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IM DUNKELN

Auf der I-5 zwischen Portland und Salem, Oregon · 22. März

 

Shannon Wallace starb unter den schützenden Ästen einer Eiche, ihr Blut tränkte den Boden, der von Fichtennadeln übersät war, wie Regen an einem heißen Sommertag. Sie starb im Dunkeln, ohne Widerstand zu leisten. Sie starb betrunken, während sie in das Gesicht ihres Mörders blickte.

Dessen war sich Heather Wallace absolut sicher.

Äste und trockenes Laub knirschten unter ihren Schuhen, als sie durch das Unterholz lief. Sie blieb neben einer von Flechten übersäten Eiche stehen. Genau an diesem Ort hatte man die Leiche ihrer Mutter zwei Jahrzehnte zuvor entdeckt.

Wie Feuerräder wirbelten Erinnerungen durch sie hindurch – bewegliche Bilder, die sich immer wieder veränderten und verwandelten.

Wirbel: Mom lacht. Ein Lächeln erhellt ihr Gesicht, und die Luft um sie herum schimmert wie an einem Sommermorgen. In einem kleinen Messinggefäß verbrennen Räucherstäbchen, die nach Rosen duften.

Wirbel: Mom ist still und konzentriert sich auf das Putzen des Hauses. Sie wischt alle Oberflächen mit einem Reinigungsmittel und harten Bürsten ab. Stunden über Stunden. Tagelang.

Wirbel: Der raue Klang von Moms Zorn. Das Krachen und Klirren zerschmetterter Teller, von Splittern aus Keramik. Der drückende Mief von Zigaretten und Alkohol.

Wirbel: Mom sitzt am Küchentisch, die Ellbogen auf der vollgemüllten Tischplatte, ihr Kopf in ihren Händen. Ihre ungekämmten, strähnigen Haare fallen über ihre Fingergelenke. In einem Aschenbecher mit ausgedrückten Kippen glüht eine Zigarette. Leere braune Pillenfläschchen rollen über den Tisch und landen neben einer halbleeren Wodkaflasche.

Wirbel: Mom lacht …

Heather blinzelte, und die Bilder verschwanden. Sie atmete die sonnenwarme Luft ein, um so den erinnerten Geruch von Zigaretten und Rosen aus ihrer Nase zu bekommen.

Shannon war dreißig gewesen, als sie starb, Mutter von drei Kindern, Ehefrau des FBI-Gerichtsmediziners James William Wallace. Heather war schon ein Jahr älter, als sie je geworden war.

Shannon war eine Frau gewesen, die keiner je verteidigt hatte, nicht einmal ihr Mann. Der Fall wurde nie geklärt. Er geriet in Vergessenheit, und Shannon erfuhr keine Gerechtigkeit. Heather war daran nicht schuldlos. Selbst nachdem sie erfahren hatte, wie ihre Mutter gestorben war, hatte sie noch sechs Jahre gebraucht, ehe sie handelte. Sie musste erst beobachten, wie Dante von seiner Mutter sprach, die er nie kennengelernt hatte.

»Räche deine Mutter«, flüstert Lucien, als Dante die Augen aufschlägt.

Heather hoffte, auch endlich für ihre Mutter die Stimme erheben zu können.

Vielleicht würde die Wahrheit ja auch dazu führen, dass es Annie wieder besserging. Vielleicht.

Doch ehe Heather ihrer Schwester helfen oder das Wort für ihre ermordete Mutter ergreifen konnte, musste sie selbst am Leben bleiben, und damit ihr das gelang, wollte sie, dass das FBI eine Agentin erlebte, die so ehrgeizig war, dass sie freiwillig einen alten Fall wiederaufrollte, obwohl sie noch krankgeschrieben war. Sie wollte dem FBI eine Agentin präsentieren, die sich verhielt, als hätte sich in den vergangenen drei Wochen nichts an ihrer Situation geändert.

Obwohl sich in Wahrheit alles grundlegend verändert hatte – einschließlich ihrer selbst.

Dante …

Sie berührte die Stelle an ihrem Brustkorb, wo die Kugel in sie eingedrungen war, und spürte den regelmäßigen Schlag des Herzens unter ihren Fingern. Sie erinnerte sich an die Verzweiflung in Dantes Stimme, an seine heiseren Worte, sein mit Cajun-Akzent hervorgestoßenes Ich werde dich nicht im Stich lassen.

Heather schloss die Augen und schob die Erinnerung allmählich weg. Nicht jetzt.

