Kapitel 51

Sturm


Aschteufel wieherte und raste im gestreckten Galopp ins Niemandsland zu seinem Herrn. Rowarn wäre ihm am liebsten gefolgt, doch er wollte Arlyn nicht allein lassen. Die beiden Heere verharrten immer noch wie gelähmt, als Noïrun plötzlich auf dem schnaubenden Rundyr den Hang hinunterfegte, das Schwert hoch erhoben. »Zum Angriff!«, schrie er. »Ins Horn geblasen, die Waffen gezückt und in den Feind gestoßen! Blutrot soll die Sonne werden, durch Blut wollen wir waten, vernichten werden wir heute die Lichtlosen und das Land befreien!«

Zehntausende Soldaten antworteten ihm mit einem schallenden Schrei wie aus einem Mund, schlugen die Schwerter gegen die Schilde, erhoben blitzende Speere in den Himmel, und während von Hügel zu Hügel die Hörner erschallten, stürmten die Dämonen unter Fashirhs Führung nach vorn, gefolgt von den Alten. An ihren Flanken preschte die Reiterei voran, und zuletzt rannten die Fußsoldaten los.

Die Dubhani erholten sich allerdings schnell von ihrem Schrecken, als kurzzeitig eine blauflammende Aurengestalt über ihren Köpfen erschien und Femris schrie: »Worauf wartet ihr? Angriff! Verteidigt Dubhan! Kämpft für das Tabernakel! Für die Gerechtigkeit!« Noch während die Erscheinung wieder erlosch, fassten sich die Befehlshaber und schrien Anweisungen. Warinen, Söldner und Dubhans Verbündete setzten sich in Bewegung, und im Niemandsland prallten Zehntausende aufeinander. Die Schlacht begann.



Rowarns Herz pochte immer noch wild, als sein Vater auf Aschteufel zu ihm zurückkehrte. Der Dämon war nun wieder Angmor, der Visionenritter, seine Aura verblasst, und auch seine Haut hatte wieder die blaugraue Tönung angenommen. Seine Augen waren klar, sein Atem ging ruhig. 

Mit zitternder Hand reichte Rowarn seinem Vater Umhang und Waffengürtel. »Ich hatte während des Kampfes wahrlich keine Zeit für Hoffnung oder Zweifel«, stieß er hervor. »Ich war viel zu beschäftigt damit, mich nicht zu übergeben.«

»Nun«, sagte Angmor ruhig, »damit steht Dubhan wieder einmal ohne Heermeister da, und Noïrun hat eine Sorge weniger. Mit den anderen Dämonen werden Graum und Fashirh leicht fertig, aber Sherkun hätten sie nicht besiegt.«

»Ich dachte, du hast dich nicht mehr in der Gewalt ...«

»Ich gerate nie in Raserei, Sohn. Und ich weiß immer, was ich tue.«

»Aber sicher«, murmelte Rowarn und glaubte kein Wort. Der Kampf steckte ihm immer noch in den Knochen. Wenn man es recht bedachte, hatte sein Vater sich soeben mit einem Gott angelegt und ihn durch Erpressung überwunden!

Angmor schloss den Gürtel. »Es wird Zeit, dass du dich auf deine Aufgabe konzentrierst. Wir gehen bald hinein. Femris erwartet dich schon, und wie mir scheint, geschieht etwas mit ihm – es muss einen Grund haben, dass er nur so kurz in Erscheinung treten konnte. Sicher spürt er die Anwesenheit der drei Splitter, die bereits Einfluss auf ihn ausüben.«

»Dann sollten wir gehen«, sagte Rowarn und griff nach Windstürmers Zügel. »Arlyn, musst du wirklich mit?«

»Du weißt, dass es so ist«, erwiderte sie. »Was uns verbindet, ist jetzt nicht von Bedeutung, deine Gefühle für mich nicht von Belang. Ich muss meine Aufgabe als Mächtige ebenso erfüllen wie du. Ich spüre, dass ich bald meine verborgenen Kräfte einsetzen muss, und ich höre den Ruf des Tabernakels.«

