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Der Einkauf im Supermarkt

Für mich markiert Emilys Geburtstag immer den Anfang vom Sommer. Vor sechs Jahren, als es losging und ich im Taxi zum Krankenhaus fuhr, saßen Leute draußen an Cafétischen und strömten auf die Straße, und es fühlte sich an, als würde die ganze Stadt zur Ankunft meines Kindes Karneval feiern.

Am Tag vor ihrer Geburtstagsfeier mache ich mit Ben den Einkauf im Supermarkt. Der Einkauf im Supermarkt. Unvorstellbar, dass so ein kleiner Ausdruck so viel Schmerz beinhalten kann, eine Orestie des Leidens. Zunächst einmal versuchte ich einen extrabreiten Einkaufswagen zu befreien, der vor dem Laden mit einem anderen kopuliert. Ich ziehe und schiebe mit der einen Hand, während ich ein widerspenstiges Kleinkind mit der anderen festhalte.

Der extrabreite Einkaufswagen ist ein Flugzeugträger auf Rädern und in etwa so manövrierbar wie die Isle of Wight. Ich versuche Ben dazu zu überreden, sich in den Babysitz zu setzen. Er lehnt das ab und zieht es vor, im Laderaum mitzufahren, wo er alle Einkäufe rauswerfen kann, die ihm missfallen. Verzweifelt breche ich eine Schachtel Mini Milks an und gebe ihm zwei. Während er beide Hände voll hat, lasse ich ihn auf den Sitz gleiten und die Verschlüsse zuschnappen. (Schlimme, schlimme bestechende Mutter.) Nun muss ich nur noch die siebenunddreißig Posten auf meinem Zettel ausfindig machen. Nachdem ich heute Morgen mit dem Radio nach ihm geworfen hatte, sagte Richard, dass dieser ganze Geburtstagsaufstand mich möglicherweise ein wenig zu sehr stresse. Ich solle doch mal eine Pause machen und den Einkauf im Supermarkt ihm überlassen. Unmöglich, sagte ich, er würde nur das Falsche kaufen.

«Aber es gibt einen Zettel», führte er mit seiner Mann-im-weißen-Kittel-Stimme an, «wie kann ich denn da irgendwas falsch machen?»

Was jede Frau weiß und was kein Mann je begreift ist, dass er, selbst wenn er alles von ihrer Liste mit nach Hause bringt, immer noch nicht die richtigen Sachen geholt hat. Denn die Frau ist wahrhaft davon überzeugt, dass sie, wäre sie in den Supermarkt gegangen, die bessere Wahl getroffen hätte: ein wohlgenährteres Hühnchen von üppigeren französischen Wiesen, einen leckereren Joghurt, genau den Salatkopf, nach dem es sie gelüstete und dessen Name ihr entfallen war, bis sie der Bewusstseinssturm vor der Frisch & Fit-Auslage überkam. Männer schreiben Listen, um die Welt zu ordnen, um sie festzulegen, für Frauen sind Listen der Anfang von etwas, die Koordinaten, die uns den Weg in die Freiheit weisen. (Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich behaupte nicht, dass das fair ist. Wenn eine Frau etwas kauft, das nicht auf dem Zettel steht und sich als ungenießbar erweist, dann war das «ein Experiment». Wenn ein Mann dasselbe macht, ist es «Geldverschwendung».)

 

15.31: Stelle mich in die Schlange vor der Kasse. Bin sicher, dass ich etwas Lebenswichtiges vergessen habe. Was?

 

15.39: Oh, klasse, Ben hat die Windel voll. Frage mich, wie lange ich hier aushalten und den erstaunten Nasen der Kunden in meiner Nähe trotzen kann, als mein Sohn seine Hand, in der er das hält, was noch vom zweiten Mini Milk übrig ist, in seine Shorts steckt. Als er sie wieder rausholt, ist sie marmoriert von Eis und Exkrementen. Ich möchte vor Qual in Ohnmacht fallen. Stattdessen halte ich den Jungen hoch wie eine gezündete Handgranate und sprinte durch den ganzen Laden bis zum Wickelraum.