Nach einem Moment öffnete sie die Augen wieder und sah in die düsteren Schatten unter den Bäumen. Tief atmete sie den Duft von Moos, feuchter Erde und Kiefern ein. Die Bäume und Sträucher dämpften die Geräusche des Verkehrs auf der I-5. Sie ging in die Hocke und versuchte, sich vorzustellen, was Shannon in der letzten Nacht ihres Lebens gesehen und gefühlt hatte. Versuchte, es so zu handhaben, als handle es sich um einen ganz gewöhnlichen Fall.

Selbst zwanzig Jahre zuvor hatten sich die Spuren in diesem Fall schnell im Nichts verloren. Shannon hatte am ersten Oktober gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig die Driftwood Bar and Lounge in Nordost-Portland verlassen. Man hatte die Angestellten und anderen Gäste befragt und die Aussagen der Säufer miteinander verglichen.

Shannon Wallace trieb sich häufig in den Kneipen der Umgebung herum und gabelte dort Männer auf. Galt hinsichtlich ihrer Trinkkumpane als nicht besonders wählerisch.

Die Ermittler in Portland, die sich damals mit dem Fall beschäftigten, glaubten, Shannon Wallace sei das Opfer eines Serienmörders geworden, der zu jener Zeit entlang der I-5-Autobahn sein Unwesen trieb – der sogenannte Klauenhammer-Mörder. Der KHM hatte es vor allem auf Prostituierte und Säuferinnen abgesehen, auf Frauen, die gewöhnlich niemand vermisste. Zumindest nicht sofort. Die FBI-Spezialeinheit für den KHM hatte ebenfalls vermutet, Shannon könne ein weiteres Opfers dieses Killers geworden sein.

Wenn das stimmte, war Shannon bereits Gerechtigkeit widerfahren.

Special Agent Craig Stearns, damals Mitglied der Dienststelle in Portland, tötete den KHM – einen Schreiner aus Hillsboro namens Christopher Todd Higgins – bei einem heftigen Kampf, als er ihm kurz nach Shannons Ermordung einen Durchsuchungsbefehl unter die Nase hielt.

Stearns.

Heather richtete den Blick auf die grünen und goldgelben Blätter über ihr. Sie versuchte, nicht daran zu denken, was in New Orleans passiert war, doch es gelang ihr nicht.

Stearns hebt die Glock und ruft Dantes Namen.

Dante, die Hände auf beiden Seiten des Rahmens der offenen Haustür, dreht sich um. Mündungsfeuer. Sein Kopf fliegt zur Seite, als die Kugel ihn in die Schläfe trifft. Er kommt ins Straucheln und fällt. Dann bricht er auf der Schwelle zusammen.

Stearns geht mit der Waffe in der Hand auf den leblos daliegenden Dante zu. Heather springt während der Fahrt aus dem Auto, ehe Collins ganz zum Halten kommt. Im Laufen reißt sie die Achtunddreißiger aus der Tasche des Trenchcoats. »Lassen Sie die Waffe fallen!«, schreit sie, wobei sie die Pistole mit beiden Händen umklammert. »Zwingen Sie mich nicht, das zu tun!«

Stearns sieht sie an, ehe er sich wieder Dante zuwendet. Er hebt seine Waffe.

Sie feuert.

»Scheiße«, murmelte Heather und richtete den Blick wieder auf den Boden. Seitdem waren erst drei Wochen vergangen, und die Erinnerung an diesen Augenblick war noch immer fast unerträglich. Sie blinzelte, bis ihre Augen nicht mehr brannten.

Infernos MySpace-Seite zufolge war die Band auf Tour, Dante war also für den Moment in Sicherheit, und Stearns, ihr Mentor, der Mann, der für sie mehr ein Vater gewesen war als James Wallace, war tot und ehrenvoll auf dem Lakeview-Friedhof in Seattle bestattet worden.

Sie holte tief Atem. Eins nach dem anderen, Wallace. Eins nach dem anderen.

Ein dumpfer Schlag hallte in der grünen Stille um sie herum wider. Autotür.

»Wallace? Sind Sie in Ordnung?«

Das klang, als habe Lyons keine Lust, noch länger zu warten. Vielleicht musste er sich die Beine vertreten. Vielleicht langweilte er sich auch. Sie war allerdings ziemlich sicher, dass er den Auftrag hatte, sie im Auge zu behalten. Vielleicht war er also nur neugierig, was sie so trieb, weil er dazu angehalten war. Sie hatte sowieso keine Begleitung gewollt, um den Tatort zu besichtigen, und dass jemand mit Lyons’ Dienstgrad freiwillig mitkam, war mehr als ungewöhnlich.

