17

Night and Day

Der Sinatra Inn strahlt die verbissene Fröhlichkeit eines verblühenden Showgirls aus. Sitzecken in rotem Samt säumen die Wände, fünfzig Jahre eleganter Abendessen haben glänzenden Satteldruck auf dem Plüsch hinterlassen. Die hintere Wand ist dem Jungen von nebenan gewidmet, der es zu etwas gebracht hat. (Frank war aus Hoboken, gleich die Straße runter.) Da gibt es ein Bild von Sinatra mit Lauren Bacall, Sinatra in verwegener Pose mit dem Rat Pack, Sinatra im Lichtkegel am Klavier stehend, sein dünner Schlips hängt auf Halbmast und sein Hals reckt sich nach einem lange verklungenen Ton. Und Sinatra mit Ava Gardner in den Fünfzigern, er sieht verhungert aus, sie unersättlich. Die beiden kann ich nie zusammen sehen, ohne sie mir im Bett vorzustellen.

Jede Sitzecke hat ihre eigene Minijukebox, in die man einen Quarter stecken und sich einen von Franks Greatest Hits aussuchen kann. So viele Titel, so viele von Ihnen mit dem Wort You darin. Jack und ich setzen uns in eine Ecke unter das Poster von Frank als Maggio in From Here to Eternity. In den Augen des Kellners, ein emsiger, gehetzer Mann, der einen Haufen Kalbfleisch loszuwerden hat, sind wir ein ganz normales Paar, das sich über die Cocktail-Karte amüsiert. (Witchcraft sieht böse aus, deshalb entscheide ich mich für einen Night and Day.) Tatsächlich sind Jack und ich in Schwierigkeiten. Wie zur Erde zurückkehrende Astronauten kämpfen wir darum, den Übergang von der schwerelosen Welt der E-Mails, in der man sagen kann, was man will, und es meint oder auch nicht, in die wirkliche Welt zu finden, in der Worte von Gesten mit Armen, Lippen und Augen geerdet werden und ihre eigene spezifische Schwerkraft entwickeln.

Ich habe Jack noch nie anders als im Anzug gesehen. Der Effekt ist nur geringfügig weniger beunruhigend, als wenn er völlig nackt wäre. Ich lache und trinke und spüre, wie ein nadelfeiner Zweifel in mich dringt. Ich kenne Jack Abelhammer so, wie man eine Romanfigur kennt. Ich brauche seine Existenz, damit die Realität erträglicher wird und nicht komplizierter.

«Und, was darf es sein, Signora?» Jack studiert die Karte.

«Kalb in Marsala mit Mascarpone oder Kalb als unsere vorzügliche Kalbshack? Sie nicht mögen Kalb? Okay, dann wir haben für Sie eine serrr gutte scallopina a la limone

Er steckt eine Münze in die Jukebox und streckt seinen Finger, um «Where or When» zu drücken.

«Nein, das nicht.»

«Aber es ist schön.»

«Ich werde weinen. Als ich hörte, dass Sinatra gestorben ist, habe ich geweint.»

«He, auch ich liebe Frank, aber er war wirklich alt, als er gestorben ist. Warum hast du geweint?»

Ich weiß nicht, wie viel ich diesem so vertrauten Fremden erzählen will. Die Version mit der schillernden Persönlichkeit oder die wahre Geschichte? Mein Dad hatte eine Sammlung von kleinen Sinatra-Schallplatten, die in ihren braunen Papierhüllen in einem Drahtgestell in der Anrichte aufbewahrt wurden. Julie und ich waren als Kinder fasziniert davon. Die braunen Hüllen rochen nach alten Leuten, aber die Platten selbst machten alle so jung. Sie hatten diesen schwarzen Schimmer wie Kakerlaken und ein fabelhaftes lila Label, das in Silbern beschriftet war wie die Einladung zu einem Ball. Zu Familienfesten zog mein Vater immer eine große Sinatra-Show ab. Auf dem Tisch stehend, schmetterte er «Schick-kargo, Schick-kargo, that toddlin’ town». Aber am liebsten mochte er die traurigen Songs. «All the Way» und «Where or When». «Frank ist der Schutzpatron der unerwiderten Liebe», sagte Dad, «was für eine Stimme, Katharine.»