 

16.01: Sechzehn Minuten. Stelle mich wieder in die Schlange. Schätze, Ben hat jetzt ungefähr ein Zwölftel der Geburtstagsleckereien gegessen. Während er zufrieden mampft, schnappe ich mir eine Zeitschrift vom Regal neben der Kasse und versuche meinen Blutdruck zu senken, indem ich mein Horoskop lese.

 

Jupiter zieht gerade durch ihr neuntes Haus, und das ist eine große Wohltat für Sie. Ihr Bewusstsein wird klarer, und Ihre Perspektive erweitert sich. Sie werden feststellen, dass liebevolle Gefühle gegenüber allen Wesen Sie erfüllen – das trifft sogar auf Kinder zu, die nicht zu bändigen sind. Der günstigste Effekt dessen ist momentan, dass Ihre Wutkurve auf ein nie da gewesenes Niveau sinkt. Versuchen Sie, an diesem Gefühl der heiteren Gelassenheit festzuhalten, wenn die Euphorie verfliegt.

 

«Entschuldigen Sie bitte?»

Ich schaue auf, weil ich denke, ich bin an der Reihe, Sachen auf das Laufband zu legen. Stattdessen lässt mich das Mädchen an der Kasse wissen, dass ich mich an einer normalen Schlange angestellt habe. Die Isle of Wight kommt nicht an dieser Kasse vorbei. «Tut mir Leid, könnten Sie sich wohl bitte an einer der gekennzeichneten Kassen anstellen.»

«Tut mir Leid? Tut mir Leid reicht hier nicht ganz aus, scheint mir?» Für fünf Sekunden werde ich sehr still, dann ramme ich meine Faust in einen Zwölferpack Schokoküsse. Der Knall veranlasst einen Wachmann dazu, über die Schranke zu flanken. Ben bricht in Tränen aus, und mit ihm alle anderen Kinder in der Nähe. Liebevolle Gefühle gegenüber jedem Wesen erfüllen mich.

 

16.39: Die Frau an der Kasse ist so langsam, sie könnte sich ebenso gut unter Wasser befinden. Was noch schlimmer ist, sie ist hilfsbereit und freundlich.

«Sie wissen doch, dass Sie einen umsonst kriegen, wenn sie zwei davon kaufen?»

«Wie bitte?»

«Quark, wollen Sie nicht eine Packung umsonst haben?»

«Nein, will ich nicht.»

«Sie geben wohl eine Party, was?»

Nein, ich kaufe achtzig Cocktailwürstchen, vierundzwanzig Barbie-Schokoladenröllchen und einen Sack voll Mini-Berliner, weil ich eine geistesgestörte Bulimistin bin.

«Meine Tochter. Sie wird morgen sechs.»

«Ah, wunderbar. Haben Sie eine Kundenkarte?»

«Nein, ich …»

«Wär aber gut, bei diesen Mengen. Sie würden ordentlich was sparen.»

«Ehrlich gesagt, ich habe keine Zeit …»

«Bonuspunkte?»

«Nein, wirklich, ich muss jetzt …»

«Issie nicht süß?»

«Wie bitte?»

«Ihre Kleine. Issie nicht süß!»

«Er. Er ist ein Junge.»

«Oh, kann man gar nicht sehen bei all diesen Locken. Sag deiner Mami mal, dass du einen Haarschnitt brauchst, kleiner Mann.»

Können denn Supermärkte keine speziellen Kassen für berufstätige Mütter einrichten, an denen man von verbissenen, supereffizienten Androiden bedient wird?