»Ja, Sir, alles in Ordnung.«

Heather stand auf. Sie klopfte sich Erde und Laub von der Jeans, drehte sich um und duckte sich unter jungen, schlanken Ästen hindurch. Gerade noch rechtzeitig, um zu beobachten, wie der leitende Special Agent Alex Lyons etwas in die Tasche seines Kapuzenpullovers steckte. Ein Mobiltelefon? Einen Blackberry? Sie lief über das Gras auf ihr Auto zu. Die frühe Nachmittagssonne ließ ihren eleganten Trans Am saphirblau glitzern und funkeln.

Lyons lehnte an der Beifahrertür und rauchte. Die Brise zerzauste seine blonden Locken. Er sah Heather blinzelnd entgegen; die Sonne blendete ihn. Seine grünen Augen waren von kleinen Falten umrahmt, was ihm eine gewisse Marlboro-Man-Männlichkeit verlieh. Er war groß und schlank und trug verwaschene Jeans, eine graue Kapuzenjacke und schwarze Rippers-Schuhe. Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig, vermutete aber, dass er im Herzen immer zwanzig und verwegen bleiben würde.

»Haben Sie gefunden, was Sie gesucht haben?«, fragte er und richtete sich auf. Er ließ die Zigarette auf den Asphalt fallen und trat sie mit einem Drehen seines Schuhs aus.

»Ja, Sir. Ich weiß zu schätzen, dass Sie sich an Ihrem freien Tag die Mühe gemacht haben mitzukommen.«

Lyons zuckte die Achseln. »Kein Problem. Ich helfe gern.«

»Nun, es war eigentlich gar nicht nötig«, antwortete sie. »Danke auch, dass sie die Akte der Portlander Polizei zu Higgins mit der des FBI zum Klauenhammer-Mörder vergleichen ließen.«

»Wie gesagt: Ich helfe gern. Vor allem jemandem wie Ihnen.«

»Was meinen Sie damit? Jemandem wie mir?« Heather öffnete die Beifahrertür und rutschte über den dunklen Ledersitz zum Fahrersitz hinüber. Sie griff nach dem Sicherheitsgurt und schnallte sich an.

Lyons stieg auch ein und schlug die Tür zu, ehe er sich auch anschnallte. »Ich meine, Sie sind ja nicht nur eine Kollegin, sondern auch persönlich an dem Fall interessiert, nicht wahr?«

Der Wohlgeruch seines Rasierwassers breitete sich aus. Es war ein Rasierwasser, das auch Heathers Bruder einmal benutzt hatte – Drakkar Noir. Doch in diesem Fall vermischte sich das Aroma von Zitrone, Sandelholz und Zedern mit dem Rauch einer Zigarette.

»Diese ganzen ›Sirs‹ sind übrigens viel zu formell – vor allem an meinem freien Tag«, fügte er mit einem Lächeln hinzu. »Wie wäre es, wenn Sie mich Alex nennen und ich Sie Heather?«

»Wow, zum Glück ist das zufällig wirklich mein Name.«

»Schön, klug und mit Sinn für Humor«, kicherte Alex. »Eine tödliche Mischung.«

»Sie haben mich einfach an einem guten Tag erwischt … Alex.«

»Also, was denken Sie über den Fall, nachdem Sie ihn jetzt nochmal begutachtet haben?«

»Higgins war wahrscheinlich tatsächlich auch für den Mord an meiner Mutter verantwortlich«, entgegnete Heather. »Aber ich möchte sicher sein.«

»Das kann ich verstehen.«

Heather ließ den Motor an. Der Trans Am erwachte zum Leben. Sie trat aufs Gas und schaltete bis in den fünften Gang hoch, als sie sich elegant in den Verkehr auf der Autobahn einreihte.

»Kann ich Ihnen eine Frage stellen?«, wollte Lyons nach einer Weile wissen.

»Klar.«

»Wie hat es sich angefühlt, Elroy Jordan zur Strecke zu bringen? Ich meine, selbst nachdem ihn diese bescheuerte Pathologin in Pensacola für tot erklärt hatte, haben Sie ihn gefunden. «

Heather hielt den Blick auf die Straße gerichtet und lenkte den Trans Am auf der Überholspur an einem Sattelschlepper vorbei, der Budweiser geladen hatte. Ihre Finger klammerten sich jedoch fester ans Lenkrad, als sie Lyons lauschte. »Reines Glück«, antwortete sie.

