25

Wieder Schule

8.01: «Okay, Emily, los jetzt. Beeil dich. Ich komme zu spät. Die Brotdose? Gut. Bücher aus der Leihbücherei? Nein. Nein, du kannst keine Zöpfe haben. Nein, geht nicht. Zähne. Oh, Himmel nochmal! Schnell, putz die Zähne, bitte. Beeil dich. Und nimm vorher den Toast aus dem Mund. Das ist kein Toast? Also, ich will nicht, dass du Ostereier isst … Na, das hätte Daddy nicht sagen sollen. Ich bin nicht schrecklich. Okay, wir gehen jetzt.»

Der erste Tag nach den Schulferien, und die Kinder sind so aufgeregt und angespannt wie Ponys vor einem Rennen. Emily ist in diese Atta-datta-Babysprache zurückgefallen, die sie benutzt, wenn ich weg war oder im Begriff bin, wieder einmal wegzufahren. Mich macht das wahnsinnig.

 

8.23: Ich schaffe gerade Em aus dem Haus, als Richard, immer noch in T-Shirt und Boxershorts, über den Flur geschlurft kommt und wissen will, wann es wohl passen könnte, dass er auf einen fünftägigen Weinverkostungskursus nach Burgund fährt.

Burgund? Fünf Tage? Mich allein lassen mit den Kindern und den Aktienmärkten, die buckeln wie die Achterbahn in Disneyland?

«Ich kann gar nicht glauben, dass du mich das jetzt fragst, Rich. Wer in aller Welt hat dir das denn in den Kopf gesetzt?»

«Du. Du hast mir das zu Weihnachten geschenkt, Katie. Das war mein Geschenk, erinnerst du dich?»

O Gott, es fällt mir wieder ein. Ein intensives Schuldgefühl im Mantel der Großzügigkeit. Muss lernen, diese Impulse zu unterdrücken. Ich erzähle Richard, dass ich drüber nachdenken werde, lächele und lege es unter schnell vergessen ab.

Im Auto kickt Em die Rückenlehne des Beifahrersitzes in selbstvergessener Wut. Hat keinen Zweck, sie anzumeckern. Sie weiß nicht mal, was sie tut. Manchmal sind die Gefühle einer Fünfjährigen zu groß für ihren Körper.

«Mam-ma, iss hab eine Idee.»

«Und was für eine, Schätzchen?»

«Wie wär das wenn die Wochenennen Wochen wären und die Wochen Wochenennen?»

Während ich darauf warte, dass die Ampel umspringt, spüre ich ein Kratzen in meiner Brust, als ob ein kleiner Vogel versuchen würde zu entkommen.

«Dann tönnten alle Mammis und Pappis bei den Tindern sein.»

«Emily, würdest du bitte vernünftig reden. Du bist kein Baby.»

Im Rückspiegel sehe ich ihr in die Augen und guck weg.

«Mummy, mein Bauch tut weh. Mummy, bringst du mich heute Abend ins Bett? Bringst du mich heute Abend ins Bett?»

«Ja, das versprech ich dir.»

 

ICH WEISS NICHT, was ich mir dabei gedacht habe, als ich mich von Alexandra Law, der Äbtissin unter den Mutter Oberinnen, auf die Liste für die Elternvertretung habe setzen lassen. Nein, das stimmt nicht. Ich weiß genau, was ich gedacht habe, ich habe gedacht, für nur eine Stunde könnte ich doch in einem schlecht beleuchteten, überheizten Klassenzimmer so tun, als wäre ich wie alle anderen Mütter. Wenn die Vorsitzende eine Bemerkung über Roy macht, den abwesenden Hausmeister, dann möchte ich wissend darüber lächeln können. Ich möchte stöhnen, wenn jemand das Sommerfest aufs Tapet bringt – ist es wirklich schon wieder so weit! –, und ich will diese abgestandene Luft der Kameradschaftlichkeit einatmen. Und hinterher, wenn wir über den Computerkurs abgestimmt und Pläne zur Verbesserung der Sportgeräte gemacht haben, will ich mich an einen Plastikbecher mit einer kochend heißen orangen Flüssigkeit klammern, und ich will das Wäffelchen ablehnen und bedeutungsvoll auf meine Hüfte klopfen und dann sagen: Ach, was soll’s, als ob das Annehmen eines Schokoladenkekses das Frivolste wäre, das ich seit langem getan habe.

Aber, mal ganz realistisch, wie soll ich es je schaffen, mittwochs um 18.30 zu einer Elternversammlung zu gehen. Für Alexandra ist 18.30 «nach der Arbeit», aber bei welcher Arbeit lassen sie einen heutzutage vor 18.30 gehen? Unterrichten, natürlich, aber sogar Lehrer haben Berge von Korrekturen. Als ich klein war, hat es Väter gegeben, die rechtzeitig zu Hause waren, um mit der Familie zu Abend zu essen, Väter, die in den Sommermonaten den Rasen mähten, solange es noch hell war, und die Wicken in der Dämmerung begossen. Aber diese Zeit, die Zeit, in der man arbeitete, um zu leben, statt zu leben, um zu arbeiten, scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Ich kenne keinen im Büro, der während der Woche noch mit seinen Kindern isst.