 

21.43: Alles ist unter Kontrolle. Beide Kinder sind im Bett. Es hat nur etwa ein und eine dreiviertel Stunde gedauert, bis alles fürs Schokoladeessen beisammen war. Debra hat mich darüber aufgeklärt, dass es nicht mehr ausreicht, am Ende nur die Schokolade auszupacken wie früher. Heutzutage muss unter jeder Schicht Verpackung ein Geschenk sein, damit man die Kinder auch davon überzeugen kann, dass es gerecht zugeht im Leben. Warum? Es geht nicht gerecht zu im Leben. Das Leben besteht aus Schichten von Verpackung und einem kleinen, zerbröckelten Keks in der Mitte.

Nebenan füllt Richard vor dem Fernseher Überraschungstüten. (Theoretisch habe ich natürlich was dagegen, dass die Kinder erwarten, lauter überflüssige Geschenke mit nach Hause zu nehmen, wie das Wettrüsten kann das nur mit dem sicheren Ruin enden. In der Praxis bin ich zu feige, ihnen den Luftballon und das Stück Kuchen mitzugeben, das meiner Ansicht nach mehr als genug wäre. Die Muffia würde einen Killer auf mich ansetzen.)

Leider konnte der Supermarkt den bestellten Geburtstagskuchen mit der rosa Glasur nicht in letzter Minute in einen mit gelber Glasur umtauschen. Rosa war Emilys Lieblingsfarbe, dann wurde es Gelb. Als ich den Kuchen bestellte, stieg Rosa mal wieder auf der Beliebtheitsskala, als ich letzte Woche weg war, erlebte Gelb über Nacht sein Comeback. Macht nichts, ich habe einen Biskuit gekauft, den ich jetzt selber mit zittriger, aber liebevoller Hand glasieren werde. Die Hand einer Mutter … Oh, Scheiße, wo ist der Puderzucker?

 

23.11: Finde das Päckchen hinten im Schrank unter einer leckgeschlagenen Flasche Soyasoße. Das Haltbarkeitsdatum ist schon vor einem Jahr abgelaufen, und der Puderzucker kommt in einem Block aus der Packung. Sieht aus wie einer von diesen Mondsteinen, die mein Vater vor dreißig Jahren zusammengemixt hat. Oder wie Crack für 50 Riesen. Zum Glück ist es nicht Letzteres, denn dann würde ich das ganze Stück allein konsumieren, mich auf den Küchenfußboden legen und den sofortigen gnädigen Tod erwarten.

Na ja, es sollte für einen Kuchen gerade so reichen. Es dauert acht Minuten, den Zuckerstein zu Staub zu zerklopfen. Ich achte darauf, nicht zu viel warmes Wasser auf einmal hinzuzufügen, dann gebe ich einen winzig kleinen Tropfen gelbe Speisefarbe dazu. Damit verursache ich einen blassgelben Ton, viel zu dezent. Für einen Geburtstag brauche ich etwas Fröhlicheres: Dottergelb. Van Goghs Gelb. Mutig füge ich noch ein paar Tropfen hinzu. Jetzt ist die Farbe sowohl wässrig als auch ziemlich intensiv, wie eine abgestandene Urinprobe. Ich träufele noch zwei Tropfen rein und rühre wie verrückt.

Unter Tränen betrachte ich den Inhalt der Schüssel, als Richard in die Küche kommt und mir von einem Dokumentarfilm über kindliche Entwicklung erzählt. «Wusstest du, dass Babys sich ab einem Alter von drei Monaten mit ihrer Geschlechterrolle identifizieren? Wahrscheinlich verbringt Ben deshalb seine Tage mit der Sportbeilage auf dem Topf. Wie der Vater so der … Himmel, Kate, was ist das?»

Rich hat die Glasur entdeckt. Die Glasur, die, wenn man es freundlich ausdrücken möchte, Senfgelb ist. Die Ähnlichkeit mit Bens anspruchsvolleren Windeln ist verstörend.

Richard lacht. Das unentschuldbare, befreite Lachen von jemandem, der unendlich dankbar dafür ist, dass jemand anders versagt hat, nicht er selbst. «Keine Sorge, Schatz», sagt er. «Wir arbeiten daran. Die Glasur hat die Farbe von Dung, also machen wir … einen Kuhfladen. Hast du weiße Schokoplätzchen?»

