17

GEHENNA

Der Abgrund von Sheol · 22. März

 

Krallen kratzten über Luciens Oberkörper und rissen sein Fleisch vom Schlüsselbein bis zur Hüfte auf. Schmerz durchdrang sein Bewusstsein wie ein rotglühendes Eisen. Er schwang in der Luft hin und her, wodurch sich die Haken, an denen er hing, noch tiefer in seine Schultern bohrten. Ein schnelles Schlagen vieler Flügelpaare fächelte ihm heiße, nach Schwefel stinkende Luft ins Gesicht, und das Gekreische des namenlosen Chalkydri erfüllte seine Ohren.

Lucien weigerte sich, die Augen zu öffnen, wie es der Chalkydri verlangte. Er hatte seinen Folterknecht lange genug gesehen. Er wusste, wie er neben ihm in der schwarzen Grube schwebte, von seinen zwölf rasend schnell schlagenden Flügelpaaren in der Luft gehalten, während sich sein langer Schlangenkörper mit den dunklen, schimmernden Schuppen hin und her wand.

Goldene Flügel, wie der Chalkydri mehrmals betonte, wobei er seinen Echsenkopf stolz hob. Von seinem Kopf standen halbmondförmig Federn ab, und seine Pfoten mit den riesigen Krallen strichen immer wieder über das juwelenbesetzte Fell. Das Gold der Hochgeborenen, betonte er.

»Jahwe hat es immer wieder bedauert, euch Chalkydris erschaffen zu haben«, schwindelte Lucien mit heiserer Stimme. »Ihr seid der Beweis für seinen Wahnsinn, und …«

»Mörder!«, zischte der Chalkydri. »Creawdwr-Mörder!«

Wieder schlug er die scharfen Klauen in Luciens Brust. Ein weiteres Brandmal in seinem Bewusstsein. Jedesmal, wenn seine Wunden gerade geheilt waren, verpasste ihm der Dämon neue. So hatte er es gehalten, seitdem man ihn und Lilith gefangen genommen hatte.

»Er hatte immer vor, euch wieder auszurotten«, fuhr Lucien durch zusammengebissene Zähne fort.

Wütendes Kreischen erfüllte erneut die Luft. Das Schlagen der Flügel wurde lauter. Also, dachte er, sind mehr Chalkydris eingetroffen, um ihre Ehre zu verteidigen.

Wodurch sie Gabriel und seinem Gefolge noch mehr Kurzweil bereiteten.

Drei Elohim-Wachen schleifen Lucien an Ketten durch die Lüfte. Sie fliegen zwischen den schwarzen, golddurchwirkten Marmorsäulen hindurch, die vor dem riesigen Tor des Palastes stehen, in die gewaltige Höhle. An den Rändern seinen gefesselten Flügel nagt der Schmerz, er kratzt an seinen von Ketten wundgeriebenen Handgelenken und Fußknöcheln. Doch innerlich ist Lucien ruhig. Seine Schilde sind hochgefahren. Er fragt sich, ob man auch Lilith wie ihn gefesselt und gefangen hat. Er hofft, dass sie entfliehen konnte.

Sie hatte versucht, mich zu warnen.

Luciens Bewacher lassen ihn mitten in der Luft los, und er stürzt auf den schimmernden Marmorboden. Seine festgebundenen Flügel versuchen vergeblich, zu schlagen und ihn vor dem schmerzhaft harten Sturz zu bewahren. Doch er landet hart auf der Seite, wobei die Ketten klirrend auf dem Marmor aufkommen. Dunkle Staubkörnchen wirbeln vor seinem verschleierten Blick auf.

Das Flöten, Trillern und Schmettern des Wybrcathl aus Hunderten von Mündern hallt im Thronsaal des Palastes wider, als die Hochgeborenen der Elohim ihre Lieder und ihre Empörung hören lassen. Es ist ein wunderschönes Gesamtkunstwerk. Lucien unterdrückt seinen intuitiven Wunsch, den in wallenden Roben gekleideten Aingeals ebenso tirilierend zu antworten.

