EINS
AKINK, MAGYRIA
Der Nebel stieg vom Fluss auf und hüllte die
Brücke in ein wolkenweiches Tuch. Von oben sah man sie nicht mehr,
es war, als hätte der Fluss sie verschluckt, um sie nie wieder
freizugeben.
Der Mann auf der Burgmauer starrte stirnrunzelnd
auf den watteweißen Fluss hinunter. Der Wald jenseits des Wassers
war unsichtbar geworden, doch Akink, die Stadt, die er so liebte,
war noch da. Im fahlen Licht des Morgens, eingebettet in den Nebel,
wirkten die Häuser sogar weißer als sonst. Auf der Burg hinter ihm
lag ein rötlich angehauchter goldener Schimmer.
Der Mann wickelte sich enger in seinen Umhang. Ihn
fröstelte. Wie mit feinen, glänzenden Schwertern schnitt das Licht,
das von ihm ausging, durch den Nebel und löste ihn auf. Sein Haar,
in dem glühende Fäden knisterten, warf seinen Schein tanzend auf
die Mauer. Wie eine Frau, die ihren Nachtmantel ablegt, tauchte
drüben langsam die Brücke aus dem Nebel auf. Die unzähligen Fratzen
und Figuren an den mächtigen Pfeilern leuchteten auf, als die weiße
Wolke an ihnen herunterglitt und sich wie ein flauschiger Umhang zu
ihren Füßen bauschte.
»Haben die Wölfe dich heute Nacht schlafen
lassen?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
Seine Frau Elira trat neben ihn. »Nun, sie waren
nicht zu überhören. Ein Rudel hat auf der Ostseite geheult, eins im
Süden. Es klang, als wollten sie uns umzingeln.«
»Sie sind schon so nah. Und es werden immer mehr.
Bis
jetzt habe ich gehofft, die Hüter könnten sie vom Fluss
fernhalten, aber mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher.« Er
schüttelte bedrückt den Kopf.
»Wir werden die Brücke halten«, sagte sie leise.
»Kein Wolf wird je seine Krallen auf unsere Seite des Ufers setzen.
Und die Mauer am Fluss können sie nicht überwinden. Wir lassen sie
nicht nach Akink. Mach dir keine Sorgen, Farank.« Sie legte ihm die
Hand auf den Arm, und er wandte ihr sein sorgenvolles Antlitz zu.
Sie war schön wie der Morgen, rötliches Licht spielte um ihr Haar
und ihr weißes Gewand. Ihre hellen Augen strahlten wie am ersten
Tag, als er in ihr seine Seelengefährtin erkannt hatte.
»Jeden Morgen wird es hell«, hörte er sich sagen.
»Aber nicht hell genug. Es kommt mir immer so vor, als wäre es
nicht hell genug. Tag für Tag bringen wir das Licht in die Gassen
unserer Stadt, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass es nicht
reicht. Es ist nicht genug Licht. Ich komme mir vor wie ein
Kaminfeuer, das langsam erlischt. Liegt es an meinem Alter? Oder
sind es die Schatten, die immer näher rücken, so nah, dass ich
glaube, ersticken zu müssen?«
»Akink wird nicht fallen«, versicherte Elira ihm,
doch auch in ihrer Stimme schwang eine Müdigkeit mit, die nicht zu
dem frischen, aufleuchtenden Morgen passte.
»Und was ist mit Magyria? Wir wissen ja nicht
einmal, wie es im Osten aussieht. Wir hocken hier und klammern uns
an diese Burg, während draußen das Dunkel immer näher
heranschleicht. Wie können wir Akink halten, wenn das ganze Land
von den Schatten verseucht ist?«
»Ich weiß es nicht.« Elira sah ernst in das Gesicht
des Königs und schüttelte den Kopf. Das Licht flimmerte und
zitterte in unruhigen Kreisen, als hätte jemand einen Stein in
einen Teich geworfen. »Aber Mattim kämpft. Und er wird nicht
aufhören zu kämpfen. Er ist stark, Farank. Da ist viel mehr in ihm,
als du ihm zutraust.«
Farank lächelte schmerzlich, als sie Mattim
erwähnte. Er war das letzte ihrer Kinder. Alle ihre Söhne und
Töchter hatten sie an die Finsternis verloren, an die Schatten und
das Nichts. Nur diesen Sohn nicht. Den jüngsten. Diesen einzigen.
