14

Die kleinen Ferien

«Kate, ich streite mich nicht mit dir über Gummistiefel.»

«Aber ich streite mich mit dir über Gummistiefel. Emily ist klitschnass. Guck dir doch bloß mal ihre Hosen an. Immer muss ich an alles denken. An jede Kleinigkeit. Und ich schwöre bei Gott, dass in meinem Hirn kein Platz mehr ist für weitere Informationen, Richard. Ich habe dran gedacht, dich darum zu bitten, nachzusehen, ob die Gummistiefel im Auto sind.»

«Tut mir Leid, dass ich es vergessen habe. Ist doch nicht so schlimm.»

«Nein, dir tut es nicht Leid. Wenn es dir Leid täte, dann hättest du dran gedacht.»

Wie viel Platz mag im Gehirn fürs Erinnern reserviert sein? Irgendwo habe ich gelesen, dass unser Langzeitgedächtnis nicht viel anders funktioniert als ein riesiges Lagerhaus, in dem all die Leute und Orte und Witze und Lieder eingelagert werden wie Wein. Aber wenn man eine Erinnerung nicht oft genug besucht, dann gerät der Weg zu ihr in Vergessenheit und wird von Gestrüpp überwuchert. Wie das Schloss von Dornröschen. Geht es deshalb in allen Märchen darum, den Weg zurück zu finden?

Wie dem auch sei, seit ich die Kinder gekriegt habe, ist mein Erinnerungsvermögen nicht mehr das, was es mal war, aber ich muss trotzdem versuchen, an alles zu denken. Einer muss es ja tun. Wie war nochmal dieses schreckliche Wort? Multitasking. Frauen sollen darin ganz groß sein. Rich nicht. Wenn man von Rich verlangt, mehr als drei Sachen auf einmal im Kopf zu behalten, kann man den Rauch aus seinen Ohren kommen sehen. Im Radio hörte ich Frauen behaupten, dass Männer ihre Nutzlosigkeit nur hochspielen, damit sie um ihre Pflichten herumkommen, Sachen zu machen. Unglücklicherweise ist durch extensive wissenschaftliche Versuche im Hause Shattock erwiesen worden, dass die Unfähigkeit, an die chemische Reinigung und die Geschirrspültabs und einen Film für den Fotoapparat zu denken, ein angeborener Defekt ist, so etwas wie Farbenblindheit oder ein Herzfehler. Es ist keine Faulheit, es ist Biologie.

Auf der endlosen Fahrt nach Wales am Samstag habe ich Richard beobachtet. Mir ist aufgefallen, wie er die Kinder ausblenden kann, wenn es nötig ist, wenn er eine bestimmte Richtung im Kopf hat. Für einen Mann ist das Leben eine Straße, für Frauen ist es eine Landkarte – wir denken immer an die Abzweigungen und die Umgehungsstraßen und daran, umzukehren, während sie einfach nur die Überholspur entlangpflügen. Gelegentlich haben sie mal die brillante Idee, eine Abkürzung zu nehmen, aber meistens ist die dann länger und tückischer als der eigentliche Weg.

Können Männer deshalb so viel besser im Augenblick leben als wir? Die Vorwelt ist voll von Männern, die den Kelch des Tages zur Neige geleert haben, während ihre Frauen die nächsten vierzehn Tage planten.

Dieser Tage geht es beim Streit zwischen Richard und mir so oft ums Erinnern und Vergessen. Wie da am Strand in Pembrokeshire am ersten Nachmittag unserer Ferien, als sich herausstellte, dass Richard die Gummistiefel nicht eingepackt hatte. Ich weiß nicht, warum ich so ausrastete. Ja, die Füße der Kinder waren nass, aber sie haben so viel Spaß gehabt.

