SIEBENUNDZWANZIG
BUDAPEST, UNGARN
Hanna horchte an der Tür. Aus dem Wohnzimmer
drangen immer noch Stimmen. Gingen ihre Gasteltern denn nie
schlafen? Bestimmt wartete Mattim schon auf sie. Sie schaute ins
Treppenhaus hinunter und setzte schon den Fuß auf die oberste
Stufe, als Ferenc unten auftauchte. Hastig zog sie sich wieder
zurück, sie wollte ihm nicht gerade jetzt in die Arme laufen. Durch
einen Türspalt beobachtete sie, wie er im Badezimmer und kurze Zeit
danach im Schlafzimmer verschwand. Wo blieb nur Mónika? Die Zeit
lief. Sie hatte eigentlich nicht vor, sich die ganze Nacht um die
Ohren zu schlagen.
Schließlich hielt sie es nicht länger aus und
schlich auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer war
noch Licht. So leise wie möglich nahm sie ihren Mantel vom Bügel
und schlüpfte in ihre Schuhe.
Sie spähte zum Wohnzimmer hinüber und hoffte
inständig, dass Mónika nicht gerade jetzt auftauchte. Bestimmt
schlief sie noch nicht. So langsam, wie es nur ging, drückte Hanna
die Türklinke hinunter und trat vors Haus.
Die feuchte, kalte Luft schlug ihr entgegen und
ließ sie frösteln. Aber da stand auch schon Mattim vor ihr.
»Komm.« Er nahm sie bei der Hand, aber als sie nach
dem Schlüssel für das Tor greifen wollte, schüttelte er den Kopf
und zog sie vom Weg herunter, zur Hecke hin.
»Mattim«, flüsterte sie, »was hast du vor?«
Er lachte leise. Dann legte er den Arm um sie und
stieg mit ihr in den Schatten.
Sie zuckte zurück, in der Erwartung, dass ihr die
Zweige ins Gesicht schlagen würden, doch da standen sie längst auf
der Straße.
»Du bist ja verrückt!«, keuchte sie. »Das glaubt
mir kein Mensch!«
»Ich wusste, dass es möglich ist, jemanden
mitzunehmen«, sagte Mattim. »Auch wenn derjenige selbst kein
Schatten ist. Sonst hätte Kunun dich nicht in die Höhle mitnehmen
können.«
»Dein Bruder verrät dir mehr, als er will. Das wird
ihm nicht gefallen.«
Selbst im matten Pfirsichlicht der Straßenlaternen
hatte sein Lächeln etwas Strahlendes. »Nein, ganz und gar nicht.
Komm, wir wollen Atschorek noch zu Hause antreffen.«
»Sie ist da? Ich hätte mir eher vorgestellt, dass
sie die Nächte in irgendwelchen Bars verbringt und zu den Leuten
sagt: Danke, ich hab schon getrunken.«
Mattim seufzte. »Das könnte hinkommen.
Normalerweise bricht sie später auf, selten vor Mitternacht. Jetzt
haben wir halb zwölf.«
»Schaffen wir das überhaupt?« Hanna hastete neben
ihm her. Die Verbindung zwischen dem zweiten und dem zwölften
Bezirk war denkbar schlecht. Wer mit dem Bus fuhr, musste mehrmals
umsteigen.
»Ich hab uns ein Taxi gerufen.« Er grinste. »Ohne
Hilfe. Du merkst, ich finde mich hier langsam zurecht. Siehst du,
da ist es.«
»Sparen musst du nicht, wie?«
Die Villa, vor der der Fahrer sie aussteigen ließ,
lag ein gutes Stück abseits der Straße. Man konnte nur die Umrisse
eines hohen Gebäudes erahnen, das von einem parkähnlichen
Grundstück umgeben war.
»Kein Licht«, flüsterte Hanna. »Vielleicht ist sie
gar nicht da.«
»Das werden wir gleich herausfinden. Wollen
wir?«
Sie nickte. Mattim legte wieder den Arm um sie, als
er ins Dunkel vor dem verwitterten Tor tauchte.