»So wie ich«, erklärte Angmor. »Die Geschichte nähert sich dem Ende, alle, die eine Rolle zu spielen haben, sind nun zusammengekommen, das kann ich spüren. Es wird Zeit, dass das Tabernakel seiner Bestimmung zugeführt wird.«



Die Schlacht zerfiel bald in hunderte Scharmützel, die für einen außenstehenden Beobachter unentwirrbar und völlig chaotisch schienen. Doch die Truppen von Ardig Hall, einschließlich der Verbündeten, gingen exakt nach Fürst Noïruns Strategie vor. Überall waren Bläser und Fahnenträger unterwegs, die den Überblick behielten und Befehle signalisierten. Bogenschützen und Speerwerfer wurden an drei oder vier Positionen gezielt eingesetzt, an anderer Stelle die Lanzenträger. Die Reiterei wechselte rasend schnell von einer Seite zur anderen, und die Fußsoldaten rückten unbeirrbar immer weiter vor.

Die Dubhani leisteten allerdings erbitterten Widerstand, trotz oder gerade wegen des Verlustes ihres Heermeisters. Femris’ kurzes Erscheinen hatte genügt, um die Fahne hochzuhalten, sie alle würden bis zum Schluss kämpfen. Wie es aussah, hielten sich die Befehlshaber an Sherkuns Strategie und setzten ihre Scharen ebenfalls gezielt ein. Und nicht einfach nur zur Verteidigung, sondern auch zur Ablenkung, Zerstreuung, zum Aufbrechen der geordnet heranrückenden Linien. Wenn Noïrun gehofft hatte, einen schnellen Durchbruch zu erzielen, so wurde er schnell eines Besseren belehrt. Ein harter, schwerer Kampf lag vor ihnen, der sich über Stunden hinziehen würde, möglicherweise ohne Ergebnis. Der Fürst wusste, dass der eigentliche Kampf nicht auf diesem Schlachtfeld entschieden würde.

Doch davon ließ sich Noïrun nicht beirren. Wie ein Schiff vor dem Wind kreuzte er mit dem Kupferhengst zwischen den hin- und herwogenden Wellen der Heere, achtete auf jede noch so kleine Lücke, in die er hineinstoßen konnte. Olrig war die meiste Zeit an seiner Seite, sowie ein Hornbläser und ein Fahnenträger, die nahezu zeitgleich die Befehle weitergaben.

Die Warinen waren in jedem Fall die überlegenen Kämpfer, aber die Verbündeten der Alten Völker machten dieses Ungleichgewicht wett. Sie wüteten verheerend unter den Dubhani. Die Dämonen waren inzwischen aufeinandergetroffen und kämpften inmitten des Feldes, während rings um sie die Schlacht Mann gegen Mann gefochten wurde.

Bisher war nicht absehbar, wem das Glück sich zuwenden würde. Derzeit waren die Kräfte in etwa gleich verteilt, auch wenn Ardig Hall Schritt für Schritt Dubhan näher kam. Doch das mochte nicht viel besagen; es war gut möglich, dass der Feind dies mit eingeplant hatte und letztendlich alle Truppen in einem engen Ring um den See zusammenziehen und einen lebenden Wall bilden würde, der kaum zu durchdringen war.



Rowarn, Arlyn und Angmor näherten sich langsam zu Pferde der Burg – mitten durch das Schlachtfeld. Dubhan war schon zum Greifen nah; schwarz erhob sich die Lichtlose vor dem blauen Himmel. Einen Zacken ihrer Krone hatte sie durch Graums Schrei verloren, aber das milderte keineswegs den Schrecken ihrer Ausstrahlung.

