52.

»Willkommen im Club!«, rief Heiner zur Begrüßung. Sie trafen sich im Café Lieber Tee, einem schmuddeligen Laden im Westend, in dem sich seit der Eröffnung 1978 weder die Musik noch die Einrichtung verändert hatte. Nur die Gäste waren dreißig Jahre älter als damals.

»Ich glaube, das ist nicht unbedingt mein Club«, sagte Schwarz mit Blick auf die Kellnerin, die mit ihren etwa sechzig Jahren immer noch karottenfarbenes Haar und lila Latzhosen trug.

Aber sein Freund wollte auf etwas anderes hinaus. Er reichte ihm den mehrseitigen Ausdruck einer Website.

»www.rechte-ordnung. Was ist das?«

»Eine schwarze Liste. Seit gestern Nacht schmückt sie auch dein Name. Aber nicht, weil du Schwarz heißt.«

Der Ermittler studierte die alphabetisch geordneten Namen.

»Was sind das für Leute?«

»Mitglieder des Ausländerbeirats, der jüdischen Gemeinde, Politiker, Anwälte und Journalisten, die irgendwann mal was gegen Nazis gesagt haben – alle mit ihrer Privatadresse.«

»Du stehst auch drauf.«

Heiner nickte. »Zum Glück mit meiner alten Anschrift.«

»Und Loewi, mit seiner richtigen …«

Unter der langen Reihe von Namen und Adressen stand ein kurzer Text: Kameraden, wir laden euch zum Hausbesuch ein! Sollten dabei Scheiben klirren und Autos zerkratzt werden, ist das nicht unsere Schuld.

»Das ist eine Aufforderung zu einer Straftat.«

Heiner zuckte nur die Schultern.

»Unternimmt da keiner was?«

»Bis jetzt nicht.«

»Seit wann gibt es diese Liste?«

»Seit sechs Jahren.«

»Weißt du, wer dahintersteckt?«

»Ich denke, da haben sich mehrere rechte Gruppen vernetzt. Es ist kein Zufall, dass du nach deinem Besuch bei der Manzonia auf der Liste auftauchst.«

Heiner winkte der Kellnerin. »Aber das ist ein Nebenkriegsschauplatz, Toni, davon lassen wir uns nicht den Schneid abkaufen.«

Schwarz rang sich ein Grinsen ab. Sie bestellten zwei Tassen Café au lait aus fairem Handel.

»Was ist der Hauptkriegsschauplatz?«

»Manzonia, Veranstaltungssaal. Mein lieber Herr Gesangsverein!«

Der Kaffee aus fairem Handel schmeckte unfair bitter, was sicher nicht am kolumbianischen Lieferanten, sondern an der seit 1978 nicht entkalkten Kaffeemaschine lag. Aber Schwarz vergaß über Heiners Bericht von der Pressekonferenz sowieso zu trinken.

»Dieser Jörg von Medingen ist aufgetreten wie ein Staatsmann bei einem Golfturnier, in dunkelblauem Goldknopfjackett und beigefarbener Stoffhose. Auf der Bühne hat er sich von zwei blonden Burschenschaftlern einrahmen lassen.«

»Waren viele Presseleute da?«

»Viel zu viele. Das steht morgen überall auf der ersten Seite.« Er trank von seinem Kaffee, verzog angewidert das Gesicht und süßte ihn mit drei Löffeln Zucker. »Herr von Medingen macht sich große Sorgen um den gesellschaftlichen Frieden. Nur deswegen hat er Die Rechten gegründet. Er behauptet, die Straftaten aus dem linken Spektrum seien deutlich zurückgegangen, seit sich die Unzufriedenen politisch vertreten fühlten. Das will er jetzt für den rechten Rand nachholen.«

»Verstehe ich das richtig: Er sieht sich als rechten Lafontaine?«

»Genau.«

Heiner bestellte noch einen Milchkaffee.

»Begreife ich nicht«, sagte Schwarz.

»Du musst nur viel Zucker nehmen.«

»Nein: Was will dieser von Medingen wirklich?«

»Er ist eitel und träumt davon, die politische Landschaft von rechts her aufzurollen.«

»Es gibt doch rechte Parteien.«

»Die sind für ihn bessere Sekten, die verboten gehören. Ihm schwebt eine Volkspartei vor.«

»Er ist für ein Parteienverbot?«

»Er spielt den überzeugten Demokraten. Das gelingt ihm auch, jedenfalls die meiste Zeit.«

»Aber?«

»Er droht.«

Schwarz schaute seinen Freund fragend an.

»Es sei fünf vor zwölf. Wenn es ihm nicht gelinge, seine Partei rasch zum Erfolg zu führen, würden bestimmte Leute unwiderruflich den Weg der Gewalt gehen.« Sein Handy klingelte. Am Apparat war eine der Schülerinnen, die Linda Heintl beobachteten.

Heiner hörte sich ihren Bericht aufmerksam an. »Gut. Setz dich auf deine Vespa und häng dich an sie dran. Wenn sie aus der Stadt rausfährt, schreib mir bitte eine SMS. Wenn sie in München bleibt und sich irgendwo länger aufhält, brauche ich die Adresse, ja? Danke.«

Er legte auf und grinste. »Linda Heintl war tatsächlich beim Friseur.«