16

Das Final

Mittwoch, Fairweather Inn, Shanksville, New Jersey

Wach seit vier Uhr, gefangen in der Drehtür des Jetlag. Zimmerservice gibt es erst ab sechs, deshalb hole ich mir einen widerlich metallischen Kaffee aus dem Automaten auf dem Flur und gebe einen Schuss aus einem Fläschchen aus der Minibar dazu. Whisky macht das Höllengebräu erträglich. Mein Blick fällt auf eine alte Frau im Badezimmerspiegel, und ich gucke weg.

An diesem Morgen lege ich die volle Armanirüstung für die Schlacht an. Es ist unglaublich beruhigend, eine knisternde weiße Bluse und ein vollkornkeksfarbenes Kostüm überzuziehen mit Säumen so scharf, dass man einen Blinddarm damit entfernen könnte. Ich trage die karamellfarbenen LK-Bennet-Bleistiftabsätze mit weißen Nähten und einer Eingeweide durchbohrenden Spitze. Der Look, auf den ich aus bin, ist: Katharine Hepburn zeigt’s ihnen.

Zwei Stunden vor dem Final, Momo kommt in mein Zimmer. Sie trägt einen blauen Seidenanzug, ihr dunkles Haar ist zurückgekämmt und hochgesteckt. Innerlich mag sie nervös sein, aber sie sieht so geheimnisvoll gelassen aus, dass sie eine Sekte gründen sollte.

Heute allerdings muss ich Zuversicht für uns beide haben und die umwerfende Jovialität eines Showmasters ausstrahlen, dessen Vertrag zur Erneuerung ansteht. Wir haben die Präsentation schon fünfzigmal durchgespielt, aber es schadet nicht, all die Don’ts nochmal wieder aufzunehmen.

«Wenn sie dir was zu trinken anbieten, nimm es nicht, klar? Nenn sie unter gar keinen Umständen bei ihren Vornamen. Das ist ein Ethischer Fonds, diese Leute glauben gern von sich, dass sie Gregg und Hannah genannt werden möchten, aber wenn du es versuchst, wird ihnen plötzlich klar, wie viel lieber es ihnen ist, dass man ihnen Respekt zollt. Sie denken darüber nach, ob sie uns furchtbar viel Geld anvertrauen sollen, deshalb gilt Sir und Ma’am von vorne bis hinten. Und denk dran, wir wandeln auf Freiersfüßen.»

Momo ist überrascht. «Ist das ein Flirt?»

«Ja, aber wir flirten nicht. Es ist so was wie höfische Liebe.»

Momo hat keine Ahnung, was das ist. Hat nie Chaucer gelesen. Mein Gott, was bringen sie denen denn noch bei heutzutage?

«Also, wir bekunden unsere unsterbliche Hingabe. Wir würden unseren Geliebten zu Gefallen alles tun, für eine ihrer Akten würden wir eine Million Meilen laufen und so weiter. Und der Schlüssel ist, ihnen immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass wir zwar hundert weiße Jungs hinter uns haben, die das Bankwesen gewissermaßen erfunden haben, aber dennoch der Chancengleichheit für alle Rassen und Geschlechter so tief verpflichtet sind wie niemand sonst. Ethische Fonds wollen ordentliche Gewinne, sie wollen Vielfalt und Chancengleichheit, aber Dritte Welt wollen sie nicht. Daher geben wir ihnen bestes Großbritannien mit Regenbogenglanz, und hier kommen wir ins Spiel.»

«Ist das nicht irgendwie unethisch, Kate?»

Wochenlang war sie meinem radioaktiven Zynismus ausgesetzt, und sie stellt immer noch solche Fragen? Was soll ich mit diesem Kind nur machen? «Wenn wir die Wahrheit sagen würden, Momo, würden wir verlieren, dann hätten wir die Belohnung, uns extrem ethisch verhalten zu haben. Aber wenn wir uns durchbluffen und gewinnen, zwei Frauen, von denen eine nicht weiß ist, dann haben wir ein 300-Millionen-Dollar-Konto für Edwin Morgan Forster an Land gezogen. Und das bedeutet, dass sich Chancengleichheit für die wirklich bezahlt macht, und das wiederum kann bedeuten, dass wir eines Tages nicht mehr nur als Schaufensterpuppen benutzt werden, sondern die Chance kriegen, den Laden zu übernehmen. Und das wird sich ganz und gar ethisch vollziehen und den Effekt haben, dass wir uns einen Haufen exquisiter Schuhe kaufen können. Nächste Frage.»

