19

Liebe, Lügen, Bluten

Kann man Betrug riechen? Ich bin überzeugt davon, dass Richard es kann. Er ist mir nicht von der Seite gewichen, seit ich aus New Jersey zurück bin, hat sich auf den Badewannenrand gehockt, als ich die Reise von mir abwaschen wollte, und darauf bestanden, mir den Rücken zu waschen. Er machte mir Komplimente über meine Frisur, die sich seit drei Jahren nicht verändert hat. Und er hat mich unablässig angestarrt, als ob er irgendetwas, das er nicht recht greifen konnte, einordnen wollte, und dann schnell weggeschaut, wenn unsere Blicke sich begegneten. Zum ersten Mal gibt es so was wie Schüchternheit zwischen uns. Wir sind höflich zueinander wie Gäste bei einer Dinnerparty – und Ende Juli sind wir sieben Jahre verheiratet.

Während Rich unten abschließt, springe ich ins Bett und täusche tiefen Schlaf vor, um Wiedersehenssex zu vermeiden. Ich liege mit geschlossenen Augen neben ihm, und ein Potpourri aus Schuld, Arbeit, Lust und Einkauf flackert über meine Lider: Brot, Reiswaffeln, Jacks Lächeln, Thunfisch in der Dose, cash level der Fonds checken, Apfelsaft, diese Buchstaben-Kartoffeldinger (Paula fragen), Tabellenkalkulation, das Wort Kuss mit amerikanischem Akzent ausgesprochen, Gurken, Pudding-Hasen, grüner Wackelpudding als Gras.

Im ersten Morgenlicht, als sich die Kinder oben in ihren Betten rühren und Richard und ich schließlich miteinander schlafen, hat das etwas Getriebenes und Besitzergreifendes an sich. Als ob mein Mann aus einem tiefen territorialen Impuls heraus seine Flagge aufziehen und mich zurückfordern muss. Und irgendwie bin ich dankbar dafür, zurückgefordert zu werden. Das ist nicht so unheimlich, wie in fremdes Gebiet vorzudringen mit seltsamen Gebräuchen und unbekannten Symbolen.

Richard liegt immer noch auf mir, als die Kinder kreischend ins Schlafzimmer kommen. Emily sieht, dass ich wieder da bin, und ihre erste Reaktion ist unkomplizierte Freude, die jedoch Sekunden später von einem Schmollmund und eifersüchtigen Blicken kompliziert wird. Ben ist so entzückt, dass er in Tränen ausbricht und sich auf seinen windelgepolsterten Hintern plumpsen lässt. Der kleine Körper verkraftet diese starken Gefühle einfach nicht. Als die beiden ins Bett klettern, setzt sich Emily rittlings auf Richards Brust, und Ben legt sich auf das feuchte Kreuz, das sein Vater auf meinem nackten Körper hinterlassen hat. Unsere Gesichter sind auf gleicher Höhe, und er streckt den Finger aus: «Auken.»

«Augen, ja, fein.»

«Nas-se.»

«Nase, richtig, Ben, kluger Junge. Hast du Wörter gelernt, als Mummy weg war?»

Sein Zeigefinger, schlank wie ein Bleistift, tippt zwischen meine Brüste.

«Und das, junger Mann», sagt Richard, der sich herüberlehnt und die Hand seines Sohnes vorsichtig entfernt, «ist der weibliche Busen, von dem deine Mutter mit einem besonders exquisiten Exemplar aufwarten kann.»

«Mummy sieht aus wie ich, nicht?», will Emily wissen, die an Bord klettert und Ben auf den Bauch runterbugsiert, dessen weiche Kuppel noch immer Spuren ihrer ersten Monate aufweist. «Ich», trillert Ben fröhlich. «Ich, ich, ich», krähen die Kinder, während ihre Mutter unter ihrem eigenen Fleisch und Blut verschwindet.

 

JEDE FRAU MIT Baby hat schon eine Art Ehebruch begangen, glaube ich. Diese neue Liebe ist so verzehrend, dass die alte nur geduldig auf die Krumen warten kann, die der Eindringling in seiner Kuckucksgier nicht verzehrt. Ein zweites Kind bringt die Liebe der Erwachsenen nur noch ärger in Bedrängnis. Es ist ein Wunder, dass Leidenschaft überhaupt überleben kann, und oft genug stirbt sie in diesen Jahren des frühen, frühen Aufstehens.