 

IN DREI LAGEN Kleidung eingepackt, spielen Ben und Emily zufrieden an dem milchschokoladenfarbenen Kanal, der am Strand von Whitesands Bay aus den Hügeln kommt und über Steine hinunter ins Meer schäumt. Sie hat eine Burg gebaut, mit Wassergärten und einem Springbrunnen, während er einen Stein aufhebt, ihn zum Wasser bringt und hineinfallen lässt, ehe er zurückgeht und den nächsten holt. Sie sind so glücklich und so bei der Sache, wie ich sie noch nie gesehen habe. Aber das Wetter ist schlechter geworden. Natürlich ist das Wetter schlechter geworden. Wir machen Ferien in Wales, warum habe ich daran nicht gedacht? Das nasse Wales. Vorhin ist die Sonne mal durchgekommen, gerade lange genug, um die Sommersprossen auf Emiliys Gesicht sprießen zu sehen, aber jetzt ist der Himmel schwarz vor Regenwolken. Wir beschließen, es gut sein zu lassen und die Kinder in das Cottage zurückzubringen, das ich ein paar Meilen landeinwärts gemietet habe. Sie aus dem Wasser ins Auto zu kriegen dauert ungefähr fünfzig Minuten: Bitten weichen Drohungen, und als das nichts nützt, greifen wir auf Bestechung zurück.

Ich verspreche Emily, dass ich es endlich schaffen werde, ihr Little Miss Busy vorzulesen. Und deshalb setze ich mich, nachdem ich den Kindern die nassen Sachen ausgezogen, ihnen ihr Abendbrot gegeben, sie in dem winzigen, eiskalten Badezimmer gewaschen und Ben dazu überredet habe, sich in sein Reisebett zu legen, mit meiner Tochter ans Kaminfeuer – zwei widerwillig qualmende Scheite.

«Die kleine Miss Busy mochte nichts lieber als arbeiten und fleißig sein. Sie musste immer etwas zu tun haben. Jeden Tag stand sie morgens um drei Uhr auf. Dann las die kleine Miss Busy ein Kapitel aus ihrem Lieblingsbuch. Das hieß: ‹Arbeit macht Spaß›.»

«Können wir nicht was Lustigeres lesen, Em?»

«Nein, ich will das.»

«Oh, na gut. Wo waren wir? ‹Miss Busy war nur richtig glücklich, wenn sie fleißig arbeiten konnte.›»

«Mummy, du bist zu Bens Geburtstagsfeier gekommen.»

«Ja, stimmt.» Ich kann sie nachdenken sehen. Die Gedanken von Fünfjährigen sind völlig nackt; sie haben noch nicht gelernt, sie zu verschleiern. Dieser macht Emily Wellen auf die Stirn wie der Wind auf der Düne.

«Hat der Lehrer gesagt, dass du früher gehen darfst?», fragt sie schließlich.

«Nein, meine Süße, ich habe keinen Lehrer. Ich habe einen Chef, das ist der Mann, der alles bestimmt. Und den muss ich fragen, ob ich gehen kann.»

«Kannst du den Mann nicht mal fragen, ob du auch an anderen Tagen früher nach Hause kannst?»

«Nein. Na ja, doch, aber das darf ich nicht zu oft machen.»

«Warum?»

«Weil ich im Büro sein muss … sonst sind die Leute böse mit mir. Lass uns die Geschichte zu Ende lesen, Em. ‹Die kleine Miss Busy …›»

«Könntest du nicht donnerstags früher kommen und mich zum Ballett bringen? Bitte, Mama?»

«Paula bringt dich zum Ballett, Schatz, und sie sagt, du machst das richtig gut. Und ich verspreche dir, ich versuche, diesmal zu deiner Vorführung am Ende des Schuljahres zu kommen.»

«Aber das ist unfair. Ellas Mama bringt Ella zum Ballett.»

«Emily, ich habe wirklich keine Zeit, mich jetzt mit dir zu streiten. Wir lesen jetzt die Geschichte zu Ende, okay?

‹Und die kleine Miss Busy gönnte sich den ganzen Tag lang keine Ruhe, nicht mal für eine Minute, nicht mal für eine Sekunde.›»

 

Als die beiden oben eingeschlafen waren, warf Richard mir vor, dass ich nicht entspannt sei, und ich regte mich furchtbar darüber auf. Ich hatte doch im Auto drei volle Stunden Lionel Bart’s Oliver gegeben – oder etwa nicht?