»So kommen also die Schatten zu Besuch. Ohne
Schlüssel und ohne Klingel.« Scherze halfen nicht wirklich. Die
schwarzen Fenster starrten in den verwilderten Garten. Durch die
Gerippe der Bäume fuhr ein scharfer Wind und ließ die überfrorenen
Zweige rascheln. Hanna fröstelte. Selbst hier, an Mattims Seite,
überlief sie ein Schauer. »Sehr einladend ist das Ganze
nicht.«
»Möchtest du lieber nach Hause?«
Ja, dachte Hanna. Ja, ja! Aber sie
schüttelte den Kopf. »Dann wollen wir mal sehen, ob deine Schwester
daheim ist.«
Mattim führte sie die glatten Steinstufen hoch zu
einem von zwei Säulen getragenen Vordach. Die breite Haustür
darunter war nicht mehr zu erkennen. Wie ein schwarzer Schacht kam
ihr die Stelle vor, an der Mattim klopfte.
»Es ist gar nicht so schlimm«, meinte er, »du
solltest einmal bei Tage herkommen.«
»Ja«, krächzte Hanna und wünschte sich mehr als
alles, dass Atschorek nicht zu Hause war. Dass Mattim sie
zurückbringen würde und sie nicht durch diese dunkle Tür gehen
musste.
Doch da hörte sie schon Atschoreks sanfte Stimme,
ohne dass sie gemerkt hätte, dass jemand geöffnet hatte.
»Sieh an. Unverhoffter Besuch. Das sind die besten
Gäste. Du hast deine Freundin mitgebracht, kleiner Bruder?«
»Du kennst Hanna ja schon.«
Atschoreks kühle Hand griff nach ihrer und drückte
sie. »Willkommen, Hanna. Bitte schön, mein Haus gehört euch.«
Immer noch konnte Hanna nichts sehen. Sie fühlte
sich von der fremden Frauenhand mitgezogen und merkte, dass es
etwas wärmer wurde, wenngleich nicht sehr viel.
Atschoreks Stimme flüsterte: »Wartet, ich mache
Licht.« Hanna klammerte sich an Mattim. »Lebt sie hier im
Finstern?«, wisperte sie.
Einige Meter von ihnen entfernt flammte ein Licht
auf, und nun konnte sie Atschorek erkennen, die eine altmodische
Öllampe in der Hand hielt. Sie war atemberaubend schön, in einem
bodenlangen schwarzen Kleid, als hätte sie sich gerade für ein
besonderes Fest zurechtgemacht. Ihr dunkles rotes Haar fiel so
glatt und glänzend an ihren Wangen herab, als trüge sie eine
Perücke aus Kupfer.
»Setzt euch, meine Lieben. Ich zünde nur noch das
Feuer im Kamin an, damit Hanna nicht frieren muss.«
Die Lampe beleuchtete einen großen Raum mit hoher
Decke. Weiter oben entdeckte Hanna ein hölzernes Geländer, hinter
dem sich ein weiterer Raum befand und vielleicht auch Türen; das
war von hier aus nicht zu erkennen. Der schwarze Marmorboden
schimmerte matt. Ein langer, wuchtiger Holztisch nahm eine Seite
des Raumes ein, ein Dutzend hohe, schwere Eichenstühle umstanden
ihn, und Hanna stellte sich vor, wie die Vampire dort tafelten und
sich mit blutgefüllten Pokalen zuprosteten.
Atschorek hatte ihren Blick bemerkt, obwohl sie
damit beschäftigt war, die Glut in dem massigen Kamin an der Wand
zu entfachen. »Ein Haus, in dem man gut feiern und tanzen kann«,
erklärte sie und lächelte, und man konnte ihr gerne glauben, dass
es für sie nichts Schöneres gab als Feste, als Lachen und
Ausgelassenheit in diesen düsteren Räumen. Auf einmal, obwohl sie
sich eben noch vor ihr gefürchtet hatte, empfand Hanna Mitleid mit
dieser schönen, jungen Frau, die zu einem Leben in der Nacht
verurteilt war.
Vor dem Kamin lud eine Sitzgruppe aus schwarzem
Leder zum Aufwärmen ein. Mattim zog seine Freundin zu einem breiten
Sessel, in dem sie beide zusammen Platz fanden, Hanna näher am
Feuer. Jetzt, da sie die Wärme spürte
und das flackernde Licht das Zimmer erhellte, kam es ihr gar nicht
mehr so unheimlich vor.