Je näher er kam, desto deutlicher spürte Rowarn die mächtige Magie, die unter seiner Rüstung versteckten Splitter wogen schwerer und schwerer und er fühlte die Hitze, die von ihnen ausging. Auch Arlyn war sehr still, ab und zu zuckte ein Muskel in ihrem Gesicht, als litte sie unter einem kurzen, krampfartigen Schmerz. Offenbar rührte sich die verborgen schlummernde Macht in ihr. Niemand wusste, wozu diese Macht diente, was sie bewirken würde. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass sie eine Verbindung zum Tabernakel hatte, so war er jetzt gegeben.

»Geht es dir gut?«, fragte Rowarn leise und besorgt. Der Visionenritter ritt wie immer groß und finster vor ihnen her. Solange er keine Anweisung rief, drohte ihnen keine Gefahr.

Arlyn nickte. »Ich fühle mich sehr seltsam, aber noch habe ich mich unter Kontrolle. Ich glaube nicht, dass ich ... zur Gefahr werden könnte. Das Tabernakel übt seinen Einfluss auf mich aus, aber es will mich nicht beherrschen. Es weckt etwas in mir.« Sie richtete die Augen auf ihren Gemahl. »Und wie fühlst du dich?«

»Verwirrt« antwortete Rowarn. »Und ich habe eine verfluchte Scheißangst. Ich wünschte, ich wäre weit weg. Nicht mal bei den Dämonenfrauen habe ich eine solche Furcht verspürt.«

»Du hast schon so viele Gefahren überstanden«, sagte Arlyn sanft. »So viele Kämpfe, Folter, Seelenqualen. Warum bist du jetzt so beunruhigt?«

Rowarn wollte es nicht sagen, aber er wusste, dass seine Königin keine Ruhe geben würde. »Ich habe so ein Gefühl ...«, murmelte er.

»Sag es mir.«

»... dass ich sterben werde.«

Arlyn schwieg eine Weile. Dann sagte sie: »Das ist völlig verständlich und ganz normal in so einer Situation.«

Rowarn schüttelte den Kopf. »Du ... verstehst nicht. Es ist wie eine Gewissheit. Ich kann es dir nicht erklären. Fast wie eine Vision. Ich sehe ganz deutlich das Ende meines Weges vor mir. Ich meine, ich habe keine Ahnung, was auf mich zukommt – aber ich sehe eine finstere Wand am Ende, hinter der es nicht mehr weitergeht. Dort ist alles vorbei, und mich gibt es nicht mehr. Das ist mir mit derselben Deutlichkeit bewusst wie mein Herzschlag und mein Atem.«

»Und wird dich das aufhalten?«

»Nein. Ich muss den Weg zu Ende gehen, es gibt nur noch diesen einen, nur noch diese einzige Richtung. Ich habe alle Pfade beschritten und fühle mich gewappnet. Ganz gewiss werde ich jetzt nicht mehr zaudern und meiner Angst nachgeben. Aber weißt du, mir wäre es lieber gewesen, ich könnte meinen Tod ... oder vielmehr, meine Auflösung, nicht so deutlich vor mir sehen. Ich hätte lieber nichts davon wissen wollen. Dann wäre ich zuversichtlich gegangen und hätte an eine Zukunft mit dir geglaubt.«

Arlyn lenkte ihren Braunen an Windstürmers Seite, streckte die Hand aus und berührte Rowarns Arm. »So muss es nicht kommen, mein Perlmond. Ich glaube, du wirst überleben, und es wird alles gut ausgehen.«

»Das glaubst du, aber du weißt es nicht«, sagte er leise. Er presste kurz ihre Hand. »Aber es ist einerlei, meine Königin, egal was uns erwartet: Wir müssen jetzt dort hinein und unsere Aufgabe erfüllen. Ich wollte nur ...«

»Nein, Rowarn, kein Wort mehr. Wir haben uns schon alles gesagt, es gibt nichts mehr hinzuzufügen. Jetzt geht es nicht mehr um uns. Konzentriere dich allein auf das Tabernakel. Keine Ablenkung, keine Schwäche, nichts Weltliches darf dich jetzt mehr beeinflussen. So ist das bei den Mächtigen.«



Kurz bevor sie die feindliche Linie erreichten, galoppierten ihnen Noïrun, Olrig, Schneemond und Schattenläufer entgegen.

