35

Keine Antworten

18.35: «Und darüber hinaus lässt sich belegen, dass in gemischtgeschlechtlichen Teams die Effektivität der Teamarbeit beträchtlich erhöht wird.»

«Himmel, Katie, ich hätte nie gedacht, mal so was von dir zu hören.» Rod Task ist unbeeindruckt, und er ist nicht der Einzige. Der Raum ist voll von Leuten, die lieber in der Weinbar wären, als mir in meiner Funktion als Diversity-Koordinatorin zuzuhören. Ich fühle mich wie ein Veganer auf dem Schlachthof.

Chris Bunce legt sich mit den Füßen auf dem Konferenztisch in seinem Stuhl zurück. «Ich bin total dafür, die Geschlechter zu mischen», sagt er und stochert sich in den Zähnen.

«Können wir hier jetzt endlich raus, verdammt nochmal?», fragt Rod.

«Nein», sagt Celia Harmsworth, «wir müssen noch einen Leitsatz formulieren.»

Ein Stöhnen geht durch den Raum, das vom Summen des Handys in meiner Tasche erwidert wird. Eine SMS von Paula.

 

Ben krank
komm sofort.

 

«Ich muss weg», sage ich. «Dringender Anruf aus den Staaten. Wartet nicht auf mich.»

Auf dem Heimweg rufe ich Paula aus dem Taxi an. Sie sagt mir, was los ist. Ben ist die Treppe runtergefallen. «Du weißt doch, dieses ausgefranste Stück Läufer ganz oben bei seinem Zimmer, Kate?»

Bitte, lieber Gott, nein. «Ja, ich weiß.»

«Also, irgendwie ist er heute Morgen mit dem Fuß hängen geblieben und gefallen. Er hat sich den Kopf gestoßen. Eine kleine Schwellung, aber sonst schien ihm nichts zu fehlen. Vor einer Weile hat er sich dann übergeben und ist ganz schlapp geworden.»

Ich sag Paula, sie soll ihn warm halten. Oder sollte sie ihn kühl halten? Ganz benommen wähle ich die Nummer von Richards Handy. Ich bete, dass er rangeht, aber diese verdammte Ansagerstimme sagt, ich soll bitte eine Nachricht hinterlassen.

«Hallo. Ich will keine Nachricht hinterlassen. Ich brauche dich hier. Ich bin’s. Kate. Ben ist gestürzt, und ich bringe ihn ins Krankenhaus. Ich habe mein Telefon dabei.»

Danach rufe ich den Pegasus-Fahrdienst an und bitte Winston, zu Hause auf mich zu warten. Muss Ben ins Krankenhaus bringen.

 

20.23: Wie lange ist lange, wenn man darauf wartet, dass das eigene Kind behandelt wird? Ben und ich werden angewiesen, in den Reihen grauer Plastikstühle Platz zu nehmen. Neben uns sitzen ein paar Jungs aus einer Privatschule, die sich irgendwas in die Birne geknallt haben. Ecstasy, wahrscheinlich. «Ich hab kein Gefühl in den Fingern», jammert einer von ihnen immer wieder und tut so, als wisse er gar nicht, woran das liegen könnte. Mir ist es egal: Ich habe Lust, ihm zu sagen, dass er sich in den Sumpf zurückschleichen soll, aus dem er gekommen ist, um dort stillschweigend zu verrecken. Ich möchte ihm eine klatschen dafür, dass er Krankenhauszeit verschwendet.

Winston, der inzwischen Pegasus geparkt hat, kommt wieder und geht an den Aufnahmetresen. Als er meinen Gesichtsausdruck sieht, schreitet er ein und macht Druck. «Entschuldigen Sie, Miss, wir haben hier ein Baby, das sich jetzt mal jemand ansehen muss. Allerherzlichsten Dank.»

Nach einer Ewigkeit – vielleicht fünf Minuten – werden Ben und ich zum Arzt hineingescheucht. Unausgeschlafen und unrasiert seit Donnerstag, sitzt der Diensthabende in einem Kabuff, das durch eine dünne aprikosenfarbene Gardine vom belebten Flur abgetrennt ist. Ich fange an, Bens Symptome zu beschreiben, aber er bringt mich mit einer Hand zum Schweigen, während er die Notizen studiert, die vor ihm auf dem Tisch liegen.