Atschorek setzte sich ihnen gegenüber und starrte
nachdenklich in die Flammen. »Manchmal«, sagte sie leise, »sitze
ich hier stundenlang und erinnere mich.«
»An Magyria?«, fragte Mattim.
»An eine andere Zeit.« Die rothaarige Vampirin hob
den Blick und ließ ihn auf Mattim und Hanna ruhen. »Ich hatte das
Tor nicht offen gelassen«, sagte sie. »Trotzdem seid ihr hier. In
der Höhle damals hattest du es gar nicht gemerkt, aber diesmal bist
du doch bestimmt bewusst und mit Absicht durch den Schatten
gegangen? Mir scheint, du hast ein paar Dinge gelernt, über die
Kunun nicht erfreut sein wird.«
»Er weiß es schon und war tatsächlich nicht
erfreut.«
Atschorek lachte vergnügt. »Der gute alte Kunun. Es
käme ihm nie in den Sinn, irgendetwas zu tun, nur weil es Spaß
macht. Und das tut es, nicht wahr?«
»Er meinte, es sei gefährlich.« Mattim verzog das
Gesicht.
»Natürlich. Alle Dinge, die Spaß machen, sind
gefährlich. Das sind aber die einzigen Dinge, die es wert sind,
getan zu werden.«
Hanna wusste nicht so recht, was sie von dieser
Philosophie halten sollte. Die Vernunft gebot ihr, zuzustimmen und
sich wie ein Gast im Haus eines Vampirs zu verhalten, doch es war
so falsch, so grundlegend falsch, dass sie nicht anders
konnte.
»Es gibt tausend Dinge, die ungefährlich sind und
trotzdem Spaß machen. Mit Kindern spielen. Oder Musik.
Freundschaften. Und … Liebe.«
Atschorek nickte und lächelte. »All das, was du da
aufzählst, ist gefährlich, liebe Hanna. Das Kind, das du liebst,
könnte sterben. Die Musik, die dich in ihren Bann zieht, kann dein
Leben verändern. Zum Guten wie auch zum
Schlechten. Du kannst am Klavier sitzen und spielen und dabei
alles andere vergessen, deine Kinder oder deine Ehe.«
Wie konnte die Vampirin das über Mónika wissen?
Beobachtete sie etwa das Haus der Szigethys? War sie da, hinter den
Schatten, irgendwo im Dunkeln, und sah zu? Wieder lief es Hanna
kalt den Rücken hinunter, aber Atschorek sprach weiter.
»Freundschaft … oh, eines der gefährlichsten Spiele. Ein Band zu
knüpfen, das niemals Bestand haben kann gegen die Bande des Blutes.
Und Liebe? Ha! Liebe. Der Kuss des Todes im Frühling. Ist das nicht
das Schönste daran - so ahnungslos zu sein wie ein Vogel im Baum,
der singt und nicht weiß, dass der Pfeil bereits abgeschossen
wurde, der ihn mitten ins Herz treffen wird?«
Mattim räusperte sich. »Atschorek, bitte! Hat Kunun
… ich meine, wird er es zulassen?«
»Was? Dass ihr beide zusammen seid? Du und dein
dunkelhaariges Kindermädchen?« Sie blickte Hanna an. »Ich weiß, wie
dein Leben schmeckt. Ich habe davon gekostet, von diesem Aroma, das
du in dir trägst. Ein Lied, stark und gewaltig und voller Hoffnung,
ein Lied wie ein Sommertag, hell, sehr hell … Ich weiß, Mattim, was
du da hast und warum du es nicht loslassen willst. Wieso fragst du
mich, was Kunun davon hält, obwohl es dir völlig egal ist?«
»Wenn er Hanna verletzt, um uns
auseinanderzubringen, ist es mir nicht egal«, gab Mattim
zurück.
Hanna drückte seine Hand. Sie konnte spüren, wie
sehr er sich ärgerte, dass er sich am liebsten auf Atschorek
gestürzt hätte.
Bleib ruhig, dachte sie, beschwor sie ihn.
Wir haben noch nicht das, weswegen wir hergekommen sind. Bleib
um Himmels willen ruhig!
Wenn es noch allzu lange dauerte, würde das
Gespräch im Streit enden, dann konnten sie künftig nicht mehr
einfach so mal vorbeischneien. Zeit, sich zu der entscheidenden
Frage vorzuarbeiten.
