ZWEI
BUDAPEST, UNGARN
Unzählige Male hatte Hanna die Brücke schon auf Fotos gesehen. Die Kettenbrücke und dahinter die grandiose Fassade des Parlaments. Sie hatte sich alle Filmaufnahmen von Budapest angeschaut, die sie hatte bekommen können; nicht einmal vor den Urlaubsvideos von Onkel Albin war sie zurückgeschreckt. Weil sie keinen Videorekorder hatten, war es sogar nötig gewesen, Onkel Albin zu diesem Zweck zu besuchen, Tante Mildreds trockenen Hefekuchen herunterzuwürgen und an den passenden Stellen »Oh, wie schön« zu sagen.
»Und du willst wirklich da hin? Versteh mich bitte nicht falsch«, beeilte Tante Mildred sich hinzuzufügen. »Ungarn hat uns gefallen, obwohl damals vor der Wende noch alles so grau war. Ganz anders als heute. Wirklich. Aber was sagen denn deine Eltern dazu? Immerhin verlierst du ein ganzes Jahr.«
Von hier oben aus dem Flugzeug war die Donau nur ein stahlgraues Band, das sich durch ein Meer von Häusern schlängelte. Brücken gab es viele, doch in dem Moment, als sie glaubte, die Kettenbrücke erkannt zu haben, war alles schon wieder fort. Der Fluss blieb unter ihnen zurück. Bald war nicht einmal mehr die Stadt zu sehen; sie flogen über flaches ockerfarbenes Land, verstreute Siedlungen und merkwürdige quadratische Wälder, in denen die Bäume in wie mit dem Lineal gezogenen Reihen wuchsen, Wälder wie aus dem Geometrieunterricht. Ferihegy, der internationale Flughafen, lag knapp zwanzig Kilometer weit draußen, ganz so öde hatte sie es sich allerdings nicht vorgestellt.
Ihr Herz begann heftig zu schlagen, als das Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte. Zum ersten Mal schnupperte sie ungarische Luft. Ihr Zuhause für die kommenden Monate. Und der schwarzhaarige Mann dort mit den dunklen Augen, der nun mit einem Lächeln auf sie zutrat, würde ihr Vater sein. Oder jedenfalls so etwas Ähnliches. Ihr Gastgeber, Gastvater, Arbeitgeber, alles zusammen.
Der kleine Junge neben ihm war noch süßer als auf dem Foto. Mit unverhohlener Neugier blickte er ihr entgegen. Ihn begrüßte sie zuerst. »Szervusz.« Sie wollte sich auf Ungarisch vorstellen, aber ausgerechnet in diesem Moment waren alle ungarischen Vokabeln auf Nimmerwiedersehen verschwunden. »Ich bin Hanna. Du musst Attila sein.«
»Willkommen in Budapest. Bitte nennen Sie mich Ferenc.«
»Ich freue mich, hier zu sein, Ferenc.« Sie kam sich vor, als spulte sie Sätze aus einem Lehrbuch ab, doch etwas Gescheiteres fiel ihr nicht ein.
Ferenc Szigethy gab ihr die Hand, während sein Sohn sich weiterhin damit begnügte, die Fremde anzustarren.
»Er ist eigentlich nicht schüchtern. Kommen Sie, Hanna, ich nehme die Koffer.«
Er verstaute ihr Gepäck in einem riesigen schwarzen Porsche Cayenne. Hanna hatte noch nie in einem solchen Auto gesessen und war fest entschlossen, die Fahrt durch die Stadt zu genießen, allerdings machte der dichte Verkehr sie nervös. Mit Schrecken dachte sie daran, dass man auch von ihr erwartete, hier Auto zu fahren, und obwohl sie beim letzten Telefonat versichert hatte, dass sei gar kein Problem für sie, fragte sie sich jetzt, ob sie sich da nicht überschätzt hatte.
»Ganz schön viel Verkehr«, bemerkte sie. »Ist das immer so?« Sie fuhren gerade an einem Verbotsschild vorbei, das Traktoren und Pferdefuhrwerken die Weiterfahrt untersagte.
Ferenc warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohlfühlen. Wir sind alle sehr gespannt.«
»Sie sprechen sehr gut Deutsch«, sagte Hanna. »Das hatte ich gar nicht erwartet. Ich meine …«
Sie hatte zwar mehrere Telefongespräche geführt, um alles abzuklären, aber immer mit seiner Frau, die ziemlich gebrochen deutsch sprach.