«Hmmm, so, so. Und wie lange hat der kleine Junge schon Fieber, Mrs. Shattock?»

«Also, da bin ich nicht ganz sicher. Bis vor einer Stunde war er noch sehr heiß.»

«Und davor?»

«Das weiß ich nicht.»

Der Doktor legt die Hand auf Bens Stirn. Ben maunzt, als ich ihn nicht mehr ganz so fest halte. «Übelkeit, Erbrechen während der letzten vierundzwanzig Stunden?»

«Ich glaube, gestern Nachmittag hat er sich übergeben, aber Paula hat gedacht, das ist mein Kindermädchen, er hätte sich nur den Magen verdorben.»

«Stuhlgang seitdem?»

«Ich fürchte, das weiß ich nicht.»

«Sie haben ihn also gestern den ganzen Tag nicht gesehen?»

«Ja. Nein. Ich meine, ich versuche, rechtzeitig nach Hause zu kommen, um ihn ins Bett zu bringen, aber gestern Abend ging das nicht.»

«Und den Abend davor auch nicht.»

«Nein, ich musste nach Frankfurt. Wissen Sie, Ben ist heute Morgen die Treppe runtergefallen, und ihm schien nichts zu fehlen, aber dann hat Paula sich Sorgen gemacht, weil er ganz schlaff wurde, und deshalb …»

«Können Sie den Kleinen ausziehen?»

Ich ziehe ihm seinen Schlafanzug mit der Kleinen Lok aus, mache die Druckknöpfe von seinem Body auf und ziehe ihm das Hemd über den Kopf. Ben hat so helle Haut, dass sie fast durchscheinend ist, und hinter den Rippen sehe ich sein Herz puckern.

«Und sein Gewicht. Was wiegt er jetzt, Mrs. Shattock?»

«Ich bin mir nicht ganz sicher. So ungefähr 28, 30 Pfund, glaube ich.»

«Wann haben Sie ihn zuletzt wiegen lassen?»

«Na, bei der Vorsorgeuntersuchung, als er 18 Monate alt war, aber er ist mein zweites Kind, wissen Sie, und da macht man sich nicht mehr solche Sorgen um das Gewicht, solange sie …»

«Und was hat er gewogen bei seiner Vorsorgeuntersuchung?»

«Wie ich schon sagte, ich bin nicht sicher, aber Paula hat gesagt, es sei alles in Ordnung gewesen.»

«Und Benjamins Geburtsdatum, das wird Ihnen bekannt sein, nehme ich an?»

Diese Beleidigung trifft mich so tief, dass mir Tränen in die Augen steigen. Ich schneide immer gut ab bei Tests. Ich weiß alle Antworten, aber diese Antworten weiß ich nicht, und ich sollte sie wissen. Ich weiß, dass ich sie wissen sollte.

Ben wurde am 25. Januar geboren. Er ist sehr robust und sehr fröhlich, und er weint nie. Nur wenn er müde ist oder wenn ihm die Zähne wehtun. Und sein Lieblingsbuch ist «Ich will meine Mami», und sein Lieblingslied ist «Die Räder vom Bus», und er ist mein liebster und süßester einziger Sohn, und wenn ihm irgendwas passiert, dann werde ich Sie umbringen, und dann fackele ich das Krankenhaus ab, und dann erschieße ich mich. «Am 25. Januar.»

«Danke, Mrs. Shattock. So, kleiner Mann, nur wollen wir uns mal deine Brust ansehen.»

 

0.17: Ich weiß nicht, was ich ohne Winston gemacht hätte. Er ist die ganze Zeit bei uns im Krankenhaus geblieben, hat mir süßen Tee aus dem Automaten geholt, hat Ben gehalten, wenn ich aufs Klo musste, und hat erst Unbehagen gezeigt, als ich angeboten habe, ihn zu bezahlen. Als er mir und dem schlafenden Baby aus dem Taxi hilft, kann ich eine schemenhafte Gestalt auf der Treppe vor unserem Haus ausmachen. Ich denke mir, wenn das ein Einbrecher ist, dann wird man mich für meine Taten nicht zur Rechenschaft ziehen können, aber als ich ein paar Schritte näher komme, wird mir klar, dass es Momo ist. Ich ertrage es nicht, jemanden von der Arbeit zu sehen. Nicht jetzt.