«Kate?»

«Frank konnte meine Eltern glücklich machen», sage ich und vertiefe mich in die Karte. «Sinatra war bei uns zu Hause die Waffenstillstandsmusik. Man konnte sich rauswagen, wenn Dad ‹Come Fly With Me› auflegte. Ich glaube, ich nehme lieber noch einen Cocktail anstelle von Kalb. Was meinst du, wird passieren, wenn man einen ‹Love and Marriage› mit einem ‹Strangers in the Night› mischt?»

Jack packt die Spitze des Messers, mit dem ich spiele, wir halten jeder ein Ende fest. «Nichts wirklich Schreckliches. Vielleicht ein seltsamer Geschmack im Mund. Ich würde sagen, schlimmstenfalls tiefe Reue am Morgen danach. Was ist eine Hüpfburg?»

«Was für eine Hüpfburg?»

«Eine Hüpfburg. Das hast du auf deine Hand geschrieben. Seit der achten Klasse habe ich kein Mädchen mehr auf seine Hand schreiben sehen. Kate, du solltest dir mal überlegen, eins dieser großartigen modernen Dinger anzuschaffen, die man Notizbuch nennt.»

Ich gucke auf das Kugelschreibergekrakel auf meinem Handrücken, eine Denkhilfe für Emilys Geburtstag. So, da ist er, der wunde Punkt: Soll ich ihm sagen, dass ich Mutter bin oder nicht (dies ist die einzige Situation, in der das eine peinliche Enthüllung werden kann).

«Eine Hüpfburg ist … eine Burg, die man aufpumpen kann und auf der man herumhüpft. Für die Geburtstagsfeier meiner Tochter. Ich muss dran denken, eine zu mieten. Also, es ist noch Jahre hin, aber bis ich es schaffe, an so was zu denken, ist es für gewöhnlich zu spät.»

«Du hast ein Kind?» Er wirkt interessiert, nicht entsetzt.

«Zwei. Soweit ich weiß. Ich sehe sie nicht so oft, wie ich gern würde. Emily wird im Juni sechs, sie hält sich für Dornröschen. Ben ist gerade ein Jahr alt, und man kann ihn nicht dazu bringen, einen Moment still zu stehen, er … Na ja, er ist ein Junge.»

Jack nickt ernsthaft: «Ist schon erstaunlich, dass diese Sorte immer noch aufgelegt wird. Streng genommen, hätten wir mit dem Stegosaurier zusammen aussterben sollen. Aber einige von uns wollten bleiben und sehen, wie der Laden aussieht, wenn ihr ihn schmeißt.»

«Es gefällt mir nicht, wenn man sich über mich lustig macht, Mr. Abelhammer.»

«Das ist bestimmt das deutsche Blut in Ihnen, Ms Reddy.»

Später, nach dem Kalb – ein in porösen Käse gewickelter Lappen –, gibt es ein Tiramisu, das schmeckt wie mit Mandeln gesprenkelter Rasierschaum. Das Essen ist so transzendental fürchterlich, dass wir uns jetzt schon über den Witz freuen können, der mal draus werden wird. Und dann tanzen. Viel tanzen. Irgendwie erinnere ich mich auch noch an Singen, aber das kann nicht stimmen. In welchem Zustand muss ich gewesen sein, um in der Öffentlichkeit zu singen?

 

«Still a voice within me keeps repeatin’, You You You.
Night and day you are the one,
Only you beneath the moon and under the sun.
Whether near to me or far, it’s no matter darling where you are
I think of you. Night and day.»

 

2.34: «Wach auf, Mummy, Schlafmütze!»