Nein, es war wirklich nicht realistisch, mich für die Elternvertretung eintragen zu lassen – und nach drei Monaten bin ich noch bei keinem einzigen Treffen gewesen. Deshalb versuche ich, Alexandra Law möglichst nicht zu treffen, wenn ich Emily zur Schule bringe. Leichter gesagt als getan. Um Alexandra kommt man schlechter herum als um den NatWest-Turm.

«Oh, Kate, da bist du ja …» Sie schießt quer durch den Raum. Ihr Kleid ist an diesem Morgen so intensiv geblümt, dass es aussieht, als wäre sie in voller Fahrt mit einem Sessel kollidiert. «Wir wollten schon einen Suchtrupp losschicken. Ha-ha-ha! Arbeitest du noch immer voll? Meine Güte. Ich weiß nicht, wie du das schaffst. Ach, Diana, ich sagte gerade, wir wissen nicht, wie sie das schafft, stimmt’s?»

Diana Percival, Mutter von Emilys Klassenkameraden Oliver, streckt eine dünne gebräunte Hand mit einem Saphir von der Größe eines Rosenkohls aus. Ich weiß sofort, zu welcher Sorte sie gehört. Sie ist eine dieser Ehefrauen, überspannt wie ein Langbogen, die einen Vollzeitjob daraus machen, sich für ihren Mann in Form zu halten. Sie treiben Sport, sie lassen sich zweimal die Woche die Haare machen, sie spielen in vollem Make-up Tennis, und wenn das nicht mehr ausreicht, legen sie sich beim Schönheitschirurgen unters Messer. «Diese reichen Mütter, die zu Hause bleiben, joggen um ihr Leben», sagt Debra, und sie hat Recht. Diese Frauen tun’s nicht aus Liebe, sie tun’s aus Angst, aus Angst davor, dass ihnen die Liebe ihres Mannes entgleitet und auf irgendeiner jüngeren Nachbildung von ihnen haften bleibt.

Sie sind im Asset Management tätig, genau wie ich, aber meine Vermögenswerte sind über die ganze Welt verteilt und ihre sind sie selbst – ein wunderschönes Produkt, das mit der Zeit jedoch zwangsläufig einen gewissen Wertverlust hinnehmen muss. Verstehen Sie mich nicht falsch. Wenn die Zeit reif ist, dann werde ich mir vermutlich den Hals bis zu den Ohren ziehen lassen. Genau wie die Dianas dieser Welt werde ich das tun, um jemandem zu gefallen. Mit dem Unterschied, dass ich dieser jemand sein werde. Sosehr ich auch manchmal nicht Kate sein will, auf keinen Fall, auf gar keinen Fall will ich Diana sein.

Ich habe ehrlich gesagt noch nie mit Diana Percival gesprochen, und trotzdem wird mir schon beim bloßen Gedanken an sie eiskalt. Diana ist die Mutter, die Karten schickt. Eine Karte, wenn sie ein Kind zum Spielen nach Hause einlädt, eine Karte, um dem Kind zu danken, dass es zum Spielen gekommen ist. Letzte Woche hat sie sich selbst übertroffen und in Olivers Namen eine Karte geschickt, in der er Emily für eine Einladung zum Abendessen dankt. In was für einer Art Leben ist es möglich, von einer nahezu bedeutungslosen Veranstaltung mit Fischstäbchen und Erbsen Notiz zu nehmen, die noch nicht einmal stattgefunden hat? In Ermangelung von Bürohierarchien haben viele der Mütter in Emilys Schule sinnlose Tests erdacht, deren einziger Zweck es ist, Mütter, die Besseres mit ihrer Zeit anzufangen haben, scheitern zu sehen.

«Vielen Dank für Ihre Dankeskarte, ich freue mich bereits darauf, Ihre Quittung für die Bestätigung meiner Antwort zu erhalten. Herzlichen Dank, und graben Sie sich ein Loch.»

 

Novalis Hotel, Frankfurt, 20.19: Mist. Ich kann Emily heute Abend doch nicht ins Bett bringen. Die Besprechung mit dem deutschen Kunden ist vorverlegt worden, und ich musste die nächste Maschine nehmen. Es lief so, wie es zu erwarten war. Ich hab gedröhnt und gedröhnt, und ich glaube, ich hab noch ein paar Monate für uns rausgeholt. In dieser Zeit schaffen wir es vermutlich, die Erträge des Fonds in die gewünschte Richtung zu lenken.

Im Hotel schenke ich mir einen großen Drink ein und ich bin gerade in der Wanne, als das Telefon klingelt. Himmel, was ist denn jetzt los? Zum ersten Mal in meinem Leben gehe ich an den Anschluss im Bad: ein cremefarbenes Telefon neben dem Handtuchhalter. Es ist Richard. Irgendwas an seiner Stimme ist anders. «Schatz. Ich muss dir leider etwas Trauriges sagen. Robin hat gerade angerufen.»

Working Mum
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