20

So waren wir mal

3.39: Türklingel weckt mich. Es ist Rob, unser Nachbar von drei Türen weiter. Sagt, er hatte Lärm gehört und eine Gruppe von Bengeln an unserem Auto gesehen, aber er hat gebrüllt und sie sind weggelaufen. Richard geht raus, um den Schaden zu begutachten. Seitenfenster komplett zertrümmert, zackiger Riss quer über die Scheibe hinten. Natürlich ging der Alarm nicht. Der Alarm eines Autos, der normalerweise ausgelöst wird, wenn eine Katze durchatmet, verstummt hoffnungslos, sobald tatsächlich ein Einbruch stattfindet.

Rich geht raus und klebt die Scheiben ab, während ich mich ans Telefon hänge und Prontoglass-24-Stunden-Service anrufe.

«Aufgrund großer Nachfrage befinden Sie sich leider in der Warteschleife. Bitte bleiben Sie am Apparat, wir versuchen Sie zu verbinden.»

Nachfrage? Was für eine Nachfrage? Es ist vier Uhr morgens, verdammt nochmal.

«Wenn Sie Ihre Durchwahl kennen, drücken Sie bitte die Eins. Wenn Sie mit der Auftragsannahme sprechen möchten, drücken Sie bitte die Zwei.»

Ich drücke die Zwei.

«Bitte bleiben Sie am Apparat, wir versuchen Sie zu verbinden. Ihr Anruf wird in Kürze beantwortet. Danke, dass Sie Prontoglass gewählt haben! Wenn Sie mit einem Angestellten in der Auftragsannahme sprechen möchten, drücken Sie bitte die Drei.»

Ich drücke die Drei. «Wir bedauern, leider können wir Ihren Anruf im Augenblick nicht entgegennehmen. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.»

Ich denke an all die Zeit, die jeden Tag in diesen hallenden Vorzimmern verschwendet wird, in denen die Anrufe warten. Die Hölle, das sind nicht die anderen: Die Hölle ist, zu den anderen durchzudringen, während man sieben Minuten lang Vivaldi von Panflöten gespielt hören muss. Ich beschließe, mich anzuziehen und heute früh mit der Arbeit anzufangen. Es ist eine gute Zeit, um mit Tokio zu sprechen. Während ich mit meinen Blusenknöpfen im noch dunklen Schlafzimmer fummele, ertönt ein Schrei von oben. Als ich hochkomme, steht Ben in seinem Bett und setzt sich gegen das Monster zur Wehr, das ihn aus dem Schlaf gezerrt hat. Er sticht mit einem anklagenden Zeigefinger auf den unsichtbaren Angreifer ein.

«Ich weiß, mein Schatz, ich weiß. Böse Männer haben uns alle geweckt.»

Ben ist so verschreckt, dass er nicht wieder einschlafen will. Ich lege ihn auf das Schlafsofa neben seinem Bett und lege mich neben ihn.

«Roo», wimmert er, «Roo.» Also stehe ich auf, hole das schäbige kleine Känguru und lege es ihm in den Arm.

Babys haben einen magischen Punkt zwischen den Augenbrauen. Wenn man mit dem Finger darüber und die Nase entlangstreicht, machen sie automatisch die Augen zu. Mein Sohn hasst den Schlaf, weil er ihn von dem Leben trennt, das er so genießt, aber er dämmert langsam weg, und aus seinen dunkelblauen Augen weicht jeder Gedanke. Ich liege da und betrachte die Risse in der Decke. Um den Lampenanschluss herum fängt der Putz an zu bröckeln. Sogar meine Decke hat ein Stressekzem. Ich stelle mir vor, dass mir ein Finger über die Augenbrauen streicht, und während um mich herum die Kleider zerknittern, torkele ich in einen wirren Traum.

 

6.07: Richard kommt in Bens Zimmer, um mich abzulösen. Das Baby liegt platt auf seinem Bauch wie ein Hundewelpe. Wir reden im Flüsterton.

«Ich habe doch gesagt, es ist keine gute Idee, einen Volvo zu kaufen.»