Setze mich in blinder Panik auf. Bedecke Brüste mit den Händen, stelle dann fest, dass es dunkel ist. Emily? Hier in New Jersey? Es dauert ein paar Sekunden, bis ich den Lichtschalter gefunden habe, und noch ein paar, bis ich mitkriege, dass die Stimme aus dem Wecker kommt, dem Reisewecker, den Emily mir zu Weihnachten geschenkt hat. In London muss es Zeit zum Aufstehen sein. «Komm schon, Mummy, nicht so faul, du kommst zu spät.» An Emilys Stimme hört man, dass sie stolz auf ihre Aufgabe ist. Wenn sie herumkommandiert, klingt sie genauso wie ihre Mutter.

Ich spähe im Zimmer herum und suche nach Spuren von Ehebruch. Mein Kleid hängt auf einem Bügel, die Schuhe liegen unter dem Stuhl, die Unterwäsche ordentlich gefaltet darauf. Jack hat mich zurückgetragen, mich ausgezogen und zu Bett gebracht. Wie ein Kind. Plötzlich denke ich, wie unerträglich es gewesen wäre, wenn er hier gewesen wäre, als Emilys Stimme in die Dunkelheit trompetete und uns unterbrochen hätte bei unserem …

O Gott, mein Kopf. Muss Wasser holen. Im Badezimmer schalte ich das Licht an. Wie ein Bohrer. Schalte das Licht aus. Trinke ein Glas Wasser, dann noch eins. Reicht nicht. Klettere mit offenem Mund in die Dusche und lass das Wasser reinströmen. Auf dem Weg zurück ins Bett sehe ich, was auf der ersten Seite des Hotelbriefpapiers steht. Mache die Schreibtischlampe an:

 

«Some things that happen for the first time,
Seem to be happening again,
… But who knows Where and When?»
Schlaf gut, alles Liebe Jack

 

10.09: Flughafen Newark: Der Flug ist verschoben bis ewig. Ich habe mich in der Club Lounge über eine Sitzreihe ausgestreckt. Der Nebel draußen entspricht der undurchdringlichen Düsternis in meinem Kopf. Ich denke an die letzte Nacht, während ich versuche, nicht an die letzte Nacht zu denken. Untreue auf Reddy-Art: nur Schuldgefühle und kein Sex. Brillant, Kate, einfach brillant.

Du betrinkst dich mit einem Klienten, der dich in dein Hotelzimmer zurückträgt, dir sämtliche Kleider auszieht und sich dann höflich verabschiedet. Da weiß man doch nicht, was man empfinden soll: Empörung wegen der sexuellen Grenzüberschreitung oder Scham, weil sie nicht stattfand. Vielleicht war Abelhammer abgestoßen von der nicht zusammenpassenden Kombi von BH und Slip, oder vielleicht ist er beim Anblick des Reddy-Bauchs geflohen, der nach zwei Schwangerschaften und einem Not-Kaiserschnitt aussieht wie der Reispudding meiner Großmutter. Bewusstlosigkeit in Gegenwart eines potenziellen Liebhabers wirft auch das Problem der Unfähigkeit auf, den Bauchnabel an die Wirbelsäule zu ziehen, wie von persönlicher Trainerin empfohlen.

Bei dem Gedanken an Jack, der mich auszieht, fühle ich mich wie ein Seidenstrumpf, der sanft am Bein hinabgleitet.

«Kate, alles in Ordnung?» Momo ist wieder da, mit schwarzem Kaffee und den englischen Zeitungen.

«Nein. Fühle mich furchtbar. Ist was in den Nachrichten?»

«Die Torys gehen sich gegenseitig an die Kehle. Und die berufstätigen Mütter drehen durch. Da steht, 78 Prozent würden morgen ihren Job aufgeben, wenn sie könnten.»