»Oh, meine Mutter ist Deutsche«, erklärte Ferenc. »Sie haben sicher von den Donauschwaben gehört?«
Das hatte Hanna nicht, aber sie nickte, als er erläuterte, dass es ihm aus diesem Grund so wichtig war, seine Kinder perfekt Deutsch sprechen zu hören.
»Die beiden freuen sich«, sagte er. »Sehr. Sie konnten es gar nicht erwarten. Attila hat schon jeden Tag gefragt, wann Sie endlich kommen.«
Der Junge rutschte auf der Rückbank hin und her und interessierte sich im Moment für alles außerhalb des Fahrzeugs, nur nicht für sie. Für einen Siebenjährigen war er recht klein. Und recht schweigsam; er hatte noch kein einziges Wort gesagt.
Ferenc sah wirklich so aus, wie sie sich ihn vorgestellt hatte. Auf dem Foto, das die Familie ihr gemailt hatte, war er der Mittelpunkt gewesen, um den sich Frau und Kinder gruppiert hatten. Groß und recht attraktiv, Mitte vierzig und immer noch mit vollem schwarzem Haar und einem kleinen Schnauzbart. Oft hatten die Leute wenig Ähnlichkeit mit ihrem fotografierten Abbild, Ferenc dagegen war genauso sicher, höflich und wahrscheinlich auch stur, wie er auf sie gewirkt hatte. Etwas an der Art, wie er gesagt hatte, dass alle sich freuten, machte Hanna ein wenig stutzig. Eigentlich konnte sie die Stimmungen der Menschen um sich herum recht gut erkennen. Wenn es irgendetwas gab, was sie besonders auszeichnete, dann war es wohl das. Empathie war kein Talent, mit dem man sich viele Freunde machte, auch wenn sie selbst manchmal überrascht war, wie wenig ihr diese Gabe nützte. Oft wäre es leichter gewesen, einfach geradeaus seinen eigenen Weg zu gehen, ohne so viel von den Gefühlen anderer mitzubekommen. Unter Gleichaltrigen war es jedenfalls nicht angesagt, zu viel zu fühlen. Wer sich ständig darüber Gedanken machte, wie andere empfanden, konnte weder bei Streichen mitmachen noch beim Lästern seine Fantasie ausleben. Immerzu die Außenseiter zu verteidigen und sogar mit den unbeliebtesten Lehrern mitzuleiden, machte einen auf Dauer selbst zum Außenseiter.
Hanna war froh, dass die Schulzeit vorbei war. Mehr als froh, mehr als die anderen je verstehen würden, mehr als ihre Eltern begreifen konnten. Sich nach der Qual der langen Schuljahre als zu gute, zu schüchterne und zu mitfühlende Schülerin gleich in einen Hörsaal zu setzen, war für sie nicht infrage gekommen.
»Ich bin auch sehr gespannt«, sagte sie. »Wir werden bestimmt gut miteinander auskommen, nicht wahr, Attila?«
Der Junge starrte sie zugleich abweisend und neugierig an. Er wartet noch ab, dachte sie. Nun, das war in Ordnung. Sie mussten sich nicht gleich am ersten Tag anfreunden. Aber dass alle sich so schrecklich freuten, war mit Sicherheit übertrieben. Ferenc war anscheinend ein Mann, der die Dinge laut verkündete, damit sie so waren, wie er sie gerne hätte.
Schon wieder, schimpfte sie mit sich selbst, während sie zur anderen Seite aus dem Autofenster blickte, kaum bin ich hier angekommen, habe ich mir schon ein Urteil gebildet. Dabei hatte sie sich so fest vorgenommen, ihren Gefühlen nicht voreilig zu vertrauen. Du musst ihnen eine Chance geben, sonst wird das nichts.
Herr Szigethy - Ferenc! - erzählte ihr etwas über die Straßen, durch die sie fuhren, während Hanna wie gebannt auf die schönen alten Gebäude starrte. Sie wollte nichts verpassen und verrenkte sich beinahe den Hals.
»Keine Panik«, sagte Ferenc und lächelte. »Sie haben ein ganzes Jahr, um sich alles anzuschauen.«
Das stimmte, und dennoch konnte sie nicht anders, als begierig alles in sich aufzusaugen, bis sie das Gefühl hatte, unter der Flut der Eindrücke zu ertrinken.
Ihr Herz klopfte aufgeregt, als sie über die Donau fuhren. Dies war der Fluss, der sie in ihren Träumen gerufen hatte, breit und grau.