 

SONNTAG, 19.17: Die Geburtstagsfeier ist ganz gut gelaufen, wenn man davon absieht, dass Joshua Mayhew in dem Augenblick auf den Flur gekotzt hat, als ich den Kuchen hereintrug und anfing zu singen: «Happy birthday, liebe Emily, happy birthday to you!»

«Aber, Mummy, ich wollte keinen braunen Kuchen», heulte sie.

«Er ist nicht braun, Schatz, er ist gelb.»

«Gelb mag ich nicht. Ich will rosa

Als alle achtzehn Gäste weg sind, mache ich mich daran, die Trümmer zu beseitigen. Saftkartons wie kollabierte Lungenflügel, Barbie-Pappteller, sechsunddreißig unberührte Eierbrote (die da sind, um den Eltern ein besseres Gefühl zu geben; kein Kind, das was auf sich hält, würde auch nur einen Krümel von etwas derart Zusatzstofffreiem zu sich nehmen). Heute früh habe ich eine E-Mail an Jack Abelhammer geschickt und vorgeschlagen, seinen Fonds in Betracht der Umstände einem Kollegen zu übergeben. Meine Gefühle für ihn sind mit unserer geschäftlichen Beziehung nur noch schwer zu vereinbaren. Der Ton meiner Nachricht ist freundlich, aber entschlossen. Danach war ich für ein paar Stunden durchglüht von dem Gefühl, verantwortungsbewusst gehandelt zu haben, die hellste Glühbirne am mütterlichen Firmament. Inzwischen ist die Birne allerdings durchgebrannt. Entweder das oder ich bin über das Kabel gestolpert: kein Saft, kein Energiefluss und schon gar nichts anderes. Ich hab bereits fünfmal meine Inbox angeklickt in Erwartung seiner Antwort. Nun komm schon, Kate, hör auf, dich wie ein liebeskranker Teenager zu benehmen.

Im Zuge meiner Selbstverleugnung habe ich bislang zwei Barbie-Schokoladenröllchen und eine Schale Gummiteddys gegessen und eine halbe Flasche Gin in die hausgemachte Limonade gegossen, die ich bei Marks & Spencer gekauft und dann in einen pinken Krug umgefüllt habe, damit sie als von mir selbst gemacht durchgeht.

Die Nacht ist heiß, schwül und schreit nach Regen. Der Ventilator, den ich im Schrank unter der Treppe ausgegraben habe, ist nutzlos. Er steht nur auf dem Küchentisch und rührt die dicke Luft um. Als wir gegen vier aus dem Schwimmbad kamen, hat es verhalten gedonnert, aber nur so, als würde man Packpapier zerreißen. Dieses ohrenbetäubende Grollen, das wir brauchen, um die Hitze zu verscheuchen, hat nicht stattgefunden. Himmel, diese Hitze. Und der Gestank. Ich bin im Garten und kratze den Teppich sauber, über den Joshua Mayhew sich erbrochen hat.

Schon während wir Schokoladeessen gespielt haben, fand ich, dass Josh blass und verschwitzt aussah, und ich schaffte es noch, ihn auf den Flur zu bringen, aber als ich noch mit der Haustür kämpfte, hatte er schon seinen Geburtstagstee auf dem Läufer deponiert. Als seine Mutter auftauchte, kreischte sie: «Was ist denn mit dem armen kleinen Joshie passiert?»

Es gelang mir, die nahe liegende Antwort zu unterdrücken: Was ist wohl passiert? Der kleine Joshie hatte einen usbekischen Kelim im Werte von 500 Pfund ruiniert. Wenn es der Mageninhalt meines Kindes gewesen wäre, dann hätte ich auf Knien mein Scheckbuch gezückt. Aber Imogen Mayhew, eine Frau, die so durch und durch gesund ist, dass sie wirkt wie von Kamille durchtränkt, verlangte zu wissen, ob man Joshua gestattet hätte, «im Übermaß» Zucker zu sich zu nehmen.