«Ha! Das kann nicht stimmen. Diejenigen von uns, die wirklich gestresst sind, haben keine Zeit, blödsinnige Fragebogen auszufüllen. Was meinst du dazu, Momo?»

Sie runzelt niedlich ihre Nase: «Tut mir Leid, aber ich werde keine haben. Kinder. Ich weiß wirklich nicht, wie du das schaffst, Kate.»

«Schubladen, das ist der Trick. Sie kommen in eine Schublade, die Arbeit in eine andere, und man muss drauf achten, dass nichts von der einen in die andere kleckert. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Aber du musst Kinder haben. Du bist schön und intelligent, und es gibt da draußen schon genug schielende Dumpfbacken, die sich vermehren.»

Momo schüttelt den Kopf. «Ich mag Kinder, wirklich, aber ich will im Beruf weiterkommen, und du hast mir selbst gesagt, was die City von Müttern hält. Außerdem», fügt sie kühl hinzu, «bin ich zu hoch qualifiziert, um kleine Kinder zu hüten.»

Wie kann man ihr das erklären? So viele Frauen in Momos Alter werfen einen Blick auf solche wie mich, die von ihrem Doppelleben in den Wahnsinn getrieben werden, und beschließen, das Kinderkriegen so lange wie möglich aufzuschieben. Ich habe das bei meinen Freundinnen gesehen. Wenn sie so um die fünfunddreißig sind, geraten sie in Panik, schnappen sich den Falschen – jeder Samenspender ist ihnen mittlerweile recht –, stellen fest, dass sie nicht schwanger werden, und stürzen sich in In-Vitro-Behandlungen, die schmerzhaft und rasend teuer sind. Manchmal klappt es, meistens nicht. Wir glauben, dass wir Mutter Natur überlistet haben, aber die Natur nennt sich nicht umsonst Mutter. Sie hat ihre eigene Art, uns kleinzukriegen. Das Ende der Welt wird nicht mit einem Knall kommen, sondern eine Frau wird durch eine Glasscheibe ihre eingefrorenen Eier anstarren und sich fragen, ob sie je die Zeit haben wird, sie aufzutauen. Ich versuche den Lärm des Flughafens auszublenden und denke daran, was Emily und Ben für mich bedeuten, dann raffe ich zusammen, was mir noch an Stärke bleibt, und schenke sie Momo.

«Kinder sind der Beweis dafür, dass wir hier gewesen sind, Momo. Zu ihnen gehen wir, wenn wir sterben. Sie sind das Beste und das Unmöglichste, was es gibt, aber es gibt nichts anderes. Das musst du mir glauben. Das Leben ist ein Rätsel und sie sind die Lösung. Wenn es eine Antwort gibt, dann können nur sie es sein.»

Momo greift in ihre Tasche und gibt mir ein Taschentuch. Ist es der Gedanke an die Kinder, der mich zum Weinen bringt, oder der Gedanke daran, dass ich letzte Nacht überhaupt nicht an sie gedacht habe?

 

Flug von Newark nach Heathrow, 8.53: Adrenalin bringt einen immer durch den Job, aber auf dem Weg nach Hause löst die Tatsache, dass ich weg gewesen bin, einen Kater aus. Ich fühle mich zu Hause sowohl unentbehrlich – wie sollen sie ohne mich zurechtkommen? – als auch schmerzlich nebensächlich: Sie kommen ohne mich zurecht.