»Reines Glück?«, lachte Lyons. »Kein Grund für falsche Bescheidenheit. Sie können sich ruhig mit den Lorbeeren schmücken, die Sie verdienen. Ich würde es an Ihrer Stelle. Sie haben diesen Bastard gefunden und ihn dahin befördert, wo er hingehörte – auf den Friedhof.«

Das FBI hatte erklärt, sie habe Jordan getötet – obwohl es die Wahrheit kannte. Es war eine Wahrheit, die nie laut ausgesprochen wurde, eine Wahrheit, die sowohl sie als auch die Mächte, die hinter dem Ganzen standen, vergraben wollten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Sie wollte weiterleben und Dante beschützen.

Die anderen hingegen wollten kollektiv ihren Arsch retten – und die Pathologin in Pensacola, die Lyons gerade so beiläufig erwähnt hatte? Die, der man befohlen hatte, den Autopsiebericht zu fälschen? Sie hatte sich umgebracht, war mit aufgeschnittenen Pulsadern im Bad gefunden worden. Letztlich hatte man sie auf einen ihrer eigenen Seziertische gelegt und untersucht.

Ein Selbstmord, der sehr gelegen gekommen war.

Die Erkenntnis, wie weit das kollektive Arschretten ging, erschütterte Heather bis ins Mark, auch wenn sie nicht überrascht war. Nach New Orleans überraschte sie nichts mehr. Das Schlimmste an der Sache war für sie jedoch ihr eigenes Schweigen – und es war unwichtig, dass dieses Schweigen lebensnotwendig war –, denn sie hatte das Gefühl, dadurch zur Mittäterin zu werden.

»Na ja, mir wäre es lieber gewesen, Jordan hätte sich den Familien der Opfer vor Gericht stellen müssen«, antwortete sie schließlich. »Mir kommt es vor, als wäre er zu leicht davongekommen. «

»Das passiert leider Gottes oft.«

»Stimmt«, entgegnete Heather. »Aber ich hoffe jedes Mal wieder von neuem, bei einem neuen Fall etwas ändern zu können.«

»Amen, Schwester.« Lyons hielt einen Augenblick lang inne. »Ich habe gehört, Sie haben auch eine Kugel abgekriegt. Wie geht es Ihnen? Für eine Frau, die vor drei Wochen fast abgekratzt wäre, sehen Sie verdammt gut aus.«

»Ich werde Ihre Frage beantworten«, sagte Heather locker und entspannt, »wenn Sie mir auch eine beantworten.«

»Schießen Sie los.«

»Ich sah, wie Sie etwas in Ihre Tasche gesteckt haben, als ich aus dem Wald kam. Nehmen Sie diese Unterhaltung auf?«

»Etwas in meine Tasche? Ich weiß nicht …« Lyons lachte auf. »Ach, das war meine Schwester. Ich habe sie angerufen, um sie zu fragen, ob ich etwas auf dem Nachhauseweg für sie besorgen soll.«

Heather sah zu ihm hinüber. Seine Augen glitzerten belustigt, und er sah sie ruhig und gelassen an. Ihr Bauchgefühl sagte: Er spricht die Wahrheit. Die Anspannung in ihren Muskeln ließ etwas nach, und sie lockerte ihren Griff um das Lenkrad.

»Ist das beim FBI erlerntes Misstrauen oder einfach natürliche Paranoia?«

Heather kicherte. »Beim FBI erlerntes Misstrauen«, gab sie zu. »Aber ich weiß nicht mehr, wie man es abschaltet.«

»Nochmal Amen, Schwester. Aber nun zu meiner Frage …«

»Meine Verletzung war nicht so schlimm, wie sich das vielleicht …« In diesem Augenblick unterbrach sie das Klingeln eines Mobiltelefons.

»Ist das Ihres oder meines?«, fragte Lyons und fasste in die Tasche seiner Kapuzenjacke.

»Mist, das ist meines«, brummte Heather und tastete mit einer Hand hinter dem Sitz nach ihrer Tasche. Ein geschäftsmäßiges Klingeln kündigte an, dass es sich um jemanden vom FBI handeln musste, wohingegen ein Neo-Grunge-Song von Leigh Stanz – und zwar »Don’t Need Light« – für alle anderen Anrufer bestimmt war.

Wenn man bedachte, dass sie noch krankgeschrieben war, konnte ein Anruf aus dem Büro nichts Gutes bedeuten.

