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Der Tod einer Mutter

Jill Cooper-Clark starb am Montag in den frühen Morgenstunden friedlich zu Hause. Sie war siebenundvierzig. Die Diagnose kam Anfang der letzten Sommerferien, und der Krebs breitete sich aus wie ein Waldbrand. Die Chirurgen schritten als Erste ein, danach ein Expertenteam von Pharmakologen und Radiologen, die alle versuchten, das Inferno unter Kontrolle zu bekommen. Aber der Krebs war nicht zu ersticken – Brust, Lunge, Magen. Es war so, als hätte sich Jills Energie – und nie habe ich jemanden getroffen, der so vor Energie strotzte – gegen sie gewendet. Das letzte Mal habe ich sie auf der Party von Edwin Morgan Forster gesehen, ein Trillionen-Dollar-Event unter einem arabischen Motto mit echtem Sand und einem wütenden Kamel. Sie trug einen Turban, der ihren beinahe kahlen Kopf verhüllte, und wie immer brachte sie mich zum Lachen.

«Aufschlitzen und Niederbrennen, Kate. Es ist kaum zu glauben, wie primitiv die Behandlung ist. Ich fühle mich wie ein mittelalterliches Dorf, das geschliffen wird. Nur möchte man eigentlich lieber von Wikingern statt von Onkologen gefleddert werden, oder?»

Vor der Behandlung hatte Jill dichte rotbraune Locken und eine sahneweiße keltische Haut, gesprenkelt mit zimtenen Sommersprossen. Drei Kinder – alles Jungs von anständigem Kaliber – hatten dem wendigen Körper der einstigen Stürmerin auf dem Handballfeld nichts anhaben können. Robin sagte immer, man wisse nicht, mit wem man es bei seiner Frau zu tun habe, ehe man nicht ihre Rückhand beim Tennis gesehen habe: Wenn man dachte, alles wäre gelaufen und der Ball könnte unter keinen Umständen wieder übers Netz zurückkommen, dann hechtete sie los und schmetterte ihn auf die Grundlinie. Ich habe sie dabei beobachtet, vor zwei Jahren bei den Cooper-Clarks in Sussex. Wenn sie den Ball traf, dann stieß sie ein trotziges, triumphierendes «Ha!» aus. Ich glaube, wir haben alle darauf gewartet, dass sie den Krebs genauso abschmetterte.

Jill hinterlässt ihre drei Söhne und ihren Mann, der gerade aus dem Fahrstuhl tritt. Ich höre seine Schritte auf dem Parkett, das sich gut für Tanztees eignen würde, wenn wir hier auf eine andere, sanftere Art Geschäfte machen würden. Wir sind beide schrecklich früh im Büro: Robin, um aufzuarbeiten, ich, um vorzuarbeiten. Er raschelt in seinem Zimmer herum, hustet, macht Schubladen auf und zu.

Ich bringe ihm einen Becher Tee, und er schrickt zusammen. «Oh, hallo, Kate. Hör mal, es tut mir wirklich Leid, dass du ganz allein zurechtkommen musstest. Ich weiß, was das für ein Kampf ist, und obendrein noch der ganzen Salinger-Kram. Aber nach der Beerdigung bin ich ganz für dich da.»

«Keine Sorge. Alles unter Kontrolle.» Eine Lüge. Ich will ihn fragen, wie es ihm geht, aber dieses Frühwarnsystem, das schmerzliche persönliche Fragen erkennen kann, ist auf höchster Alarmstufe. Deshalb frage ich ihn etwas anderes. «Wie geht es den Jungs?»

«Nun, wir haben mehr Glück als andere», sagt Robin und schaltet elegant auf den Abteilungsleiter-Modus um. «Tim ist jetzt in Bristol, Sam macht sein GCSE und Alex wird bald neun. Sie sind ja keine kleinen Jungs mehr, die wirklich noch – äh – ihre Mutter brauchen, so wie kleinere Jungen unbedingt ihre Mutter brauchen.» Und dann gibt er ein Geräusch von sich, wie es niemand je in den Räumen von Edwin Morgan Forster gehört hat. Etwas auf halben Wege zwischen einem Bellen und einem Seufzen, kaum menschlich, oder vielleicht nur allzu menschlich, und ich will es nie wieder hören.

Er kneift für ein paar wütende Sekunden in seine Nasenwurzel und wendet sich dann wieder mir zu. «Jill hat mir das hier hinterlassen», sagt er und gibt mir einen Packen Papier. Ein ordentliches, handgeschriebenes Manuskript, und es trägt den Titel: «Deine Familie: Wie sie funktioniert!»