Er blinzelt, um wieder klarer sehen zu können, und erhebt sich auf die Knie, ehe Uriel mit den goldenen oder Yng mit den schwarzen Flügeln herabstürzen und ihn mit Fußtritten dazu bringen, nicht länger liegen zu bleiben. Er steht mit so viel Würde auf, wie es seine Ketten und Fesseln erlauben, und wendet sich dem Thron zu, auf dem er selbst einmal saß. Der Duft der Heimat – nach Jasmin, rauchiger Myrrhe und schwarzer schwerer Erde – steigt ihm in die Nase, und er atmet tief ein.

Doch was er sieht, legt ihm eine kalte Faust um sein sehnsüchtiges Herz und verwandelt es zu Eis. Gabriel, dessen goldene Flügel hinten zusammengelegt sind, steht vor dem uralten Thron mit den dunklen Sternen, dessen Flügel aus Marmor ihn wie die Blütenblätter einer Blume umgeben. Auf einem kleineren, weniger prächtigen Thron sitzt Luzifer, die Beine lässig ausgestreckt, sein sternweißes Haar umrahmt kurzgeschnitten sein attraktives, gelangweilt wirkendes Gesicht.

Neben ihm jedoch steht – in einem dunkelblauen Kleid – Lilith. Sie sieht mit erhobenem Kinn Lucien an, wobei sich ihre Wangen jäh röten.

Stets die Taktikerin, seine Lilith. Ohne den Blick von ihr zu wenden, verneigt er sich halb mit klirrenden Ketten. Ihre Wangen werden noch röter, und sie hebt ihr Kinn noch höher.

Gabriel winkt ungeduldig, und der Chor der Wybrcathl bricht ab. »Endlich – endlich muss sich der Mörder Jahwes der Gerechtigkeit stellen«, sagt er mit seiner melodischen Stimme, die den ganzen Himmel erfüllt. Betont langsam schreitet er die Stufen hinab. Seine Miene wirkt nachdenklich, und sein karamellfarbenes Haar schmiegt sich in dichten Locken an seine von einer amethystfarbenen Robe bedeckten Hüften. Die silbernen Armreife an seinen Handgelenken blitzen kalt. »Ich habe mich oft gefragt, ob uns ein anderer Creawdwr vorenthalten wird, weil dieser Aingeal – dieser Creawdwr-Mörder – noch atmet.«

Er bleibt vor Lucien stehen. In seinen goldenen Augen spiegelt sich Hass, während sich ein kühles Lächeln auf seinen Lippen zeigt. »Was meinst du, Samael? Irgendwelche Erklärungen? Bitte tu uns den Gefallen.«

»Ich dachte, für Erklärungen wärst du zuständig«, sagt Lucien. Seine Stimme klingt klar und tief, als seine Worte die Marmorhalle des Palastes erfüllen. »Bist du noch immer damit beschäftigt, anderen die Macht und den Respekt zu entreißen und sie an dich zu bringen, weil du selbst keine besitzt? «

Gabriels Lächeln wirkt angestrengt. Seine Flügel schlagen. »Du scheinst nicht zu begreifen, Samael. Ich gebiete nun über Gehenna.«

Lucien legt gespielt nachdenklich eine Hand ans Kinn. Seine Ketten klirren. »Gebieten? Meinst du damit, dass du den Thron so lange warmhältst, bis ihn wieder jemand besteigt, dem diese Ehre gebührt?« Er betrachtet die konzentrierten Gesichter der Elohim. Einige kennt er, andere nicht. Schließlich nickt er. »Eine kluge Entscheidung, meine Brüder und Schwestern. Gabriel sollte ihn bald warm genug haben, dass selbst der eisigste Hintern nicht friert.«

Jemand in dem Halbkreis, der sich um sie gebildet hat, hält hörbar die Luft an. Andere vermögen kaum, ein Lachen zu unterdrücken. Hinter Gabriel huscht ein Lächeln über die Lippen Luzifers.

Aus Gabriels Gesicht ist alle Belustigung verschwunden. Er erstarrt, die Muskeln in seinen Schultern haben sich erkennbar verhärtet. »Ich denke, Zeit in Sheol wäre gut«, sagt er gepresst. »Um in Ruhe nachzudenken.«

»In Ruhe nachdenken … das ist immer gut«, murmelt Lucien. »Aber vielleicht könntest du dich hier in eine Ecke stellen? Du musst ja nicht gleich auch in den Abgrund hinab – oder?«

Diesmal ist einen Augenblick lang ehrliches Gelächter zu hören, das jedoch genauso schnell wieder verstummt, wie es erklang.