«Also ist Lügen in einem Final nicht falsch?»

«Nur wenn man es schlecht macht.»

Momo lacht so, dass es ihre zarte Gestalt aufs Bett wirft. Ein Schuh fällt runter und poltert auf den Boden. (Muss daran denken, was gegen ihre Schuhe zu unternehmen: Sie hat dunkelblaue, flache, die nichts für ihre Füße tun, obwohl die zart und ausdrucksvoll sind wie die einer Ballerina.) Wie sie da so liegt auf der orangen Tagesdecke, schaut sie zu mir hoch und seufzt: «Ich versteh dich nicht, Kate. Manchmal glaube ich, du denkst, es sei alles der füchterlichste Bockmist, und dann sieht es wieder so aus, als ob du wirklich gewinnen wolltest.»

«Oh, das will ich auch wirklich. Sieh mich an. Als ich klein war, habe ich immer ein Monopoly-Hotel in meinem Strumpf versteckt. Wenn ich auf die Parkallee gekommen bin, habe ich es heimlich rausgeholt. Einmal zu Weihnachten hat mein Dad mich erwischt und mir eins mit dem Nussknacker übergezogen.»

Ich kann sehen, dass Momo Mühe hat, für diese dickensianische Episode einen Platz zu finden in der netten, höflichen, geordneten Kindheit, die das Geburtsrecht aller Mädchen der wohlhabenderen Schichten ist. Sie hat noch nicht gemerkt, dass ich mit falschen Papieren reise. Wie sollte sie auch. Mittlerweile fällt es mir selbst schon schwer, mich bei einer Gegenüberstellung in der City als Hochstaplerin zu identifizieren.

Als sie antwortet, sieht sie aus, als ob die Sonne sie blendet.

«Das ist furchtbar», sagt sie. «Dein Vater. Das tut mir wirklich Leid.»

«Lass nur. Habe Mitleid mit den Verlierern. So, und nun lass uns den Teil nochmal durchgehen, wo du mir die Klientenliste reichst.»

Das Telefon klingelt, und im ersten Moment erkennt keine von uns das fremde, klagende Blöken. Es ist Rod mit ein paar Vorschlägen in letzter Minute. Als ich eingehängt habe, drehe ich mich zu Momo um.

«Gut, rate mal, was er gesagt hat.»

Sie runzelt die Stirn und tut so, als denke sie nach, bevor sie antwortet: «Und nun raus da und reißt euch den Arsch auf?»

Plötzlich mache ich mir ihretwegen viel weniger Sorgen. «Okay, du hast den Job. Rod ist gar nicht so übel, weißt du, wenn man erst mal weiß, wie man mit ihm umgehen muss. Solange man ihm weismachen kann, dass alles, was man tun möchte, seine Idee ist, ist er glücklich und zufrieden.»

Momo runzelt die Stirn. «Kate, wenn du über die Männer im Büro redest, klingt das so, als seien wir ihre Mütter.»

«Wir sind ihre Mütter. Im Büro hängen mir Leute am Rockzipfel, und wenn ich nach Hause komme, hängen sie mir auch am Rockzipfel. Das Beste ist, du gewöhnst dich daran. Gut, lass uns den Anfang nochmal proben.»

Das Telefon klingelt wieder. Es ist Paula, sie ruft nur an, um zu sagen, dass sie meinen elektronischen Taschenkalender im Gemüsefach gefunden hat. Ben hat damit angefangen, Sachen im Kühlschrank zu verstecken. Alle Daten, die ich während der letzten zwölf Stunden gebraucht hätte, lagerten beim Sellerie. Emily mit ihrer Harnwegsinfektion ist mittlerweile auf Antibiotika. Sie hat immer noch Fieber, aber sie würde gern mit mir reden, wenn das in Ordnung ist.

