27.
Zehn Minuten später klingelte Schwarz an einem Häuschen, das zu einer Mustersiedlung aus den dreißiger Jahren gehörte. So hatten die Nazis sich das deutsche Heim vorgestellt, schlicht und gedrungen. Und eines wie das andere. Was sie sich bestimmt nicht vorgestellt hatten, war, dass hier mal eine Wohngemeinschaft einziehen würde, die zwar nie Rasen und Hecken schnitt, dafür aber Marihuana anbaute.
»Lass uns in den Garten gehen«, sagte Luisa. »Drinnen haben wir keine Ruhe, die Krabbelgruppe ist da.«
Schwarz stolperte über Kinderspielzeug im hohen Gras und landete glücklich auf einer verwitterten Gartenbank. »Ich mache mir Sorgen«, sagte er und beschrieb in groben Zügen – und wie immer ohne Nennung von Namen – den Fall, an dem er gerade arbeitete. Luisa hörte aufmerksam zu, doch als ihr Vater von dem verschwundenen Foto erzählte, unterbrach sie ihn.
»Ich will das nicht wissen.«
Schwarz sah sie irritiert an.
»Dieses Gefühl, dass jederzeit was Schreckliches passieren kann, hat mich meine ganze Kindheit über verfolgt. Du hast nie mit mir darüber geredet, aber ich habe immer gespürt, wie angespannt du warst, wenn du wieder mal hinter irgendeinem Mörder her warst. Und weißt du noch, wie wir ausziehen mussten, weil du bedroht worden warst?«
»Das hast du gewusst? Wir haben dir doch gesagt, wir würden Urlaub bei Freunden machen.«
»Mensch, ich war nicht blöd.«
»Wir wollten das alles von dir fernhalten.«
Luisa lachte bitter. »Ich bin vor Angst fast gestorben. Aber irgendwann habe ich beschlossen, die Angst aus meinem Leben zu verbannen. Das war wie eine Befreiung, verstehst du, Papa? Und ich werde es nicht zulassen, dass du sie mir wieder ins Haus bringst.«
Schwarz senkte schuldbewusst den Blick.
Sein Handy klingelte. Monika. Luisa ging, um Tee zu machen. Anders als ihre Tochter reagierte Monika sehr vernünftig. Sie ließ sich den Verdächtigen genau beschreiben und hörte sich Schwarz’ Ratschläge geduldig an.
»Es tut mir leid«, sagte Schwarz.
»Ist ja nicht deine Schuld, dass es Verbrecher und Irre gibt.«
»Aber dass ich ständig hinter ihnen her bin und euch in Gefahr bringe.«
Schwarz hörte im Hintergrund eine männliche Stimme.
»Er hat jetzt keine Zeit«, sagte Monika resolut.
Sie wartete, bis Justus aus dem Zimmer war.
»Er will sich mir dir aussprechen.«
»Ich weiß.«
»Wenn du irgendeine Andeutung wegen letzter Nacht machst, bring ich dich um.«
Luisa kam mit einem Tablett zurück. »Grünen Tee magst du?« Sie schenkte ihm, ohne die Antwort abzuwarten, ein.
»Ciao, Monika«, sagte Schwarz und legte auf.
»Tut dir Justus eigentlich gar nicht leid? Er war so geknickt nach deinem letzten Auftritt.«
Schwarz runzelte die Stirn. »Ich war doch nett zu ihm. Ich hätte sogar fast seine Nudelschürze gelobt.«
»Werd nicht zynisch. Er liebt Mama.«
»Ich auch.«
»Aber sie hat sich für ihn entschieden.«
Hat sie nicht, dachte Schwarz, aber das kann ich Luisa ja nicht sagen, sonst bringt Monika mich um.
»Ich frage mich manchmal«, sagte seine Tochter, »ob das überhaupt noch Liebe ist bei dir.«
Das war ja wohl die Höhe. Er liebte Monika so sehr, dass er ihr alles, wirklich alles verzieh. Er tolerierte einen anderen Mann an ihrer Seite und zierte sich keinen Moment, wenn sie plötzlich Lust auf Sex mit ihm hatte. »Was außer Liebe soll es denn sonst sein, Luisa?«
»Sturheit. Du klammerst dich verzweifelt an eine romantische Idee, statt endlich der Wirklichkeit ins Auge zu sehen.«
Schwarz schwieg.
»Ich sag das nicht, weil ich dir wehtun will, Papa. Ich möchte nur, dass du endlich wieder glücklich wirst – ohne Mama.«
Jetzt war Schwarz wirklich beleidigt. »Ohne Mama? Bist du dir eigentlich sicher, dass du meine Tochter bist?«
Luisa schaute ihn irritiert an.
»Ich meine, Töchter wollen doch, dass ihre Eltern zusammen sind. Sie leiden schrecklich unter Trennungen, auch wenn die Ehe der Eltern die Hölle war. Was sie bei Monika und mir nun wirklich nicht war.«
Luisa holte empört Luft. »Das ist wieder typisch für dich. Du vermeidest doch jede Auseinandersetzung mit unbequemen Wahrheiten.«
»Wenn du meinst«, sagte Schwarz. »Aber eigentlich bin ich nicht gekommen, um das zu hören. Ich wollte dich bitten, dass du die Augen offen hältst und dich sofort meldest, wenn dir etwas Verdächtiges auffällt.«
»Vergiss es. Ich will mein Leben genießen. Und wenn es vorbei ist, soll es vorbei sein.«
Schwarz seufzte tief. Den Besuch hätte er sich schenken können.