Gabriel runzelt verdrießlich die Stirn und hebt eine flache Hand. Doch dann lässt er sie wieder sinken, ohne seinen zornigen Blick von Lucien abzuwenden. Seine bernsteinfarbenen Klauen bohren sich in seine Handfläche, und schwarzes, duftendes Blut schießt aus den Wunden.

»Du wirst mehr als Blut und Bannsprüche brauchen, um mich zu halten, Platzhalter«, sagt Lucien.

»Ja«, stimmt Gabriel zu. Er taucht eine Klaue in sein Blut und streicht dann damit über Luciens Stirn. »Ich brauche deinen wahren Namen.« Ein boshaftes Lächeln umspielt seine Lippen.

Kaltes Grausen erfasst Lucien. Er sieht Lilith an, die daraufhin auf ihre hübschen Füße blickt, die in Sandalen stecken.

»Ich binde dich, Sar ha-Olam von den Elohim«, verkündet Gabriel. »Ich binde dich an die Erde Gehennas, binde deine Kräfte, die ungenutzt und ungehört in dir schlummern werden, bis ich dich wieder freilasse.« Während er ein blutiges Mal auf Luciens Stirn zeichnet, dringt durchsichtiges Licht durch seine Handflächen und beginnt, Lucien einzuhüllen. Jetzt ist er mit einer Fessel aus Licht gebunden. »Wie Gehenna vergeht, so sollst auch du vergehen. Bei meinem Namen.«

Lucien starrt Gabriel an, während sich die Magie des Aingeals um ihn wickelt, still und brennend in ihn dringt und seine Energie, seine Glut mit einem zarten Netz aus Eis umgibt. Sein Wybrcathl gefriert unter dem Gletscher aus Hass und kann nicht mehr erklingen.

»Eines Tages werde ich mich von deiner Magie befreien«, flüstert Lucien, »und an diesem Tag wird die Sonne zum letzten Mal für dich aufgehen. Denk daran, Gabriel Platzhalter. Auch ich kenne deinen wahren Namen. Vergiss das nicht. Vergiss das nie.«

Plötzlich spiegeln sich Zweifel auf Gabriels hellem Gesicht wider. Er weicht vor dem, was er in Luciens Augen sieht, zurück. »Werft ihn in den Abgrund!«, ruft er.

Wie viel Zeit war seit damals vergangen? An Ketten hängend und gefangen in einem nie endenden Kreislauf aus Schmerz, Erschöpfung und seinem Bemühen, sein Wissen um Dante vor den neugierigen Gedanken der anderen zu verbergen, hatte Lucien jegliches Gefühl für die Zeit verloren. Er hatte gewusst, was er riskierte, als er Gabriel so reizte, aber es war ihm trotzdem nicht möglich gewesen, seinen Wunsch zu unterdrücken, den Hochmut des Aingeal herauszufordern und ihm ein paar empfindliche Schläge zu verpassen.

Wenn seine Gefangennahme und seine Bestrafung als Jahwes Mörder und der baldige Mörder von ganz Gehenna dazu beitrug, dass Gabriel das Lied des neuen Creawdwrs nicht vernahm und Dante unbemerkt blieb, lohnte sich jede Sekunde, die er hier litt.

Ich schütze unseren Sohn mit allem, was ich habe, Genevieve.

Doch wie lange noch? Früher oder später würde Dante seine Gabe einsetzen. Wie konnte er seinen Sohn beschützen, während er über dem rotglühenden Boden des Abgrunds von Sheol baumelte?

Die Übereinkunft zwischen Gabriel und dem Morgenstern schien fragil zu sein und würde bestimmt über kurz oder lang in die Brüche gehen. Gab es eine Möglichkeit, das zu nutzen und so seine Freiheit wiederzuerlangen? Sonst würde er hier noch wie ein Schmuckanhänger baumeln, wenn es zum Bruch kam.