«Irgendein kleiner Scheißkerl bricht unser Auto auf, und es ist meine Schuld?»

«Nein, nur, in dieser Gegend ist er ganz offensichtlich eine Provokation.»

«Mach halblang, Rich, nicht mal Tony Benn glaubt noch, dass Besitz Diebstahl ist.»

Er lacht. «Und wer war das, der mal gesagt hat, Verbrechen seien nichts als die gerechte Strafe für eine ungerechte Gesellschaft?»

«Das habe ich nie gesagt. Wann habe ich das gesagt?»

«Kurz bevor du dein erstes Golf Cabrio in Besitz genommen hast, Mrs. Engels.»

Ich bin dran mit Lachen. Davon ermuntert, fängt Rich an, mein Haar zu küssen, und lässt eine forschende Hand in mein Nachthemd gleiten. Er zieht mich gerade auf den Winnie-the-Pooh-Teppich runter, als Ben sich kerzengerade aufsetzt, seinen Eltern einen Wie-könnt-ihr-nur-Blick zuwirft und auf sich selber zeigt. (Habe ich erwähnt, dass Babys auch strikt gegen Sex sind? Man sollte glauben, sie hätten eine nostalgische Sehnsucht nach dem Akt, der sie hervorgebracht hat, doch stattdessen scheinen sie über ein Warnsystem zu verfügen, das Rivalen in die Flucht schlägt. Sie jaulen wie auf Knopfdruck los, als wären sie mit dem BH-Verschluss verkabelt.) Rich schnappt sich seinen Sohn und geht zu einem zeitigen Frühstück nach unten.

Ich versuche, nochmal einzuschlafen, aber ich kann nicht schlafen, weil ich immer daran denken muss, wie sehr Richard und ich uns verändert haben. Wir haben uns vor fünfzehn Jahren an der Uni kennen gelernt. Ich demonstrierte vor Barclay’s Bank, und er eröffnete dort ein Konto. Ich brüllte irgendwas über Südafrika – Wie kannst du in Brutalität investieren? –, und Rich kam rüber zu unserem selbstgerechten Häuflein, und ich gab ihm ein Flugblatt, das er höflich durchlas.

«Meine Güte, das hört sich schlimm an», sagte er, ehe er mich auf einen Kaffee einlud. Einen Mann wie Richard Shattock, der so deutlich der besseren Gesellschaft angehörte, hatte ich in meinem Leben noch nicht kennen gelernt. Wie er redete! Ich wusste, dass alle Privatschuljungs emotional verkrüppelte Kotzbrocken waren, aber ich wusste nicht, was ich machen sollte, als klar wurde, dass dieser eine zu mehr Liebe fähig war, als ich je erfahren hatte. Rich wollte die Welt nicht retten wie meine idealistischen Freunde, er machte sie ganz einfach besser, nur weil er da war.

Sechs Tage später, in seinem Collegezimmer unter dem Dach, schliefen wir zum ersten Mal miteinander. Der Sonnenschein fiel als staubige goldene Säule durch das Oberlicht, als er feierlich meinen Button mit dem Slogan «Radfahrer gegen die Bombe» abnahm und sagte: «Die Russen schlafen sicher besser, wenn sie wissen, dass du deine Fahrradprüfung bestanden hast, Kate.»

Hatte ich vorher je über mich selbst gelacht? Bestimmt war das Geräusch ziemlich rostig, das ich an diesem Abend produzierte, ein verstopfter Brunnen, der glucksend zum Leben erwacht. «Dein Herrenschokoladelachen», hat Richard es genannt, «weil es dunkel und bitter und nördlich klingt und weil ich dich auffressen könnte.» Und das ist das Geräusch, das ich immer noch am allerliebsten mag: das Geräusch, das wir machen, wenn wir so sind wie wir waren.

Ich erinnere mich daran, wie sehr ich seinen Körper geliebt habe, aber noch mehr habe ich geliebt, wie sich mein Körper in Beziehung zu seinem angefühlt hat – für jede Kante eine Kurve, sein Rückgrat wie felsige Stufen in eine Höhle der Lust. Am Tag sind wir durch die Fens geradelt und haben «Hügel» gerufen, wenn wir auch nur die geringste Erhebung spürten, aber nachts haben wir ein ganz anderes Terrain erkundet.

