8.
Eva Hahn setzte Schwarz in der Parkbucht vor dem Koh Samui ab. Der Ermittler bedankte sich und wandte sich zum Gehen. Doch plötzlich zögerte er. »Darf ich Ihnen was sagen, Frau Hahn?«
Sie schaute ihn fragend an.
»Ich bewundere Sie.«
Sie winkte lächelnd ab. »Ich klammere mich an einen Rest Kinderglauben und vertraue darauf, dass mein Schicksal irgendeinen Sinn hat.«
Schwarz schaute ihr nach, bis ihr Wagen in der Bahnunterführung der Offenbacher Straße verschwand. Er stellte sich vor, wie es wäre, jetzt mit ihr zusammenzusitzen und in aller Ruhe über Kinderglauben und Schicksal zu reden. Und über Sinn.
Aber er hatte einen Auftrag, für den er bezahlt wurde. Ziemlich gut sogar.
Das Grundstück lag an der Grenze zwischen Pasing und Gräfelfing unmittelbar an dem kleinen Fluss Würm, über den und seine Würmer sich schon Karl Valentin den Kopf zerbrochen hatte. Es war mit einem Haus aus Glas, Stahl und dunkelblauen Sichtschutzwänden bebaut, das wohl vor allem den Reichtum seiner Besitzer dokumentieren sollte. Schwarz näherte sich dem weiß lackierten Palisadenzaun und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Vor ihm richtete sich ein Braunbär auf. Ein übermannsgroßes Tier. Nun wusste er endlich, wo die Bronzeskulpturen landeten, die er von seinem Fenster aus sah. Er ging an der Dreifachgarage mit den weißen Toren vorbei zum Hauseingang, der im schroffen Gegensatz zur übrigen, eher modernen, Architektur einem antiken Säulenportal nachempfunden war.
Da stellte sich ihm ein Rhodesian Ridgeback in den Weg.
Schwarz hätte nie zugegeben, dass er vor Hunden Angst hatte. In Gegenwart von Frauen gelang es ihm sogar, das ein oder andere unübersehbar harmlose Exemplar zu tätscheln.
»Hau ab«, zischte er, »ich heiße nur Schwarz.« Er hatte nämlich gehört, dass Ridgebacks in Südafrika zu Zeiten der Apartheid zur Jagd auf Schwarze abgerichtet worden waren, und wollte lieber nicht Opfer einer Verwechslung werden. Das Vieh knurrte.
»Bonzo, hierher!« Der Hund trottete zu einer nicht unattraktiven Vierzigjährigen in weißen Jeans und cremefarbenem Rolli. »Wollen Sie zu mir?«
Schwarz nickte.
»Kommen Sie doch. Sie brauchen keine Angst zu haben. Seit Bonzo kastriert ist, tut er keiner Fliege mehr was zu Leide.«
»Ich habe keine Angst.«
Die Frau lächelte wissend.
»Mein Name ist Schwarz. Ich bin Ermittler.«
»Polizei?«
Schwarz machte eine vage Geste, die als Bestätigung gedeutet werden konnte. Hätte er zugeben sollen, dass er als Privatermittler in Deutschland keinerlei Sonderrechte oder hoheitliche Befugnisse genoss?
»Worum geht es?«
»Um Ihren Sohn, Frau Burger.«
Sie verzog gequält die Miene. »Warum lasst ihr den Jungen nicht endlich in Ruhe? Er hat seine Strafe bekommen und verbringt seine Jugend hinter Gittern. Was wollt ihr denn noch?«
Schwarz trat einen Schritt auf Frau Burger zu und schaute ihr in die Augen. »Es geht um die Aussetzung der Reststrafe auf Bewährung. Für die Sozialprognose wäre es vorteilhaft, wenn wir mehr über die Hintergründe der Tat wüssten.« Seine Vergangenheit als Kriminalbeamter half ihm, den Spruch flüssig und glaubwürdig über die Lippen zu bringen.
Burgers Mutter musterte ihn dennoch misstrauisch. »Warum reden Sie mit mir und nicht mit Tim?«
»Ich werde natürlich auch mit Ihrem Sohn sprechen, aber ich dachte, Sie wollen ihm sicher helfen.«
Sie seufzte. »Natürlich. Was möchten Sie denn wissen?«
Jetzt musste Schwarz Farbe bekennen. »Sie erinnern sich vielleicht daran, dass Tims Opfer Juden waren?«
Er sah, wie die Frau bleich wurde und die Lippen aufeinanderpresste. Dann begann sie zu schreien. »Das ist eine Falle, eine ganz gemeine Falle. Das wolltet ihr ihm schon damals anhängen.«
Jetzt fing auch der Köter wieder zu knurren an.
»Zeigen Sie mir doch erst mal Ihren Ausweis! Womöglich sind Sie so ein Zeitungsschmierer.«
Schwarz versuchte sie zu beschwichtigen.
»Hören Sie nicht? Ihren Ausweis!«
»Ich glaube, Sie haben da was falsch verstanden«, sagte Schwarz und ging sehr langsam rückwärts, um nicht doch den Jagdinstinkt des Ridgebacks zu wecken.