Und nach Oliver haben wir zwanzig Strophen von «Die Räder vom Bus» gesungen, und das habe ich absolut fröhlich getan, obwohl dieses Lied mich zum Wahnsinn treibt. Dann, als Ben sich vor Swansea im Auto übergeben hatte, habe ich ihn auf der Tankstelle im Waschbecken gewaschen, ihn irgendwie mit dem einzigen vorhandenen Papierhandtuch abgetrocknet und ihm die Windeln gewechselt, bevor ich die Grundnahrungsmittel fürs Cottage gekauft habe, Teebeutel, Milch, Toastbrot. Ich habe meine Rolle als Mutter im Urlaub doch überzeugend gespielt, oder etwa nicht?

Aber Rich hatte Recht. Die Gedanken an das bevorstehende Final, das Rod mir angehängt hatte, hielten mich nachts wach. Ich hatte Momo während meiner Abwesenheit die Recherche auf dem ethisch pharmazeutischen Sektor übertragen, aber sie hatte einfach nicht die Erfahrung, um sich in so kurzer Zeit durch das Material zu wühlen. Zweimal täglich rief ich sie von einer Telefonzelle in einem von hohen Hecken gesäumten Feldweg aus an oder vom knirschenden Kiesstrand, an dem der Empfang meines Handys kam und ging wie die Gezeiten. Natürlich hatte ich Momo gesagt, auf welche Warnsignale sie achten sollte, wie man Bewertungskriterien miteinander verglich, aber das war so, als verlangte man von einem Skateboardfahrer, an eine Raumstation anzudocken. Ich hatte Guy auch ausdrücklich angewiesen, ihr zu helfen, aber sobald ich weg war, beschäftigte er sich mit anderen Dingen, damit, seinen knochigen, machiavellistischen Arsch für meinen Stuhl maßnehmen zu lassen. Auf gar keinen Fall würde Guy irgendwas machen, das ein gutes Licht auf mich werfen könnte.

Dazu kam, dass der Telefonanschluss im Cottage praktisch per Dampfantrieb funktionierte und ich nicht an meine E-Mails herankam. Dass ich vier Tage lang keinen Kontakt zu Abelhammer hatte, machte mir deutlich, wie sehr ich von ihm als Sicherheitsventil abhängig war. Ohne seine beruhigenden Aufmerksamkeiten stand ich kurz vor der Explosion.

 

DONNERSTAG, ein Parkplatz, St. David’s Cathedral

15.47: Ich hole Bens Buggy aus dem Kofferraum, als es anfängt zu gießen, ein absurder Regen, ein absolut unsinniger Regen. Versuche das Baby in die Gurte zu ringen, und während ich immer ungeduldiger werde, macht er sich immer steifer. Ich fühle mich wie ein Anstaltswärter, der einem Verrückten die Zwangsjacke anzieht. Richard hat das Regenverdeck geholt und gibt es mir, es ist eine tückische Kombination aus Frischhaltefolie und Klettergerüst.

Stülpe den großen Ring kühn über Bens Kopf und versuche die Schnallen festzumachen, aber ich kann sie nicht um die Griffe kriegen, deshalb mache ich sie am Stoff fest. Scheint zu funktionieren, aber ich habe noch zwei elastische Schlingen übrig. Wozu sind die, verdammt nochmal? Breite den Rest des Regenschutzes über Bens Füße, aber der Regen fährt unter ihn und weht ihn mir ins Gesicht. Scheiße. Nochmal das Ganze.

«Mach schon, Kate», sagt Richard, «wir weichen hier auf. Du weißt doch sicher, wie man diese Regenhaube aufspannt.»

Das weiß ich ganz sicher nicht. Woher auch. Mein einziger bisheriger Kontakt mit dem verfluchten Ding fand vor dreizehn Monaten bei John Lewis statt. Und als die Verkäuferin versuchte, mir die Regenhaube vorzuführen, blaffte ich sie nur an: «Ich nehme das so mit, danke.» (Kann wohl kaum Paula in Marokko anrufen und fragen, wie das Zubehör des eigenen Kindes zu benutzen ist.)

Ben brüllt jetzt. Auf seinen Lippen vereinen sich Regentropfen mit Rotz zu einem Wasserfall des Elends. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass bei aller Art Kinderzubehör mit dem Versprechen geworben wird, es wäre kinderleicht zusammenzubauen? Das ist die Abkürzung der Industrie für: Wenn Sie kein NASA-Training absolviert haben, brauchen Sie es gar nicht erst zu versuchen.