Wenn ich im Ausland bin, sitze ich in meinem Hotelzimmer vor dem Laptop und rufe per Remote Access meine E-Mails auf. Man hört den Wählton aus weiter Ferne, irgendwo am hintersten Ende des Universums. Nach ein paar Sekunden bronchialen Rauschens steppen die bips auf dem Satelliten und kommen angehüpft. Remote Access. Mache ich es mit meinen Kindern nicht genauso? Ich wähle sie an, wenn ich das Bedürfnis dazu habe, aber ansonsten halte ich sie auf Distanz. Immer wenn ich ein paar Tage richtig mit Emily und Ben zusammen war, Tag und Nacht, bin ich überwältigt davon, wie lebendig sie sind. Sie sind nicht das schüchtern lächelnde kleine Mädchen und der Junge auf dem Bild, das ich Momo gerade gezeigt habe. Dem Bild aus meiner Brieftasche. Sie brauchen mich wie Wasser oder Licht, es ist erschütternd einfach. Und das passt in keine dieser Theorien darüber, was Frauen mit ihrem Leben anfangen sollten. Theorien aus Büchern von Frauen, die nie Kinder hatten, oder die Kinder hatten und sie so großgezogen haben wie ich es zumeist tue, per Remote Access.

Kinder verändern einem das Herz: Das steht in keinem Buch. Wie ich hier so sitze in der ersten Reihe der Business Class mit einem großen Gin vor mir, fühle ich dieses absurde Organ in meiner Brust, angeschwollen und schwer wie ein Kürbis.

Momo ist an meiner Seite. Seit den Tränen am Flughafen ist meine Assistentin auf besorgte Art aufmerksam. Diese wehmütige Fremde, die über den Sinn des Lebens redet, hat sie aus der Bahn geworfen. Momo will, dass der Kate-Service so bald wie möglich wieder aufgenommen wird, und ich bin selbst ziemlich erpicht drauf, ihn wieder zu mobilisieren.

«Kate, ich tausche meine Harvard Business Review gegen deine Vanity Fair.» Sie bietet mir eine Beilage mit nüchternem grauen Schriftbild an.

«Sind Bilder von Johnny Depp drin?»

«Nein, aber ein furchtbar interessanter Artikel über das, was man bei einer Kinästhetischen Präsentation zu tun und zu lassen hat. Rate mal, was an erster Stelle steht?»

«Zwei Knöpfe mehr aufzumachen, als eigentlich respektabel ist?»

«Nein, Kate, mal ernsthaft. ‹Stellen Sie sicher, dass Ihre Körpersprache Ihrem Klienten Ihre Absichten signalisiert.›»

«Sag ich doch. Zwei Blusenknöpfe.» (Warum fühle ich mich verpflichtet, dieses wunderbare, ernsthafte Mädchen von ihren Illusionen zu befreien? Vielleicht ist es besser, dass ich zur Stelle bin, bevor Männer sie ihr nehmen.)

Auf der anderen Seite des Ganges versucht eine gehetzte Brünette in einem weiten pinken Pullover ein brüllendes Baby zur Ruhe zu bringen. Sie steht auf und schwenkt das Kleine. Sie setzt sich wieder hin und versucht den zuckenden Kopf des Babys an ihre Schulter zu drücken, schließlich hebt sie ihren Pullover hoch und macht eine Brust frei. Der Schlipsträger auf dem Nachbarsitz wirft einen Blick auf das Milchdrüsenbollwerk und wetzt zur Toilette.

Es gibt ein kaum bekanntes universelles Gesetz des Kindergebrülls: je größer die Verzweiflung und Scham der Mutter, umso lauter das Geräusch. Sogar ohne mich umzusehen, kann ich den Effekt einschätzen, den das stete Heulen auf die Mitreisenden hat. Die Kabine knistert vor Unmut: Männer, die arbeiten wollen, Männer, die sich ausruhen wollen, Frauen, die vielleicht die letzten Stunden der Freiheit auskosten und an nichts erinnert werden wollen, was sie auch zu Hause haben, Frauen, die nicht bei ihren eigenen Kindern sind und von Schuld geplagt werden.

Die Mutter hat einen Gesichtsausdruck, den ich nur zu gut kenne. Zwei Teile manische Entschuldigung («Tut mir wirklich Leid!»), drei Teile Trotz («Wir haben für diesen Platz bezahlt, genau wie ihr anderen, und sie ist doch noch so klein, was erwarten Sie also?»). Das Baby kann nicht älter als drei, vier Monate sein, es hat einen Flaum auf dem Kopf, zart wie eine Pusteblume. Wenn es schreit, kann man den Puls an den Schläfen hüpfen sehen.