»Dieses Haus ist wunderschön«, sagte sie.
»Jedenfalls das, was ich davon sehen konnte. Wie lange wohnst du
schon hier, Atschorek?«
Die Vampirin lächelte geschmeichelt. »Bei
Tageslicht würdest du das wohl kaum sagen. Dass es dir gefällt. Die
Jahrzehnte hinterlassen ihre Spuren. An allem.«
»Außer an dir.« Hanna legte so viel Bewunderung in
ihren Blick, wie sie nur konnte. »Wie machst du es bloß, dass den
Nachbarn nicht auffällt, wie jung du bleibst?«
Atschorek lachte. »Wo kommst du her, vom Land? Hier
fällt keinem irgendetwas auf. Ein Haus, in dem eine alleinstehende
Frau lebt. Ist sie dieselbe wie damals? Oder eine andere,
vielleicht ihre Enkelin, ihre Nichte? Solange man den Menschen
keinen Anlass gibt, darüber nachzudenken, interessieren sie sich
nicht dafür.«
»Niemand ahnt also das Geringste.« Hanna blickte
Atschorek neugierig an. »Ich frage mich, wie es wohl war, am
Anfang. Als ihr ganz neu hergekommen seid.«
»Willst du meine Lebensgeschichte hören?« Atschorek
beugte sich vor und legte einen Scheit in die knisternden Flammen.
»Frag Mattim. Er kann dir am besten erzählen, wie es ist, aus
Magyria nach Budapest zu kommen.«
»Durch eine Pforte, die Kunun durch Zauberkraft
geöffnet hat. Was ist? Hat er das nicht? Ich dachte, er ist so
etwas wie ein Zauberer. Man muss ihn doch nur ansehen und …« Hanna
hatte Atschoreks Gesicht aufmerksam beobachtet. Ihr war das
Schmunzeln nicht entgangen, mit dem die Schattenfrau sich abwandte.
»Ihr seid ewig jung, ihr könnt durch Wände gehen, ihr braucht keine
Heizung im Winter«, zählte Hanna auf. »Kunun mit seinem schwarzen
Mantel - ich soll glauben, dass er keine Zauberkräfte hat? Dass er
nicht mit seinem Zauberstab eine Pforte geöffnet hat und in unsere
Welt herübergestiegen ist, um sich hier mit den anderen Schatten
vor den Wächtern aus Akink zu verstecken?«
Atschorek lachte leise. »Oh, Hanna, du bist
köstlich. Kunun
würde sich königlich amüsieren. Was fehlt ihm noch, ein großer
schwarzer Zylinder?«
»Wenn er diese Pforte nicht geschaffen hat, wer
dann? War sie schon immer da?« Mit großen Augen starrte sie
Atschorek an. Hanna, das kleine Menschenmädchen. Glaub es.
Verachte sie ruhig. Wie alt ist sie, achtzehn? Sie tut gerade, als
wäre sie zehn. Glaub daran, dass sie klein und naiv ist. Na los,
Atschorek, antworte.
»Deswegen«, flüsterte Hanna, »gab es schon
immer Gerüchte über Vampire. Seit Jahrhunderten. Sind sie immer
durch diese Pforte gekommen, schon damals? Durch diese uralte
Pforte? Es ist unheimlich.«
»Wie wäre es, meine Liebe, wenn du dich mit Dingen
beschäftigst, die dich etwas angehen?«, fragte Atschorek mit
seidenweicher Stimme, liebevoll und streng zugleich.
Hanna fröstelte, trotz des Kaminfeuers, trotz der
Wärme, die sich durch den hohen Raum mühte und doch niemals in den
hinteren Ecken ankommen würde. Etwas an diesem Haus würde immer
kalt und abweisend bleiben, Schlupfwinkel einer Frau, die nicht
atmete.
»Ich bin müde«, sagte Hanna leise. »Bring mich nach
Hause, Mattim, bitte.«
Er nickte. »Danke für den Platz an deinem Feuer«,
sagte er zu Atschorek. »Und viel … Spaß, wo auch immer du
hingehst.«
»Den werde ich haben, bestimmt.« Als sie in die
Winterkälte hinaustraten, nickte die Rothaarige Hanna noch einmal
zu. »Das nächste Mal komm am Tag«, sagte sie. »Dann zeige ich dir
das Haus. Ich bin sicher, wir werden uns blendend verstehen. Und
was deine Frage angeht, Mattim … Unser Bruder hätte längst ganz
anders eingegriffen, wenn er dagegen wäre. Glaub mir, ganz anders.