Emily kommt an den Apparat, gleichzeitig ganz eifrig und atemlos scheu. Immer wenn ich die Stimme meiner Tochter am Telefon höre, kommt es mir vor wie das erste Mal. Es kommt mir völlig unwahrscheinlich vor, dass ein Wesen, das vor so kurzer Zeit noch in mir gewachsen ist, in der Lage sein soll, sich mit mir zu unterhalten, und das noch über Satellit.

«Mummy, bist du bei Amerika.»

«Ja, Em.»

«Wie Woody und Jessie in Toy Story 2?»

«Ja, genau. Wie geht es dir, mein Schatz?»

«Gut. Ben hat eine Beule. Da war soooo viel Blut.»

Ich spüre, wie mir mein eigenes Blut in den Adern stockt. «Em, kann ich nochmal mit Paula sprechen? Bitte, sag Paula doch, dass sie nochmal ans Telefon kommen soll, sei ein liebes Mädchen.»

Ich versuche, meine Stimme ruhig zu halten, als ich mich beiläufig nach Bens Beule erkundige, während ich am liebsten in Gestalt eines Feuerballs mit blitzenden mütterlichen Reißzähnen und einem Kopf voller zischender Schlangen in meine eigene Küche brausen würde.

«Ach, das», tut Paula die Angelegenheit ab. «Er hat sich nur den Kopf am Tisch gestoßen.»

Dem Metalltisch mit den die mütterliche Netzhaut aufschlitzenden Ecken, von dem ich ausdrücklich gesagt habe, er müsse in den Keller verbannt werden, damit Ben sich nicht daran verletzen kann? Genau der ist es. Ach, so was kommt vor, sagt Paula, und ihr Ton sagt mir: Im Übrigen warst du nicht hier, was hast du also zu meckern. Davon abgesehen, glaubt sie nicht, dass Ben genäht werden muss.

Genäht? Mein Gott. Ich räuspere mich, um diesen freundlichen, liberalen Tonfall zu treffen, in dem ein Befehl klingt wie ein Vorschlag. Vielleicht könnte Paula Ben ja zum Arzt bringen? Nur für alle Fälle. Ein tiefer Seufzer, dann sagt sie Ben, dass er etwas wieder hinstellen soll. Auf diese Entfernung klingt der Ton meines Kindermädchens harsch – und unbeteiligt. Am meisten trifft mich, dass er nicht so ist wie meiner. Ich kann Ben gerade noch hören, er muss drüben am Fenster sein. Er stößt diese japsenden Laute aus, die klingen wie Schmerzensschreie, aber nur seiner unbändigen Entdeckerfreude Ausdruck verleihen. Paula sagt, da sei noch was. Alexandra Law habe angerufen, wegen eines Elternabends in der Schule. Ob ich kommen würde?»

«Was?»

«Kannst du zum Elternabend kommen?»

«Darüber kann ich jetzt wirklich nicht nachdenken.»

«Dann sag ich also nein.»

«Nein. Sag ihr, ich ruf sie an … später.»

 

Von: Debra Richardson
An: Kate Reddy
Frage: Warum ist es so schwer, Männer zu finden, die einfühlsam, verantwortungsbewusst und gut aussehend sind?
Antwort: Die haben alle schon einen Freund.
Wie geht’s?

 

Von: Kate Reddy
An: Debra Richardson
Völlig verhirnt. Buchstäblich. Lebender Köper lediglich eine vage Erinnerung. Bin nur noch Hirn am Stiel. Im Begriff, um $$$$$$$ Konto zu kämpfen, mit einer verängstigten Trainee, die Geoffrey Chaucer für einen Rapper hält. Außerdem ist Emily krank und Ben hat sich fast enthauptet, während Pol Pot vollauf damit beschäftigt ist, Kiss FM zu hören.
Will nicht mehr erwachsen sein. Wann haben wir eigentlich damit angefangen, die Erwachsenen zu sein?
K xxxx

 

14.57: Die Büros unserer zukünftigen Klienten sind in einem Stil gehalten, den ich sofort als Firmenplüsch identifiziere. Karierte Sessel, ein Haufen Teakholz und kilometerweise ethnische Wandbehänge. Der Look sagt aus: Wir wollen Geschäfte tätigen, aber, ey, wenn’s dich überkommt, kannst du hier auch einen Yogakopfstand machen.