Als Richard und ich anfingen, beieinander zu schlafen, ich meine, richtig zu schlafen, kein Sex – lagen wir in der Mitte vom Bett, die Gesicht einander zugewandt, dicht genug, um unseren warmen nächtlichen Atem zu spüren. Meine Brüste lagen an seiner Brust, und meine Beine, ich weiß nicht mehr, wie das ging, verschwanden unter und über seinen wie der Schwanz einer Meerjungfrau. Wenn ich an uns beide im Bett denke, damals, dann denke ich an die Gestalt eines Seepferdchens.

Mit der Zeit drehten wir die Gesichter nach außen. Wenn man unsere erste kleine Trennung datieren wollte, dann fällt sie wahrscheinlich mit dem Erwerb eines großen Doppelbettes von Heals in den späten achtziger Jahren zusammen. Und dann, mit der Ankunft unseres ersten Kindes, begann der Kampf um den Schlaf. Man fiel ins Bett, man stürzte sich nicht mehr hinein. Wir, die wir mit ebensolcher Leichtigkeit in den Schlaf und wieder hinausglitten waren wie ineinander, bewachten nun eifersüchtig unsere Ruheplätze. Mein Körper schockierte mich, weil er alles feindselig abwehrte, was ihm die verbleibende Kraft zu rauben drohte. Ein streunendes Knie oder ein Ellenbogen waren genug, um Grenzgefechte auszulösen. Ich erinnere mich, dass ich anfing zu bemerken, wie laut Richards Nieser waren, wie übertrieben artikuliert. Har-Tschi! machte er. Har-Tschi!

Als Studenten waren wir mit dem Zug durch Europa gereist, und in einer Nacht landeten wir in einem kleinen Hotel in München, wo wir hysterisch lachend auf dem Bett zusammenbrachen. Es sah aus wie ein Doppelbett, aber wenn man die Bettdecke zurückzog, stellte sich heraus, dass zwei Matratzen darunter waren, die durch eine schmale Holzleiste geteilt und vereint waren. Jedes Treffen in der Mitte war eine Anstrengung und keine Unvermeidlichkeit. Es kam mir alles so teutonisch vor.

«Du bist die DDR und ich bin Westdeutschland», habe ich zu Rich gesagt, als wir im Schein der Straßenlaterne auf unseren getrennten Hälften lagen. Wir haben gelacht, aber im Laufe der Zeit habe ich mich manchmal gefragt, ob die Konstruktion von München nicht das wahre Gesicht des Ehebetts war: praktisch, leidenschaftslos und das trennend, was Gott zusammengefügt hatte.

 

7.41: Nach dem Frühstück ist Ben, mit einem Lätzchen wie von Jackson Pollock bemalt, furchtbar anhänglich. Paula pellt ihn von mir ab, als Winston kommt, um mich zur Arbeit zu fahren. «Schon gut, Kleiner, ist doch schon gut», höre ich Paula sagen, als ich die Tür hinter mir zuziehe.

Auf dem Rücksitz von Pegasus versuche ich die Financial Times zu lesen, um mich für meine Präsentation vorzubereiten, aber ich kann mich nicht konzentrieren. Es ist Musik an, ein Jazzpiano-Arrangement einer Melodie, die mir fast so vorkommt wie «Someone To Watch Over Me?». Es hört sich an, als würde der Pianist die Melodie in tausend Stücke zerschmettern, die er immer wieder in die Luft wirft, um zu sehen, wo sie landen. Die Läufe erinnern mich an einen Mann, der einen Stapel Karten mischt. Winston summt mit, er hält die Hauptmelodie und lässt gelegentlich einen kleinen Juchzer ab, als Salut für einen besonders cleveren Einfall des Pianisten. An diesem Morgen ist die Leichtigkeit und Lebensfreude meines Fahrers ein Schlag ins Gesicht. Ich will, dass er aufhört.

«Glauben Sie, dass wir die neue Ampel umfahren können, wenn wir es hintenrum probieren, Winston? Ich glaube nicht, dass das hier der schnellste Weg ist.»

