28.

Schwarz versuchte, sich zu beruhigen. Er sagte sich, dass der Diebstahl des Fotos ihn wahrscheinlich nur einschüchtern sollte und niemand ernsthaft die Entführung seiner Tochter oder seiner Frau plante.

Als Nächstes hätte er normalerweise Kolbinger angerufen und gefragt, ob er schon mehr über den Brandanschlag in der Gollierstraße wusste. Aber durch Heiners Informationen war seine Beziehung zu dem ehemaligen Kollegen jetzt einigermaßen belastet.

Schwarz beschloss, selbst ins Westend zu schauen. Da er am Abend noch Dienst in der Karibik hatte, nahm er das Fahrrad. Er fuhr die Landsberger entlang und wunderte sich wieder einmal, wieso es so viele Läden und so wenige Passanten gab. Wahrscheinlich, dachte er, ist hier die Laufkundschaft eine Fahrkundschaft.

Die andere Straßenseite gehörte tagsüber den Gebrauchtwarenhändlern und ihren Kunden. Die Huren kamen erst, wenn es dunkel wurde. Selbst im Club Esmeralda kam der Bordellbetrieb erst ab dem späteren Nachmittag in Gang. Cindy saß wahrscheinlich allein zuhause auf ihrem Plüschsofa, guckte gerade zum hundertsten Mal ›Pretty Woman‹ und zählte ihr Geld.

Schwarz bog nach rechts in die Bergmannstraße ein. In der Gollierstraße kam ihm ein mit Brandschutt beladener Lastwagen entgegen. Ein Bauzaun verstellte den Blick auf das Haus. Schwarz stieg vom Rad und spähte durch eine Ritze.

Er glaubte, nicht recht zu sehen. Das Dach war abgetragen, ein Teil der Fassade eingerissen.

»War einsturzgefährdet«, erklärte ein alter Mann, der seinen Spitz ausführte. »Eine denkmalgeschützte Ruine weniger. Der Besitzer wird sich freuen – wenn er’s nicht selber war.«

»Der Besitzer ist eine Bank«, sagte Schwarz.

»Dann halt nicht«, sagte der Mann.

»Haben Sie was von den Bewohnern gehört?«

»Die werden umgesiedelt.«

»Umgesiedelt?«

»Na, nach Hause geschickt, in andere Wohnungen einquartiert, was weiß ich.«

»Gibt es hier in der Nähe ein Lokal, wo sich Türken treffen?«

»Eins?« Er lachte höhnisch. »Was wollen Sie denn von denen?«

»Ich hatte Freunde in dem Haus.«

»Freunde?« Er verzog das Gesicht, deutete zu einer Eckkneipe und setzte seinen Weg fort.

Im Westendhof drängte sich etwa ein Dutzend junger Türken um einen Tisch, an dem drei Alte mit Häkelmützen saßen. Dass sich die erregte Diskussion um die Brandstiftung drehte, begriff Schwarz nur, weil sich einer der Umstehenden immer wieder auf Deutsch einmischte.

Schwarz tippte dem jungen Mann auf die Schultern.

»Dürfte ich Sie kurz sprechen?«

Er fuhr herum und musterte ihn. »Sie sehen aus wie ein Bulle.«

»Sie sind nicht der Erste, der das denkt.«

»Und?«

»Ich suche Murat Celik.«

Der Mann betrachtet ihn misstrauisch.

»Was wollen Sie von ihm?«

»Mit ihm reden.«

»Er hat seinen Bruder und seine Nichte verloren.«

»Deswegen.«

Nach kurzem Zögern kritzelte der Mann eine Telefonnummer auf einen Bierdeckel.

»Der Hodscha kümmert sich um die Familie. Und jetzt hauen Sie besser ab. Die Leute hier sind grade nicht so gut auf Deutsche zu sprechen.«

»Kann ich verstehen.« Schwarz zog sich mit einem Kopfnicken zurück.

 

Der Kulturverein, in dem vor allem Kinder und Jugendliche religiös unterwiesen wurden, lag in einem seit vielen Jahren geschlossenen Café. Bei uns ist jeder friedliebende Mensch willkommen, hatte der Hodscha am Telefon erklärt. Doch als Schwarz ihn jetzt um ein Gespräch mit Murat Celik bat, lehnte er entschieden ab.