»Halten Sie den Blick lieber auf der Straße und die Hände am Lenkrad«, sagte Lyons und drehte sich auf dem Sitz um. »Ich werde es holen.«

»Danke«, antwortete Heather und folgte seinem Rat. Einen Moment später drückte ihr Lyons das Telefon ans Ohr.

»Los«, flüsterte er.

»Wallace«, sagte sie ins Mobiltelefon.

Es war eine kurze und definitiv unangenehme Unterhaltung. Als sie zu Ende war, nahm Heather Lyons das Handy ab, klappte es zu und schob es sich in die Jackentasche.

»Ärger?«, fragte er.

Man will eine aktualisierte Version Ihres medizinischen Befunds sehen, und zwar Punkt achtzehn Uhr. Stellen Sie sich darauf ein, dass es noch einmal eine Nachbesprechung geben könnte.

Noch eine Nachbesprechung, Sir?

Wäre möglich. Um achtzehn Uhr also, Wallace.

»Nein«, log sie und warf Lyons ein kurzes Lächeln zu. »Wahrscheinlich nur eine Verwechslung.«

»Ich verstehe. Die Amtsschimmel wiehern ihre neueste Version von ›Reichen Sie das bitte in dreifacher Ausführung ein‹.«

Trotz des Froschs in ihrem Hals musste Heather lachen. »Genau.«

Es blieben ihr fünf Stunden, um nach Seattle zurückzufahren, und obwohl das reichen sollte, Lyons am Parkplatz vor dem Gebäude der Dienststelle Portland abzusetzen, konnte sie nun ihren Überraschungsbesuch bei Annie in der Klinik knicken, den sie eigentlich geplant hatte. Es war nicht einmal mehr genug Zeit, um noch kurz bei sich zu Hause vorbeizufahren und von ihren Jeans in ein formelleres Outfit aus Bluse und Hose zu schlüpfen.

Vielleicht war das auch nicht nötig. Stellen Sie sich darauf ein, dass es noch einmal eine Nachbesprechung geben könnte.

Der Frosch in ihrem Hals wurde größer. Eventuell hatte man von ihr und Dante erfahren. Wenn das der Fall war, hatte sie ihnen genug Gründe geliefert, sie – die Heldin der letzten Wochen – zu feuern und außerdem die Möglichkeit, noch eine tragische Gestalt wie die Pathologin aus Pensacola zu schaffen. Noch einen Freitod in der Badewanne. Möglicherweise würde sie auch das Opfer eines Autounfalls oder eines schiefgelaufenen Raubüberfalls werden.

Heather holte tief Atem und sog dabei das Aroma von Drakkar Noir ein. Reiß dich zusammen, Wallace. Wenn die Leute am Drücker sie tot gewollt hätten, hätten sie nicht darauf gewartet, dass man sie feuerte. Dann wäre sie schon lange im Leichenschauhaus.

Vielleicht steckte ihr Vater ja hinter der plötzlichen Aktualisierungsnachfrage. Vielleicht hatte er davon Wind bekommen, dass sie den alten Fall wieder aufrollen wollte.

»Kann ich Sie um einen Gefallen bitten?«, fragte sie.

»Schießen Sie los.«

»Mein Vater ist James Wallace …«

»James William Wallace? Der furchtlose Leiter des Labors an der Westküste?«

»Genau der.«

Lyons stieß einen Pfiff aus.

»Sollte er Sie kontaktieren und fragen, wie ich in diesem Fall vorankomme, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ihn im Dunklen tappen ließen.«

Heather sah Lyons an. Etwas leuchtete in seinen grünen Augen auf – eine Art Verbindung, ein Verstehen. Er nickte. »Kann ich machen. Ich lasse Ihren alten Herrn im Dunklen tappen.«

»Danke«, antwortete sie und atmete erleichtert auf. Sie war froh, dass er den Grund für ihre Bitte nicht wissen wollte. »Ich weiß das zu schätzen.«

»Kein Problem.«

James William Wallace hatte Heather die letzten zwanzig Jahre über im Dunklen tappen lassen – darüber, wie ihre Mutter gestorben war und wie sie gelebt hatte, ebenso wie über Annies Krankheit. Jedes Körnchen Wahrheit hatte sie selbst ausgraben und mühsam von den Lügen und Dementi befreien müssen, mit denen er alles zu verbergen suchte. Jetzt war es an der Zeit, ihm endlich zu zeigen, wie sich so etwas anfühlte.