«Es steht alles drin», sagt er und schüttelt verwundert seinen Kopf. «Sie hat sogar aufgeschrieben, wo ich den verdammten Weihnachtsschmuck finde. Du würdest staunen, wenn du wüsstest, an was man alles denken muss, Kate.»

Nein, würde ich nicht.

 

Freitag, 12.33: Wenn ich jetzt das Büro verlasse, dann komme ich rechtzeitig zu Jills Beerdigung in Sussex um 15 Uhr und habe noch genug Zeit, mir auf dem Weg zum Bahnhof ein Sandwich zu holen. Momo und ich gehen noch Sachen für ein weiteres Final durch. Momo fragt, ob ich Mr. Cooper-Clarks Frau gekannt habe, und ich erzähle ihr, dass Jill eine umwerfende Persönlichkeit war.

Momo scheint daran zu zweifeln. «Aber sie hat doch nicht gearbeitet, oder?»

Ich sehe Momo ins Gesicht. Wie alt ist sie … vierundzwanzig, fünfundzwanzig? Jung genug, um nicht zu wissen, was Frauen vor ihrer Zeit durchgemacht haben, jung genug, um ihre eigene Freiheit als selbstverständlich hinzunehmen. Ganz ruhig sage ich: «Jill befand sich auf der Überholspur im Öffentlichen Dienst, bis Sam, ihr Zweiter, zwei Jahre alt war. Inzwischen würde sie das Innenministerium leiten, aber sie hat sich dazu entschlossen, sich um ihre eigene Familie zu kümmern. Sie war der Meinung, dass sie und Robin nicht beide Jobs haben könnten, die einem das Mark aussaugen, ohne dass die Kinder darunter zu leiden hätten. Sie sagte, sie hätte versucht zu glauben, dass es klappen könnte, aber ihr Herz wollte da nicht mitmachen.»

Momo bückt sich und wirft etwas in den Papierkorb, und vor dem Fenster sehe ich die Taube. Ihre Federn breiten sich wie eine Krinoline über die Eier. Papa-Taube ist weit und breit nicht zu sehen. Wo ist er?

«Ach, wie traurig», sagt Momo. «Ich meine, was für eine Verschwendung, wenn man am Ende so gar nichts mit seinem Leben angefangen hat.»

 

13.11: Wenn ich das Büro jetzt sofort verlasse, müsste ich den Zug noch kriegen.

 

13.27: Renne aus dem Büro, als mir Robins Sekretärin das Familienmemo von Jill hinhält. Er hat es vergessen. Ich sprinte zur Cannon Street. Bis ich am Fluss bin, sind meine Lungen wund, und Schweiß perlt mir über die Brüste. Stolpere auf der Bahnhofstreppe, und die Strumpfhose reißt am Knie kaputt. Scheiße. Scheiße. Flitze durch die Halle, glitsche in einen Laden und schnappe mir das erste Paar schwarzer Strumpfhosen, das mir ins Auge fällt. Sage der erschrockenen Kassiererin, das Wechselgeld könne sie behalten. An der Bahnsteigschranke grinst der Beamte und sagt: «Zu spät, meine Liebe.» Umkurve die Schranke, den Beamten auf den Fersen, und springe auf den beschleunigenden Zug auf. Durch das Fenster entschwindet London mit erstaunlicher Geschwindigkeit, die grauen Randgebiete gehen bald in tiefste Ländlichkeit über. Ich kann es kaum ertragen, den Frühling zu sehen; so ohrenbetäubend grün, so kindisch hoffnungsvoll.

Ich kaufe im Bordbistro Kaffee und öffne meine Aktentasche, um Arbeit herauszuholen. Oben auf dem Stapel liegt Jills Familienmemo. Ich sollte es nicht lesen, aber ich will es wirklich. Ich will die Stimme meiner Freundin noch einmal hören, und wenn es auch nur Worte sind, die sie aufgeschrieben hat. Eine Seite kann ich mir doch wohl angucken?