Er sagt eine Weile nichts, lässt aber das Band zu Ende laufen. Dann, als der letzte Akkord noch in der Luft schwingt, sagt er: «Wissen Sie, Lady, wo ich herkomme, braucht man ziemlich lange, um Dinge schnell zu tun.»

«Kate, ich heiße Kate.»

«Ich weiß, wie Sie heißen», sagt er. «Ich seh das so, Rumhetzen ist einfach nur Zeitverschwendung. Wer zu schnell fliegt, Lady, verpasst sein Nest.»

Das Lachen, das ich lache, klingt tiefer als gewöhnlich. «Also, ich fürchte, das ist eine ziemlich entspannte Perspektive, die man sich vielleicht als Taxifahrer erlauben kann …»

Winston springt nicht auf meine Arroganz an, er schaut mich nur lange im Rückspiegel an und sagt gedankenvoll: «Glauben Sie, dass ich Sie sein will? Das wollen Sie ja nicht mal selber.»

Das reicht. «Hören Sie mal, ich bezahle Sie nicht für Psychotherapie. Ich bezahle Sie dafür, mich nach Broadgate zu bringen und das so schnell wie möglich, eine Aufgabe, die Ihre Fähigkeiten bei weitem übersteigt. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann steige ich hier aus, zu Fuß bin ich schneller.»

Als ich den Zwanziger rüberreiche, gräbt Winston in seiner Tasche nach Wechselgeld und fängt an zu singen: «There’s a somebody I’m longing to see/I hope that he/Turns out to be/Someone to watch over me.»

 

8.33: Schieße aus dem Fahrstuhl direkt auf Celia Harmsworth zu.

«Ist da was auf Ihrer Jacke, meine Liebe?», grinst die Leiterin der Personalabteilung.

«Nein. Die kommt gerade aus der Reinigung.» Ich schaue runter auf meine Schulter und sehe einen schmierigen Fleck, eine Epaulette aus Bens Bananenbrei. Nein. Gott, wie kannst du mir das antun?

«Ich staune immer wieder, wie Sie Ihre Arbeit schaffen können, Katharine», gurrt Celia, offenkundig entzückt über einen weiteren Beweis dafür, dass ich es nicht kann.

(Celia ist eine dieser alten Jungfern, die es himmlisch fanden, die einzige Frau in einer Männerwelt zu sein: Bevor Mädchen wie ich auftauchten und das Monopol ruinierten, war das eine Lizenz dafür, sich hübsch zu fühlen.)

«Was muss das für ein Kampf sein mit all diesen Kinderlein», sagt sie mitfühlend. «Ich habe neulich, als Sie weg waren wegen der … Schulferien, die waren es doch, nicht?, noch zu Robin Cooper-Clark gesagt, ich weiß nicht, wie sie das schafft.»

«Zwei.»

«Wie bitte?»

«Zwei. All diese Kinderlein. Ich habe zwei. Das ist eins weniger, als Robin hat.»

Drehe mich auf der Hacke um, gehe zu meinem Schreibtisch, ziehe die Jacke mit Fleck aus und stopfe sie in die unterste Schublade. Unglaublicher Krach vor dem Fenster. Auf dem Sims haben die Tauben beschlossen, zusammenzuziehen. Das Männchen sitzt mit einem Zweig im Schnabel da und sieht ein bisschen töricht aus. Den Gesichtsausdruck erkenne ich wieder. So guckt Richard, wenn ich ein flaches Paket Regalbretter zur Selbstmontage mit nach Hause bringe. Das Weibchen ist indessen emsig damit beschäftigt, einen Haufen kleiner Stöckchen zu einer Art tellergroßem Floß zusammenzubauen. Na klasse, jetzt bauen sie ein Nest.

«Guy, haben Sie der Firma mit dem Habicht-Mann Bescheid gesagt? Die verdammten Tauben machen hier eine Zucht auf.»