In den ersten Tagen und Stunden nach meiner Rückkehr von einer Reise schwöre ich mir immer, dass es das letzte Mal war. Die Geschichte, die ich mir immer wieder erzähle, nämlich, dass es nur eine von vielen Entscheidungen ist, berufstätig zu sein, und dass diese Entscheidung keinen Einfluss auf meine Kinder hat, wird dann nämlich als das entlarvt, was sie ist: Wunschdenken. Emily und Ben brauchen mich, und ich bin es, nach der sie verlangen. Oh, sie beten Richard an, natürlich tun sie das, aber er ist ihr Spielkamerad, ihr Gefährte bei Abenteuern, ich bin das Gegenteil. Daddy ist der Ozean, Mummy der Hafen: der sichere Anlegeplatz, an den sie sich schmiegen, der Ort, an dem sie den Mut dafür sammeln, sich jedes Mal weiter und weiter hinauszuwagen. Aber ich weiß, dass ich kein Hafen bin. Manchmal, wenn die Dinge wirklich schlecht laufen, liege ich hier und denke, dass ich ein Schiff in der Nacht bin, und meine Kinder kreischen wie Möwen, wenn ich vorüberfahre.

Dann hole ich meinen Taschenrechner heraus und rechne wieder. Wenn ich aufhöre zu arbeiten, könnten wir das Haus verkaufen, die Hypothek ablösen und den Kredit für die Renovierung, der außer Kontrolle geraten ist, als wir Schwamm feststellen mussten und ein gefährliches Absacken des Hauses. («Sie brauchen Stützen, meine Liebe», sagte der Bauarbeiter. Wie Recht er hatte.) Aus London wegziehen, ein Haus mit einem anständigen Garten kaufen, hoffen, dass Rich mehr Aufträge kriegt, schauen, ob ich nicht Teilzeit arbeiten kann. Keine Auslandsreisen in den Ferien, Sparpackungen von allem, die Sucht nach Schuhen kurieren.

Manchmal rührt es mich beinahe zu Tränen, wenn ich mir vorstelle, was für eine erfindungsreiche, verantwortungsbewusste Hausfrau ich sein könnte und würde. Aber die Vorstellung, nach all diesen Jahren kein Einkommen mehr zu haben, macht mir solche Angst. Ich brauche mein eigenes Geld, so wie ich meine Lungen brauche. («Was deiner armen Mutter immer gefehlt hat, war das Geld, um weglaufen zu können», sagte Tante Phyllis und tupfte mir das Gesicht mit dem Taschentuch ab.) Und wie ginge es mir, den ganzen Tag allein mit zwei Kindern? Die Bedürfnisse von Kindern sind nie gestillt. Man kann seine ganze Liebe und Geduld in sie hineinschütten, und wann sagt man stopp? Nie. Man könnte nicht stopp sagen. Und wenn man so selbstlos dient, muss man irgendwas in sich unterdrücken. Ich bewundere die Frauen, die das können, aber ich gerate beim bloßen Gedanken daran in Panik. Ich könnte das nie vor anderen eingestehen, aber ich glaube, die Arbeit aufzugeben, ist, wie verschollen zu sein. Eine von den zu Hause Verschollenen. Die britischen Postämter müssten voller Fahndungsposter hängen, auf denen Frauen gesucht werden, die sich in ihren Kindern verloren haben und nie wieder gesehen wurden. Als meine beiden also auf dem Körper herumspringen, dem sie entsprungen sind und Ich rufen, wiederholt eine Stimme tief in mir: Ich, Ich, Ich.

 

7.42: Aus dem Haus zu kommen ist die Hölle. Emily gibt zu Kenntnis, dass alle drei Outfits, die ich ihr angeboten habe, unakzeptabel sind. Offenbar ist Gelb ihre neue Lieblingsfarbe.

«Aber all deine Sachen sind rosa.»

«Rosa ist doof.»

«Komm schon, Liebling, lass mich deinen Rock hochziehen. So ein hübscher Rock.»

Sie schlägt nach mir. «Ich will kein Rosa. Ich hasse Rosa.»

«Nicht in diesem Ton, Emily Shattock. Ich dachte, du wirst an deinem nächsten Geburtstag sechs und nicht zwei.»

«Mummy, so was sagt man aber nicht.»