 

Wenn du Alex badest, vergiss nicht, zwischen die Finger zu gehen, normalerweise sammelt sich da ein Haufen schwarzes Zeug und gelegentlich auch Harz an! UNBEDINGT Oilatum (türkise Flasche mit weißer Schrift) ins Wasser geben, wegen seines Ekzems. Bitte tu so, als sei es ein Schaumbad, er hasst es, an seine Haut erinnert zu werden. Alex wird dir sagen, dass er frische Nudeln nicht mag. Er mag frische Nudeln. Also besteh drauf. Aber sanft. Ja, er darf Käse aus der Tube haben (fürchterliches, neonfarbenes Zeug), aber nur wenn er auch ein richtiges Stück Käse isst. Nein, er darf sich nicht von Dosenmais ernähren. Schlage vor, die Familie stellt auf Roibuschtee um (beugt offenbar Krebs vor).
Ich habe Sam versprochen, dass er zu seinem fünfzehnten Geburtstag Kontaktlinsen bekommt. Immer, wenn du ihn anschreien möchtest, zähl innerlich bis zehn und denke «Testosteron». Er wird nicht lange so widerlich sein, das verspreche ich. Weißt du noch, wie viel Kummer wir mit Tim hatten und wie gut er sich gemacht hat? Timmys derzeitige Freundin heißt Sharmila – hübsch und sehr helle aus Bradford. Ihre Eltern halten nichts von lässigen weißen Jungs (unseren), könntest du sie also nach Hause einladen und deinen Charme spielen lassen? (Vater, Deepak, ist begeisterter Golfer; beide Eltern Vegetarier.) Wenn du ihn fragst, wird Tim so tun, als fände er es furchtbar, aber er wird sich ziemlich darüber freuen, wenn es soweit ist.

 

GEBURTSTAGE: Das Lieblingsparfum deiner Mutter ist Diorissima. Kassetten kommen immer gut an. Alles von Bryn Terfel, nur nicht Oklahoma!, das haben wir letztes Jahr geschenkt. Auch Bücher von Alan Bennett und Türkischen Honig. Meine Mutter mag alles von Margaret Forster oder Antonia Fraser. Möglicherweise möchtest du Mama meine Ringe geben, oder vielleicht solltest du sie lieber behalten, bis irgendwann einer der Jungs einen Verlobungsring braucht?
PATENKINDER: Deine Patenkinder sind Harry (Paxton), Lucy (Goodridge) und Alice (Benson). Ihre Geburtstage sind in den Kalender neben dem Kühlschrank eingetragen. In der Geschenkschublade, die unterste vom Schrank im Arbeitszimmer, sind Geschenke, die mit ihren Initialen gekennzeichnet sind. Damit solltest du über die Runden kommen bis übernächste Weihnachten. Die Ehe von Simon und Clare ist ein bisschen wacklig, es wäre also eine gute Idee, wenn du Harry mal einladen und ihm zu verstehen geben würdest, dass du für ihn da bist, wenn er dich braucht. Vergiss Lucys Konfirmation im September nicht.

 

ALLE WEITEREN PROBLEME
1) Wie die Waschmaschine zu bedienen ist. Für Notfälle solltest du das wissen. Schau ins Braune Buch. Da steht auch: richtige Temperatur für deine Wollsocken.
2) Größe der Müllbeutel, dito
3) Putzfrau: Montags und donnerstags. 7 Pfund die Stunde, außerdem unterstützen wir Jean bei größeren Ausgaben und Urlaub. Allein erziehende Mutter. Tochter heißt Aileen. Will Krankenschwester werden.
4) Babysitter: Telefonnummern in Grünem Buch. NICHT Jody, die mit ihrem Freund in unserem Bett geschlafen hat, als wir in Glyndebourne waren.
5) Arnica bei Prellungen (Badezimmerschrank)
6) Ignatia bei Kummer (gelbe Flasche, in meinem Nachttisch)
7) Postbote heißt Pat (wirklich!); Zeitungsjunge ist ein Mädchen (Holly). Müllabfuhr kommt Dienstagmorgen, nimmt keine Gartenabfälle mit. Weihnachtstrinkgeld siehe Braunes Buch – sei großzügig!
8) Nach der Beerdigung könnten die Jungs zu Maggie gehen, das ist die Therapeutin vom Hospiz. Ein bisschen zu alternativ für deinen Geschmack, aber ich glaube, die Jungs würden sie wirklich mögen und ihr Sachen sagen, die sie dir nicht erzählen würden, weil sie Angst hätten, dich zu beunruhigen. Küsse sie von mir und hör nicht auf damit, nur weil sie größer werden als du, hörst du?

 

Es ist alles da. Seite für Seite. Jedes Detail aus dem Leben der Kinder, der Rhythmus ihres Alltags. Ich wimmere beim Gedanken daran, wie schlecht ich qualifiziert wäre, so ein Memo für Richard zu schreiben. Auf der Seite mit den Geburtstagen ist ein Fleck von der Größe einer Tasse. Irgendwas Fettiges mit einer Mehlkruste. Jill muss beim Backen gewesen sein, als sie das geschrieben hat.