Ich lachte ein glockenhelles Gastgeberinnenlachen und sagte, dass auf Kindergeburtstagen Zucker das Hauptnahrungsmittel sei, aber Imogen lachte nicht mit. Sie ging mit einem Blick, der verhieß, dass meine Törtchen umgehend Gegenstand eines Prozesses werden würden. Sowie sie aus der Tür war, hatte ich eine von diesen Begegnungen mit Angela Brunt, die bei den Mänteln kniete und versuchte, den gefrorenen Erdbeerjoghurt von Davinas grünem Samt zu schaben. «Hast du Emily schon irgendwo untergebracht, Kate?»

«Jein.»

«Also, Davina hat in Holbrook House einen Platz sicher, aber ihr zweites Bewerbungsgespräch in Piper Place ist am Donnerstag, und darauf setzen wir, denn schließlich öffnet einem das die Tür zu so vielen anderen Dingen, nicht wahr?»

«Ja, das tut es.»

Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, um den Kotzgeruch loszuwerden, gehe ich ins Wohnzimmer, wo Rich auf dem Sofa zusammengeklappt ist, der Feuilletonteil der Sonntagszeitung liegt wie ein Zelt über seinem Gesicht. Wenn er ausatmet, bläht er die Brüste von Madonna, deren Bild auf der ersten Seite über einem Artikel mit dem Titel prangt: «Von der Jungfrau zur Heiligen Mutter.» Vielleicht sollte ich Madonna anrufen, damit wir von Mutter zu Mutter darüber reden, wie man Erbrochenes aus einem Kelim kriegt. Vermutlich wird für die Partys ihrer Tochter extra ein Kotzwischer eingestellt. Wie ich diese vollkommenen Prominentenmütter doch hasse, die damit prahlen, wie erfüllt sie doch sind, wo man doch weiß, dass sie über ein Bataillon von Ersatzmüttern verfügen, die alles für sie machen.

«Rich?»

«Hmmmm?» Die Zeitung gleitet ihm von der Nase.

«Wir müssen Emily irgendwie in Piper Place kriegen.»

«Warum?»

«Weil es so viele Türen öffnet.»

«Du hast wieder mit Angela Brunt geredet.»

«Jein.»

«Katie, das arme Kind dieser Frau steht so unter Druck, sie wird als Crackdealerin enden.»

«Aber sie spielt Oboe.»

«Na gut, dann wird sie eine Oboe spielende Crackdealerin. Unsere Tochter kann die ganze Mary Poppins auswendig, lass sie doch in Ruhe, okay?»

Richard hat den größten Teil von Emilys Schwimmfest mit Mathilde im Tiefen verbracht. Mathilde ist die Mutter von Laurent, der in Ems Klasse geht. Ich war im Flachen und zog zehn kreischende Kinder auf einer orangen Schlange herum. Im Auto hat Richard dann gesagt: «Französinnen halten sich ganz schön gut in Form, findest du nicht auch?»

Er hörte sich an wie seine Mutter, aber genau so.

«Mathilde arbeitet nicht», sagte ich verärgert.

«Was hat das denn damit zu tun?»

«Mit über dreißig ist die Körperpflege ein Vollzeitjob. Und einen solchen hab ich bereits, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte.»

Für eine Sekunde legte er seinen Kopf aufs Lenkrad. «Das war keine Kritik an dir, Kate. Es geht nicht alles gegen dich, weißt du.»

