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Kate, die Triumphierende
Büros von Edwin Morgan Forster
Dienstag, 9.27: Halleluja! Ich bin ein Guru. Mein superbes Timing am Markt – beziehungsweise, dass ich vergessen habe, einige Transaktionen vorzunehmen, und von einer überraschenden Zinssatzsenkung gerettet worden bin – hat mir vorübergehend den Status der Firmengöttin verschafft. Ich lümmele neben der Kaffeemaschine und nehme den Tribut von Kollegen entgegen, die nicht umhin können, beeindruckt zu sein.
«Kate, du bist wahrscheinlich die Einzige, die die Leitzinssenkung und die Erholung des Marktes vorhergesehen hat», sagt Schuppen-Gavin bewundernd. Ich rücke meine Gesichtszüge zurecht, um überzeugend Bescheidenheit und stillen Stolz verkörpern zu können.
«Scheiße, ich war 6 Prozent liquide. Das hat uns ein paar Basispunkte gekostet», stöhnt der rotgesichtige Ian. «Und Brian war 15 Prozent flüssig. Das ist ein weiterer Nagel in seinem Sarg, armes Schwein.» Ich nicke mit mitfühlender Herablassung und sage lässig: «Ich hatte nur 1 Prozent Bares.» Ich schmecke den Erfolg und genieße sein Champagnerkribbeln auf der Zunge.
Chris Bunce geht auf seinem Weg zum Klo an uns vorbei und kann es kaum ertragen, mir in die Augen zu sehen. Momo kommt zu mir und gibt mir einen trockenen kleinen Kuss, der in dem Augenblick auf meiner Wange landet, als sich Guys Dolchblick in mein Schulterblatt bohrt. Von der anderen Seite des Büros her nähert sich Robin Cooper-Clark mit einem belustigten Lächeln, ganz als wäre er der Bischof und ich ein unbedarfter junger Pfarrer.
«Und am dritten Tage ist sie auferstanden von den Toten», sagt Robin. «Wer sagt denn, Miss Reddy, dass Ostern seine Bedeutung verloren hätte?»
Er weiß es. Er weiß es. Natürlich weiß er es. Das ist der hellste Kopf im Sonnensystem.
«Ich habe außergewöhnliches Glück gehabt, Robin. Alan Greenspan hat den Fels von der Grabhöhle gerollt.»
«Du hast sehr viel Glück gehabt, Kate, und du bist sehr gut. Gute Leute haben ihr Glück verdient. Übrigens, hat Rod dir gesagt, dass wir dich in Frankfurt brauchen?»
Ich gehe an meinen Schreibtisch, eigentlich brauche ich keinen Stuhl, ich schwebe. Ein Blick auf die Währungen, wie sieht’s aus an der Börse?, dann rufe ich meine E-Mails auf. Ich lächele, Mails von zwei meiner liebsten Freundinnen stehen ganz oben in meiner Inbox.
Von: Debra Richardson
An: Kate Reddy, EMF
Versuche verzweifelt, Kindermädchen anzuwerben. Anka ist aus dem Haus gestürmt, als ich sie mit den gestohlenen Sachen konfrontiert habe. Jims Mutter ist aus Surrey gekommen und für eine Weile eingesprungen, aber sie muss Freitag nach Hause. Hilfe!!!! Fällt dir jemand ein? Die meisten Bewerberinnen scheinen ein Auto haben zu wollen, alle anderen sind 37 und haben ernsthafte Persönlichkeitsstörungen und verlangen Gehälter, die denen von Vogue-Redakteurinnen entsprechen.
Grund, den Job aufzugeben: Weil ich es mir nicht mehr leisten kann, zur Arbeit zu gehen!
Wann fängt der Spaß in unserem Leben an? Der Teil, wo man sagt: «Ah! Deshalb hab ich mich also all die Jahre so abgerackert!»
Lunch Do????
PS: Ich muss versuchen, mein Leben positiver zu definieren. Ich weiß, dass es Menschen gibt da draußen, die in erschreckender Armut leben, mit ohne Schuhe usw.
Von: Kate Reddy
An: Debra Richardson
Also, ich bin froh, dass sie weg ist. Gut, dass du ihr die Stirn geboten hast. Du findest bald jemanden, keine Panik! Australische Mädchen sind sehr gut, hab ich mir sagen lassen. Schicke dir Nummern von Agenturen und frage Paula, ob sie jemanden kennt, die einen Job sucht. Bin heute Top Dog hier im Büro. Totaler Dusel.
If you can meet with Triumph and Disaster
And sell the second as though it were the first
– THEN you can be a Woman, my girl!
Und was krieg ich zur Belohnung? Eine Reise nach Deutschland, Billigflug mit einer Airline namens Go oder Slo oder No oder sonst was.
