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Tobias kommt gerade aus der Kanzlei gehetzt, würde am liebsten den Fernseher anmachen, n-tv gucken und die Beine hochlegen. „Stattdessen muss ich hecheln gehen“, sagt er in einem Ton, als ob er Eier legen müsste
„Typisch Mann, du musst doch nur mithecheln! Ich habe die Schmerzen, muss pressen, hecheln und bluten.“ Allein bei dem Gedanken an das viele Blut wird mir ganz blümerant.
„Das hat der liebe Gott schon richtig gemacht“, grinst Tobias frech und ich werfe ein Kissen nach ihm.

 

An den orange gestrichenen Wänden der Hebammenpraxis hängen silbern gerahmte Bilder von zahlreichen Promis. Dana Schweiger gleich viermal, Heike Makatsch, Jasmin Tabatabai…
Wir befinden uns also dank Oma Hilde in allerbester Gesellschaft. Die Hebamme ist nicht nur Hebamme, sondern auch Yoga-Expertin. Kundalini-Yoga.
„Bitte was?“ Tobias verzieht das Gesicht, aber er reißt sich zusammen. Er hält das Stillkissen, das ihm die patente, blonde Hebamme in die Hand drückt, als wäre es ein rohes Ei, das ihm gerade zerbrochen ist und zwischen den Fingern zerfließt.
„Der Wehenschmerz kann mit der richtigen Vorbereitung ein sinnlich-positives Erlebnis sein“, begrüßt die Hebamme die erlesene Runde. Oma Hilde scheint einen Kurs 40+ gebucht zu haben. Zumindest glaube ich, die Faltenfreieste hier zu sein. Meine Bauchfalten sind dank des dicken Schwangerschaftsbauchs ja auch endlich mal weg.
Der Kurs besteht aus nur fünf Paaren und einer Alleinerziehenden. Die Arme! Wieso um Himmels willen bucht man einen Partnerkurs, wenn man keinen Partner hat? Diesen Umstand hat sie nämlich bei der Vorstellungsrunde schamvoll verkündet.
Drei der fünf Paare erwarten Zwillinge und berichten stolz, dass dies In-vitro-Kinder sind.
Tobias und ich sehen uns einen Moment unwohl an. Dann umschließt er mit seinen Händen meinen Bauch. Und wir sind uns plötzlich wieder sehr sehr nahe. Verträumt sehen wir uns an, und ich bin mir sicher, dass uns diese unfreiwillige Spermaspende das Leben gerettet hat.
Sonja, die Hebamme, lächelt uns an. „Das ist kein Traumtänzer-Kurs, sondern einer, der realistisch auf unterschiedliche Situationen im Entbindungszimmer vorbereitet.“
Entsetzt starre ich sie an, sehe Chirurgenmesser vor meinem inneren Auge blitzen, Hektik im Kreissaal, Schmerzensschreie. Aber Tobias` warme Hand auf meinem Bauch ist so beruhigend, dass ich mich entspanne. Und auch Tobias scheint mit dem Kurs seinen inneren Frieden gemacht zu haben. Er ist, während ich ihm den Rücken massiere, auf dem Bauch eingeschlafen! Mit offenem Mund, vibrierenden Nasenhaaren, zum Glück nicht nackt. Die Hebamme grinst mich an, und ich höre peinlich berührt wie mein Freund …. schnarcht!
„Kinderkriegen ist anstrengend“, frotzelt Sonja, wird aber von dem Aufschrei der Alleinerziehenden unterbrochen, die sich unter Schmerzen krümmt.
„Das gibt’s doch nicht, was ist das denn jetzt, autsch, verdammt, tut das weh!“
Sonja ist sofort bei ihr, befühlt den Bauch.
„Wann ist noch mal dein Termin?“
„In sechs Wochen, aaahhhhhhhh!“
„Schaffst du es rüber, ins Nebenzimmer? Ich will dich mal untersuchen.“
Die Alleinerziehende versucht aufzustehen, sackt aber unter Schmerzen wieder zusammen. Sonja bedeutet mir, die ich als Nächste sitze, ihr zu helfen, und gemeinsam haken wir die Alleinerziehende unter und schleifen sie in den Raum, der so gemütlich aussieht, als befinde man sich selbst im Mutterbauch. Die starken Männer der Runde, die nicht in einen komatösen Schlaf gefallen sind, sehen nur fassungslos und panisch zu und halten sich an den Bäuchen ihrer Frauen fest. Ja, seht genau her, das müssen eure Frauen auch bald erleiden.

 

Während Sonja die Frau untersucht, halte ich ihr Händchen.
„Mein Mann hat mich letzte Woche sitzen lassen“, jammert sie. „Er glaubt, das Baby ist von einem anderen.“
„Und? Ist es das?“, platzt es aus mir heraus. Und ich beiße mir im nächsten Moment auf die Zunge und denke an Daniel.
Sie sieht mich an, lächelt und nickt. „Ja verdammt. Und es waren die aufregendsten Stunden meines Lebens. Ich bereue keine Sekunde.“
Ich auch nicht, denke ich spontan und lächle, in der Erinnerung an unser Bad im Wannsee.
Sonja taucht verblüfft zwischen den Beinen der Alleinerziehenden auf. „Es geht wirklich los. Da es ein Frühchen wird, solltest du besser ins Krankenhaus.“
Wieder ein gellender Schmerzenschrei. Sonja schickt mich in den Gruppenraum zurück, und ich sehe in erstarrte Gesichter. Nur Tobias hat die ganze Action verschlafen.
„Ist das Baby schon da?“, fragt die eine der In-vitro-Schwangeren blass-naiv und hält sich den Bauch.
„Nein. Das sind nur die Vorwehen“, sage ich bemüht cool, doch spätestens nach dem nächsten, wirklich markerschütternden Schrei, sehe auch ich aus wie ein verschrecktes Küken, das keine Mama mehr hat.

 

Himbeersommer
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