»Wie sieht es aus?«, fragte Angmor.

»Wir sind nahe dran, ich setze jetzt genauso wie der Feind auf Zersplitterung, um eine Lücke zu schaffen«, antwortete der Fürst. »Rowarn, du bist leichenblass, ist alles in Ordnung?«

Der junge König nickte. »Es sind nur die Splitter ... sie quälen mich. Ich muss in die Burg, so schnell wie möglich. Je länger ich hier draußen verharre, desto unerträglicher wird es.«

»Wir müssen euch den Weg in die Burg freimachen«, sagte Schattenläufer. »Und zwar mit einem direkten Durchbruch, in großer Geschwindigkeit. Hinter uns mag sich die Linie wieder schließen, aber ihr wärt dann unmittelbar vor Dubhan.«

»Was ist mit der Zugbrücke über den See?«

»Die werden wir übernehmen!« Etwas brauste über Rowarns Kopf hinweg, und er spürte den Windstoß eines kräftigen Flügelschlags. Hyan der Daranil landete neben Windstürmer. »Ich habe schon mit den anderen Daranil gesprochen. Wir werden Dubhan umkreisen, von Süden her hineingelangen und die Brücke herunterlassen. Wir warten, bis ihr nah genug seid.«

Noïrun nickte. »Geht auf Posten und behaltet alles im Auge.«

Hyan flog wieder ab, manövrierte geschickt zwischen den schwirrenden Pfeilen und Speeren hindurch.

Olrig rieb sich grübelnd den Bart. »Sagt mal, Herr Schattenläufer, habt Ihr nicht damals in Weideling behauptet, mit dem Kämpfen nicht viel anfangen zu können?«

»War gelogen.« Der Pferdmann grinste. »Eine verzeihliche Lüge, denn ich war an einen Schwur gebunden, und auf diese Weise war ich einer langen Begründung enthoben.«

»Also seid Ihr gut?«

»Worauf wollt Ihr hinaus, o Kriegskönig der Zwerge?«

»Ich hätte da eine Idee«, brummte Olrig. »Wenn Ihr mich auf Eurem Rücken duldet, Freund Schattenläufer, würden wir unsere Kampfkraft gewiss mehr als verdoppeln.«

»Guter Vorschlag«, stimmte Schattenläufer zu.

»Ein Teil der Garde und ich werden euch flankieren«, sagte Fürst Noïrun.

Und so geschah es, dass der Kriegskönig sich schweifwärts auf Schattenläufers starken Rücken schwang, zwei lange Äxte in der Hand. So gaben sie sich gegenseitig Deckung.

»Ob ich wohl seekrank werde, so verkehrt herum?«, rief Olrig über die Schulter. »Wahrscheinlich falle ich sowieso gleich herunter.«

»Ich werde Euch so sanft schaukeln wie ein Kind in der Wiege«, meinte Schattenläufer und grinste in seinen schwarzen Bart. 

»Als ob Ihr das jemals getan hättet ... oh, wartet, ich vergaß – Rowarn. Also gut, ich will Euch glauben, dass Ihr auch eine sanfte Ader besitzt, mit diesem riesigen blutigen Schwert in der einen und der Stachelkeule in der anderen Hand.«

»Verlasst Euch darauf. Seid Ihr bereit?«

»Und ob. Dann zeigt mal, wozu diese prächtigen Muskeln fähig sind!«, lachte Olrig und schlug klatschend auf den schwarzglänzenden Pferdeschenkel.