Als die Küche sauber ist und ich den Flur entlanggekrochen bin und orangen Glitter aufgesammelt habe – wenn ich den Staubsauger nehme, wecke ich sie –, setze ich mich für fünf Minuten vor den Fernseher. Eine Stunde später weckt mich das Telefon. Es ist Barbara, meine Schwiegermutter. «Ich hoffe, du findest es nicht unpassend, dass ich das sage, Katharine, aber Richard wirkte ziemlich bedient, als ich vorhin mit ihm sprach. Ich sollte natürlich überhaupt nichts dazu sagen, aber wenn man die Dinge in einer gewissen Abteilung schleifen lässt, na, dann kann man bald den ganzen Laden dicht machen.»

«Ja, Barbara, aber wir haben Emilys Geburtstag gefeiert und …»

«Wie auch immer, Richards Vater und ich kommen am Samstag in die Stadt, um uns diese hinreißende Vorstellung in der Royal Academy anzusehen.»

Mir wird klar, dass die anschließende Pause bedeutet, dass ich was sagen soll. «O wie schön, Barbara, wo werdet ihr wohnen?»

«Mach dir nicht zu viel Arbeit, hörst du. Du kennst ja Donald und mich, heißes Wasser und ein sauberes Bett, und für uns ist die Welt in Ordnung.»

 

21.40: Wir sind oben, Emily ist noch wach, schielt nach ihrem großen Tag aber vor Müdigkeit. So heiß, sie hat die Bettdecke und das Nachthemd abgeworfen und liegt auf dem Laken, ihr Körper wirft einen Perlmuttschimmer in den verdunkelten Raum. Im Laufe des letzten Jahres – sind wirklich schon zwölf Monate vergangen, seit sie fünf geworden ist? – ist ihr runder, vorstehender Babybauch verschwunden, jetzt hat sich an dieser Stelle eine kleine Kuhle gebildet, sie streckt sich zu den Konturen der Frau, die sie werden wird. Sie ist umso schöner, weil sie nicht weiß, dass sie schön ist. Ich will sie lieben und beschützen und ihr niemals wehtun. Ich lege den stummen Schwur ab, eine bessere Mutter zu werden.

«Mummy?»

«Ja, Em.»

«Beim nächsten Geburtstag bin ich sieben. Dann bin ich acht, neun, zehn, ölf, zwölf, vierzehn, zwanzig!»

«Stimmt, aber so schnell willst du doch nicht groß werden, Schatz.»

«Will ich doch.» Sie streckt ihr Kinn vor. «Wenn man erwachsen ist, kann man nach Morantik.»

«Was ist Morantik?»

Sie verdreht ungläubig die Augen, meine weltüberdrüssige Sechsjährige: «Du weißt schon, Morantik. Das ist ein Land, wo Erwachsene in Restaurants gehen und sich küssen.»

«Ach, Romantik.»

Sie nickt und ist zufrieden, dass ich davon gehört habe: «Ja, Morantik!»

«Wer hat dir denn von Morantik erzählt?»

«Hannah. Und außerdem muss man mit Jungs dahin, nur manchmal sind die zu frech.»

Ich stehe da in der drückend heißen Dunkelheit und denke an all die Gespräche zu diesem Thema, die wir in den kommenden Jahren führen werden, und an die, die wir nicht führen werden, weil sie Geheimnisse brauchen wird, damit sie sich von mir entfernen kann, und ich werde Geheimnisse brauchen, damit sie mir nahe bleiben kann. Als ich mich bücke und sie küsse, sage ich: «Morantik ist ein tolles Land.»

Vielleicht weil sie etwas Sorgenvolles in meinem Gesicht sieht, streckt meine Tochter ihre kleine Hand aus und nimmt meine, eine Erinnerung flackert kurz auf, mehr nicht, daran, wie ich die Hand meiner eigenen Mutter halte, wie kühl sie war, wie die Knochen aneinander drückten.

«Du kannst auch mit nach Morantik, Mummy», sagt sie. «Es ist nicht so weit.»

«Nein, Liebes», sage ich und mache die Aschenputtellampe aus. «Ich bin zu alt.»