«Himmel, Kate», faucht Richard, der alles erträgt, nur keine Blamagen in der Öffentlichkeit.

«Ich versuch’s ja. Ich versuch’s. Emily, geh nicht so dicht an die Autos. EMILY, KOMM SOFORT HIERHER!»

Ein Bus hat neben uns gehalten und spuckt eine Reisegesellschaft von Mittsiebzigern aus. Damen mit frisch gebackenen Dauerwellen in kurzen, gesteppten Mänteln, in denen ihre stämmigen Gestalten wirken wie gut isolierte Boiler. Wie ein Mann tauchen sie in ihre Handtaschen ab und holen diese rutschigen Päckchen heraus, die sich im Handumdrehen zu durchsichtigen Südwestern verwandeln. Und da stehen sie und beobachten gesellig zwitschernd meinen Kampf.

«Oooch, armes Häschen», sagt eine und zeigt auf meinen brüllenden Sohn. «Wirst wohl nass, was? Nicht so schlimm. Gleich macht Mami alles wieder gut.»

Meine Finger sind starr vor Kälte. Ich kann die blöde Klammer nicht halten und schon gar nicht aufkriegen. Unter dem falschen Stück Plastik sitzt ein wütender Ben mit einer Gesichtsfarbe wie rote Bete. Ich wende mich an die Frauen. «Neue Karre», sage ich laut. Und sie nicken alle und lächeln und sind ganz versessen darauf, zu Komplizinnen gegen die hoffnungslosen von Männern gemachten Apparate zu werden.

«Die machen die Sachen jetzt immer so steif, finden Sie nicht auch?», sagt eine Frau in karierten Hosen, die mir die Regenhaube abnimmt, sie geschickt über den Buggy wirft und mit geübtem Griff festklammert. «Meine Tochter hat auch so einen», sagt sie und legt mir kurz die Hand auf die Schulter. «Sie ist jetzt Ärztin in Bridgend. Zwei kleine Jungs. Ist eine Menge Arbeit. Aber Sie haben auch nie Ferien, was?»

Ich schüttele den Kopf und versuche zu lächeln, aber meine Lippen sind steif vor Kälte. Die Hände der Frau sind rot und knochig. Die Hände einer Mutter – einer, die dreimal am Tag den Abwasch gemacht hat, das Gemüse geputzt und die Mullwindeln im schäumenden Kessel gekocht hat. Hände wie diese werden in einer Generation ausgestorben sein, wie der Hüfthalter und der Sonntagsbraten.

Sich gegen den Regen stemmend, schiebt Richard den Buggy die kleine Straße entlang zur Kathedrale. Emily ist so triefnass, dass sie den Übergang vom Kind zum Wassergeist schon vollzogen hat.

«Mummy?»

«Was ist denn, Emily?»

«Das Jesuskind hat aber eine Menge Häuser, was? Kommt er hierher, wenn er Ferien hat?»

«Weiß ich nicht, Süße. Frag Daddy.»

 

KATHEDRALEN SIND GEBAUT worden, um Ehrfurcht zu erwecken. Heilige Festungen, die immer so aussehen, als seien sie direkt vom Himmel auf einen Hügel herabgesenkt worden. St. David’s ist anders. Sie liegt am Rand einer kleinen walisischen Stadt – die nur dem Namen nach eine Stadt ist – und versteckt ihre Schönheit in einem Tal, das so perfekt ist, dass es mir vorkommt wie ein alter Kupferstich. Vieh grast fast bis an ihre Mauern.

Ich liebe diesen Ort. Die Kälte aus alten Zeiten, die einem die Lungen füllt, wenn man die Tür aufstößt – der gefangene Atem von Heiligen, denke ich immer. Ich muss sieben oder acht gewesen sein, als ich das erste Mal herkam, mit Zuckerwatte von Tenby auf den Lippen. Ich kann die spinnwebartige Süße noch immer spüren. Seither habe ich großartigere Kathedralen gesehen, Notre-Dame, Sevilla, St. Paul’s. Aber die Größe von dieser liegt darin, dass sie klein ist: kaum größer als eine Scheune. Man wäre nicht erstaunt, einen Ochsen und einen Esel am Taufbecken vorzufinden.