Mit dem Handspiegel suche ich meinen Hals nach Benbissen ab – nein, alles klar. Dann stolziere ich cool in eine Konferenz mit Robin Cooper-Clark und anderen Führungskräften und beginne mit meiner Präsentation. Es läuft bemerkenswert gut. Alle Augen kleben an mir, besonders die von dem Scheißkerl Chris Bunce. Offenbar fange ich an, ernsthaft Eindruck zu machen. Die Taktik, sich wie ein Mann zu verhalten, nie ein Wort über die Kinder zu verlieren und so weiter, macht sich wirklich bezahlt.

Als ich vom Dia zum Overheadprojektor wechsele, fällt mir plötzlich ein, dass ich die einzige Person im Raum bin, die keinen Penis hat. Kein guter Gedanke im Augenblick, Kate. Können wir es vielleicht unterlassen, in einer Versammlung von siebzehn Männern an Schwänze zu denken? Aber, wo wir gerade beim Thema sind: Müssen die mich eigentlich so intensiv anstarren? Schaue an mir runter. Trage unter weißer Seidenbluse roten Agent-Provocateur-Halbschalen-BH, den ich um 4 Uhr 30 im Halbdunkel aus der Kommode gezogen habe. Guter Gott, ich sehe aus wie Pamela Anderson bei den Oscars.

 

11.37: Sitze im Damenklo, die Wange gegen die Kabinenwand gedrückt, um die brennende Röte zu lindern. In schwarzem Marmor gefließt und mit weißen Sternen gesprenkelt, ist die Wand wie eine Karte des Universums. Ich fühle mich, als ob ich in den Weltraum hinausgesaugt werde, und ich habe ganz und gar nichts dagegen. Wie traumhaft, für ein paar Millionen Jahre in einem Schwarzen Loch zu verschwinden, bis die Erinnerung an die öffentliche Demütigung verblasst ist. Früher habe ich hier drinnen geraucht, wenn es nicht mehr auszuhalten war, seit ich aufgehört habe, singe ich leise: «I am strong. I am invincible. I am Wo-man.»

Das ist ein Helen-Reddy-Song von damals, als ich noch zur Schule ging. Ich fand es toll, dass sie denselben Namen hatte wie ich, und sie klang so, na, einfach so überzeugend, so voll Vertrauen darauf, dass Frauen mit allem zurechtkommen konnten, was das Leben ihnen vor die Füße warf. Wenn Debra und ich uns im College zum Ausgehen fertig machten, spielten wir diese Platte wieder und wieder, um uns aufzuputschen. Wir tanzten durchs Zimmer und spielten Fangen mit Debs Action Man. (Als sein Bein abbrach, sagte Deb, wir müssten ihn nun Inaction Man nennen, «nach all unseren nutzlosen Typen».)

«Oh, yes, I am wise,
But it’s wisdom born of pain,
Yes, I’ve paid the price,
But look how much I’ve gained!
I am strong. I am in-vin-ci-ble.
I am Woman.»

Ob ich an die Chancengleichheit der Geschlechter glaube? Ich bin mir nicht sicher. Ich hab mal dran geglaubt, mit all der leidenschaftlichen Sicherheit eines jungen Menschen, der absolut alles und daher überhaupt nichts weiß. Gleichheit, die Idee war so schön, so nobel, so unwiderlegbar gerecht. Aber wie zum Teufel sollte das funktionieren? Sie können einem gute Jobs und Mutterschaftsurlaub geben, aber so lange sie es nicht schaffen, einen Mann so zu programmieren, dass er bemerkt, dass kein Klopapier mehr da ist, ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. Frauen tragen das Zusammenspiel des Familienlebens in ihren Köpfen herum, das ist einfach so. Jeden Abend, wenn ich auf dem Heimweg von der City bin, beobachte ich Frauen, die im Laternenlicht durch die Straßen huschen und den Aktenkoffer auf der einen Seite mit den Einkaufstaschen auf der anderen ausbalancieren, oder die an Bushaltestellen herumzucken wie überdrehte mechanische Spielzeuge.

Vor gar nicht langer Zeit hat meine Freundin Phillippa mir erzählt, dass sie und ihr Mann ein Testament aufgesetzt hätten: Phil wollte eine Klausel einfügen, die Mark im Fall ihres Todes das Versprechen abverlangte, den Kindern die Nägel zu schneiden. Er dachte, sie mache Witze. Es war kein Witz.