Auch Kunun ist hin und wieder einem kleinen Spiel nicht abgeneigt.
Wenn er Ernst machen wollte, dann wärt ihr beide heute nicht hier -
jedenfalls nicht zusammen.«
Mattim hielt Hannas Hand, während sie die glatten
Stufen hinuntergingen. Das Licht aus dem Kaminzimmer warf ihre
langen Schatten voraus auf den Gartenweg.
Die beiden gingen eng umschlungen, und Hanna
sehnte sich danach, dass Mattim stehen blieb und sie küsste.
Aber er war mit seinen Gedanken ganz woanders.
»Eine Pforte, die es schon immer gegeben hat«, murmelte er. »Dann
ist Akink verloren. Ich hätte mir gewünscht, er wäre ein Zauberer
und es würde einen Weg geben, seine Zaubereien rückgängig zu
machen.«
»Nein«, widersprach Hanna. Die Hoffnungslosigkeit,
die den Prinzen umgab, war unerträglich. »Nein. Nein, Mattim. Sie
hat nicht behauptet, dass durch die Pforte seit Jahrhunderten immer
wieder Vampire in diese Welt kommen. Ich habe es gesagt, aber sie
hat es nicht bestätigt und sie hat auch nicht widersprochen.
Findest du es nicht sehr bezeichnend, dass sie nicht widersprochen
hat?«
»Aber wenn Kunun sie nicht geöffnet hat …«
»Das hat Atschorek auch nicht gesagt. Ich habe
genau zugehört. Wir hätten ein Aufnahmegerät mitnehmen sollen, dann
könnten wir das Band noch mal abspielen. Sie hat nur darüber
gelacht, dass ich ihn einen Zauberer genannt habe. Aber nicht
einmal das sagt etwas darüber aus, ob er nun magische Kräfte
besitzt oder nicht.« Hanna blieb stehen. »Mattim! Vielleicht gab es
immer wieder solche Türen, im Laufe der Zeit. Durch die kamen die
Vampire, von dort stammen die alten Mythen. Türen in Rumänien, in
Bulgarien, in Ungarn, was weiß ich, wo überall. Türen aus Magyria.
So kamen die Schatten in unsere Welt. So kam vielleicht sogar das
Wort Magie in unsere Sprache, vor vielen tausend Jahren, als die
Menschen erkannten, dass eine andere Welt hinter dieser liegt, zu
der es für Eingeweihte einen Zugang gibt. Die Türen öffneten sich
für eine Weile und wurden wieder verschlossen. Vielleicht sind nur
manche
Schatten dazu in der Lage, eine Pforte zu erschaffen. Oder sie
wissen von irgendwoher, wie es geht. Kunun kannte sich jedenfalls
aus. Deshalb weiß er bestimmt auch, wie man sie wieder zumachen
kann.«
»Selbst wenn es so wäre«, meinte Mattim düster,
»was würde ihn daran hindern, eine neue Pforte zu schaffen, wenn
wir diese schließen würden?«
Hanna schwieg; daran hatte sie noch gar nicht
gedacht.
»Andererseits«, sinnierte der junge Prinz weiter,
»kann es nicht so einfach sein, Türen zwischen den Welten
aufzureißen. Wenn es so wäre, warum gibt es dann in Atschoreks Haus
keine?«
»Vielleicht hat sie ja eine und verrät es dir bloß
nicht.«
»Nein.« Mattim schüttelte den Kopf. »Überleg doch
mal, Hanna. Wenn es in Atschoreks Haus eine Pforte gäbe, dann
könnten die Schatten von hier aus direkt nach Akink. Sie würden
mitten in der Stadt herauskommen, nicht im Wald. Sie wären auf der
richtigen Seite des Flusses. Nein, Kunun hat nur diese eine Pforte.
Was auch immer er getan hat, um sie zu erschaffen, er vermag es
nicht noch einmal. Wenn er dazu in der Lage wäre, hätte er es
längst getan. Diese eine Pforte, Hanna. Nur diese eine Pforte
müssen wir schließen. Und Akink könnte den Kampf gegen die Schatten
gewinnen.«