St. David’s ist einer der wenigen Orte, die mich zum Innehalten zwingen. Und hier im Kirchenschiff wird mir klar, dass Innehalten für mich in diesen Tagen etwas Ungewohntes, ja Unbehagliches hat. Die Kathedrale ist zeitlos, und mein Leben … besteht aus nichts als Zeit. Rich hat Emily und Ben mitgenommen, um den Souvenirladen zu erkunden. Ich bin allein und merke, dass mein Mund Worte bildet, die niemand hören kann: «Hilf mir.»

Ich bitte einen Gott, von dem ich nicht sicher bin, dass ich an ihn glaube, mich aus einem Schlamassel zu retten, den ich nicht verstehe. Oh, gut, Kate, sehr gut.

An der Wand gegenüber ist ein schieferner Gedenkstein für eine lokale Größe. Dingenskirchen Thomas und sein relict Angharad. Relict. Wie Relikt? Werde Rich fragen müssen, der ist gut in Latein. Hat eine ordentliche Schulbildung genossen, nicht so ein Gesamtschulkuddelmuddel wie ich.

Draußen verbindet eine Schwindel erregende schnörkelige Treppe die Kathedrale mit der winzigen Stadt auf dem Hügel. Ich hieve den Buggy rückwärts die Stufen hoch und spüre jede Erschütterung in den Lendenwirbeln. Rich trägt eine weinerliche Em auf den Schultern. Sie und Ben brauchen ihr Abendessen. Schlechte Mutter. Ich vergesse immer, dass Kinder wie Autos sind. Wenn nicht regelmäßig Treibstoff nachgefüllt wird, fangen sie an zu stottern und bleiben stehen.

Wir gehen eine Straße entlang, in der ein Café neben dem anderen liegt, und gucken durch die Fenster, um sie auf ihre Kinderfreundlichkeit zu prüfen. Ist Platz genug für den Buggy? Sind ältere Leute da, die ihre getoasteten Teekuchen lieber nicht mit einem sabbernden Ben teilen würden? Großbritannien ist immer noch kein Land für kleine Kinder: Wage es, dich zu weit weg vom Pizza Express zu entfernen, und du triffst auf dieselben genervten Seufzer wie damals, als Julie und ich noch Kinder waren.

Wir entscheiden uns für ein plüschiges Etablissement voll von Ferieneltern, die ebenso unruhig und unausgeruht sind wie wir, und steuern die hinterste Ecke an. Über den Stühlen dampfen unsere nassen Jacken wie Kühe. Ich lese die Speisekarte vor und Emily verkündet lautstark, das sie nichts von dem will, was angeboten wird. Sie will Pasta.

«Wir können Nudelup warm machen», bietet die freundliche Kellnerin an.

«Ich will kein Nudelup», jault Emily. «Ich will Pasta.»

Großstadtgör. Meine Schuld, weil ich ihr alles schon in so jungen Jahren gegeben habe. Ich habe zum ersten Mal Pasta gegessen, als ich neunzehn war. In Rom. Spaghetti alle vongole – eine wahre Herausforderung, voller fremdartiger Schalen und ungebärdiger Zotteln.

Manchmal fürchte ich, dass ich nur so weit gereist bin und es im Leben so weit gebracht habe, damit meine Kinder so hochnäsig und verwöhnt aufwachsen wie die Leute, die an der Uni auf mich herabgesehen haben.

Als Rich den Kindern das Welsh Rarebit klein schneidet, gibt mein Handy einen piepsigen Triller von sich. Es ist eine SMS von Guy.

 

Krise in Türkei.

Rod & R C-C weg.

Abwertung?

Türk Aktienmarkt bricht ein.

Was tun?

 

Oh, Scheiße. Springe auf, stürme an anderen Familien vorbei, trete auf Labrador, stolpere auf die Straße. Probier’s mit dem Handy, aber diesmal gibt es eine andere Sorte Piepser von sich. Die Batterien sind zu schwach. Kriege keinen Freiton. Natürlich nicht, ich bin in Wales. Laufe wieder ins Café.