An einem Samstag gegen Ende des letzten Jahres kam ich von einer Reise nach Boston wieder und traf Richard im Flur an, bereit, unsere Kinder zu einer Geburtstagsfeier zu bringen. Emily hatte ungekämmte Haare und anscheinend einen Schmiss von einem Duell auf der Backe – es war Ketchup vom Mittagessen. Ben krümmte sich indessen in einem sehr kleinen gepunkteten Kleidungsstück, das mir nicht bekannt vorkam. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass es der Strampler von einer von Emilys Puppen war.

Als ich meinen Mann darauf aufmerksam machte, dass unsere Nachkommen ganz so aussahen, als sollten sie in der U-Bahn zum Betteln geschickt werden, sagte Richard, wenn ich etwas auszusetzen hätte, sollte ich es doch selber machen.

Ich hatte etwas auszusetzen. Ich würde es selber machen.

 

Von: Kate Reddy
An: Candy Stratton
Herrlicher Tag. Habe gerade irrtümlich dem Investmentdirektor und der Truppe meine Brüste gezeigt. Chris Bunce kam hinterher zu mir und sagte:
«Wie eine Professionelle, Kate, mit Noppen.» Hat dreckig gelacht und angedroht, mich auf seine Website zu setzen. WAS FÜR EINE WEBSITE?
Außerdem hat Abelhammer mich zu einem SX Rendezvous in New York eingeladen.
Warum sind Männer alle nur Schwanz und Muskeln?

 

Von: Candy Stratton
An: Kate Reddy
Keine Sorge, Kleines. Deine Titten sind klasse. Penisneid ist ja sooo von gestern. Willkommen, Tittenneid!
Bunce ist ein Stück Scheiße. Seine Website heißt wahrscheinlich Wichser-Unlimited. Hoffe, du triffst dich mit dem Hammermann in NYC. Scheint großartiger Typ zu sein.
Ich hasse dich, wenn du so britisch tust.
Candida Ausschlag xxx

 

13.11: Lunch im Tartuffe mit Robin Cooper-Clark und neuem Klienten, Jeremy Browning. Lokal befindet sich im Penthouse eines Gebäudes mit Blick auf den Royal Exchange. So eine Stille wie in dem Restaurant kriegt man außer im Kloster nur für Geld. Das muss das Schweigen sein, das Gold ist. Die niedrigen Stühle sind aus karamellfarbenem Leder geschöpft, und die Kellner nähern sich auf Rollen. Das Menü ist von der Sorte, die ich am wenigsten schätze: Koteletts für die Kerle und keinerlei Zugeständnisse an den weiblichen Gaumen. Als ich unseren Kellner frage, ob ich nicht einen Salat bekommen könnte, sagt er: «Mais oui, Madame», und bietet mir etwas an, das gésirs enthält.

Ich nicke unsicher, und Robin hüstelt ein wenig und sagt: «Gebratene Kehle, wenn ich mich nicht irre.» Wie kann jemand eine Kehle schlucken?

Ich sage, dass ich gern den Salat hätte, aber könnten Sie sich bitte mit den Kehlen zurückhalten? Auf Robins Lippen stiehlt sich der Hauch eines Lächelns, aber den Kellner amüsiert das nicht. Rotes Blut ist die Währung in dieser Gegend.

«Sind Sie irgendwie mit den Reddys aus Worcestershire verwandt?», fragt Jeremy, während Robin die Weinkarte studiert. Unser Klient muss Anfang fünfzig sein, aber er ist gut in Form, und er weiß es. Skibräune vom Hals aufwärts, Schultern aus dem Fitnessstudio und strotzend vor Erfolg.

«Nein, das glaube ich nicht. Ich komme von weiter nördlich.»

«Den Borders?»

«Nein, eher Derbyshire und Yorkshire. Wir sind oft umgezogen.»

«Ah, ich verstehe.»

