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Was die Mutter sah

Und dann eile ich nach Hause, und als ich zur Tür reinkomme, rufe ich, bekomme aber keine Antwort. Aus dem Wohnzimmer höre ich spitze Schreie, und mein erster Gedanke ist: Schmerz – sie haben Schmerzen – mein Herz überschlägt sich, und ich stürze rein, und da auf dem Sofa ist Paula mit Emily und Ben. Alle aneinander gekuschelt und haltlos kichernd vor Toy Story auf dem Bildschirm.

«Was ist denn so lustig?», will ich wissen, aber sie lachen zu sehr, um antworten zu können. Emily weint vor Lachen. Und als ich sie so sehe, so glücklich und gemütlich zusammen, denke ich plötzlich: Dafür bezahlst du, Kate. Du bezahlst tatsächlich für das hier. Dafür, dass eine andere Frau auf deinem Sofa sitzt und mit deinen Kindern schmust.

Deshalb frage ich Paula, ob sie nichts Besseres zu tun hat, und ich hasse den Klang meiner Stimme: hochnäsig, verklemmt, ganz wie eine verdammte Gutsherrin. Sie sehen mich alle an, und ihre Augen werden immer größer vor Staunen, und dann fangen sie wieder an zu kichern. Sie können nicht anders. Sie kichern über die alberne Frau, die gekommen ist, um dem Spaß ein Ende zu machen. Als ob man Spaß so einfach abschalten könnte.

Manchmal glaube ich, dass Paula ihnen zu nahe ist, das ist nicht gesund. Meistens tu ich alles, damit sie bleibt. Paula hat mir erzählt, dass sie Mütter gekannt hat, die ihr Kindermädchen alle sechs Monate feuern. Damit die Kinder nicht zu sehr an ihr hängen. Wie egoistisch kann man denn sein? Da verweigert man ihnen die Gegenwart eines liebevollen Menschen, nur weil man gern selber an seiner Stelle wäre, es aber nicht sein kann.

Natürlich, manchmal macht es mir Sorgen, dass sie nicht so mit den Kindern redet, wie ich mit ihnen reden würde. Aber kann ich mich darüber beschweren? Ich weiß, dass Paula sie ziemlich viel fernsehen lässt, aber in anderer Beziehung ist sie so viel besser, als ich es wäre, konsequenter, geduldiger. Nach einem Wochenende mit ihnen schreie ich danach, aus dem Haus zu kommen, doch mit Paula geht alles seinen geregelten Gang. Sie erhebt nie ihre Stimme. Und eine Menge der guten Angewohnheiten meiner Kinder kommen von ihr.

Als ich neulich Abend einen Termin bei der Klassenlehrerin hatte, nahm mich die Rektorin beiseite und sagte, damit Emily sich überhaupt Hoffnung auf einen Platz in Piper Place machen könne, müsse sie – nun, wie sollte sie es sagen? – zu Hause mehr richtige Stimulation bekommen. Kinder, deren Mütter nicht zur Arbeit gingen, würden regelmäßig ins Museum geführt, sie hätten einen weiteren Horizont. Sogar wenn sie Buchstabennudeln äßen, würden sie damit lateinische Wörter bilden. Während man sich in Elternhäusern, in denen beide Eltern berufstätig sind … «Nun, da kann es eine Tendenz geben, sich zu sehr aufs Fernsehen zu verlassen», sagte Miss Acland mit missbilligendem Lächeln.

«Emily», sagte sie, «besitzt offenbar eine bemerkenswerte Kenntnis der Trickfilmproduktion von Walt Disney.»

