43.

»Mein Name ist Schwarz, ich bin Privatermittler und hätte ein paar Fragen zum Fall Tim Burger.«

Nach einem kurzen Moment der Irritation bat Rainer Bandmann ihn herein. Er bewohnte mit zwei anderen Studenten, einer Frau und einem Mann, eine zweckmäßig eingerichtete Wohnung in der Merianstraße unweit des Leonrodplatzes in Neuhausen.

»Wir können in die Küche gehen, die anderen sind schon in der Uni.« Während Bandmann Tee kochte, hatte Schwarz Zeit, ihn zu betrachten: brünette, offenbar schwer zu bändigende Locken, ein schön geschnittenes Gesicht und feine Lachfältchen um die Augen. Er war der Typ, auf den Frauen flogen und mit dem Männer befreundet sein wollten. Sein Medizinstudium würde er ohne große Verzögerungen durchziehen und in spätestens zehn Jahren in einer gut gehenden Praxis seine Patientinnen verzaubern. Er kleidete sich bereits jetzt so, als sei dieses Ziel erreicht, trug helle Stoffhosen, weiße Tennisschuhe und ein Polohemd mit dem einschlägigen Logo.

»Hatten Sie nach dem Prozess noch mal Kontakt mit Tim Burger?«, fragte Schwarz.

»Um Gottes willen, nein. Er hat mich immer gehasst.«

»Immer? Schon vor Ihrer Beziehung mit Linda Heintl?«

Er nickte.

»Warum?«

»Ich habe mich im Gegensatz zu ihm am Gymnasium nie besonders anstrengen müssen.«

»Er war neidisch?«

Bandmann nickte.

»Wussten Sie, dass Tim und Linda wieder zusammen sind?«

»Nein, aber es überrascht mich nicht.«

»Wieso?«

»Ich war damals nur Mittel zum Zweck.«

Er stellte die Teekanne auf ein Stövchen, holte zwei Tassen aus dem Regal und schenkte ein. »Ich habe Sie gar nicht gefragt, ob Sie Lemongras mögen.«

»Nein, aber das macht nichts.«

Bandmann setzte sich und kam ohne Umschweife zum Thema zurück. »Linda war meine erste Frau. Ich war süchtig nach ihr. Sie hätte alles von mir verlangen können.«

»Hat sie Tim Burger tatsächlich absichtlich ins Messer laufen lassen?«

Er nickte. »Sie wusste, dass er uns in flagranti erwischen würde, und genau das wollte sie.«

»Und Sie?«

»Ich war so naiv zu glauben, danach hätte ich Linda für mich allein. Wenn ich geahnt hätte …«

Sie schwiegen. Schwarz war sich sicher, dass auch Bandmann in diesem Moment an die Opfer der Amokfahrt dachte, an Dani und Eva.

Er nahm versehentlich einen Schluck Tee und hätte ihn fast ausgespuckt. Wieso tranken Menschen ein Gebräu, das nach Spüli und Gras schmeckte?

»Hat die Polizei Ihnen mitgeteilt, dass Tim Burger in den nächsten Tagen entlassen wird?«

Bandmann starrte ihn ungläubig an.

»Man hält ihn offenbar für ungefährlich.«

»Das ist ein Witz, oder?« Er war sichtlich geschockt.

Schwarz sah ihn fragend an.

»Ich war bei der Polizei und habe Burger angezeigt.«

»Wie? Warum das?«

»Ich bin von ihm massiv bedroht worden.« Er lief aus dem Zimmer und kam mit dem Ausdruck einer E-Mail zurück. Schwarz blickte auf das in Runenschrift geschriebene Wort Rassenschande. Es war von zwei eisernen Kreuzen eingerahmt; darunter stand: Jeder Jude, der eine deutschblütige Frau entehrt, wird mit seinem Leben bezahlen.

»Sie sind jüdisch, Herr Bandmann?«

»Nicht die Spur. Die Eltern meiner Mutter sind erzkatholisch und die meines Vaters waren stramme Nazis. Meine Großmutter schwärmt heute noch vom Führer.«

»Trotzdem haben Sie sich bedroht gefühlt?«

»Lesen Sie mal weiter.«

Flucht ist sinnlos, weil wir dich finden. Wir werden dein Versteck ausräuchern und dich vor den Volksgerichtshof stellen. Dann werden wir dich an deinem Judenschwanz aufhängen, aber vorher wirst du deine Tat hundert Mal bereuen.

»Und woher wissen Sie, dass diese Mail von Tim Burger stammt?«

Bandmann wurde rot. Schwarz nickte ihm auffordernd zu.

»Es war nicht so, dass ich besonders cool reagiert hätte, als er damals plötzlich in Lindas Zimmer stand.«

Schwarz verstand nicht.

»Na ja, ich bin aus dem Bett gesprungen, und da hat er gesehen, dass ich beschnitten bin. Aber ich bin kein Jude.«

Schwarz merkte im letzten Moment, dass er die Teetasse schon wieder in der Hand hatte. »Hätten Sie einen Schluck Wasser für mich?«

Bandmann holte eine Flasche aus dem Kühlschrank und schenkte ein. Schwarz trank das Glas in einem Zug aus.

»Und wie hat jetzt die Polizei auf diese Mail reagiert?«

»Die hat gesagt, es sei äußerst unwahrscheinlich, dass sie im Gefängnis geschrieben wurde.«

»Das kann man doch nachprüfen.«

»Angeblich nicht.«

Schwarz sah ihn erstaunt an.

»Mir wurde erklärt, auf bestimmte Server gebe es keinen Zugriff.«

Schwarz schüttelte nur den Kopf.

»Ich hatte ohnehin das Gefühl, dass die mich ganz schnell wieder loswerden wollten. Oder finden Sie auch, dass das nach einem Lausbubenstreich klingt?« Er klopfte empört auf das Papier.

»Wer hat das behauptet?«

»Der Kommissar, mit dem ich gesprochen habe.«

»Erinnern Sie sich an den Namen?«