«Nein, Laura, nein, Schätzchen, das tut weh», sagt die Mutter vorwurfsvoll, als die Kleine wütend an ihren langen dunklen Haaren zieht. Plötzlich fehlt mir Ben ganz furchtbar. Er macht das auch, wenn er übermüdet ist. Ein Baby, das nicht einschlafen kann, ist genauso frustriert wie ein Alkoholiker, den man aus der Bar aussperrt.

Momo sieht sich das Ganze mit dem entsetzten Unverständnis einer Vierundzwanzigjährigen an. Mit verhaltener Stimme fragt sie mich, warum denn die Frau das Kind nicht beruhigen kann.

«Das Baby will einschlafen, aber der Druck auf seinen Ohren ist wahrscheinlich ziemlich schmerzhaft. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Druck auszugleichen, und das ist, die Kleine zum Trinken zu bringen, aber sie will nicht angelegt werden, denn sie ist zu müde zum Saugen.»

Bei dem Wort saugen schaudert Momo zierlich in ihrem grauen Donna-Karan-Wollkostüm. Sagt, sie findet die Vorstellung zu stillen ausgesprochen abartig.

Ich sage ihr, es sei ganz das Gegenteil von abartig. «Ehrlich gesagt, das ist vielleicht das einzige Mal im Leben, dass der eigene Körper für einen wirklich Sinn macht. Ich saß im Kreißsaal, und Emily nuckelte herum, und die Milch fing an zu fließen, und ich dachte: Ich bin ein Säugetier!»

«Klingt abstoßend», sagt Momo.

«Es war nicht abstoßend, es war beruhigend. Unser ganzes Leben verbringen wir damit zu unterdrücken, was von unseren Instinkten noch übrig ist, und dieser – wie geht dieser Carole-King-Song nochmal? – ‹Oh, you make me fee-eel like a natural woman.›»

Hätte nicht anfangen sollen zu singen. Der pinke Pullover hat’s gehört und denkt, ich mache sarkastische Bemerkungungen über sie, weil sie die Erdmutter-Nummer in aller Öffentlichkeit durchzieht. Ich will es mit einem konspirativen Lächeln wieder gutmachen – Keine Sorge, das habe ich selbst mitgemacht! –, aber ich habe vergessen, dass ich in Uniform bin. Sie hat meinen Aufzug und den Laptop gesehen, hält mich offensichtlich für den kinderlosen Feind und schießt mir einen Mörderblick zu.

Ich muss versuchen, etwas Schlaf zu kriegen, aber die Gedanken zucken durch mein Hirn wie Blitze. Wenn ich an Jack denke, dann fühle ich, was fühle ich? Ich fühle mich idiotisch. Wer ist er denn, und was will er mit mir oder ich mit ihm? Aber in erster Linie bin ich erregt, ich fühle mich belagert. Um mein Herz herum marschieren Truppen auf und rufen mir zu, dass ich mit erhobenen Händen rauskommen soll. Manchmal will ich mich ergeben. Und dann denke ich an meine Kinder, die wie diese Eulenbabys in Bens Bilderbuch darauf warten, dass ihre Mama von der Jagd nach Hause kommt. Ich kenne das verdammte Ding auswendig.

«Die Eulenkinder machten ihre Eulenaugen zu und wünschten sich, Mutter Eule würde kommen. UND DA KAM SIE. Sanft und leise schwebte sie durch die Bäume zu Sebu und Leah und Flo. ‹Mami!›, riefen sie und flatterten und hüpften auf ihrem Ast auf und nieder.

‹Warum seid ihr denn so aufgeregt?›, fragte Mutter Eule. ‹Ihr wisst doch, dass ich wieder zurückkomme.›»

 

«Momo, glaubst du, dass wir noch mehr Gin herkriegen können. Ich scheine immer noch in Funkkontakt mit meinem Gewissen zu stehen.»