Was soll man mit einem Kind machen, das innerhalb von zwanzig Sekunden die Rolle von John McEnroe mit der von Dame Mary Warnock vertauscht? Auf dem Weg nach draußen rufe ich zu einem unsichtbaren Rich hoch, ob er nicht einen Mann bestellen kann, der sich die Geschirrspülmaschine mal ansieht. Ich drücke Paula einen Einkaufszettel plus mein gesamtes Bargeld in die Hand und achte darauf, viermal bitte zu sagen. Dann, gerade als ich bis zur Tür gekommen bin, löst sich Emily am Fuß der Treppe in Tränen auf. Von diesem Ende des Flurs her kommt sie mir nicht mehr so sehr wie eine geflügelte Furie vor, sondern eher wie ein sehr trauriges kleines Mädchen. Spüre, wie meine Wut sich zu Reue wandelt. Gehe zurück und nehme sie in den Arm, ziehe zuvor die Jacke aus, um Rotzspuren zu vermeiden.

«Mummy, warst du im Eiersteak Building?»

«Was?»

«Ich will mit dir aufs Eiersteak Building. Das ist bei Amerika.»

«Ach so, das Empire State Building. Ja, Schatz, eines Tages fahr ich mit dir hin, wenn du größer bist.»

«Wenn ich sieben bin?»

«Ja, wenn du sieben bist.» Und ihr Gesicht klart so schnell auf wie der Himmel nach einem Gewitter.

 

Von: Jack Abelhammer
An: Kate Reddy
Großes Pow-wow der Consultants hier im Mai. Stop.
Bitte dringend um Anwesenheit von verblüffender britischer Fondmngrn. Stop.
Schaffst du ein Dutzend Austern? Ich nicht. Stop.

 

14.30: In King’s Cross steige ich auf dem Weg zu einer Konferenz in den Zug nach York. Gestatte mir nur zweimal pro Stunde an Jack zu denken, ein Akt unglaublicher Selbstdisziplin. Das Vorhaben wird dadurch zunichte gemacht, dass ich meine Quote bereits ausgeschöpft habe, ehe wir aus dem Bahnhof rausgefahren sind. Wenn ich daran denke, wie ich ihn geküsst habe und wie er mich im Sinatra Inn wieder geküsst hat, zerschmilzt mein Inneres. Ich fühle mich voll von Gold.

Der Zug erschaudert und ächzt von der Stelle, und ich breite meine Sachen auf dem Tisch aus: Endlich einmal habe ich die Gelegenheit, mich hinzusetzen und in Ruhe die Zeitung zu lesen. Schlagzeile auf Seite 2: Warum ein zweites Baby Ihre Karriere vernichten kann. Das lese ich ganz bestimmt nicht. Ich schwöre es bei Gott, seit Emilys Geburt ist jeden Monat irgendeine Untersuchung veröffentlicht worden, die belegt, dass mein Kind meine Aufstiegschancen ruiniert oder, noch schmerzhafter, dass meine Arbeit die Chancen meines Kindes ruiniert. Wohin man auch guckt, man steht als Verdammte da.

Ich blättere auf die Frauenseite und fange an, etwas auszufüllen, das sich Stress-Quiz nennt.

 

Haben Sie festgestellt, dass sie unter Folgendem leiden:
a) Schlaflosigkeit
b) Reizbarkeit

 

Scheiße, was ist jetzt schon wieder. Verdammtes Handy. Es ist Rod Task aus dem Büro.

«Katie, wie ich höre, ist das Final mit Muh Muh großartig gelaufen.»

«Momo.»

«Richtig. Finde, ihr Mädchen solltet euch zusammentun, zieht doch noch ein paar ethische Fonds mehr an Land.»

Rod sagt, er brauche Zugang zur Salinger-Akte. Aber er kommt nicht in meinen Computer. Will das Passwort.

«Ben Pampers.»

«Pampas? Wusste ja gar nicht, dass du eine Schwäche für die Argies hast, Katie.»

«Was?»

«Pampas. Südamerikanische Steppe, stimmt’s?»

«Nein. P.A.M.P.E.R.S, das ist … äh, Kosmetik.»

 

Wann haben Sie das letzte Mal die Zeit gefunden, ein Buch zu lesen?
a) während der letzten vier Wochen
b) nicht mehr, seit …

 

Wieder das Handy. Meine Mutter. «Hast du gerade viel zu tun, Kath?»

«Nein, passt gut, Mum.»

Ich lehne mich zurück an die Kopfstütze und bereite mich auf ein längeres Gespräch vor. Ich kann meiner Mutter schlecht erklären, dass «viel zu tun» nicht mehr das bedeutet, was es zu ihrer Zeit bedeutet hat. Es bedeutet nicht mehr den geschäftigen Morgen mit der Waschmaschine und einem Sandwich als Lunch, bevor man die Kinder von der Schule abholt. «Viel zu tun» hat ganz andere Dimensionen erreicht seit meiner Kindheit.