Momo und ich werden von der umfangreichsten Frau, die ich je gesehen habe, ins Besprechungszimmer geführt. Carol Dunstan hat offensichtlich von der Vielfältigkeit am Arbeitsplatz profitiert, mit ihr ist die Übergewichtigen-Sektion vertreten. Der Fußweg von der Lobby hierher hat sie atemlos gemacht. Wenn man sie nur ansieht, fragt man sich, welche Art Frust das wohl sein mag, der so viel Futter verlangt. Sie stellt uns die achtzehn Gesichter am Tisch der Reihe nach vor. Ich höre, wie Momo dankend eine Erfrischung ablehnt. Gutes Mädchen! «Und last but not least, unser geschätzter Kollege von der Salinger Foundation. Mr. Abelhammer sitzt im staatlichen Aufsichtsrat, Ms Reddy.»

Und wahrhaftig, da ist er. In der hintersten Ecke, und er hebt sich von den anderen steifen Kragen durch eine Pose geradezu unverschämter Entspanntheit und ein breites Grinsen ab. Der Mensch, den ich am wenigsten sehen will, und gleichzeitig der einzige Mensch, den ich überhaupt sehen will. Jack.

 

Die Präsentation läuft gut. Zu gut vielleicht. Ich bin zur Hälfte durch und schmecke praktisch schon den heilsamen Gin & Tonic im Flieger auf der Zunge. Ich habe versucht, die Tatsache zu ignorieren, dass mein E-Mail-Lover wirklich physisch mit mir in einem Raum ist, obwohl ich seine Gegenwart gespürt habe wie Sonne auf der Haut.

Ich moderiere unsere prospektiven Klienten durch das Heft mit den erkennungsdienstlichen Aufnahmen der Burschen, die die Portfolios managen. Eine Galerie von City-Typen, die sich im Laufe der letzten dreihundert Jahre kaum verändert hat: gutbürgerliche Herren, untersetzte Knilche. Männer, deren letzte Haarsträhnen über pinkfarbene Schädel geföhnt worden sind. Herzinfarktkandidaten, deren eifrige Privatschulgesichter vom Erdrutsch der mittleren Jahre verschüttet wurden. Junge Männer mit dem leichenblassen, erstaunten Gesichtsausdruck, der von langen, entsagungsvollen Stunden vor dem Monitor herrührt. Mit besonderem Stolz deute ich auf unsere Spitzenkraft in Sachen Hedgefonds, Chris Bunce, der seinem Hang zum Koks die Augen einer Laborratte und die entsprechenden Manieren verdankt. Vorn im Heft ist ein Foto von Robin Cooper-Clark, hoch gewachsen wie eine Birke, nachdenklich, mit einem kleinen Lächeln. Er sieht aus, wie Gott aussehen würde, wenn Gott seine Hemden bei Turnbull & Asser machen ließe.

Carol Dunstan räuspert sich: «Ms Reddy, New Jersey hat sich vor kurzem zu den McMahon-Prinzipien bekannt. Stellt das bei Ihrer Anklage von Vermögenswerten ein Problem dar?»

Okay, Kate, keine Panik. Lass uns nachdenken. Los, denken! «Nein. Ich bin sicher, wenn wir eine Liste darüber bekommen können, welche Unternehmen die Mc-äh-Mahon-Prinzipien berücksichtigen …»

«Wir haben keine Liste, Ms Reddy», sagt die dicke Frau kurz angebunden. «Natürlich würden wir erwarten, dass Edwin Morgan Forster eine Liste erstellt, die im Einklang mit den McMahon-Prinzipien steht. Prinzipien, die Ihnen selbstverständlich bekannt sind.»