»Er müsste längst wieder da sein«, sagte er. »Mir ist, als käme er
jedes Mal später zurück. Sie halten ihn dort im Wald fest, mit List
und Tücke, und irgendwann, wenn er seine Kraft überschätzt, werden
sie ihn sich holen. Ich weiß nicht, wie ich diesen Tag ertragen
soll. Er ist das Kostbarste, was uns geblieben ist, was Akink und
ganz Magyria geblieben ist.«
»Weißt du, wie oft ich an die Kinder denke?«
Der König schüttelte den Kopf. »Sprich nicht von
ihnen. Ihre Namen sind vergessen. Sie sind in die Dunkelheit
getaucht.« Er wiederholte es noch einmal, mit rauer Stimme: »Sprich
nicht von ihnen.«
Die Königin lachte leise. »In jenen Tagen dachte
ich nie, wir könnten je unterliegen. Wir waren so stark, so hell,
unbesiegbar, und die Schatten mussten sich in die Ecken
verkriechen.« Sie lehnte sich an Farank. »Mattim wird den Wölfen
entkommen. Glaub daran. Hör nicht auf, daran zu glauben. Der Nebel
ist gleich fort. Dann werden auch die düsteren Gedanken dich
verlassen. Akink wartet auf einen neuen Tag, es ist immer noch
unser, und das wird es auch bleiben. Das verspreche ich dir.«
Mattim duckte sich hinter die Steine. Sie waren
nicht sehr groß, kaum höher als ein zusammengekauertes Kind, doch
mehrere übereinander gaben wenigstens das Gefühl von Schutz. Er
umklammerte das Schwert so fest, dass seine Hand schmerzte, und
verharrte reglos.
»Sie werden heute nicht kommen«, flüsterte Mirita.
»Lass uns nach Hause gehen.«
»Noch nicht«, flüsterte er zurück.
Sie hatten die ganze Nacht hier gewartet. Der Trupp
der
Flusshüter aus Akink patrouillierte weiter östlich; falls es
Angriffe gegeben hatte, hatten sie hier jedenfalls nichts davon
mitbekommen. Sie hatten nur gewartet, den Atem bei jedem Geräusch
angehalten und immer wieder vorsichtig in die Dunkelheit gespäht.
Aber aus den Höhlen war nichts herausgeschlichen.
»Es ist die falsche Stelle«, vermutete
Mirita.
»Kann sein«, gab Mattim zu, und sie zog überrascht
die Brauen hoch, weil er seinen möglichen Irrtum so schnell und
ohne Streiterei eingestand. »Trotzdem werde ich jeden Ort, der als
Übergang infrage kommt, so lange beobachten, bis ich Gewissheit
habe.«
»Du musst es nicht selbst tun«, erinnerte ihn
Mirita. »Bei allem, was glänzt, wenn dein Vater wüsste, was du hier
treibst, er würde dich auf der Stelle enterben.«
»Das kann er gar nicht.« Mattim lächelte
triumphierend.
Selbst wenn er so lächelte wie jetzt, über eine
Tatsache, die alles andere als erheiternd war, wenn sein Lächeln
etwas Grimmiges und Trotziges hatte, ließ es ihr Herz in Flammen
stehen. Mirita sah ihn etwas zu lange an, den Lichtprinzen mit dem
goldenen Haar, in dem ein heller Schimmer bereits den nahenden
Morgen verriet. Wenn sie ihm in die Augen blickte, musste sie immer
an dunkle Wolken denken, und öfter, als gut für sie war, fragte sie
sich, ob seine Haut sich wohl so glatt und samtig anfühlte, wie sie
aussah. Kein einziges Barthaar verunstaltete seine Wangen und sein
Kinn. Es lag in der Familie; selbst sein Vater, König Farank,
wirkte durch sein bartloses Gesicht wie ein Mann von höchstens
vierzig, fünfzig Jahren. Dabei war er so alt, dass niemand in Akink
sich an den Beginn seiner Herrschaft erinnern konnte.
Mattim richtete sich vorsichtig auf und spähte über
die Steinmauer.
»Vielleicht war es die falsche Nacht«, flüsterte
er. »Vielleicht
kommen sie nicht, wann sie wollen. Vielleicht muss es eine ganz
bestimmte Stunde sein.«
»Lauter Vielleichts.« Mirita wollte etwas
Treffendes erwidern, aber in diesem Moment ließ eine Bewegung im
Gebüsch sie erstarren. Sie sog scharf die Luft ein.