Ich will weiterlesen, kann aber nicht wegen der Tränen. Ich schlage stattdessen die Seite mit den Nachrufen im Daily Telegraph auf. Heute stehen da ein wichtiger Biologe, ein Mann, der in den Sechzigern IBM geleitet hat, und ein Showgirl namens Dizzy aus dem Jetset, die «Romanzen» mit Douglas Fairbanks und Aga Khan gehabt hat. Der Name Cooper-Clark ist nicht zu sehen. Die Art von Leben, die Jill geführt hat, wird nicht festgehalten für die Nachwelt. Wie hat Momo das noch genannt: «eine Verschwendung»? Wie kann so viel Liebe denn Verschwendung sein?

 

14.57: In der puppenstubengroßen Zugtoilette ziehe ich meine kaputten Strumpfhosen aus und winde mich wie Houdini in ein neues Paar. Auf dem Gang überrascht es mich, dass ich dem Zugbegleiter einen anerkennenden Pfiff wert bin. Schaue an mir hinunter und sehe, dass in Diamantpailletten applizierte Playboyhäschen die hintere Naht der schwarzen Strumpfhosen zieren. Ich schwöre, ich kann Jill lachen hören.

 

St. Botolph’s, Greengate, 15.17: Komme rechtzeitig, um zu hören, wie der Pfarrer die Gemeinde dazu auffordert, Gott für das Leben von Jillian Cordelia Cooper-Clark zu danken. Ich habe nicht gewusst, dass sie eine Cordelia war. Das passt zu ihr, die so von ihren Prinzipien und ihrer Liebe geprägt war.

Ich kann Robin und die Jungen in der ersten Bank sehen. Robin muss sich bücken, als er den rötlichen Schopf seines jüngsten Sohnes küsst. Alex zittert etwas in seinem neuen Anzug, seinem ersten Anzug. Jill hat mir erzählt, dass sie gemeinsam nach London gefahren sind, um ihn auszusuchen. Sie muss gewusst haben, wann er ihn zum ersten Mal tragen würde.

Wir singen «Lord of All Hopefulness», ihr liebstes Kirchenlied. In der Melodie schwingt eine schottische Melancholie mit, die ich früher nie bemerkt habe. Als sie verklingt, bricht ein unterdrücktes Gehuste aus, und der Pfarrer, ein vogelartiger Mann mit einer hellen Haarkrone, bittet die Gemeinde, einige Augenblicke der Stille im Gedenken an Jill zu verharren.

Ich schließe meine Augen und lasse meine Hände auf der Rückenlehne der Bank vor mir ruhen, und sofort bin ich wieder in diesem Wald bei Northampton. Es ist August, zwei Monate nach Emilys Geburt. James Entwhistle, der vor Rod mein Boss war, hatte für Kunden eine Jagd auf einem Landgut organisiert. Er hatte darauf bestanden, dass ich dabei war, obwohl ich nicht schießen kann. Ich konnte mich auch nur schemenhaft daran erinnern, wo Deutschland liegt, ganz zu schweigen davon, wie man mit Frankfurter Bankern herumscharwenzelt. Als die Mittagszeit nahte, kam es mir vor, als hingen mir glühende Steine an der Brust. Meine Brüste schrien danach, geleert zu werden. Es gab nur ein Klo, so ein transportables Ding, das zwischen den Bäumen versteckt war. Ich schloss mich in der Kabine ein, machte meine Bluse auf und fing damit an, die Milch in die Toilette zu spritzen.

Zuerst kam die Milch sehr zögerlich. Damit sie überhaupt floss, musste ich mir Emily vorstellen, ihren Geruch, ihre großen Augen, wie sich ihre Haut anfühlte. Ich geriet in Panik, als ich auf das Hüsteln vor der Tür aufmerksam wurde. Eine Schlange hatte sich gebildet, aber ich war mit der linken Seite noch nicht fertig und hatte mit der rechten nicht mal angefangen. Da hörte ich eine Frauenstimme in recht energischem Tonfall, eine Stimme, die durch ihre Wärme Autorität bekam: «Nun, meine Herren, profitieren Sie doch von den Büschen hier draußen. Das ist einer der Vorteile, die Sie uns Frauen voraus haben. Ich vermute, dass Miss Reddy die Toilette dringender braucht als Sie. Haben Sie vielen Dank für Ihr Verständnis.»