Der Pferdmann schnellte los, wie ein Pfeil von der Bogensehne, und der Kriegskönig schwang brüllend die Äxte, als sie mit donnernden Hufen wie ein Gewittersturm über das feindliche Heer kamen und im Verlauf weniger Sprünge eine Bresche schlugen. Der Fürst und zehn Ritter setzten ihnen im gestreckten Galopp nach, schlossen an den Flanken auf und versetzten zusätzlich die Feinde mit gewaltigen Schwerthieben und Lanzenstößen in Angst und Schrecken. 

Angmor, Arlyn und Rowarn trieben ihre Pferde durch die auseinanderwogende Feindeslinie, und bevor die Lücke sich wieder schließen konnte, fegte Graum mit tödlichen Pranken und Zähnen heran und übernahm die Rückendeckung, gefolgt von Schneemond, die mit ihrem Bogen den Abschluss bildete. 

Über ihnen kreisten die Daranil, mit Speeren und Steinen bewaffnet, und gingen auf Sturzflug, um Dubhan anzugreifen. Sie hatten längst die Schwachstellen bei der Zugbrücke ausgekundschaftet; mit einem Angriff von oben hatte Femris nie gerechnet. In gesammelter Formation, während gleichzeitig Bogenschützen den Torwachen zusetzten, stürzten die Daranil auf die Brückenwächter herab und verschwanden hinter der Zinne außer Sicht.

Derweil brachen Schattenläufer und Olrig endgültig durch die Reihen, flankiert von den Rittern. Sie erreichten das Ufer des Sees, wo ein Steg ein Stück weit hinausreichte, und sicherten sich ringsum ab.

In diesem Moment rasselte schon die Zugbrücke herunter, und der Mechanismus, der die Verbindung über den See schaffte, trat kurz darauf in Gang. Die Soldaten der Burg stürmten auf die Brücke hinaus, während am Ufer der Kreis um die Freunde immer enger wurde. Schattenläufer stürmte mit Olrig auf dem Rücken über die Brücke, bevor die Soldaten sie sichern konnten.

Der Visionenritter saß ab und gab Aschteufel die Zügel frei. »Achte auf dich«, sagte er zu dem riesigen schwarzgrauen Hengst und tätschelte ihm kurz den Hals.

Rowarn und Arlyn stiegen ebenfalls ab und übergaben die Zügel an zwei Soldaten, die die Pferde in Sicherheit bringen sollten. Aschteufel brauchte niemanden zum Schutz, er wütete bereits auskeilend und schnappend unter den Feinden und trieb sie vom Steg weg, sobald sie dort Position beziehen wollten.

»Der Weg ist beinahe frei«, sagte Angmor. »Jetzt folge mir, Arlyn. Rowarn, du gehst hinter Arlyn, und am Schluss geht Graum.«

Rowarn sah nur noch die große, finstere, breitschultrige Gestalt seines Vaters vor sich, als er, ohne eine Antwort abzuwarten, die Brücke betrat und mit dem gewaltigen Schwert ausholte. Der Visionenritter fegte alles, was sich ihm in den Weg stellte, mit wuchtigen Schlägen beiseite, sodass die Dubhani, die links und rechts wie an einer Schnur aufgereiht waren, ins Wasser stürzten. Obwohl sie mit Armbrüsten, Pfeilen und Speeren auf ihn anlegten, konnte er alles voraussehen und rechtzeitig abwehren. Nichts konnte den Visionenritter bedrohen, nichts ihn aufhalten. Wenn ihn doch einmal ein verirrter Speer traf und tatsächlich durch die Rüstung schlug, beeindruckte ihn das trotzdem nicht weiter. Seine Haut wurde dabei nicht einmal angeritzt. Gegen einen Dämon mussten schwerere Geschütze aufgefahren werden.