»Was …«
Die beiden verstummten. Vor ihnen, im
Dämmerschatten einer gewaltigen, jahrhundertealten Eiche, stand ein
Wolf.
Er war riesig. Seit sie das Ufer des Donua
bewachten, hatten sie schon öfter Begegnungen mit Wölfen gehabt,
aber dieser übertraf sie alle. Sein graues Fell glitzerte, als
bestünde es aus unzähligen Silberfäden. Die dunklen Augen, die
Mattim anstarrten, ohne das Mädchen an seiner Seite überhaupt zu
beachten, boten einen Einblick in das, was diese Kreatur war: keine
dumpfe, wilde Bestie, sondern ein Wesen mit messerscharfem
Verstand, wach wie der Tag und gefährlich wie die Nacht.
»Du nach rechts«, flüsterte der Prinz, ohne den
Blick von ihrem Gegner zu lassen, »ich nach links. Auf mein Zeichen
läufst du los.«
Der Wolf rührte sich nicht von der Stelle. Ein
tiefes, grollendes Knurren kam aus seiner Kehle. Er öffnete die
Schnauze, zog die Lefzen hoch und entblößte seine Fänge -
todbringende, elfenbeinfarbene Waffen.
»Jetzt!«
Mirita sprang auf und stürzte los. Der Köcher
schlug ihr bei jedem Schritt gegen den Rücken. Um anzuhalten und
den Bogen zu spannen, brauchte sie genügend Abstand zu ihrem
Verfolger - wenn er sie denn verfolgte. Nachdem sie vielleicht
zweihundert Meter gerannt war, blickte sie über die Schulter
zurück.
Keine Spur von dem Wolf. Und auch Mattim war
nirgends zu sehen. Mirita stöhnte auf. Was hatte der Lichtprinz nun
schon wieder gemacht? Irgendwie war es ihm gelungen, den Wolf auf
seine Spur zu locken, damit sie unbehelligt
entkam. Sie blieb stehen und horchte. Hatte dieser Narr von einem
Königssohn etwa nicht den Weg zum Fluss genommen, sondern tiefer in
den Wald hinein? Das sah ihm ähnlich.
»Du Idiot«, flüsterte sie. Dreißig Flusshüter
wachten in diesem Wald nicht nur über den Fluss, sondern mindestens
ebenso angestrengt über den Prinzen, und er begab sich in Gefahr,
um ein einziges Mädchen zu schützen? König Farank würde sie dafür
aus der Wache werfen. Und sie würde sich den Rest ihres Lebens
fragen, ob Mattims samtene Gesichtshaut nach Honig duftete … oder
nach Wald und Kampf.
Der Pfeil, den sie wählte, war über und über mit
den Runen des Lichts beschriftet. Stunden hatte sie damit
zugebracht, ihn zu verzieren, alle ihre Wünsche und Hoffnungen
hatte sie auf das glatte Holz geschrieben. Ein entschlossenes
Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie den Pfeil an die Sehne
legte und mit raschen Schritten zurückging.
»Mattim?«, rief sie halblaut. »Prinz Mattim?«
Als sie den Wolf aus dem Schatten treten sah,
setzte ihr Herz für einen Schlag aus. Seine Schnauze war dunkel von
Blut, es tropfte auf das weiche Moos, über das er lautlos
herangeschlichen war. Ein Schluchzen stieg in ihr auf, und zum
ersten Mal seit ihrer Ausbildung zitterte ihre Hand so sehr, dass
der Pfeil danebenflog. Er sirrte leise, als er in der Rinde einer
schlanken Esche steckenblieb.
Der Wolf machte einen Schritt nach vorne und
fixierte sie mit glühenden gelben Augen. Immer noch tropfte Blut
von seiner Schnauze. Er schien zu lächeln.
In den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr,
und zwei weitere Wölfe tauchten aus dem Dunkel auf. Sie waren grau
wie der Schatten, grau wie die Dämmerung, grau wie all das Unglück,
das Tag für Tag an die Tür der Bewohner von Akink klopfte.
Drei Wölfe. Mit einem Seufzer der Erleichterung
erkannte sie, dass der blutige Wolf ein anderer war als jener, der
Mattim auf den Fersen war. Dies waren andere Wölfe. Das hieß aber
auch, dass hier ein ganzes Rudel war. Für sie und vielleicht auch
für Mattim gab es kein Entkommen.
