5.
Nach längerem Überlegen hatte Schwarz sich dafür entschieden, Loewi abzusagen. Er dachte gerade über eine schlüssige Begründung nach, als es klingelte und der Anwalt vor der Tür stand.
»Ich muss Ihnen leider sagen …«, begann Schwarz, aber Loewi unterbrach ihn.
»Ich habe Karlsbader Oblaten für Sie. Mit Schokofüllung.«
Schwarz war überrascht. Woher wusste der Mann von seiner Vorliebe?
»Mir ist beim letzten Mal die leere Verpackung aufgefallen.«
Das ist nicht wahr, dachte Schwarz, er hat sich über mich informiert, und zwar bei jemandem, der weiß, dass ich für diese Oblaten sterbe. Aber bei wem?
»Sie sind ein guter Beobachter, Herr Loewi«, sagte er. »Also, leider …«
Bevor er weitersprechen konnte, hielt der Anwalt ihm eine Mappe mit Fotokopien hin. »Meine Sekretärin hat für Sie eine kleine Materialsammlung zusammengestellt. Beim Durchblättern ist mir ein wichtiges Indiz wieder eingefallen. Tim Burger ist nach Aussagen von Zeugen vor der Tat mindestens zehn Minuten im Stau gestanden. Während dieser Zeit kamen zahlreiche Passanten an seinem Wagen vorbei, Geschäftsleute, Mütter mit kleinen Kindern, alte Leute und auch Schüler. Er hat sie alle unbehelligt gelassen.«
Schwarz schaute ihn irritiert an.
»Aber als fünf Jugendliche mit dem Abzeichen eines jüdischen Vereins auf ihren Trainingsanzügen auftauchten, drückte er aufs Gas. Halten Sie das für einen Zufall?«
Schwarz überlegte. »Er könnte wie ich blauweiß für typisch bayerisch gehalten haben.«
»Aber nicht den Davidstern auf dem Vereinswappen. Den kann man wohl schlecht mit dem bayerischen Löwen verwechseln.«
»Hm. Er könnte Burger egal gewesen sein.«
»Dann wäre er doch nicht genau in diesem Moment losgefahren.«
»Wir drehen uns im Kreis, Herr Loewi.«
»Deswegen bin ich zu Ihnen gekommen.«
Schwarz schwieg.
»Wollen Sie nicht auch wissen, was damals wirklich passiert ist?«
»Langsam werde ich neugierig«, sagte Schwarz.
Loewi atmete auf und streckte ihm die Hand hin.
»Moment.«
»Was?«
»Ich kriege zweihundertfünfzig pro Tag.«
Loewi schluckte. »Ist das ein Versuch, mich doch noch loszuwerden?«
Schwarz lächelte. »Es ist mein übliches Honorar. Wenn ich nichts rausfinde, bekommen Sie die Hälfte zurück.«
»Brauchen wir einen Vertrag?«
Schwarz schüttelte den Kopf, ihm genügte ein Händedruck.
Dann tranken sie Kaffee und aßen dazu die Oblaten, die Schwarz zu trocken fand. »Gar nicht schlecht«, sagte er.
»Bestimmt nicht so lecker wie die aus dem Hause Schwarz.«
Schwarz lächelte geschmeichelt. Die Konditorei seines Großvaters hatte vor dem Krieg Kunden in ganz Europa beliefert. Seine Mutter hatte den köstlichen Geruch und Geschmack der Schwarz-Oblaten so oft beschrieben, dass er sich fast erinnerte, sie in seiner Kindheit probiert zu haben. Dabei war er dafür eindeutig zu spät geboren.
»Jetzt möchte ich aber doch wissen, woher Sie Ihre Informationen über mich haben, Herr Loewi.«
»Ein Onkel von mir hat Ihre Mutter gekannt.«
»Dann haben Sie auch Egerländer Wurzeln?«
Loewi schüttelte den Kopf. »Jüdische.«
»Tatsächlich?« Schwarz lachte. »Wissen Sie, dass Sie mein erster echter Jude sind?«
»Glückwunsch«, sagte Loewi.