Mit dem Atlantik unter uns versuche ich eine Nachricht an Jack zu komponieren, die die Dinge zwischen uns wieder ins Lot bringt.

 

13.05:
Von: Kate Reddy
An: Jack Abelhammer
So ungewohnt es für mich ist, von einem fremden Mann ausgezogen zu werden, während ich betrunken bin …
Nein. Zu flapsig. Löschen. Versuche es mit dem Business-as-usual-Ansatz.

 

13.11:
Von: Kate Reddy
An: Jack Abelhammer
Bezug nehmend auf unsere letzte Besprechung, habe ich erwogen, die Fluktuation des Fonds kurzfristig zu steigern. Sollten Sie weitere Wünsche haben …
Sollten Sie mich brauchen …
Ich bin sehr gern bereit …
Sie wissen, dass ich alles tun würde …
Scheiße.

 

13.22:
Von: Kate Reddy
An: Jack Abelhammer
Jack, ich wollte nur sagen, dass mein Benehmen letzte Nacht ganz und gar nicht meiner Art entspricht, und ich hoffe, dass eine einmalige Entgleisung unsere geschäftliche Beziehung, an der mir sehr liegt, nicht verändern wird. Meine Erinnerung an die Ereignisse ist etwas schemenhaft, aber ich vertraue darauf, dass ich dich nicht in eine allzu peinliche Lage gebracht habe, als du so freundlich warst, mich wieder in meinem Hotelzimmer abzuliefern. Selbstverständlich hoffe ich, dass dies in keiner Weise deine künftigen Beziehungen zu EMF beeinflussen wird, für die du ein hoch geschätzer Klient bleibst.
Hochachtungsvoll, Katharine

 

Und die schicke ich ihm, sobald ich zu Hause bin.

 

Von: Jack Abelhammer
An: Kate Reddy
Wenn man in den Vereinigten Staaten von einer Frau auf den Mund geküsst wird, die einen einlädt, ihr auf eine einsame Insel eigener Wahl zu folgen, dann hat das die Tendenz, «die geschäftliche Beziehung» zu verändern, obwohl das in Großbritannien inzwischen möglicherweise zu den an der Universität gelehrten Standards der Klientenbetreuung gehört.
Das war ein toller Abend im Sinatra Inn. Bitte, schäm dich nicht wegen des Hotelzimmers: Ich hatte die Augen die ganze Zeit fest geschlossen, Ma’am, nur nicht, als du mich darum gebeten hast, deine Linsen rauszunehmen. Das linke Auge ist grüner.
Als ich wieder in meine Wohnung kam, lief Butch Cassidy im Fernsehen. Kate, erinnerst du dich an das Ende, als Sundance und Butch sich verschanzt haben und die mexikanische Armee draußen wartet? Sie wissen, dass es keinen Zweck hat, aber sie fahren alle Geschütze auf und feuern trotzdem los. Und für einen Augenblick habe ich gedacht, wir seien in Schwierigkeiten.
Jack

 

Nicht vergessen

Kinder, Hüpfburg, Häschenformen für Pudding, Ehemann.

 

Unbedingt vergessen

You, you, you. 

Working Mum
titlepage.xhtml
jacket.xhtml
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_000.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_001.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_002.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_003.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_004.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_005.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_006.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_007.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_008.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_009.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_010.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_011.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_012.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_013.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_014.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_015.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_016.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_017.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_018.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_019.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_020.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_021.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_022.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_023.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_024.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_025.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_026.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_027.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_028.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_029.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_030.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_031.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_032.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_033.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_034.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_035.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_036.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_037.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_038.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_039.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_040.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_041.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_042.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_043.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_044.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_045.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_046.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_047.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_048.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_049.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_050.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_051.html
CR!RTHH6BX2DS45KERRMMGX2P1C2DM5_split_052.html