Mirita griff über die Schulter und zog einen
zweiten Pfeil heraus. Wenn die Wölfe jetzt sprangen! Aber die Tiere
beäugten sie nur mit ihren hellen, glänzenden Augen und
warteten.
»Bleibt, wo ihr seid«, sagte sie leise und machte
ein paar Schritte rückwärts, bis sie mit dem Rücken gegen einen
Baumstamm stieß. »Bleibt bloß dort.«
Der Fluss war so nah. Das war vielleicht das
Schlimmste. Dass die schützende Stadt fast zum Greifen nahe war.
Und dass sie nicht wusste, ob Mattim die Flucht gelungen war. Wie
konnte sie hier sterben, ohne zu wissen, ob er die Brücke erreicht
hatte?
»Ihr werdet sehen, was ihr davon habt«, sagte sie,
während sie nach einem Ziel für die tödlich harte Spitze ihres
Pfeils suchte. »Na los, spring. Willst du nicht springen?« Sie
stampfte mit dem Fuß auf und schrie das Tier an. »Spring!«
Der Wolf mit der blutigen Schnauze glitt mit einer
einzigen geschmeidigen Bewegung aus dem Dickicht heraus. Mirita
erwischte ihn mitten im Sprung. Singend bohrte sich der Pfeil in
seinen Hals. Im selben Augenblick, während seine Gefährten aus dem
Gebüsch brachen, ließ sie den Bogen fallen und zog ihren Dolch.
Nahezu gleichzeitig stürmte der Junge mit dem goldenen Haar herbei,
in der Hand ein langes, leuchtendes Schwert. Er traf einen der
Wölfe am Rücken. Der dritte tauchte unter der Waffe hindurch und
warf Mirita um, bevor sie zustechen konnte. Fauchend rasierte die
Klinge ihm den wehenden, langen Pelz, dann verschwand er im
Wald.
Mattim half Mirita hoch. »Komm, schnell. Der Große
ist
immer noch hinter mir her.« Er ließ ihre Hand nicht los, während
sie liefen. In der anderen hielt er das Schwert, mit dem er das
Gestrüpp, das ihnen den Weg versperrte, gnadenlos
niederhackte.
Obwohl sie um ihr Leben rannten, konnte Mirita
nicht umhin, den festen Griff, mit dem er sie hinter sich herzog,
zu genießen. Seine warme Hand gab ihr die Kraft, so schnell zu
laufen, wie sie nur konnte, obwohl die Beine fast unter ihr
nachgaben und Gewichte sich an ihre Knöchel zu hängen schienen.
Aber sie wollte ihn nicht behindern. Sie wollte nicht daran schuld
sein, wenn sie die Brücke zu spät erreichten. Durch die schwarzen
Baumstämme schimmerte bereits das Blau des Flusses.
Ein Heulen hinter ihnen ließ Mirita so
zusammenfahren, dass sie erschrocken vorwärtstaumelte. Mattim fing
sie auf, als sie gegen ihn prallte; er war stehen geblieben.
Vor ihnen wartete der silbergraue Wolf auf sie. Mit
lautlosen, mühelosen Sprüngen musste er sie überholt haben. In
seinem fast menschlichen Blick lag ein höhnisches Lächeln, als er
ihnen den Weg zum Fluss versperrte. Hinter ihnen verstärkte sich
das Geheul des Rudels, das ihnen auf den Fersen war.
»Da ist schon die Brücke«, sagte Mattim. »Wir
werden sie erreichen, das schwöre ich dir. Glaubst du daran?«
Sie wagte einen Blick in seine rauchdunklen Augen.
Wenn sie schon zu den Schatten gehen sollte, dann wollte sie es mit
dieser Erinnerung tun, dann wollte sie, dass das Licht ihr Herz
füllte und ihr Kraft gab, bevor sie ins Dunkel stürzte.
»Glaubst du daran? Sie werden uns nicht kriegen.
Sag Ja.«
»Ja«, stammelte Mirita.
»Dann lass uns kämpfen. Wer ist die beste
Bogenschützin von Magyria?«
»Ich.«
Seine leuchtende Entschlossenheit steckte sie an.
Sie griff
nach einem Pfeil und erinnerte sich dann an ihren Bogen, den sie
fallen gelassen hatte.