Als ich zehn Minuten später nach draußen kam, saß Jill Cooper-Clark auf einem Baumstumpf auf der Lichtung. Als sie mich sah, winkte sie und holte aus einer Kühltasche einen Eisbeutel, den sie triumphierend hochhielt. «Ich kann mich noch daran erinnern, dass dies empfindlichen Brüsten gut tut.»

Sie war mir schon bei anderen Firmenveranstaltungen aufgefallen, der Henley-Regatta, als ein triefendes Hütchen beim Cheltenham Gold Cup, aber ich hatte sie nur für eine der vielen golfenden Gattinnen gehalten. Die Sorte, die einem damit in den Ohren liegt, wie der Tennisplatz zu pflegen ist oder wie schwer es ist, jemanden zu kriegen, der sich um den Pool kümmert.

Jill erkundigte sich nach meinem Baby, sie war die einzige Person, die mit meiner Arbeit zu tun hatte, die das je getan hatte, und dann gestand sie mir, dass Alex, der gerade seinen vierten Geburtstag gefeiert hatte, ein Geschenk gewesen sei, das sie sich selbst gemacht habe. Alle hatten gesagt, es sei verrückt, noch ein Drittes zu kriegen, wenn man endlich die Windeln und die unruhigen Nächte hinter sich hatte, aber sie fand, dass sie die Babyzeit von Tim und Sam wegen ihres Jobs fast verpasst hatte. «Ach, ich weiß nicht, ich fand, mir war Zeit gestohlen worden, und ich wollte sie wiederhaben.»

Weil wir gerade in der Stimmung für Geständnisse waren, erzählte ich ihr, dass ich Angst davor hatte, zu viel zu fühlen. Ich wusste nicht, wie ich wieder in den Job zurückgehen konnte, ohne mein Herz zu verhärten.

«Die Sache ist die, Kate», sagte Jill, «sie behandeln uns, als würden sie uns einen großen Gefallen tun, indem sie uns unseren Job wiedergeben, nachdem wir ein Kind bekommen haben. Und der Preis, den wir für diesen Gefallen zahlen, ist keinen Ärger zu machen. Nicht zu zeigen, dass das Leben für uns nie wieder dasselbe sein kann. Aber denk immer daran, dass wir es sind, die ihnen den Gefallen tun. Wir sorgen für den Fortbestand der menschlichen Rasse, und nichts ist wichtiger als das. Wo kriegen sie denn ihre verdammten Kunden her, wenn wir die Brutgeschäfte einstellen?»

Schüsse waren zu hören, und Jill lachte. Sie hatte so ein wundervolles, befreiendes Lachen, es schien die ganze Dummheit und Erbärmlichkeit der Welt wegpusten zu können. Und noch was. Sie war der einzige Mensch, der niemals sagte: Ich weiß nicht, wie du das schaffst. Sie wusste, wie man es schaffte, und sie wusste, was es kostete.

«Liebe Anwesende, lasst uns gemeinsam die Worte sprechen, die Jesus uns gelehrt hat: Vater unser, der du bist im Himmel.»

 

JILLS GRAB liegt am Fuß des Hügels, der hinter der Kirche steil abfällt. Oben ragen die viktorianischen Grabsteine auf – Säulen und Gräber und Sarkophage mit jeder Menge wachender Engel – je weiter man den Kiesweg hinabknirscht und je näher man der Gegenwart kommt, desto kleiner und bescheidener werden die Grabstätten. Unsere Ahnen wussten, dass sie einen für sie reservierten Platz, sogar eine Loge, im Nachleben hatten.

Jills Platz bietet einen Ausblick über das Tal. Auf den Hügelkuppen gegenüber sieht man Fichten, und in der grünen Schale darunter liegt ein dichter silberner Dunst. Als der Vikar mit der Liturgie anfängt und Robin vortritt, um eine Hand voll Erde auf den Sarg seiner Frau fallen zu lassen, schaue ich schnell weg und konzentriere mich mit verschwommenem Blick auf die Grabsteine um uns herum. Geliebter Sohn. Vater und Großvater. Einziges Kind von. Geliebte Frau und Mutter. Schwester. Frau. Mutter. Mutter. Im Tod werden wir nicht durch das definiert, was wir vollbracht haben oder wer wir waren, sondern durch das, was wir anderen bedeutet haben.

Wie gut wir geliebt haben und wie diese Liebe erwidert worden ist.

 

Nicht vergessen

Alles ist vergänglich.

Einem Kind die kalten Wangen küssen.

Immer gleich zurückrufen. 

Working Mum
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