Meine Mutter glaubt, dass etwas Schlimmes passiert ist, wenn ich sie nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden zurückrufe. Es ist schwer zu erklären, dass ich nur dann eine Chance habe zurückzurufen, wenn gerade nichts Schlimmes passiert ist. Stürmisch ist bei mir aber die überwiegende Wetterlage, mit überraschenden Schauern von Ruhe.

Mum sagt, dass sie nur mal hören wollte, wie Emily in der Schule zurechtkommt, seit ihre Freundin Ella weggezogen ist.

Eiskalt erwischt. Ich hatte keine Ahnung, dass Ella weg ist. Habe mich nicht mehr um die Schule gekümmert, seit ich mit den Vorbereitungen für das Final angefangen habe. «Ach, bestens. Wirklich, sie hat es ganz gut verwunden. Und sie macht im Ballett ihre Sache ganz phantastisch.» Einfahrt in einen Tunnel. Die Verbindung wird unterbrochen.

Ein härter werdender Knoten in meinem Magen macht es mir schwer, mich auf das Stress-Quiz zu konzentrieren. Wann habe ich angefangen, meine Mutter anzulügen? Ich meine damit nicht die obligatorischen Mutter-Tochter-Schwindeleien wie «Spätestens um elf, habe ich nie genommen, drei Cola, aber alle tragen das, er hat auf dem Fußboden geschlafen, ja, ein Freund von Deb, nein, nicht überzogen, im Ausverkauf, ja, ein absolutes Schnäppchen, ganz toll, könnte nicht besser sein.»

Nein, nicht diese Art Lügen, die einfach nur dem gegenseitigen Schutz dienen. Wenn man klein ist, schützt einen die Mutter vor der Welt, weil sie glaubt, dass man zu klein ist, sie zu verstehen, und wenn sie alt ist, dann schützt man sie, weil sie zu alt ist zu verstehen – oder zu alt, um noch mehr Verstehen aufgedrängt zu bekommen. Die Kurve des Lebens verläuft so: will wissen, weiß, will nicht wissen.

Was ich meine, sind meine Lügen als Mutter. Ich erzähle ihr, Emily sei gut damit zurechtgekommen, dass ihre beste Freundin weggezogen ist, obwohl ich das nicht mal mitbekommen habe. Wenn Mum denken würde, dass ich bei der Arbeit versage, wäre mir das lieber, als wenn sie denken würde, dass ich für meine Kinder eine Fremde bin. Sie glaubt, dass ich alles habe, und sie freut sich so für mich. Ich kann es ihr nicht sagen, oder? Das wäre genauso wie herauszufinden, dass Aschenputtel nach ihrem Einzug in den Palast vom Prinzen wieder zum Küchendienst geschickt worden ist.

 

Klosterhotel, York, 7.47: Ich rufe meine Mutter an. Sie klingt kurzatmig. Nach vorsichtigem Nachbohren meinerseits gibt sie zu, dass sie sich in letzter Zeit ein wenig angeschlagen fühlt. Aus dem Muttercode übertragen heißt das, dass sich all ihre Glieder taub anfühlen und sämtliche lebenswichtigen Organe im Begriff sind, ihre Funktion einzustellen. O Gott.

Ich halt mich nicht damit auf, den Hörer aufzulegen, bevor ich die Nummer meiner Schwester Julie eintippe, die gleich um die Ecke von Mum wohnt. Steven, Julies Jüngster, nimmt ab. Er hat zu berichten, dass seine Mum fernsieht, aber er will sie holen.

Julies Ton überrascht mich immer noch: Das entzückende Lispeln meiner kleinen Schwester ist in den letzten Jahren durch ein angespanntes Grummeln ersetzt worden. Wann wir auch miteinander reden, scheint sie auf einen Streit aus zu sein. Die Ursache ist eine Untat, die zu schmerzhaft ist, um beim Namen genannt zu werden.

Ich bin weggekommen und Julie nicht. Julie wurde schwanger, hat mit einundzwanzig geheiratet, und als sie achtundzwanzig war, hatte sie drei Kinder – ich nicht. Julies Mann ist Elektriker und meiner Architekt. Julie wohnt eine Meile von meiner Mutter entfernt und versucht jeden zweiten Tag reinzuschauen – ich nicht. Julie, die flinke Finger hat, verdient ein bisschen was dazu, indem sie winzige Gardinen und Möbel für eine Puppenhausfirma aus der Gegend anfertigt, und ich mit meinem flinken Kopf investiere wahrscheinlich das Geld meiner Klienten indirekt in fernöstliche Sweatshops, die Julies Arbeitgeber vom Markt drängen. Julie ist einmal im Ausland gewesen – Rimini, Pech gehabt mit dem Wetter –, wohingegen es für mich nicht ungewöhnlich ist, dass ich zweimal in einer einzigen Woche außer Landes bin. Und an alledem ist keiner schuld, aber meine Schwester und ich leben jetzt in einer Atmosphäre von Schuld und Vorwürfen.

