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»Hallo, mein Schatz«, begrüßte Regine Kurz ihre Tochter.

Franzi musste an dem Stapel Geschenke, den sie auf dem Arm trug, vorbeigucken, um ihre Mutter zu sehen. »Hallo, Mama.«

»Komm rein. Essen ist auch gleich fertig.«

Franzi lachte. »Manchmal klingst du, als käme ich nur zum Essen.«

Sie stellte die Geschenke unter den Weihnachtsbaum. Dann legte sie ihren Mantel ab. »Du hast dich mit der Dekoration mal wieder selbst übertroffen.« Sie schmunzelte.

»Ich weiß, du findest es übertrieben.« Regine zuckte mit den Schultern. »Aber mir gefällt es.«

Franzi ging in die Küche. »Hmm, das duftet aber köstlich.«

»Am Heiligabend nur das Beste für dich«, lächelte ihre Mutter.

»Na ja . . .« Franzi seufzte.

»Was meinst du damit? Ist dir mein Essen nicht recht?«

»Nein, natürlich ist es mir recht. So war das nicht gemeint. Aber das Beste wäre gerade etwas anderes für mich.«

»Meike?« Regine nahm die Töpfe vom Herd.

Franzi nickte. »Ich kann sie einfach nicht vergessen.«

»Hilfst du mir mal?«, bat Franzis Mutter, auf ihre Tätigkeit konzentriert.

Franzi hielt die Schüsseln fest, während ihre Mutter Kartoffeln, Soße, Erbsen und Möhren einfüllte. Den Rinderbraten legte sie auf einen Teller.

Gemeinsam deckten sie den Tisch, dann stellte Franzis Mutter Weihnachtsmusik an.

Es war das erste Mal in diesem Jahr, dass sich Franzi tatsächlich weihnachtlich fühlte. Ein kleines bisschen freute sie sich auf den Abend mit ihrer Mutter.

Was Meike wohl machte? Feierte sie mit ihrer Familie? Aber was sollte sie auch sonst machen?

Sie nahmen am Tisch Platz.

»Hast du denn mal etwas von Meike gehört?«, nahm Regine das Thema wieder auf, während sie Franzis Teller füllte.

Franzi kaute auf ihrer Unterlippe. »Nein. Also, Meike hat ein paarmal versucht, mich anzurufen, aber ich bin nicht drangegangen.«

Franzis Mutter schob sich ein Stückchen Braten in den Mund. »Manchmal verstehe ich dich nicht. Warum nimmst du nicht ab? Was willst du denn?«

Franzi knetete ihre Hände. Wenn sie das so genau wüsste . . . Sie liebte Meike. Immer noch. Sie wollte mit Meike zusammen sein, aber sie wollte es nicht geheim halten müssen. Und vor allem wollte sie nicht offen verleugnet werden. »Eine Frau, die zu mir steht«, erklärte sie schließlich.

Regine legte ihre Gabel hin. »Weißt du, wie froh ich war, als du endlich aus deinem Selbstmitleid wegen Isabel aufgetaucht bist? Als du dich endlich wieder verliebt hast? Ich habe mich so für dich gefreut, dass du wieder glücklich warst. Aber jetzt . . .« Sie seufzte schwer. »Jetzt ertrinkst du schon wieder in Selbstmitleid.«

»Das ist gar nicht wahr.« Franzi spießte ein Stück Kartoffel auf und tunkte es in die Soße.

»O doch.« Regine fixierte Franzi.

»Na gut, dann eben doch«, sagte Franzi trotzig. »Aber habe ich nicht auch das Recht dazu? So, wie Meike mich behandelt hat?« Schließlich war Meike es gewesen, die alles zerstört hatte. Durch sie war Franzis neues Glück allzu schnell wieder zusammengestürzt. Und Franzi hatte es nicht verhindern können, trotz allen Verständnisses, das sie Meike und ihrer Situation entgegengebracht hatte.

In festem Tonfall sagte Regine: »Entweder vergisst du Meike jetzt ein für alle Mal, oder du verzeihst ihr und kämpfst um sie. Dich ewig zu bedauern bringt niemandem etwas.«

Meike vergessen. Das wäre das Sinnvollste. Aber hatte sie das nicht schon so oft probiert? Selbst wenn ihr Verstand ihr dazu riet – ihr Herz gehorchte ja nicht. Noch immer spürte sie ein Kribbeln, wenn sie an Meike dachte. Spürte die unbändige Sehnsucht. Den kurzen Moment der Freude, wenn sie Meikes Gesicht vor sich sah, bevor der Schmerz sie wieder überfiel. »Ich kann ihr nicht verzeihen.«

»Ach, Franzi, lass dir das von deiner alten Mutter sagen.« Regine griff nach Franzis Händen. »Wenn du Meike wirklich liebst, dann kannst du ihr auch verzeihen.«

»Ich liebe sie«, wisperte Franzi. »Aber ich weiß wirklich nicht, ob ich ihr verzeihen kann.« Sie schluckte.

Regine ließ Franzis Hände wieder los. »Darüber solltest du noch mal in Ruhe nachdenken. Aber jetzt lassen wir uns das Weihnachtsfest nicht verderben. Möchtest du ein Gläschen Sekt?«

Franzi nickte. »Gern.«

Mit einem Glas Sekt nahmen sie kurze Zeit später unter dem Weihnachtsbaum Platz. »Ich wünsch dir frohe Weihnachten, mein Schatz.« Regine reichte ihrer Tochter ein Paket. Abwechselnd packten sie ihre Geschenke aus, bis sie in einem Haufen aus Geschenkpapier versanken.

Irgendwann sah Franzi auf die Uhr. »Sei mir nicht böse, aber ich werde mal nach Hause gehen.« Es war kurz vor neun. Sie wollte den Rest des Abends lieber allein verbringen und ein wenig nachdenken.

»Kein Problem. Versprich mir nur, dass du dich nicht zu sehr bemitleidest.« Regine zwinkerte Franzi zu. »Kommst du morgen zum Essen?«

»Natürlich.« Franzi war bereits dabei, Schuhe und Mantel anzuziehen. Ein kleiner Spaziergang durch die Altstadt nach Hause würde ihr guttun. Vielleicht würde ihr die kalte Winternacht helfen, endlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Klassentreffen
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