Auf Wiedersehen, Herzchen. Können wir das Lunch verlegen? Tut mir Leid, alles Liebe K xxxx
Von: Candy Stratton
An: Kate Reddy
Oh, Scheiße. Bin schwanger.
Sofort sehe ich quer durchs Büro zu Candys Platz hinüber. Sie spürt meinen Blick und schaut mit einem kleinen Winken von ihrer Arbeit auf. Wie ein Kind, witzig und traurig zugleich.
CANDY IST SCHWANGER. Nicht überfällig, sondern schwanger. Mindestens seit viereinhalb Monaten, so die Praxis in der Wimpole Street, in der sie gestern war. Ihr Zyklus ist schon seit ein paar Jahren ziemlich unregelmäßig – höchstwahrscheinlich wegen der Drogen –, und sie hat nichts Ungewöhnliches bemerkt, außer vielleicht, dass sie ein bisschen zugenommen hat und Spannungen in der Brust, die sie aber auf die anstrengenden sexuellen Eskapaden mit Darren geschoben hat, dem Spezialisten aus der Treasury-Abteilung, mit dem sie vor kurzem im Skiurlaub war.
«Ich lass es wegmachen.»
«Gut.»
Wir hocken bei Corney and Barrow auf unseren Stammplätzen mit Blick auf das Spielfeld, wo im Winter die Eisbahn ist. Candy trinkt ein Glas Champagner, ich eine Flasche Evian.
«Lass diese bescheuerte Zustimmungs-Nummer, wenn du es nicht so meinst, Katie.»
«Ich will damit nur sagen, dass ich dich unterstütze, ganz gleich, wie deine Entscheidung ausfällt.»
«Entscheidung? Das ist keine Entscheidung, Schätzchen, das ist eine verdammte Katastrophe.»
«Ich meine nur, so spät ist eine Abtreibung nicht besonders lustig.»
«Und ein Kind zwanzig Jahre lang allein großziehen, ist das lustig?»
«Es ist nicht unmöglich, und du bist sechsunddreißig.»
«Ehrlich gesagt, siebenunddreißig, am Dienstag.»
«Also, die Zeit wird knapp.»
«Ich lass es wegmachen.»
«Gut.»
«Was?»
«Nichts.»
«Ich kenne dein ‹nichts›, Kate.»
«Ich will damit nur sagen, dass du es wirklich bereuen könntest, das ist alles.»
Sie drückt ihre Zigarette aus und zündet eine neue an. «Da gibt’s eine Möglichkeit in Hammersmith. Nicht billig, aber sie machen es noch so richtig spät, ohne irgendwelche Fragen.»
«Gut. Ich gehe mit.»
«Nein.»
«Also, ich lass dich nicht allein gehen.»
«Es ist keine Taufe, es ist einer Scheißabtreibung.»
Ich mustere das Gesicht meiner Freundin. «Und wenn es schreit?»
«Was ist los mit dir, Katie, bist du jetzt einer von diesen Pro-Life-Fanatikern?»
«Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass ein Fötus in diesem Entwicklungsstadium schreit. Ich weiß, du bist tough, aber mich würde das umbringen.»
«Können wir hier drüben noch ein Glas haben?» Sie macht dem Barkeeper Zeichen. «Na, mach schon, erklär es mir.»
«Was?»
«Kinder.»
«Das kann ich nicht. Du musst es selber fühlen.»
«Na los, Kate, du kannst jedem sonst was verkaufen. Versuch’s mal.»
Dieser Gesichtsausdruck. So typisch Candy, trotzig und verletzt zugleich, so sieht eine Siebenjährige aus, die von einem Baum gefallen ist, auf den sie nicht klettern durfte. Sie will nicht weinen, obwohl es wirklich weh tut. Ich möchte den Arm um sie legen, aber sie würde sich gegen eine Umarmung wehren, auch wenn sie sie noch so sehr braucht. Ihr kann man nur etwas verkaufen, wenn man es so hindrehen kann, dass sie glaubt, sonst eine einmalige Gelegenheit zu verpassen.
«Weißt du, die beiden Tage, an denen ich meine Babys gekriegt hab?»
Sie nickt.
«Also, wenn ich nur zwei Tage aus meinem ganzen Leben behalten könnte, dann wären es diese beiden.»
«Warum?»
«Ehrfurcht.»
«Ehrfurcht?» Candy stößt dieses große, böse Lachen aus. «Du darfst nicht trinken, du darfst nicht rauchen, du darfst abends nicht ausgehen, die Titten sehen aus wie zwei tote Nagetiere, die Muschi wird so weit aufgerissen wie der Holland-Tunnel, und sie erzählt mir was von Ehrfurcht. Boah, und was haben wir noch Tolles zu bieten, Mama?»
Es funktioniert nicht. «Ich muss jetzt los, Cand. Mail mir das Datum und die Zeit, und ich warte da auf dich.»
«Ich lass es wegmachen.»
«Gut.»