«Haben Sie ein Telefon, das ich benutzen kann?»

«Was, bitte?»

«Einen Münzfernsprecher?»

«Ach ja, aber der geht irgendwie nicht.»

«Ein Fax?»

«Was?»

«Ein Faxgerät? Ich muss eine dringende Nachricht abschicken.»

«Oh. Kann sein, dass sie im Papiergeschäft eins haben.»

Der Zeitungsmann hat keins, glaubt aber, dass der Apotheker eins hat. Apotheker hat eins. Das braucht Papier. Zurück zum Papiergeschäft. Die wollen gerade schließen. Hämmere an die Tür. Bettele. Muss ein Paket mit 500 Blatt kaufen, von denen ich genau eins brauche. Zurück zum Apotheker. Ich kritzele eine Nachricht an Guy mit dem Kugelschreiber, der am Ladentisch angeleint ist:

 

Guy, AUF ALLE FÄLLE abwägen: Risiko, dass der Handel in Türkei zusammenbricht und wir 2000 Prozent Zinsen zahlen müssen – würden scheffelweise Geld verlieren – gegen Wertverluste der Aktien bei Währungsabwertung.
1) Wie viel haben wir in der Türkei?
2) Wie reagiert der Markt – beeinflusst die Krise andere Regionen?
Antworten auf meinem Schreibtisch bis morgen 8.30. Komme sofort zurück. Kate.

 

21.50: Auf der M4 sind riesige Staus in beiden Richtungen. Die Scheinwerfer bilden ein drei Meilen langes Diamantcollier. Vom Fahrersitz her schießt Rich mir fragende Seitenblicke zu. Ich bin dankbar für die Dunkelheit, jedenfalls brauche ich seine verstörten Signale so erst aufzufangen, wenn ich bereit dazu bin.

Schließlich sagt er: «Ich finde das ein bisschen seltsam, Kate. Dass du dir Blumen zum Valentinstag schickst. Warum hast du das gemacht?»

«Zur moralischen Unterstützung. Ich wollte, dass die Leute im Büro begreifen, dass ich die Sorte Mensch bin, die zum Valentinstag Blumen kriegt. Und ich war mir nicht sicher, dass du daran denken würdest. Ist schon erbärmlich.»

Lügen ist so leicht, wenn man’s versucht. Leichter als zu sagen, dass die Blumen von einem Klienten waren, mit dem ich vor kurzem zu Abend gegessen habe, einem Klienten, der seither den größten Teil meines Wachbewusstseins besetzt hält und sich auch in meine Träume drängt. Wird Zeit, das Thema zu wechseln.

«Rick, was ist ein relict? Ich habe das heute auf einem Grab in der Kathedrale gesehen. ‹Und sein relict Angharad›.»

«Witwe. Das heißt wörtlich, was zurückgelassen worden ist.»

«Dann ist die Frau das, was vom Mann übrig bleibt?»

«Genau, Kate.» Er lacht. «In unserer Ehe wäre ich wohl, was von dir übrig bleibt.»

Er sagt es so liebevoll, dass es mir nur einen kleinen Stich versetzt. Gebe ich ihm wirklich dieses Gefühl? So klein zu sein? Während der folgenden Meilen spinne ich jede Menge Pläne und Strategien aus, um die Dinge zwischen uns besser zu machen. Aber drei Stunden später, als wir an Reading vorbeifahren, spüre ich die Anziehungskraft von London, und der Beschluss, mein Leben zu ändern, verpufft, sobald wir wieder in die Stadt kommen.

 

Gründe, die Arbeit aufzugeben und aufs Land zu ziehen

  1. Bessere Lebensqualität
  2. Können Landhaus mit En-suite-Musikantengalerie für den Preis der Hütte in Hackney kaufen
  3. Chance, eine richtige Mutter zu sein, die Zeit hat, Ehemann zu lieben, die Herzensgeheimnisse ihrer Kinder zu ergründen und herauszufinden, wie die verdammte Regenhaube für den Buggy funktioniert.
     

Gründe, die Arbeit nicht aufzugeben und aufs Land zu ziehen

  1. Würde verrückt werden
  2. Siehe oben
  3. Siehe oben.
Working Mum
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