Schwarz blieb nichts anderes übrig, als mit offenen Karten zu spielen.

»Ich bin Privatdetektiv und kenne den Kommissar, der die Ermittlungen leitet, aus meiner Zeit bei der Polizei. Wir waren uns meistens einig, aber in diesem Fall ist er meiner Meinung nach auf dem Holzweg. Er vermutet hinter der Tat einen Konflikt unter den Hausbewohnern, ich hingegen bin ich mir ziemlich sicher, dass Rechtsextreme die Brandstifter waren.«

»Wer ist Ihr Auftraggeber?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«

Der Hodscha zwirbelte nervös seinen Bart. »Murat ist stundenlang verhört worden. Er ist sehr wütend auf die Polizei.«

»Warum?«

»Weil er wie ein Verbrecher behandelt wurde. Dieser Kommissar hat ihm sogar unterstellt, das Feuer selbst gelegt zu haben.«

»Lassen Sie mich mit Murat reden. Ich werde beweisen, dass ihm Unrecht getan wurde.«

Der Hodscha überlegte. »Gut, aber nur zehn Minuten.«

Murat Celik saß in der immer noch im Stil der sechziger Jahre eingerichteten Küche des ehemaligen Cafés auf einem Hocker und starrte mit geröteten Augen ins Leere. Den eintretenden Schwarz schien er nicht zu bemerken.

»Was passiert ist, tut mir sehr leid«, sagte Schwarz ein wenig unbeholfen.

Keine Reaktion. Er wartete. Draußen hustete der Hodscha, irgendwo weinte eine Frau.

»Ich bin Privatermittler und soll den Fall Tim Burger neu aufrollen.«

Celiks blickte für einen Moment in seine Richtung.

»Sie wissen, von wem ich spreche?«

Plötzlich begann Celiks Hand so zu zittern, dass er das vor ihm stehende Teeglas umwarf. Schwarz griff zu einer Rolle mit Küchentüchern und reichte sie ihm. Ihre Blicke trafen sich. Schwarz sah, dass Celiks Augen sich mit Tränen gefüllt hatten.

»Wir hätten abhauen sollen«, sagte er in fast akzentfreiem Deutsch. »Sie haben uns ja gewarnt.«

»Wer?«

»Burgers Leute. Sie haben angekündigt, dass sie ihren Kameraden rächen werden.«

»Sie haben bei Ihnen angerufen?«

»Ja, drei Mal in den letzten Wochen.«

»Haben Sie das der Polizei gemeldet?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, die wollen uns nur Angst machen.«

»Aber jetzt haben Sie es dem Kommissar gesagt?«

»Der glaubt mir nicht. Irgendein Idiot im Haus hat ihm gesteckt, dass ich Ärger mit den Serben hatte. – Wir hätten in die Türkei zurückgehen sollen«, sagte er mit tränenerstickter Stimme.

Schwarz versuchte sich die Situation aus der Sicht des Täters vorzustellen. Die Eingangstür hatte vermutlich offen gestanden, aber es war nicht einfach, mit einem Benzinkanister unbemerkt in den dritten Stock zu gelangen. Das ging eigentlich nur, wenn die meisten Bewohner außer Haus waren.

»Ist Ihnen in letzter Zeit irgendjemand aufgefallen, der das Haus ausgekundschaftet haben könnte?«

»Eigentlich nicht.«

»Aber?«

Celik zögerte. »Meine Schwägerin hat jemanden beobachtet.«

»Kann ich mit ihr sprechen?«

»Nein, unmöglich.« Er machte eine Kopfbewegung in die Richtung, aus der immer noch verzweifeltes Weinen kam.

Der Hodscha schaute herein und deutete auf seine Uhr.

»Nur eine Frage noch«, sagte Schwarz und wandte sich wieder Celik zu. »Hat Ihre Schwägerin Ihnen den Mann beschrieben?«

Er hob die Schultern und nickte. »Ein junger, eher unscheinbarer Typ. Trotzdem hat er ihr Angst gemacht.«

»Wieso?«

»Er war ein Kreuzritter, hat sie gesagt.«

Schwarz starrte ihn an. »Ein Kreuzritter? Er hatte ein Tattoo am Hals?«

Celik nickte.