Schließlich ergriffen die Vordersten die Flucht, und der Sturm wechselte die Richtung. Die Flut wogte in die Burg zurück, wo sie von dem Pferdmann und dem Kriegskönig in Empfang genommen wurde. Wer nicht rechtzeitig wenden oder ausweichen konnte, stürzte ebenfalls in den See. Aus dem Burgtor hörte Rowarn das Klirren von Metall und das Dröhnen der schweren Hufe seines Muhmen, begleitet von triumphierenden Schreien und Gelächter. Wie es aussah, hatten Olrig und Schattenläufer sich den Zugang freigekämpft. Graum fauchte hinter ihm und hielt nachfolgende Angreifer in Schach, während Rowarns Augenmerk nur Arlyn galt; doch es gab keine Gefahr für sie. Ruhig schritt sie vor ihm. Rowarns Schwert war kampfbereit gereckt, aber es wurde kaum gebraucht.

Angmor, Schattenläufer und Olrig nahmen die Dubhani nun zwischen sich in die Zange, und es wurde immer enger für die feindlichen Soldaten. Bald wussten sie nicht mehr, in welche Richtung sie sich wenden sollten. Die meisten retteten sich nun mit einem freiwilligen Sprung ins Wasser und paddelten zum jenseitigen Ufer, sofern sie nicht von Rüstungen und Waffen in die Tiefe gezogen wurden.

Der Velerii und der Kriegskönig hatten die Verteidigung voll im Griff, als weitere Verstärkung eintraf. Noïruns Reiterei erreichte nun mit dem Heermeister an der Spitze ebenfalls die Brücke und eroberte sie endgültig.

Der Velerii und der Visionenritter trafen schließlich zusammen. Olrig rutschte von dem Pferderücken und musterte Arlyn und Rowarn, dann nickte er lächelnd.

»Du verstehst dich bestens aufs Kriegshandwerk, edler Pferdmann«, bemerkte Angmor zu Schattenläufer. »Und das nach so langer Zeit. Die Velerii sind noch immer furchterregende Gegner, die selbst Dämonen die Stirn bieten können.«

Der Pferdmann starrte auf ihn herab. »Bis auf einen.« Doch dann grinste er breit und streckte dem Visionenritter die Hand hin. »Schneemond mag mich dafür umbringen, aber ich für mein Teil bin froh, dich auf unserer Seite zu haben, alter Mann.«

Die Mundwinkel des widdergehörnten Dämons zuckten leicht. Dann schlug er ein.

»Geht jetzt«, sagte Schattenläufer. Seine lange Mähne wallte, die Augen glühten. Sein schwarzer Pferdeleib troff von Schweiß, doch er war noch weit entfernt von Erschöpfung. »Wir halten hier die Stellung.«



Als sie auf das Tor zugingen, waren dort nur noch drei Warinen und ein Mensch postiert. Dunkle Locken wallten unter dem Helm hervor, und Rowarn blickte in zwei hellbraune Augen. Graum wollte sich auf die Wachen stürzen, da rief Rowarn: »Halt ein! Warte!«

Die Dubhani machten sich mit grimmigen Mienen bereit und wichen keinen Fußbreit.

»Du bist Humrig«, sagte Rowarn zu dem Menschen. Er nahm den Helm ab. »Ich erkenne dich, denn du bist deinem Vater sehr ähnlich.«

»Und du bist der Dieb des Tabernakels«, gab Solvans Sohn zornig zurück. »Stell dich mir!«

Rowarn schüttelte den Kopf. »Nein.« Er hörte Schattenläufer herannahen, und kurz darauf traf auch Noïrun auf dem dampfenden Rundyr ein. »Nimm ihn gefangen, er ist Baron Solvans Sohn Humrig«, bat er den Fürsten und reichte ihm den Helm zur Aufbewahrung. »Ihm soll kein Leid geschehen. Er soll begreifen, dass ich das Richtige tue und Femris im Unrecht ist.«

»Das übernehme ich«, knurrte Olrig. »Die Tracht Prügel ist schon lange fällig.« Zu dritt griffen sie die letzten Posten an, die zur Verteidigung den Weg freigeben mussten, und Angmor, Arlyn und Rowarn schritten, gefolgt von Graum, an ihnen vorbei durch das Portal.