«Was es auch ist, es hätte doch sicher warten können bis morgen früh?», sage ich und steche den Schlüssel ins Schloss.

«Tut mir Leid, Kate.»

«Das wird nicht reichen, fürchte ich. Ich komme gerade mit Ben aus dem Krankenhaus. Er stand unter Beobachtung. Es war eine lange Nacht. Wenn der Hang Seng um 10 Prozent gefallen ist, dann scheiß ich drauf, offen gestanden, und das kannst du Rod in ebendiesen Worten sagen. O Gott, was ist denn?»

In dem Lichtstreifen, der aus der Tür dringt, sehe ich plötzlich, dass Momo geweint hat. Es ist ein Schock, dieses makellose Gesicht so vor Kummer verquollen zu sehen.

«Es tut mir Leid», sagt sie und kann dann nichts mehr sagen, ihre Worte haben einen neuen Weinkrampf ausgelöst. Ich lasse sie rein und setze sie in die Küche, während ich Ben in sein Bett bringe. Ein durch einen Virus ausgelöster Ausschlag, hat der Arzt gesagt. Hat nichts mit seinem Sturz zu tun, und Meningitis lässt sich mit Sicherheit ausschließen, wir müssen ihn nur die nächsten vierundzwanzig Stunden ausreichend mit Flüssigkeit versorgen und seine Temperatur im Auge behalten. Ich gehe die Treppe zu den Kinderzimmern hoch und sehe das ausgefranste Stück Teppich, über das Ben gestolpert ist. Ich hasse diesen Scheißteppich, ich hasse es, dass ich kein Angebot für einen neuen eingeholt habe, ich hasse es, dass ich es als unmöglichen Luxus ansehe, mir die Zeit zu nehmen, jemanden anzurufen, der meine Treppe ausmisst. Es ist doch einfach notwendig. Triage. Die Hierarchie der Dringlichkeit. Ich hab es falsch gemacht: Dinge, die den Kindern schaden könnten, haben Vorrang, alles andere kann warten. Ich schaue zu Emily rein, sie hat sich neben Paula zusammengerollt, die auf dem Bett eingeschlafen ist. Ich schalte die Aschenputtellampe aus und decke sie beide zu.

Unten in der Küche mache ich eine Kanne Pfefferminztee und versuche einen sinnvollen Satz aus Momo herauszuholen. Zehn Minuten später begreife ich, warum sie Schwierigkeiten hat, das Problem zu erklären: Ihr Vokabular ist einfach nicht vulgär genug, um zu beschreiben, was sie gesehen hat.

Heute Abend nach der Arbeit ist Momo mit ein paar Leuten vom US Desk im 171 gewesen, einer Bar gegenüber der Liverpool Street. Später ist sie nochmal ins Büro gegangen, um ein paar Akten für unser bevorstehendes Final zu holen. Chris Bunce war da mit einer Gruppe von Typen, die sich um seinen Monitor scharten, lachten und anzügliche Bemerkungen machten. Ihr Freund Julian war dabei, der letztes Jahr am selben Tag wie Momo bei EMF angefangen hatte. Die Männer hörten sie nicht, und sie merkten erst zu spät, dass sie zu ihnen herübergekommen war, um zu sehen, was sie da anschauten.

«Bilder von einer Frau, Kate, die nichts anhatte, ich meine, es war schlimmer als nichts.»

«Aber so was laden die sich doch andauernd runter, Momo.»

«Du verstehst nicht, Kate, das waren Bilder von mir

 

2.10: Ich habe Momo die Treppe hochgeholfen, ihr Nachtzeug geholt und sie im Gästebett schlafen gelegt. In meinem Gap-XXXL-T-Shirt sieht sie aus wie acht. Sie ist jetzt ruhiger und kann mir die ganze Geschichte erzählen. Offenbar hat sie aus voller Kehle geschrien, als sie die Bilder auf dem Monitor gesehen hat, und sie verlangte zu wissen, wer das getan hatte.

Bunce ließ sich nicht beeindrucken. Er drehte sich zu Momo um und sagte: «Na, jetzt, wo wir die echte Ware hier haben, mag sie uns vielleicht mal zeigen, was sie draufhat, was, Männer?»