Mattim fasste das Schwert mit beiden Händen. »Gib
mir Deckung.«
Sie stellte sich mit dem Rücken zu ihm. In ihrer
Hand lag, wertlos ohne den dazugehörigen Bogen, der schlanke,
befiederte Pfeil. Darauf hatte sie ihr Geheimnis geschrieben. Zwei
Runen, zwei Namen. »Mirita« stand da. Und »Mattim«. Aber sie konnte
ihn nicht fliegen lassen. Nichts konnte sie tun, außer den Dolch
ziehen und warten. Zuversicht ausstrahlen. Und nicht verraten, dass
sie so gut wie unbewaffnet war.
»Da sind sie«, sagte sie leise, als die ersten
Wölfe sichtbar wurden. Hinter ihnen bemerkte sie ein paar große,
schlanke Gestalten und wollte schon vor Freude jubeln, denn im
ersten Augenblick dachte sie, es wären die Flusshüter. Dann
schnürte die Furcht ihr die Kehle zu.
Schatten.
Die Feinde waren da, beobachteten sie. Wesen, die
wie Menschen wirkten und es doch nicht waren, die unbesiegbaren
Bringer des Schreckens.
Immer noch sagte sie Mattim nichts. »Erleg deinen
Wolf«, stieß sie hervor, »nun mach schon.«
Dann geschah alles gleichzeitig. Mirita sah die
Wölfe losstürmen. Sie schrie auf, als die grauen Bestien auf sie
zukamen, und Mattim fuhr herum und mähte den ersten der Wölfe
nieder. Der silbergraue Verfolger sprang auf den Prinzen los, der
ihm gerade den Rücken zuwandte, und warf ihn zu Boden. Mirita
schrie wieder, während sie mit ihrem Dolch den nächsten Wolf
abzuwehren versuchte, dessen Geifer ihr bereits ins Gesicht
spritzte.
Für Mattim stand die Zeit still.
Der Wolf war über ihm, doch er biss nicht sofort
zu. Der junge Prinz spürte den heißen Atem in seinem Nacken, das
Gewicht des schweren Tieres auf seinem Rücken.
Er ertastete mit den Fingerspitzen den mit feinem Leder
umwickelten Griff seines Schwertes, das ihm aus der Hand gefallen
war, als er angesprungen wurde. Nur ein wenig weiter und seine Hand
konnte sich darum schließen. Er streckte sich danach aus, während
er schon die Berührung der Zähne an seiner Haut fühlte, die Hitze
des geöffneten Rachens. Dann umfasste er den Griff und warf sich
herum. Einen kurzen, flüchtigen Moment lang sah er in die Augen des
Wolfes, begegnete einem dunklen Blick, tiefer als jedes
Nachtschwarz, dann schnellte er hoch und schlug mit dem Schwert
zu.
Ein Schrei gellte durch die Nacht, als er das Tier
traf, er kam aus dem Wald, der hohe, verzweifelte Schrei einer
Frau.
Dann der Ruf »Bewegt euch nicht!«, und im nächsten
Moment ging ein Regen singender, fauchender, schwirrender Pfeile
auf sie nieder.
Mattim stand immer noch da wie betäubt und starrte
auf den Wolf, als ein Flusshüter ihn am Arm packte. »Prinz Mattim?
Alles in Ordnung? Hat er dich gebissen?«
»Nein«, sagte Mattim langsam. »Wirklich, Morrit,
das hat er nicht. Wer hat da geschrien?«
»Lass mich kurz sehen.« Morrit schob Haar und
Kragen zurück und warf einen aufmerksamen Blick auf Mattims
unversehrte Haut. »Alles in Ordnung!«, rief er laut. »Dann los! Zur
Brücke! Alle zur Brücke!«
Mirita stöhnte auf, als ihre Retter sie
hochzogen.
»Hat der Wolf …«, begann einer erschrocken, dann
bemerkte er jedoch den Pfeil, der aus dem Oberschenkel des Mädchens
ragte.
»Ihr habt mich getroffen!«, beschwerte sie sich
wütend.
»Dafür habe ich dir deinen Bogen mitgebracht«,
meinte eine junge Wächterin mit langem schwarzen Haar. »Als ich den
fand, wusste ich, dass ihr hier irgendwo seid.«
»Kommt.« Morrit war nicht nach Plaudern.
»Schnell!«
Sie rannten am Ufer des Donua entlang, bis sie
endlich die Brücke aus dem Wasser ragen sahen. Vier mächtige Felsen
waren dort versenkt worden, auf denen die Pfeiler ruhten. Dicke
Ketten trugen die wuchtigen Bohlen, über die sie liefen. Der
Lichtprinz betrat Akink, und es wurde Tag.