Nachdem klargestellt ist, dass ich niemand bin, der es wert ist, gekannt zu werden, und dass ich auch niemanden kenne, den man kennen will, ist unser Klient sich sicher, dass er mich ausblenden kann. Im Laufe des letzten Jahrzehnts ist mein Land zu einer klassenlosen Gesellschaft geworden, aber die Nachricht hat noch nicht die Leute erreicht, denen es gehört. Für Männer wie Jeremy endet England immer noch am Hyde Park, und dann gibt es noch Schottland, wo man im August hinfährt, um Tiere zu schießen. Der Norden, diese große Weite zwischen SW1 und Edinburgh, die man am besten mit dem Flugzeug überquert oder nachts im Schlafwagen eines Expresszuges, ist ein fremdes Land für sie. Jeremy Brownings Vorfahren mögen Indien erobert haben, aber in einen entlegenen Ort wie Wigan würde man sie nicht kriegen.

Robin würde und könnte mich niemals so behandeln wie Jeremy, aber Robin hat auch die letzten zwanzig Jahre mit Jill verbracht, die bis tief in ihre Knochen spürt, dass solche Snobs ein Witz sind und dass Frauen die Kinder schaukeln, in jeder Beziehung. Es gibt mir einen echten Kick, wenn ich meinen Boss bei solchen Gelegenheiten beobachte. Gesellig, unterhaltsam und mühelos smarter als irgendeiner seiner Klienten, kann er ihnen dennoch das Gefühl geben, die siegreiche Mannschaft anzuführen. Als er sieht, wie Browing mich ins Abseits stellt, versucht er mich sanft, aber bestimmt wieder in die Unterhaltung einzubeziehen. «Gut, Kate also wird Ihren Fond als leitende Angestellte managen. Sie berät Sie in allen Fragen, die den Aufbau Ihres Portfolios betreffen und so weiter. Sie kann Ihnen sogar die geheimnisvollen Machenschaften der Bundesaufsicht der US-Banken erklären.»

Und dann, ein paar Minuten später, als unser Klient den Mund voll Täubchen hat: «Übrigens, Jeremy, Kates Fonds haben in den letzten sechs Monaten die besten Erträge gebracht, in einer Zeit also, die für Stammaktien recht turbulent war, würden Sie mir da nicht zustimmen, Kate?»

Dafür liebe ich ihn, aber es hat keinen Zweck. Es gibt Männer, die es immer vorziehen werden, mit anderen Männern Geschäfte zu machen, und Jeremy Browning ist einer davon. Ich kann ihm ansehen, wie er darum kämpft, mich einzuordnen: Ich bin nicht mit ihm verheiratet, offensichtlich bin ich nicht seine Mutter, ich bin nicht mit seiner Schwester zur Schule gegangen, und ich werde mit tödlicher Sicherheit nicht mit ihm ins Bett gehen. Was also, muss er sich fragen, während er auf seiner Taube kaut, macht dieses Mädchen hier? Wozu ist sie da?

Seit mehr als zehn Jahren beobachte ich das nun schon, und ich bin immer noch nicht sicher, dass ich es verstehe. Ist es die Angst vor dem Unbekannten? Immerhin ist Jeremy im Alter von sieben Jahren auf ein Jungeninternat verfrachtet worden, er ist auf ein Männercollege gegangen, seine Frau, Annabel, bleibt zu Hause bei den Söhnen und Erben, und so ganz für sich findet er auch, dass alles andere eine Art Verbrechen gegen die natürliche Ordnung der Dinge ist.

«Entschuldigen Sie bitte, könnte ich wohl meinen Wein wiederbekommen?»

Jeremy tippt mir auf den Ärmel. Ich merke, dass ich das Glas meines Nachbarn in die Mitte des Tisches geschoben habe, um Unfälle zu vermeiden. Das ist ein Reflex, der aus den Mahlzeiten mit Emily und Ben resultiert.

«Oje, das tut mir furchtbar Leid, wenn man Kinder hat, denkt man immer, dass Leute etwas umstoßen.»

«Oh, Sie haben Kinder», sagt er.

«Ja, zwei.»

«Sie wollen doch hoffentlich nicht noch mehr?»