Achtzehn Gesichter im Raum sind auf mich fixiert. Neunzehn, Momo mitgerechnet, die mit treuen Spanielaugen zu mir aufschaut. Ich habe noch nie von McMahon oder seinen Scheißprinzipien gehört. Sekunden, die normalerweise still, bescheiden und erfreulich unauffällig verstreichen, sind plötzlich lang, laut und erbarmungslos. Ich fühle, wie mir das Blut in Hals und Brust steigt, ein himbeerfarbenes Erröten. Die Klimaanlage klingt wie eine Frau, die von ihrem Liebhaber getrennt wird. Nein. Denk nicht an Liebhaber. Denk an McMahon. Wer er auch immer sein mag. Wahrscheinlich irgendein sebstgerechter kleiner Kelte, der sich an den kapitalistischen angelsächsischen Unterdrückern rächen will. Ich vermeide es, zum anderen Ende des Tisches zu schauen, wo Jack sitzt.

Carol Dunstans schmale Lippen wollen sich gerade wieder öffnen, als ein Mann das Wort ergreift. «Ich glaube, wir können uns darauf verlassen, Carol, dass Ms Reddy mit ihrer umfassenden Erfahrung auf dem Gebiet der ethischen Fonds mit den Einstellungsgepflogenheiten von irischen Firmen vertraut ist.»

Überwältigende Dankbarkeit, Schwindel erregend wie reiner Sauerstoff. Jack hat den Notschalter umgelegt, und der Weg ist frei für mich. Ich nicke eifrig zustimmend. «Wie Mr. Abelhammer schon sagt, haben wir ein Team von Mitarbeitern, dass die Einstellungspraktiken von Firmen überprüft. Persönlich möchte ich hinzufügen, dass ich voll und ganz hinter den McMahon-Prinzipien stehe, da ich selbst Irin bin.»

Hinter mir knallt es. Momo hat einen Aktenordner fallen lassen, aber dieser Zwischenfall geht in dem allgemeinen anerkennenden Gemurmel über meine ethnische Glaubwürdigkeit unter. Auf einer Welle guten Willens gleite ich zum Abschluss der Präsentation. Der Abschluss ist der Teil, in dem man sagt: Gebt uns das Geld. Aber höflich. Und ohne Geld zu erwähnen.

 

17.11: Momo und ich lassen uns ins Taxi fallen, als wir hinter uns das Knirschen von Leder hören.

«Ich möchte gern sagen, welche Freude es mir war, eine solche Leistung bewundern zu dürfen, Ms Reddy.»

«Oh, danke sehr, Mr. Abelhammer. Ich war äußerst dankbar für Ihren Einwurf.»

Momo, die im Spannungsfeld zwischen mir und Jack gefangen ist, wirkt ein wenig befremdet.

Seine Hand ruht auf dem Rahmen der Autotür. «Ich habe mich gefragt, ob ich Sie beide wohl für einen Drink interessieren könnte. Vielleicht möchten Sie die Sehenswürdigkeiten von Shanksville in Augenschein nehmen. Wie ich gesehen habe, hat das Sinatra Inn einen Cocktail namens Come Fly With Me auf der Karte.»

«Offen gestanden, Ms Gumeratne und ich sind sehr müde.»

Er nickt verständnisvoll. «Ein anderes Mal. Geben Sie gut auf sich Acht.»

Auf dem Weg zurück ins Hotel fragt Momo: «Entschuldige, Kate, aber kennst du diesen Mann?»

«Nein. Tu ich nicht.» Eine der Wahrheit entsprechende Antwort. Ich kenne Jack Abelhammer nicht, aber ich bin möglicherweise in ihn verliebt. Wie kann man in jemanden verliebt sein, den man nicht kennt? Wenn man’s recht bedenkt, ist es wahrscheinlich so einfacher: Ein leerer Bildschirm, auf den man all seine Sehnsüchte tippen kann.

«Er sieht aus wie George Clooney», seufzt Momo. «Ich glaube, wir hätten diesen Drink mitnehmen sollen.»