»Heute Abend können wir Ihnen die Aussicht zeigen«, kündigte Ferenc an. »Wenn Sie nicht zu müde sind.«
Endlich wurden die Straßen ruhiger, aber dafür ging es auch steil bergauf und wieder bergab, in ein undurchschaubares Geflecht schmaler Straßen, vorbei an verwitterten Wohnblocks, herrschaftlichen Villen, schnuckeligen Häuschen und wieder mehrstöckigen Blocks. Sie war gespannt, wie die Szigethys wohnten; in dieser Gegend hier war offensichtlich alles möglich. Ein schmiedeeisernes Tor öffnete sich, als sie sich einem von hohen Büschen eingefassten Grundstück näherten. Ferenc parkte den Wagen neben einem schlichten VW Golf. Vor ihnen lag das Haus, groß und hell, eher eine Villa als das Einfamilienhaus, mit dem sie gerechnet hatte. Ein riesiges, hellgelb gestrichenes Stadthaus. Erst jetzt wurde Hanna so richtig klar, dass sie dieses Jahr in einer wirklich reichen Familie verbringen würde. Dabei hatte sie erwartet, in einer »normalen« Familie zu leben, auch wenn ein paar Leute ihr versichert hatten, dass »normale« ungarische Familien eigentlich keine deutschen Au-pairs aufnahmen.
Ihr Mut sank. Aber Ferenc nickte ihr aufmunternd zu. »Wie gefällt es Ihnen? Ich bin sicher, Sie werden sich hier wohlfühlen. Kommen Sie, die Koffer hole ich gleich.«
Sie gingen ein paar Stufen hoch zum Eingang, wo ihnen die Frau entgegenkam, die Hanna von einem Foto und mehreren Telefonaten her kannte, die Frau mit dem sympathischsten Lächeln, das man sich vorstellen konnte.
Mónika.
Sie lächelte herzlich und umarmte Hanna. Dann trat sie ein paar Schritte zurück, damit sie das neue Familienmitglied von oben bis unten mustern konnte. »Wie schön, wir sind sehr froh.« Als Attila an ihr vorbei ins Innere der Wohnung huschte, wandte sie den Kopf. »Attila! Réka! Diese Kinder. Ich habe gesagt, sie sollen nicht verstecken.«
Mónika war noch hübscher als auf dem Foto, eine schmale blonde Frau mit einer pfiffigen Kurzhaarfrisur. Obwohl sie ungefähr so alt war wie ihr Mann, sah sie deutlich jünger aus - und wirkte deutlich nervöser. »Réka!« Da die Gerufene immer noch nicht erschien, zuckte sie mit den Achseln. »Hanna, kommen Sie doch. Hier, unser Wohnzimmer.«
Der Tisch war bereits gedeckt, mit schönem weißem Porzellan. Plötzlich spürte Hanna, wie hungrig und müde sie war. Auf dem kurzen Flug hatte es nichts zu essen gegeben, aber natürlich war sie weitaus länger unterwegs gewesen. Und vor lauter Aufregung hatte sie schon gestern Abend kaum etwas essen können.
»Sicher haben Sie Hunger?«
In diesem Moment kam Attila lachend hinter dem Sofa hervorgeschossen. Hier in der vertrauten Umgebung legte er seine Schüchternheit endlich ab und strahlte Hanna an. In seinem spitzbübischen Gesicht lag so viel Energie, wie man in diesem Alter nur haben konnte. Sein Grinsen reichte von einem Ohr zum anderen.
Er rannte so nah an Hanna vorbei, dass er sie unsanft in die Seite rammte, dann war er auch schon wieder verschwunden.
Seine Mutter rief ihm etwas auf Ungarisch nach. »Der kommt schon wieder«, entschuldigte sie sich.
Das Mädchen lächelte vorsichtig.
»Zeigen wir Hanna doch erst mal, wo sie schlafen wird«, ergriff Ferenc die Initiative. »Vielleicht möchten Sie sich vor dem Essen noch frisch machen? Hier ist das Bad. Und das hier ist Rékas Zimmer. Réka, hast du nicht mitbekommen, dass Hanna da ist?«
Er klopfte und öffnete die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten.
Auf dem Bett saß ein blasses Mädchen mit kinnlangen schwarzen Haaren. Betont lässig blätterte sie in einer Zeitschrift. Hanna fiel auf, dass sie Stiefel anhatte. Wer trug schon zu Hause in seinem Zimmer Stiefel? Die ganze pubertäre Coolness wirkte reichlich aufgesetzt. Auf dem Foto hatte Réka noch braune Haare gehabt und ein freundliches Lächeln wie ein braves Schulmädchen gezeigt. Hanna hatte sich so fest vorgenommen, mit den Kindern gut klarzukommen. Deswegen war sie ja hier, für diese Kinder, auch wenn Réka kaum jünger war als sie selbst. Ganze vier Jahre. Hanna konnte sich noch gut daran erinnern, wie es gewesen war, vierzehn zu sein.