 

Von: Jack Abelhammer
An: Kate Reddy
Liebste Katharine,
Verstehe vollkommen, dass du Vorbehalte hinsichtlich eines weiteren Zusammentreffens in diesem Leben hast und weiß deinen Vorschlag zu schätzen, dem werten Kollegen Brian Dingsda das Handling meiner Geschäfte zu übertragen. Seltsamerweise stelle ich fest, dass ich nicht auf dich verzichten möchte, Kate.
Es gibt dennoch gute Nachrichten. Habe großartiges Restaurant in einem Paralleluniversum gefunden. Kein Kalbfleisch, und sie können uns einen Ecktisch geben. Wann passt es dir?
Alles Liebe Jack

 

Von: Kate Reddy
An: Jack Abelhammer
Am 12. April 3003 passt es gut. Können wir am Fenster sitzen?
K xxxx

 

Draußen im Garten, durch eine Nacht so dicht und weich wie Samt, kann ich hören, wie Jack nach mir ruft. Als ich jung war, habe ich Männer so zurückgelassen wie meine Kleider, in Haufen auf dem Boden. Das schien mir das Beste zu sein. Ich hatte rausgekriegt, dass man nur schwer verlassen werden konnte, wenn man bereits weg war. Emotional gesehen war mein Koffer immer gepackt. Ein Therapeut, sollte ich je die Zeit haben, einen aufzusuchen, wird wahrscheinlich sagen, das habe damit zu tun, dass mein Vater uns verlassen hat. Abgesehen davon hielt ich mich an den Ausspruch von Groucho Marx: Warum sollte ich eine Beziehung mit jemandem wollen, der so dumm war, eine Beziehung mit mir zu wollen? Da musste erst Richard kommen und mir zeigen, dass Liebe eine Investition sein kann, etwas, das sich in aller Stille entwickelt und langfristig Erträge bringt, und kein Glücksspiel, das einen mittellos und angeschlagen zurücklässt.

Vor Richard und vor den Kindern war Gehen leicht. Jetzt wäre Gehen nichts als Kummer. Für die Kinder sind Richard und ich eine Allzweckliebeshybride namens Mama und Papa. Wenn man diese Einheit zweiteilen würde, müsste man ihnen beibringen, getrennt zu lieben. Ich finde nicht, dass ich das von meinen Kindern verlangen kann. Männer verlassen ihre Kinder, weil sie es können; Frauen gehen im Allgemeinen nicht weg, weil sie es nicht können.

Um mit Jack zusammen zu sein, müsste ich mein Heimatland verlassen und ins Exil gehen. Um den Mut dazu zu finden, müsste ich so unglücklich sein, dass Bleiben schwerer wäre, als den Sprung zu wagen. Und so weit bin ich noch nicht.

 

Nicht vergessen

Was du den Kindern schuldest. Was du dir selber schuldest. Rausfinden, wie beides miteinander vereinbar ist. Besprechungsprotokoll (Sekretärin Lorraine behauptet, sie sei krank, aber Lorraine ist immer krank, wenn wir eine Hitzewelle haben).

Selbstbräunungscreme! Unbedingt! Sehe aus wie jüngere Schwester von Morticia Addams. Demutsbezeugungen vor Klienten wegen furchtbarer Wertentwicklung im Mai (–9 % versus Index von –6 %). Mai hat die ganze harte Arbeit der vorangehenden Monate zunichte gemacht, tolle Ergebnisse sind im Meer roter Zahlen untergegangen. Werde Klienten sagen, dass Performance nur vorübergehendes Phänomen ist und ich Maßnahmen ergreifen werde, die Probleme anzugehen. Maßnahmen überlegen. Luft aus der Hüpfburg lassen, Rod ins Gebet nehmen wg beschämender sexistischer/rassistischer Behandlung von Momo. Treppenläufer???? Stressabbauenden Tag im Wellnesscenter buchen, mit Protein-Gesichtsmaske, wie von Vogue-Top-Schönheitsfrau empfohlen. Hochzeitstag. Wann haben wir Hochzeitstag?

Working Mum
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