ist man ja nicht mit einem Typen zusammen, der gar nicht geht.
Ines beißt nachdenklich in ein Toffifee. „Tja, und das alles hat uns ganz schön fertig gemacht. Ich glaube wir waren auch mal kurz davor, uns zu trennen.“
Magda nickt nachdenklich, nimmt Ines` Hand.
Ines lächelt sie an. „Wir haben uns nur noch angezickt, ich hab mir eingebildet, mich in eine andere verguckt zu haben. Wenn Magda nachtragender wäre, ich mag gar nicht dran denken …“ Magda streichelt ihre Hand. „Ich weiß halt, was ich an dir habe.“
Ines nickt. „Und dann fiel uns ja zum Glück das nächstliegende ein. Michael Schleicher. Dieser skurrile Workaholic aus dem Hinterhof. Sieht nicht super aus, aber okay, ist durchschnittlich clever, ein lieber Kerl und sehr kinderlieb.“
Magda grinst. „Er hat irgendein Kindheitstrauma, superdominante Mutter, und ist deshalb total beziehungsgeschädigt und nie länger als sechs Wochen mit einer Frau zusammen.“
„Aber dominante Mutter ist ja nicht vererbbar“, fährt Ines fort. „Und so haben wir ihn einfach gefragt. Er war erst richtig schockiert. So etwas passt überhaupt nicht in sein Weltbild und er hat auch gleich abgelehnt. Aber dann, kurz vor Weihnachten, hat er bei uns geklingelt und gesagt: „Ich will strahlende Kinderaugen unterm Weihnachtsbaum. Ich will Papa werden. Teilzeitpapa. Mich nicht zu viel kümmern müssen, gern ab und zu. Aber um ehrlich zu sein, Sex mit euch kann ich mir … also nehmt es bitte nicht persönlich, aber …“ Ines und Magda prusten los, dass die Untertassen klappern.
Und ich stimme amüsiert ein.
„Ich hätte mit dem nie, also wirklich nie …“ Magda kriegt sich vor Lachen fast nicht mehr ein.
„Typisch, was Männer sich da gleich wieder ausmalen. Wir haben ihm dann von unserem Plan erzählt.“
Ich sehe die beiden neugierig an. Ines fährt fort.
„Naja, ist doch ganz einfach, hab ich zu ihm gesagt. Hör zu, Michael. Die Magda hat in circa einer Woche ihren Eisprung. Da holst du dir jeden Tag einen runter, ziehst das Zeug in eine große Spritze auf und bringst es schnell rüber.“
Michael hat mich angeguckt wie eine Verrückte. ´Ich soll…aber die Babys, in eine Spritze?! Und die sterben doch ab`, hat er gesagt. ´Auf dem Hof ist es doch immer so zugig.`“

 

Wir lachen los, mein Gott, wie niedlich Männer sein können.
Magda fängt sich als Erste. „Ines hat ihn todernst angeguckt und gesagt, das sind noch keine Babys, das sind deine Spermien, Michael. Und normalerweise quetschst du die in ein nach altem Gummi stinkendes Kondom und wirfst sie in die Tonne. Ich glaube, in Magdas warmer Scheide geht es ihnen tausendmillionen Mal besser. Das hat Michael zum Glück verstanden, und so haben wir es dann gemacht.“
Die beiden strahlen sich an, küssen sich. „Und beim zweiten Mal genauso. Michael ist echt ein cooler Papa. Oder, Ruby?“ Ines sieht die zwölfjährige Ruby fragend an, die gerade wieder hereingedüst kommt.
„Wanda ist Yakari, hab keinen Bock auf diesen Kinderkram.“
Wir sehen uns amüsiert an. Ist das schon der Beginn der Pubertät?
Sie kuschelt sich an Magda, die weiter erzählt.
„Am Anfang hat er sich zwar ein bisschen seltsam angestellt und stand uns auch etwas zu oft auf der Matte, aber wir haben ihm dann nett klargemacht, dass wir ihn nicht jeden Abend bekochen oder ihm Leberwurststullen schmieren werden – und jetzt ist alles prima.“ Wieder küssen sie sich und wirken richtig, richtig glücklich. Ruby gibt Magda einen Kuss.
Ich werde fast neidisch, freue mich aber sehr mit den beiden. „Eine wundersam schöne Geschichte“, sage ich.
Ich sehe Magda an, dass sie merkt, wie nah mir das Thema geht. Und sie ist so taktvoll, nicht zu fragen, ob ich Kinder habe - und warum vielleicht nicht. Ich denke, sie ahnt es. Warum sonst hätte man so viel Interesse an so einer Story.
Sie lächelt mich an.
„Weißt du, manchmal ist alles viel einfacher, als man denkt, wenn man die ungewöhnlichen Wege geht. Und für die Liebe muss man manchmal verrückte Dinge tun.“
Ich nicke ergriffen und schockiert, genau das Gleiche habe ich heute doch schon von Daniel gehört – und verabschiede mich schnell nach draußen.
Was für ein Tag. Waren das jetzt alles irgendwelche Engel, die mir das Schicksal geschickt hat?
Nicht dass ich an so etwas glaube, aber irgendwie schon verrückt.

 

Himbeersommer
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