Ich frage Julie, ob sie nicht meint, dass Mum zum Arzt gehen sollte. Ihr Seufzen weht über die Pennines und knickt die Bäume, die es streift. «Auf mich hört Mum nicht», sagt sie. «Wenn du dir solche Sorgen machst, warum kommst du dann nicht her und sagst es ihr selber?»

Ich erkläre ihr, wie mein Zeitplan aussieht, als Julie mich unterbricht: «Na egal, es ist nichts Körperliches. Sie hatte einigen Ärger mit Männern, die zu ihr in die Wohnung gekommen sind. Sie wollten Geld, das Dad ihnen schuldet.»

«Warum hast du mir das nicht erzählt?»

Aus dem Wohnzimmer meiner Schwester dringt die wehmütige Titelmelodie von Coronation Street herüber. Als Kinder haben Julie und ich diese Serie geliebt. Ich habe sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.

«Ich habe ein paar Nachrichten auf diesem Anrufbeantworter von dir hinterlassen, Kath», sagt meine Schwester, «aber du bist ja nie da.»

 

8.16: Die Konferenz ist für Dot.com-Unternehmen oder das, was noch von ihnen übrig ist. Die Typen, die die City davon überzeugt haben, dass sie die Zukunft verkörpern, haben sich als Jahrmarktsartisten entpuppt. Es ist unglaublich, wie viel Risikokapital Firmen hinterhergeworfen worden ist, die Designer-Klamotten per Internet verkaufen wollten. Und dann? Die Leute gehen lieber in Läden und probieren Sachen an. (Die weiblichen Fondsmanager haben sich längst nicht so die Finger verbrannt, als es zum GAU kam. Wir können das Verhältnis von Risiko und Gewinn besser einschätzen und stecken viel weniger in nicht erprobte Märkte als unsere männlichen Kollegen. Man sagt, wir hätten Glück gehabt, da stimme ich nicht zu. Ich glaube, es ist angeboren: Wir haben gern Vorräte im Schrank, auf die wir verlässlich zurückgreifen können, damit wir die kleinen Mäuler stopfen können, wenn der Säbelzahntiger den Höhleneingang versperrt.)

Bevor ich zum Abendessen hinuntergehe, packe ich meinen Koffer aus und finde einen großen Umschlag, auf dem in Richards Handschrift steht «Erst Sonntag öffnen». Ich mache ihn auf. Karten für mich zum Muttertag. Auf einer ist Bens Handabdruck in roter Farbe. Ich lächele unter Schmerzen, als ich mir vorstelle, welche Schweinerei die Herstellung verursacht haben muss. Auf Emilys Karte ist eine Zeichnung von mir. Ich trage eine Krone auf dem Kopf und eine grüne Katze im Arm und bin so groß, dass ich meinen nahe gelegenen Palast überrage. Sie hat reingeschrieben: Ich libe maine Mummy. Libe is was schöhnes und erfroit main Hertz.»

Ich kann es nicht fassen. Ich habe den Muttertag vergessen. Das wird Mum mir nie verzeihen. Rufe die Rezeption an. «Können Sie mir die Nummer von Fleurop geben?»

 

Von: Jack Abelhammer
An: Kate Reddy
Kommst du nach NYC? Oder soll ich. Stop.
Denke an dich. Stop.

 

Von: Kate Reddy
An: Jack Abelhammer
Tu’s nicht. Stop.

 

Nicht vergessen

Geschirrspülmaschine reparieren lassen. Fund transitions vorbereiten, keine Schlampereien! Jill Cooper-Clark anrufen. Bewerbungsformular für Kindergarten für Ben? Emilys Schulen, Entscheidung JETZT! Scheck fürs Ballett. Rich erinnern, Bargeld für Babysitter zu holen. GELD FÜR JUANITA! Computer-Passwort ändern. Paulas Geburtstag – BMW? Karten fürs George-Michael-Konzert? Kosmetikbehandlung, Aromatherapiekissen. Dad anrufen und wegen Schulden angehen. Zeit für Besuch bei Mum finden. Sinatra-CD kaufen. Ginseng für besseres Erinnerungsvermögen oder Ginkgodingens?

Working Mum
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