«Nein. Es wäre unprofessionell, solange sie noch keine Entscheidung getroffen haben. Abgesehen davon sollten wir unseren Erfolg selber feiern. Du warst ein richtiger Star.»

«Tut mir Leid, Kate, aber du warst die Brillante. Ich hätte das nicht gekonnt, was du eben gemacht hast.» Momo gestattet sich ein Lächeln, und plötzlich sehe ich, wie angespannt ihr Gesicht gewesen ist. «Ich wusste gar nicht, dass du Irin bist.»

«Nur ein bisschen. Väterlicherseits.»

«Wie McMahon.»

«Ja, nur ohne die Prinzipien.»

Sie kichert. «Was macht dein Vater?»

«Dasselbe wie ich, so ungefähr.»

«Ist er Fondsmanager?»

«Nein, aber wie wir setzt er auf hoch gefeierte Pferde, tut so, als sei das Wissenschaft, und betet zu Gott, dass sie ins Ziel kommen. Und wenn sie das nicht tun, verlässt er die Stadt.»

«Gott im Himmel», sagt Momo, die so schockiert ist, dass sie zum ersten Mal, seit ich sie kenne, vergisst, «tut mir Leid» zu sagen. «Das scheint ja eine schillernde Persönlichkeit zu sein.»

 

IMMER WENN ICH mit anderen Leuten über meinen Vater rede, fällt mir auf, dass ich einen anderen Tonfall annehme: unbeteiligt, leichthin, ironisch. Schillernde Persönlichkeiten sind ganz wunderbar in Dickens-Romanen oder als Nebenrollen in Filmen, wo sie von aufgeblasenen ehemaligen Idolen aus Vormittagsvorstellungen gespielt werden, die es auf einer Woge öffentlicher Sympathie bis zum besten Nebendarsteller bringen können. Aber in seinem Leben will man so was nicht haben, solange man was dagegen machen kann.

«Tu so, als ob wir jede Menge Geld hätten, Kathylein», hat Dad mir mal eingeschärft. Wir waren in einem Biergarten am Ende einer langen, grauen Reihe von Städten im Norden. Julie und ich saßen auf einer Bank und hatten Gläser mit Dandelion & Burdock vor uns, ein Getränk, das schmeckt wie Pepsi mit Kerosin, aber wir glaubten, das sei das von vornehmen Damen bevorzugte Getränk. Ich war zwölf und mir war so schwindelig davon, alle sechs Monate in eine andere Stadt ziehen zu müssen, dass ich nicht mehr wusste, was charakterfestes Benehmen ist, und außerdem war ich zu sehr von meinem Vater eingenommen, um zu protestieren. Natürlich war kein Geld da, und wenn was da war, dann wurde es von Joe aus dem Portemonnaie meiner Mutter gezaubert und in irgendeins seiner Projekte gesteckt.

Aber ich tat so, als hätten wir Geld. Schon damals, glaube ich, konnte ich die Enttäuschung riechen, die sich wie muffiger Dampf auf meinem Vater niederließ, und ich wollte ihn davor beschützen. Enttäuschung entmannt einen Mann. Die Frauen um ihn herum müssen so tun, als könnten sie sie nicht riechen, und er sitzt dabei und kann sein Glas nicht mit einer Hand halten, weil er so zittert, und behauptet, es stünden noch immer alle Tore zum Erfolg offen.

Also, hier ist noch was Komisches. Alle Frauen, die ich in der City kenne, sind auf die eine oder andere Weise Papas Mädchen. (Candys Vater ist abgehauen, als sie fünf war. Und ich glaube, seitdem versucht sie ihn wiederzufinden. Debras Vater hatte eine Autofirma in den Midlands und wurde von Deb und ihrer Schwester an Wochenenden gelegentlich zwischen zwei Golfpartien gesichtet.) Töchter, die danach strebten, die Söhne zu sein, die ihre Väter niemals hatten, Töchter, die in der Schule Höchstleistungen vollbrachten, damit ein Mann, der immer woanders hinguckte, auf sie aufmerksam wurde. Töchter wie die arme, verwirrte Antigone, die den flüchtigen Geist der väterlichen Liebe verfolgt. Warum also arbeiten Papas Mädchen an einem für Frauen so feindseligen Ort? Weil männliche Bestätigung das Einzige ist, was uns wirklich Trost spenden kann. Ziemlich traurig, was. Ziemlich beschissen traurig.