Sie lachten alle darüber, aber als Momo anfing zu weinen, verließen sie das Büro ziemlich schnell. Nur Julian blieb noch und versuchte sie zu beruhigen. Sie schrie ihn an, bis er ihr schließlich erzählte, dass Bunce die Porträtfotos von Momo von der EMF-Website genommen hatte – jene, die in der Firmenbroschüre verwendet werden, um das Bekenntnis zur Vielfältigkeit zu illustrieren –, und sie digital bearbeitet und auf die Körper von Frauen gesetzt hatte, die im Internet frei verfügbar sind. «Unbekleidete Körper», wiederholt Momo, und ihre Förmlichkeit macht es nur noch schmerzhafter.

Momo sagt, sie hat sich weggedreht, als sie ihren eigenen Kopf beim Oralsex gesehen hat. Es gab Überschriften zu den Bildern, aber sie konnte sie nicht richtig erkennen, weil sie ihre Brille hatte fallen lassen und sie auf dem Parkett kaputt gegangen war.

«Da stand irgendwas von asiatischen Babes, glaube ich.»

«Na klar.»

«Was machen wir jetzt?», fragt sie, und das wir klingt gleichzeitig vereinnahmend und vollkommen angebracht.

Gar nichts machen wir. «Wir überlegen uns was.»

Ich mache das Deckenlicht aus und lasse die Nachttischlampe an. Neben ihr steht eine Vase mit einem vertrockneten Maiglöckchen, ein Überbleibsel vom Besuch der Schwiegereltern.

«Ich verstehe das nicht, Kate», sagt Momo. «Warum tut Bunce so was? Wie kann man überhaupt so was tun?»

«Ach, weil du schön bist und eine Frau, und weil er es kann. Es ist nicht besonderes kompliziert.»

Eine Sekunde lang sprüht sie Funken vor Wut. «Willst du damit sagen, dass das, was Chris Bunce mir angetan hat, nicht persönlich gemeint war?»

«Nein. Ja.» Ich bin unbeschreiblich müde, mir ist, als hätte ich Blei in den Adern. Der Schrecken darüber, dass Ben etwas fehlen könnte – und jetzt das hier. Warum muss ich Momo immer dann alles wirklich Wichtige erklären, wenn ich mich gerade so dumm fühle? Ich lege meine Hand auf ihre kühle braune und zwinge mich zu sprechen: «Ich will damit nur sagen, alles war Geschichte – und jetzt sind plötzlich wir da. Solche wie uns hat es vorher nie gegeben, Momo. Jahrhundert für Jahrhundert haben Frauen gewusst, wo ihr Platz war, und seit zwanzig Jahren sind da plötzlich Frauen, die nicht wissen, wo ihr Platz ist, und das macht Männern Angst. Es ist so schnell passiert. Chris Bunce schaut dich an und sieht jemanden, der seinesgleichen sein soll. Wir wissen, was er mit dir machen möchte, aber er darf dich nicht anfassen, deshalb fälscht er Bilder von dir, damit er damit machen kann, was er will.»

Unter der Bettdecke zittert sie, es ist das Schaudern einer noch frischen Scham, und sie hält meine Finger noch fester.

«Momo, weißt du, wie lange es vermutlich gedauert hat, bis die ersten Menschen aufrecht stehen konnten?»

«Wie lange?»

«Irgendwas zwischen zwei und fünf Millionen Jahren. Wenn du Chris Bunce fünf Millionen Jahre Zeit gibst, könnte ihm eventuell klar werden, dass es möglich ist, Seite an Seite mit Frauen zu arbeiten, ohne dass man ihnen die Kleider ausziehen muss.»

Ich kann Tränen in ihren Augen sehen. «Du willst damit sagen, dass wir nichts machen können, Kate, nicht wahr? Dass wir nichts gegen Bunce machen können. Ich muss mich einfach damit abfinden, dass die so sind, und es hat gar keinen Zweck, etwas ändern zu wollen?»

Genau das habe ich gesagt. «Nein, ganz so würde ich es nicht ausdrücken.»