Lucien sehnte sich nach dem fahlen Himmel.

Fahl, obwohl er einmal kobaltblau und voller Tiefe gewesen war.

Klauen kratzten über seine Brust, während anderen an seinen festgebundenen Flügeln rissen. Hinter Luciens geschlossenen Augen brannte heißer Schmerz. Er schrie, und sein heiserer, wütender Schrei erfüllte die ganze dunkle Höhle.

Ein Wybrcathl trällerte durch die Luft, und die kreischenden Chalkydris verstummten, während das Rauschen ihrer schlagenden Flügel schriller zu klingen begann. Einer der Elohim kommt herab, dachte Lucien. Ein heißer Wind fuhr ihm durchs Haar und über sein Gesicht, während die Dämonen in der ewigen Nacht des Abgrunds verschwanden.

Vielleicht habe ich einen Augenblick Ruhe. Kann einen Atemzug lang schlafen.

Finger berührten sein Antlitz. Es war eine barmherzige, vertraute Geste. »Das habe ich nie gewollt«, wisperte Lilith. Ihr warmer Bernsteinduft vertrieb den trocken-fauligen Gestank der Chalkydris. »Du hättest dir diese Folter erspart, wenn du Gabriel von dem Creawdwr erzählt hättest. Er weiß noch nicht, dass einer in der Welt der Sterblichen wandelt.«

Lucien öffnete die Augen. Lilith schwebte vor ihm. Ihre schwarzen Flügel peitschten die heiße Luft. Ein roter Rock bedeckte ihre Beine, und ein silberner Reif schmückte ihren schlanken Hals, während ihre Brüste nackt und ihre Brustspitzen gerötet waren. Hinter ihr fiel von oben Helligkeit in die Grube und erleuchtete die tanzenden Staubkörner sowie die hochschießende Glut des orangefarbenen Feuers, das die Felsen zum Glühen brachte.

»Du hast es ihm nicht erzählt?«, fragte er mit heiserer Stimme.

Lilith schüttelte den Kopf. Lange Strähnen ihres schwarz glänzenden Haars fielen ihr ins Gesicht. »Natürlich nicht. Wenn Gabriel davon erfährt …« Sie beendete den Satz nicht, sondern sah mit besorgter Miene ins Dunkel unter ihr.

Lucien glaubte zu wissen, was sie dachte. »Wenn Gabriel davon erführe, würde er den Schöpfer seinem Willen unterordnen. Er würde ihn wie einen Bären im Zirkus tanzen lassen, nicht?«

Lilith sah ihn an. »Ja.« In ihrer Miene spiegelte sich Bedauern. »Gabriel sehnt sich nach den Tagen, als er Jahwes Stimme in der Welt der Sterblichen war und die Menschheit bei seinem Erscheinen zu zittern begann. Er sehnt sich nach den Tagen, als ihn die Sterblichen verehrten.«

»Er träumt von Macht – wie immer«, sagte Lucien. »Es würde nicht reichen, dass der Creawdwr Gehenna rettet und den Riss zwischen den Welten wieder schließt.«

»Nein«, antwortete Lilith voller Trauer. »Solange Gabriel herrscht, würde das nicht reichen.«

»Warum erzählst du mir das? Was willst du von mir?«

»Den Creawdwr

Lucien lachte. Er lachte, bis ihm Tränen in die Augen schossen. Liliths anmutiges Gesicht wirkte indigniert. »Hältst du so wenig von mir?«, fragte er, nachdem die bittere Belustigung nachgelassen hatte. »Eine Woche Folter durch die Klauen der Chalkydris, und schon glaubst du, dass ich dir den Creawdwr überlasse?«

»Hältst du so wenig von mir? Ich will den Schöpfer vor Gabriel schützen.«

»Du willst ihn für dich.«

»Na und? Ich schätze, du glaubst, du beschützt ihn, aber was, wenn du nie mehr in die Welt der Sterblichen zurückkehrst? « Liliths scharfe Augen musterten ihn eingehend. »Er ist ungebunden. Ungeübt. Er wird den Wahnvorstellungen anheimfallen und die Welt der Sterblichen und Gehenna mit in den Abgrund reißen. Irgendwann wird Gabriel seinen Anhrefncathl hören und ihn finden. Was dann, Samael … Lucien? Was dann?«