Sie bleibt in der Luft hängen, diese Annahme, dass meine Fruchtbarkeit Teil seines Lehens ist, dass er mich dafür bezahlt, nur ihm allein zu gehören und nicht die Jungen eines rivalisierenden Männchens auszutragen. Ich würde das Kompliment gern zurückgeben und ihn unter dem Tisch so heftig treten, dass er nicht mehr in der Lage wäre, mehr eigene Kinder zu zeugen. Aber die Wendung «zerquetschte Eier» macht sich in der Regel nicht so gut in einem Bericht.

«Selbstverständlich», sage ich und säubere den Salat von einer Kehle, «wird es niemanden für mich geben, der wichtiger ist als Sie, Jeremy.»

 

3.44: Habe die schlafenden Kinder zu Hause allein gelassen und bin nur mal eben ins Büro gegangen. Allerlei zu erledigen. Kann nicht warten. Es dauert nicht lange. Zwanzig Minuten vielleicht, höchstens vierzig. Sie werden nicht einmal merken, dass ich weg bin.

Das Büro ist still, bis auf das Seufzen der Maschinen, die sich im Halbdunkel lieben. Ohne Ablenkungen arbeite ich wirklich effektiv, die Zahlen wimmeln unter meinen Händen, eine Armee von Ameisen, die in Truppen eingeteilt wird. Lege den vierteljährlichen Fondsbericht ab, bringe den Monitor in Ruhestellung und stehle mich wieder aus dem Gebäude. Ein Morgen wie nach einem Atomkrieg dämmert draußen heran, ein warmer Wind, ein paar Abfälle wirbeln herum, der Himmel hat die Farbe eines Kochtopfs. Sehe ein Taxi, diffuses gelbes Licht am Horizont. Ich winke, als es näher kommt. Es hält nicht an. Noch ein Taxi braust vorbei, leer wie ein Leichenwagen. Jetzt bin ich ziemlich verzweifelt. Drittes Taxi nähert sich. Gehe auf die Straße, um es anzuhalten. Der Fahrer macht einen Bogen, um mir auszuweichen, und ich sehe sein pockennarbiges Mondgesicht und dass er hinter seiner Scheibe «du blöde Kuh» faucht. «Pass auf, wo du hintrittst.»

Ich sitze auf dem Bordstein und weine vor Frust und Selbstmitleid, als ein Feuerwehrwagen mit untröstlichem Heulen die Straße entlangkommt. Er hält, und die Jungs lassen mich an Bord klettern. Ich vergesse zu sagen, wohin ich will, aber wir fahren schnell durch bekannte Straßen, bis wir in meine eigene kommen. Als wir an unserem Haus vorfahren, sehe ich eine Menschentraube davor stehen.

Rauch kommt aus einem der Schlafzimmerfenster. Aus Emilys Fenster.

«Bleiben Sie zurück, Miss, wir kümmern uns darum», sagt ein Mann.

Ich schlage mit den Händen gegen die Tür. Ich rufe nach den Kindern, aber ich kann nichts hören, weil die Sirene so laut ist. Ich kann mich nicht schreien hören. Stellt die Sirene ab. Bitte, kann nicht mal jemand die beschissene Sirene abstellen …

«Kate! Kate, wach auf. Es ist alles in Ordnung. Alles in Ordnung.»

«Was?»

«Alles gut, Liebling. Du hast schlecht geträumt.»

Ich setze mich auf. Mein Nachthemd ist ein schweißgetränkter Lappen. Hinter meinen Rippen versucht ein Vogel seinen Weg nach draußen zu finden.

«Ich hab die Kinder allein gelassen, Rich. Es hat gebrannt.»

«Es ist okay. Wirklich, alles in Ordnung.»

«Nein, ich hab die Kinder ganz allein gelassen. Ich bin zur Arbeit gegangen. Ich hab sie allein gelassen.»

«Nein. Nein, du hast sie nicht allein gelassen. Hör mal, da weint Ben. Hör hin, Kate.»

Es ist wahr. Von oben kommt das Sirenengeräusch, das untröstliche Heulen eines zahnenden Babys, eine Ein-Mann-Feuerwehr.

Working Mum
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