Ich mache die Augen zu und versuche die Gedanken an meinen eigenen unsteten Erzeuger zu verbannen. Seit er mit diesem Windelentwurf in der Firma aufgetaucht ist, hat er mich fast jeden Tag angerufen. Neulich Abend hat er eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen und gesagt, das Geld reiche nicht.

«Wie viel hast du ihm gegeben?», fragte Rich, dem das Blut aus dem Gesicht wich.

Ich nannte eine Summe, die etwa einem Drittel des Betrages auf dem Scheck entsprach, und Rich ging an die Decke.

«Himmel, gute Frau, wann wirst du es endlich lernen?»

Gute Frage. Noch gibt es keinen Beschluss zur Begrenzung von Mitleid, oder?

 

20.18: Muss auf dem Bett eingeschlafen sein. Werde vom Telefon geweckt. Es ist Richard. Er klingt ungeheuer genervt. Sagt, dass er die Kugel für das Waschmittel nicht finden kann. Paula hat sich krank gemeldet, und Ben ist ohne Windel rumgelaufen, und es hat einen Unfall auf der Bettdecke gegeben. Er hat also den Bezug in die Waschmaschine gesteckt, kann aber den Ball nicht finden.

Ich sage ihm, dass sich der Ball wahrscheinlich in der Wäsche verfangen hat, er soll mal im Korb mit der Bügelwäsche nachsehen.

«Wo ist der Korb mit der Bügelwäsche?»

«Der steht neben dem Bügelbrett und quillt über. Rich, fragst du nicht mal, wie es gelaufen ist?»

«Was?»

«Das Final.»

«Ich brauche dich.»

«Mach halb lang, Rich, du wirst es doch wohl schaffen, dieses eine Mal Wäsche zu waschen.»

«Kate, das hat nichts mit der Wäsche zu tun, ich brauche dich einfach. Warum kannst du nicht heute Nacht nach Hause fliegen?»

«Das kann ich einfach nicht. Ich sitz morgen früh im ersten Flugzeug.»

 

Schon wieder das Telefon. Ich lasse es klingeln und klingeln. Wahrscheinlich ist es Rich, der wissen will, wo das Hamsterfutter ist oder die Mikrowelle oder die Ohren seiner Kinder. Schließlich, als ich denke, dass es ernsthafte Probleme mit den Kindern gibt, hebe ich ab.

«Ich war so froh zu hören, dass du Irin bist. Einen Augenblick lang lief ich Gefahr, dich mit der Katharine Reddy zu verwechseln, die sich um meinen Fonds kümmert und mir erzählt hat, sie sei Französin.»

«Ich habe nicht gesagt, dass ich Französin bin. Ich habe gesagt, ich hätte französisches Blut in den Adern.»

Er lacht: «Und was kommt als Nächstes? Irokesin? Du bist eine harte Nuss, Kate.»

Jetzt höre ich eine Stimme, die Stimme einer verantwortungsbewussten, nüchternen Frau, die ihrem Klienten sagt, dass sie unter gar keinen Umständen den Fly-With-Me-Cocktail in einem schmierigen Imbiss am Straßenrand probieren möchte.

Seine Antwort schießt umgehend zurück: «Kein Problem. Da gibt es auch einen ganz hervorragenden Bewitched, Bothered, and Bewildered.»

Eine Zeile aus diesem Lied kommt mir in den Kopf, und ich singe sie: «Horizontally speaking, he’s at his very best.»

Abelhammer stößt einen Pfiff aus. «Es ist also wahr, du weißt einfach alles.»

«Ich weiß nicht, wie man zum Sinatra Inn kommt.» 
Working Mum
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