»Szia«, sagte sie zur Begrüßung.
Das Mädchen versuchte, den Ausdruck grenzenloser Überraschung mit verächtlicher Langeweile zu kombinieren. »Szia«, gab sie zurück und widmete sich trotzig wieder ihrer Lektüre.
Ferenc seufzte und öffnete die nächste Tür. Dahinter lag, wie unschwer zu erkennen war, das Zimmer des kleinen Jungen. In diesem Chaos hätte es kein halbwegs normaler Erwachsener ausgehalten, aber wie Hanna von den Nachbarskindern wusste, auf die sie regelmäßig aufgepasst hatte, gediehen Kinder wie Pflanzen am besten in einer Mischung aus Erde, Schmutz und Steinen. Ob es am Ende ihres Aufenthalts hier immer noch so aussehen würde, das würde sich ja zeigen.
Das nächste Zimmer schien eine Kombination aus Arbeitszimmer und Rumpelkammer zu sein. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Berge von Papieren und Ordnern, die dem Himalaya Konkurrenz zu machen versuchten. Eine Couch, die jemand mit einem völlig anderen Geschmack gekauft haben musste - die edle Garnitur im Wohnzimmer hätte nie vermuten lassen, dass es in dieser Wohnung auch solche Fundstücke gab -, behauptete ihren Platz unter einem unsäglichen Ölgemälde.
»Wir sind mit dem Aufräumen nicht ganz fertig geworden«, gab Ferenc zu, nicht im Mindesten zerknirscht. »Wenn ich die Sachen in den Keller gebracht habe, müsste es hier eigentlich ganz wohnlich sein.«
»Es ist - nett«, sagte Hanna, nur um irgendetwas zu sagen.
Das war also ihr Zimmer. Das war der Raum, in dem sie ein Jahr lang wohnen sollte. Elf Monate, um genau zu sein.
Sie stellte ihre Tasche auf dem Schreibtischstuhl ab. Das Bügelbrett und der Staubsauger in der Ecke würden hoffentlich noch einen anderen Platz finden. Der Schrank war, wenn man von der antiken Aura absah, wenigstens recht praktisch. Dass er allenfalls Jugendherbergsqualität hatte, sollte sie jetzt nicht stören. Was hatte sie sich denn vorgestellt?
»Unsere Putzfrau hat gekündigt«, erklärte Ferenc, der ihr Schweigen richtig deutete. »Aber das kriegen wir schon hin. Und keine Sorge, ihren Job müssen Sie nicht übernehmen. Wir haben bald jemand Neues, versprochen. Ich hole schon mal die Koffer. Dann essen wir zusammen, ja?«
An ihrem ersten Abend konnte Hanna trotz Müdigkeit lange nicht einschlafen. Sie hatte noch eine Zeit lang mit Mónika und Ferenc im Wintergarten gesessen. Ungemütliche Stille gab es in diesem Haushalt offenbar nicht. Ferenc ergriff immer das Wort, bevor allzu große Verlegenheit aufkommen konnte. Seine Stimme gab Sicherheit und flößte Vertrauen ein. Wenn er mit ihr sprach, wandte er sich ihr mit dem ganzen Körper zu und widmete ihr seine volle Aufmerksamkeit. Von ihrer Familie wollte er alles wissen. Von ihren bisherigen Erfahrungen mit Kindern. Er fragte sie nicht direkt aus, sondern kleidete seine Fragen in eine charmante, lässige Plauderei. Hanna war sich zwischendurch nicht ganz sicher, ob Mónika immer mitkam. Die Ungarin hielt ihr Glas minutenlang in der Hand, ohne zu trinken - bester Tokaier, zur Feier des Tages -, und lächelte in einem fort zustimmend. Hanna hätte sich gerne noch mehr mit ihr unterhalten, doch Ferenc übernahm das Reden auch für sie.
»Jetzt kannst du endlich auch nachmittags und abends Musikstunden geben«, sagte er. »Wenn Hanna sich um Attila kümmert. Er ist ja gerade erst eingeschult worden. Man muss immer darauf achten, dass er auch seine Hausaufgaben macht«, fuhr er an Hanna gewandt fort, »und dass er sich auch Mühe gibt und nicht einfach irgendwas hinschreibt, nur damit er schneller fertig ist.«
»Ja«, erwiderte sie, »natürlich. Ich hab schon öfter Nachhilfe gegeben, das dürfte kein Problem sein.« Ihre Nachhilfeschüler waren zwar nicht in der ersten Klasse gewesen, aber so viel anders konnte es nicht sein. »Attila scheint recht aufgeweckt zu sein«, sagte sie.
