29.
Die Zeit war gekommen, die Zeit des Feuers und des Bluts. Ein Mensch brennt. Fleischgeruch liegt in der Luft. Wie anders das Lied in seinem Kopf jetzt klang. Da war keine Verzweiflung mehr, keine Angst, keine Reue, nur noch Triumph. Er wird das Gefängnis erhobenen Haupts verlassen. Er ist als Opfer gekommen und geht als Held.
Alles hat seine Zeit, dachte er. Seine Zeit war die des Tötens und Zerstörens, die Zeit des Kriegs. Er griff in das Loch in der Matratze und zog die Schnur zum Abbinden und den Löffel hervor. Er hatte ihn stundenlang mit einem Stein zugefeilt. Nun war er scharf wie eine Rasierklinge.
Er legte die Schnur um das unterste Glied seines kleinen Fingers und zog zu, so fest er konnte. Der Finger wurde dunkelrot und schwoll an wie ein Ballon.
Aber er hatte keine Schmerzen, weil er keine haben wollte.
Er legte den Finger auf die Umrahmung des Bettes und griff zum Löffel. Er ritzte die Haut an. Blut quoll aus der Wunde. Er betrachtete stumm die Markierung.
Blut gerinnt auf dem Asphalt.
Er schnitt entlang der Markierung ein Stück tiefer ins Fleisch. Das Blut färbte seinen Ballonfinger.
Keine Schmerzen.
Er konnte schneiden, ohne zu schreien, bis das scharfe Metall den Bettrahmen erreichte. Nicht mal zucken würde er. Er sah den Finger schon auf dem Boden liegen.
Aber er schnitt nicht.
Er hatte sich bewiesen, wie stark er war. Das genügte. Er war frei von Selbstmitleid und Angst. Er war kalt geblieben, eiskalt. Es wäre ein Leichtes gewesen, diesen lächerlichen kleinen Finger abzutrennen, aber er würde es bereuen. Die Wärter würden ihn auf die Krankenstation schleppen, der Anstaltsleiter plötzlich an seiner Sozialprognose zweifeln.
Der Finger hätte ihn ein halbes Jahr gekostet. So lange wollte er nicht mehr warten. Auf seine Zeit.