Eine berechtigte Frage. Es ärgerte ihn, dass alles, was Lilith gesagt hatte, stimmte. Er hatte gehofft, Dante geheim halten zu können, doch es war ihm nicht gelungen. Indem er seinem Sohn die Wahrheit verschwiegen hatte, hatte er nicht nur die Wut und Verachtung seines Fleisch und Bluts auf sich gezogen, sondern auch sein Vertrauen verloren. Jetzt weigerte sich Dante, von Lucien etwas anzunehmen – nicht einmal sein Wissen.

Ungebunden. Ungeübt. Wahnvorstellungen anheimfallend.

Konnte er Lilith trauen? Doch ein noch düsterer Gedanke trieb ihn um: Habe ich eine Wahl? Wenn er sich zwischen Gabriel und Lilith entscheiden müsste, würde er immer Lilith wählen. Gabriel hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um Jahwes Geisteskrankheit noch zu fördern. Er hatte ihm die Worte im Mund umgedreht und sie dann als hässliche Wahrheit unter den Menschen verbreitet.

Lucien konnte Dante nicht schützen, solange er im Abgrund von Sheol hing und seine Flügel gefesselt waren, und als sei diese Tatsache noch nicht genug, vernahm er unerwartet ein Lied in seinem Herzen, wild, hell und rein, das ihn bis ins Mark erschütterte. Dantes Chaoslied. Es verklang genauso schnell, wie es erklungen war, und einen Augenblick lang strich Schmerz gegen Luciens Schilde.

Lilith neigte den Kopf zur Seite und sah ihn fragend an. »Stimmt etwas nicht?«

Lucien atmete beruhigt auf. »Du meinst abgesehen von der Tatsache, dass ich hier gefesselt an Haken hänge?« Sie hatte den Gesang nicht gehört. Vielleicht war nur er dazu in der Lage gewesen, weil er noch immer mit Dante verbunden war.

Ein leises Lächeln huschte über Liliths Lippen. »Ja, davon abgesehen.« Sie hielt seinem Blick stand. »Ich habe verstanden, warum du so sehr für Jahwe gekämpft hast. Du warst sein Calon-Cyfaill. Aber warum setzt du dich so sehr für diesen Creawdwr ein?«

»Was hat dich dazu gebracht, Gabriel meinen wahren Namen zu verraten?«

Lilith schlug mit den Flügeln. »Ich tat es, um sein Vertrauen zurückzugewinnen. Ich wollte ihn glauben machen, der einzige Grund, warum ich auf deiner Seite gekämpft hatte, sei gewesen, dich besser hintergehen zu können. So wie du mich.«

»Ja, das habe ich«, flüsterte Lucien.

Blinzelnd sah sie weg. »Hast du es je bereut?«

»Ja.«

Lilith sah ihn an. In ihrem Gesicht spiegelten sich verschiedene Empfindungen – Groll, Schmerz, verletzter Stolz –, doch ihre golddurchwirkten Augen blickten ihn ruhig an. »Was nun?«

»Wir fangen neu an.«

»Nach Jahrtausenden?«

»Absolut. Was bleibt uns übrig? Wir haben uns beide verändert. «

Lucien musterte sie für einen langen Augenblick und dachte daran, wie sehr sie einander einmal vertraut hatten. Er dachte an ihre Liebe und Liliths honigwarme Küsse. Aber er dachte auch an ihren Ehrgeiz. Vielleicht ließ sich dieser jetzt nutzen, und vielleicht auch die Erinnerung an ihre Liebe füreinander.

»Sein Name ist Dante, und er ist ein geborener Vampir«, sagte Lucien. »Er ist dreiundzwanzig Jahre alt und durchschaut nicht, wer oder was er ist.«

Liliths Augen weiteten sich. »Er ist ein Kind! Wie konntest du ihn alleinlassen?« Sie runzelte die Stirn. »Ein geborener Vampir? Fola Fior? Aber wie kann er dann ein Creawdwr sein?«

»Er ist mein Sohn«, flüsterte Lucien.