»Das ist er.« Ferenc nickte stolz.
»Der Junge ist nicht immer ganz einfach.« Irgendetwas an Mónikas Lächeln stimmte nicht. Wahrscheinlich hängt ihr das Thema Kinder zum Hals raus, dachte Hanna. Deswegen will sie wieder arbeiten.
»Bestimmt wird es ihm guttun, auch mal eine andere Bezugsperson zu haben«, sagte sie. »Wenn er sich erst an mich gewöhnt hat, klappt es sicher prima. Ich kann ganz gut mit Kindern.«
»Sie wollen Kinderärztin werden?«, fragte Ferenc. »Das gefällt mir. Unsere Réka kann sich leider für gar nichts entscheiden.«
»Sie ist erst vierzehn«, wandte Mónika besänftigend ein.
»Auch mit vierzehn kann man ruhig schon ein paar Interessen haben, die einen in die richtige Richtung führen. Réka interessiert sich für überhaupt nichts.«
»Als ich in dem Alter war, da wollte ich Arktisforscherin werden.«
Hanna hätte nie von sich gedacht, dass sie das jemals preisgeben würde. Aber Ferenc hatte etwas an sich, das es leichtmachte, alles zu erzählen. Vielleicht war er deswegen so erfolgreich. Er leitete eine Firma, die Elektronikteile herstellte, viel mehr hatte er nicht erzählt, doch irgendwoher mussten dieses schöne Haus in dieser Wohngegend und die beiden Autos ja kommen.
»Arktisforscherin?«
»Nun ja.« Sie lachte verlegen. »Ich wollte Eisbären und Wölfe erforschen. Irgendetwas in der Richtung. Vollkommen unrealistisch.«
»Immerhin haben Sie sich für etwas interessiert. Genau das meine ich. Ein paar Träume. Es macht nichts, wenn sie sich verändern. Das müssen sie sogar. Ein paar Träume, verschiedene Interessen, das sollte schon sein. Egal, wie alt man ist.«
»Welche Interessen hat denn Attila?«, fragte Hanna, um das Gespräch von Réka wegzulenken, und bereitwillig begann Mónika von ihrem Sohn zu erzählen.
Auf Attila hatte sie sich besonders gefreut. Seit sie den Jungen auf dem Foto gesehen hatte, mit seinen großen, dunklen Augen und dem Grinsen, war sie nahezu in ihn verliebt. Ein Jahr. Oh ja, sie würde ihm schon beibringen, sein Zimmer aufzuräumen.
Irgendwann konnte sie ein Gähnen nicht mehr unterdrücken und verabschiedete sich. Das Bett war noch nicht gemacht, Mónika hatte nur die Bettwäsche bereitgelegt. Die Decke war viel zu dick, ein Federbett, und das im Spätsommer.
Hanna dachte an das, was Ferenc alles aufgelistet hatte. Ihre Aufgaben. Morgens machen Sie den Kindern Frühstück. Réka fährt mit ihren Freundinnen; wenn sie allzu spät dran ist, setzt Mónika sie auf dem Weg zur Arbeit an der Schule ab. Attila fahren Sie zur Schule. Und holen ihn später ab. In der Zwischenzeit können Sie einen Sprachkurs besuchen und ein paar Kleinigkeiten erledigen. Es wäre schön, wenn es für ihn dann etwas zu essen gäbe und wenn Sie die Hausaufgaben beaufsichtigen. Wenn Mónika am Nachmittag kommt, haben Sie frei. Sollten wir abends ausgehen, wünschen wir uns natürlich, dass Sie dableiben. Aber jetzt ist erst einmal Wochenende. Zeit, einander kennenzulernen, sich mit den Kindern anzufreunden …
Von ihrem Zimmer aus hatte sie einen atemberaubenden Blick auf den gegenüberliegenden Hang, von dem unzählige Lichter durch die Nacht funkelten. Sie öffnete das Fenster und horchte auf das ewige Rauschen der Großstadt. Doch der Garten wirkte unglaublich still. Unter sich sah sie das Glasdach des Wintergartens. Die hohen, dunklen Tannen jenseits des gepflegten Rasens wirkten wie eine Mauer gegen die Welt da draußen. Düfte stiegen zu ihr nach oben, warm und fremd, nach Blumen und Staub.
Ein solches Glücksgefühl erfasste sie, dass sie alle ihre Befürchtungen und Sorgen vergaß. Hanna atmete tief ein. Budapest.
Magyria 01 - Das Herz des Schattens
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