 

Während Momo seufzt und sich in den Schlaf wimmert, gehe ich nach unten, um das Licht auszumachen und die Türen zu schließen. Richard fehlt mir immer, aber um diese Zeit vermisse ich ihn am meisten. Abschließen ist seine Aufgabe, und der Türriegel kommt mir weniger sicher vor, wenn ich ihn vorlege, das Ächzen der Fensterrahmen hört sich gespenstischer an. Während ich die Fensterläden schließe, muss ich immer daran denken, was in den nächsten Tagen geschehen wird. Morgen früh wird Momo Gumeratne eine offizielle Beschwerde über das Verhalten von Christopher Bunce bei ihrem Vorgesetzten Rod Task einreichen. Task wird die Beschwerde an die Abteilung für Personalentwicklung weiterleiten. Dann wird Momo bei vollem Gehalt suspendiert werden, und eine interne Untersuchung wird eingeleitet werden. Bei der ersten Zusammenkunft, zu der ich geladen werde, wird öffentlich festgestellt werden, dass Momo Gumeratne sich nie zuvor etwas hat zuschulden kommen lassen. Stillschweigend wird man zur Kenntnis nehmen, dass Chris Bunce unser erfolgreichster Anleger ist, der der Firma im vergangenen Jahr 10 Millionen Pfund eingebracht hat. Ziemlich bald darauf wird man von dem Vergehen gegen Momo nur noch als «diese üble Geschichte» oder schlicht «diese Bunce-Geschichte» sprechen.

Nach drei Monaten zu Hause – Zeit genug für sie, unruhig zu werden und Depressionen zu bekommen – wird Momo dann aufgefordert werden, ins Büro zu kommen. Eine finanzielle Regelung der Angelegenheit wird angeboten. Das Privatschulmädchen in ihr wird aufbegehren und darauf bestehen, dass sie nicht käuflich sei, sondern Gerechtigkeit wolle. Der Untersuchungsausschuss wird schockiert sein: Selbstverständlich wollen auch sie Gerechtigkeit, nur sei das Beweismaterial, wie sollen wir es sagen, problematisch. Beiläufig und indirekt wird impliziert werden, dass Momos Karriere in der City mit einem Eklat zu Ende sein könnte. Sie sei eine Frau mit viel versprechenden Fähigkeiten, aber es liege nun mal in der Natur solcher Dinge, dass sie missverstanden werden. Kein Rauch ohne Feuer, ausgesprochen unglückliche Umstände. Wenn die Nachricht von pornographischen Computerbildern nach außen dringen würde, zu den Medien …

Zwei Tage später wird sich Momo Gumeratne außergerichtlich auf eine Abfindung in ungenannter Höhe einigen. Wenn sie die Stufen von Edwin Morgan Forster zum letzten Mal hinuntergeht, wird ihr eine Fernsehreporterin ein Mikrophon ins Gesicht halten und sie bitten, den Fall zu schildern. Ist es wahr, dass man sie ein scharfes asiatisches Babe genannt habe und Pornofotos von ihr gezeigt habe? Momo wird ihren hübschen Kopf senken und es ablehnen, dazu Stellung zu nehmen. Am nächsten Tag wird die Geschichte in vier Zeitungen auf Seite drei laufen. Eine der Schlagzeilen wird lauten: Scharfes asiatisches Babe macht Wirbel in der City. Dass Momo die Geschichte nicht bestätigt hat, wird im vorletzten Absatz erwähnt sein. Bald darauf wird sie einen Job im Ausland annehmen und beten, in Vergessenheit zu geraten. Bunce wird seinen Job behalten, und der Fleck auf seiner Weste wird von einer steten Flut von Profiten ausgewaschen werden. Und nichts wird sich ändern. So viel ist sicher.

Als ich die Hand nach dem Lichtschalter ausstrecke, entdecke ich ein neues Bild, das mit einem Tinky-Winky-Magneten am Kühlschrank haftet. Es ist eine Zeichnung von einer Frau mit gelben Haaren, sie trägt ein Kostüm mit braunen Streifen, und ihre Absätze sind so hoch wie Stelzen. In dem grellen Licht kann ich kaum lesen, was mit Bleistift darunter steht. Ich gehe näher ran. Die Künstlerin ist Emily, und mit der Hilfe einer Lehrerin hat sie geschrieben: «Meine Mummy geht zur Arbeit, aber sie denkt den ganzen Tag an mich.»

Habe ich das wirklich zu ihr gesagt? Muss ich wohl. Weiß nicht mehr wann, aber Em erinnert sich an absolut alles. Ich stemme den Deckel der Kühltruhe hoch und halte mein Gesicht in ihre arktische Luft. Der Impuls, hineinzusteigen und liegen zu bleiben, ist immens. Ich gehe jetzt, es kann eine Weile dauern.