Das war ihre Art, mir zu sagen, dass Paula nicht gut genug ist. «Emily wird ein weit gefächertes Interessenspektrum vorweisen müssen, wenn sie sich einen Platz in einer guten weiterführenden Schule sichern möchte. Der Wettbewerb in London ist gnadenlos, wie Sie wissen, Mrs. Shattock. Ich würde ein Instrument vorschlagen, nicht die Geige, das ist mittlerweile zu verbreitet, vielleicht die Klarinette, die eine sehr persönliche Note zulässt – und sie könnten über eine eher ungewöhnliche Sportart nachdenken.» Rugby für Mädchen, glaubte sie, würde an Popularität zunehmen.

«Emily muss mit sechs Jahren einen Lebenslauf vorweisen?»

Vielleicht hätte ich versuchen sollen, die Ungläubigkeit aus meiner Stimme herauszuhalten.

«Nun, Mrs. Shattock, in gewissen häuslichen Situationen, wo kein Elternteil anwesend ist, können Dinge etwas, wie wollen wir es nennen, entgleiten. Haben Sie als Kind ein Instrument erlernt?»

«Nein, aber mein Vater hat uns viel vorgesungen.»

«Oh», sagte sie, dieses «Oh», das diese Art Frau neben Gummihandschuhen und einer kleinen Schaufel aufbewahrt.

Fürchterliche, geldgierige Bildungshexe.

In ihrem letzten Job, dem vor uns, hat Paula bei einer Familie in Hampstead gearbeitet. Julia, die Mutter, hatte verfügt, dass die Kinder nicht fernsehen dürften.

«Und Julia hat beim Fernsehen gearbeitet und diesen ganzen Mist für Channel 5 produziert», hat Paula mir eines Tages erzählt und laut dabei gelacht. «Und ihre Kinder durften das nicht sehen, weil es was Schlimmes war!» Und an den Wochenenden blieben Julia und ihr Mann Mike im Bett, während die Kinder unten waren und den ganzen Morgen Videos guckten. Das hatte Paula herausgefunden, weil Adam, der Jüngste, es ihr eines Montagmorgens erzählt hatte, als sie den Fernseher ausmachen wollte. Wenn ich an diese Geschichte denke, merke ich, wie ich rot werde. Hab ich nicht selber diese Art von Doppelmoral? Ich sage Paula, dass Ben Wasser trinken soll, keinen Saft, und dann am Wochenende, wenn er mich um Apfelsaft bittet, gebe ich viel zu schnell nach, um mir ein bisschen Ruhe und Frieden zu erkaufen. Ich verlange, dass mein Kindermädchen eine bessere Mutter ist, als ich je sein könnte: ich erwarte von ihr, dass sie meine Kinder liebt wie ihre eigenen, und dann, wenn ich nach Hause komme und sehe, dass sie sie liebt wie ihre eigenen, dann sind es plötzlich Meine Kinder, die von keinem anderen als mir geliebt werden dürfen.

Als ich die Geschirrspülmaschine ausräume und all die Teller, die nicht richtig sauber geworden sind, von Hand abwasche, sehe ich, dass Paula mich vom anderen Ende der Küche her ansieht. Sie bürstet Emily die Haare, sieht aber mich an. Ich wünschte, ich wüsste, was sie denkt. Sie hat mal zu mir gesagt, dass sie nie ein Kindermädchen einstellen würde, wenn sie Kinder hätte. Sie wüsste nur allzu gut, wie das so liefe – die Mädchen machten sich bei den Müttern Liebkind, und sobald sie aus der Tür seien, hingen sie am Handy.

Emily schreit, als die Bürste auf Widerstand stößt. «Still jetzt», schilt Paula, «Prinzessinnen müssen ihr Haar jeden Tag mit hundert Strichen bürsten lassen. Stimmt’s, Mama?» Sie guckt zu mir her, ich soll ihr zeigen, dass wir uns wieder vertragen und uns einig sind.

Nein. Ich will es nicht wissen. Wenn ich wüsste, was sie wirklich denkt, würde mich das wahrscheinlich umbringen. Trotzdem, ein Teil von mir wünschte, ich wüsste es.

Working Mum
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