Wieder oben, schaue ich bei Momo rein. Ihre Augen sind geschlossen, aber unter den Lidern flattern sie wie Motten. Sie träumt, die arme Kleine. Ich schalte die Lampe aus, als sie die Augen öffnet und flüstert: «Was denkst du, Kate?»

«Ach, ich dachte gerade daran, was ich an dem Tag zu dir gesagt habe, als wir uns kennen lernten.»

«Du hast gesagt, ich müsse damit aufhören, ‹Es tut mir Leid› zu sagen.»

«Ja, verdammt, das musst du. Und was noch?»

Sie schaut mich mit diesem Blick eines treuen Spaniels an, den ich vor Urzeiten bei dem Final gesehen habe. «Du hast gesagt, dass Mitgefühl, obwohl es teuer ist, nicht unbedingt Geldverschwendung sein muss.»

«Das hab ich nicht gesagt.»

«Hast du.»

«Mein Gott, wie schrecklich. Ich bin eine solche Kuh. Was hab ich sonst noch gesagt?»

«Du hast gesagt, dass das Geld unser Geschlecht nicht kennt.»

«Genau.»

«Genau?», wiederholt sie unsicher.

«Was tut ihnen am meisten weh, Momo? Wo können wir ihnen am meisten wehtun?»

 

Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich schlich immer wieder in Bens Zimmer und vergewisserte mich, dass er atmete, so wie damals, als ich mit Emily aus dem Krankenhaus gekommen war und Angst hatte, sie würde nie mehr aufwachen. Ben schlief und schlief, aber daran war nichts Beängstigendes. Er schlief wie ein Baby.

Richard rief gegen zwei an. Er war in Brüssel gewesen und hatte sich um eine Europaförderung für ein Kunstzentrum im Norden beworben, meine Nachricht hatte er eben erst bekommen. Er fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei, und ich sagte, nein. Er sagte, wir müssten reden, und ich sagte, ja.

Um 5.30 rief ich Candy an, die, wie ich wusste, dieser Tage von ihrem Baby früh mit Tritten in die Rippen geweckt wurde. Ich erzählte ihr von den Bildern von Momo auf dem Server. Ich hatte keine Ahnung, was man machen konnte, aber ich dachte, dass sie es wissen könnte mit ihrem technischen Know-how und ihrer Erfahrung mit Internetfirmen. Zwischen 5.50 und 6.30 schrieb sie ein Programm, das alle Verweise auf Momo Gumeratne finden und vernichten würde.

«Es ist schwer, etwas aufzuspüren, das bereits nach draußen gegangen ist», sagte sie, «aber ich kann alles löschen, was noch auf dem EMF-Server gespeichert ist.» Wir vereinbarten, dass sie eine Kopie der Bilder als Beweismaterial behalten sollte.

Um sechs kam Momo in die Küche und hielt etwas hoch. «Das hab ich in meinem Bett gefunden. Gehört das jemandem?»

Ich ging auf sie zu und umarmte sie. «Das ist Roo. Er gehört zur Familie.»

Ich gab ihr eine Tasse Tee, die sie mit ins Bett nehmen sollte, ging mit ihr nach oben und weiter bis in Bens Zimmer. Er schlief noch immer fest. Ich legte ihm Roo an seine Backe. Schon ganz bald würde ein kleiner Junge glücklicher sein als zu Weihnachten.

In meinem eigenen Schlafzimmer machte ich den Schrank auf und ließ meine Hand über die Kleiderstange laufen, bis ich auf meine edelste Armani-Rüstung stieß. Ein krähenschwarzes Kostüm. Vom Regal darunter nahm ich ein Paar Lackschuhe mit hohen Absätzen und Schlangenhaut an den Spitzen – auf diesen Absätzen konnte man unmöglich laufen, aber zum Laufen brauchte ich sie heute auch nicht. Während ich mich anzog, ging ich alle stillen Reserven durch, die Armeen, die ich heute mobilisieren würde. Ich wollte, dass Richard wieder nach Hause kam, und ich wusste, dass ich tun würde, was immer dafür nötig war, aber erst einmal musste Mummy ihre Arbeit zu Ende machen.

 

Nicht vergessen

Chris Bunce vernichten 

Working Mum
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