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»Franzi, kannst du bitte die Tür aufmachen? Ich komm sofort.« Meike war gerade im Badezimmer verschwunden, um sich für die Lehrerverabschiedung umzuziehen, die am Abend in ihrer Schule stattfinden sollte, als es klingelte.

Wahrscheinlich war das Meikes Kollege, der Meike mitnehmen wollte. »Natürlich. Ich bin schon auf dem Weg«, antwortete Franzi. Sie war extra noch kurz bei Meike vorbeigekommen, um ihre Freundin wenigstens kurz sehen zu können. Vielleicht würde sie auch über Nacht bleiben, obwohl sie wusste, dass es später werden könnte. Aber so würden sie wenigstens den ganzen Samstag gemeinsam verbringen können. Nebeneinander erwachen, zusammen frühstücken. Ein Lächeln huschte durch Franzis Gesicht.

Sie öffnete die Tür und ließ den gutgekleideten Mann herein. »Hallo, ich bin Franzi.« Sie streckte dem Mann die Hand entgegen.

»Schön, dich kennenzulernen. Ich bin Mario, ein Kollege von Meike.« Marios Händedruck war fest.

Franzi grinste. »Das hatte ich gehofft. Sonst hätte ich am Ende einen wildfremden Mann in Meikes Wohnung gelassen.« Sie zeigte Mario den Weg ins Wohnzimmer. »Meike kommt gleich, einen Moment noch.« Gerade als Franzi diesen Satz ausgesprochen hatte, betrat Meike das Zimmer.

Sie ging dicht an Franzi vorbei, so dass Franzi ihr Lieblingsparfüm an ihr wahrnehmen konnte. Ihre Hand streifte kurz Franzis Arm. In ihrem engen schwarzen Rock und der roten Bluse sah sie atemberaubend aus. Franzi schluckte.

»Hallo, Mario«, begrüßte Meike ihren Kollegen.

»Ich wünsch euch einen schönen Abend«, verabschiedete sich Franzi diskret und ging in Richtung Küche, um sich ein Glas Wasser einzugießen. Sie wollte Meike nicht in eine unangenehme Situation bringen.

»Das wünsche ich dir auch.« In Meikes Blick lagen all die vielen zärtlichen Worte, die sie in diesem Moment vor Mario nicht aussprechen wollte. Aber Franzi verstand sie auch so.

In der Küche öffnete sie den Kühlschrank und nahm die Wasserflasche heraus. Marios und Meikes Gespräch war auch hier gut zu verstehen, obwohl sie leise sprachen.

»Gut siehst du aus«, hörte Franzi Mario sagen.

»Danke«, erwiderte Meike. An ihrer Stimme konnte Franzi erkennen, dass sie verlegen war. Wahrscheinlich waren ihre Wangen in diesem Moment leicht gerötet. Franzi schmunzelte. Die zarte Röte stand ihr ausgesprochen gut. Sie goss das Wasser in ein Glas.

»Wo ist denn dein Freund? Sag nicht, du gehst allein. Wo doch heute ausdrücklich Partner mit eingeladen sind. Und so eine attraktive Frau wie du muss doch vergeben sein.« Mario lachte.

Franzis Magen krampfte sich zusammen. Partner waren eingeladen? Davon hatte Meike gar nichts erzählt. Sie umklammerte ihr Glas und hielt den Atem an. Von Meike kam einige Sekunden keine Antwort. Doch plötzlich sprudelten die Worte hervor ohne jedes weitere Zögern, ganz selbstverständlich. Franzi konnte es ganz deutlich hören.

»Nein, ich habe keinen Partner.«

Franzis Herzschlag setzte aus, ihr wurde schwindelig.

Und als wäre das nicht genug gewesen, fuhr Meike fort: »Ich bin solo und auf der Suche. Vielleicht findet sich ja heute wer. Lass uns gehen.«

Franzi hörte die Wohnungstür ins Schloss fallen. Das durfte nicht wahr sein. Das konnte Meike nicht wirklich gesagt haben.

Das Glas glitt ihr aus der Hand. Mit einem lauten Klirren zersprang es in tausend Scherben. Aber Franzi bemerkte es kaum. Das Wasser spritzte an ihr hoch wie in Zeitlupe, wie sehr weit weg.

Was hatte Meike behauptet? Solo und auf der Suche?

Franzis Mund war trocken. Ihre Augen waren offen, aber sie sah nichts.

Es konnte nicht wirklich passiert sein.

Franzi spürte einen brennenden Schmerz in ihrer Brust, der nicht nachlassen wollte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihr ganzes gemeinsames Leben zerbrach in diesem Augenblick wie das Glas, das ihr aus der Hand gefallen war. Wie eine Seifenblase. Es war alles nur eine einzige Lüge gewesen.

Meike hatte sie verleugnet, ohne mit der Wimper zu zucken.

Franzi nahm vage wahr, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie suchte Halt an der Tischplatte.

Es musste ein Alptraum sein. Ein Missverständnis. So etwas würde Meike doch nicht wirklich machen. Sie liebten sich doch.

Tränen strömten jetzt Franzis Wangen hinunter. Sie schluchzte unzusammenhängende Worte, nur um nicht mehr Meikes grausame Sätze in ihrem Kopf zu hören, wieder und wieder. »Meike . . . Wie kannst du . . . wie konntest du nur . . . ich liebe dich!«

Eine entsetzliche Einsamkeit stieg in ihr hoch. Wie gern hätte sie jetzt jemanden gehabt, in dessen Armen sie Trost finden könnte. Aber niemand auf der ganzen Welt hätte diese Einsamkeit besiegen können, diese Leere füllen.

Minutenlang stand sie regungslos in der Küche, unfähig zu begreifen, was geschehen war. Wo sollte sie denn jetzt hin? Hierzubleiben war unmöglich. Nie wieder würde sie Meike in die Augen sehen können. Es war vorbei. Meike hatte ihre Chancen gehabt und sie nicht genutzt. Diese Erkenntnis ließ Franzis Beine nachgeben, sie sank zu Boden.

Weinend lehnte sie sich an einen Schrank. Meike hätte ja nicht gleich der ganzen Welt von ihrer Liebe erzählen müssen. Aber behaupten, dass sie Single sei? Sie bewusst und mit voller Absicht verleugnen? Das . . . Franzi ballte eine Faust, ließ sie dann kraftlos auf den Boden fallen. Ein Glassplitter bohrte sich in ihre Hand. Kleine Blutstropfen landeten auf dem weißen Linoleum. Aber Franzi spürte die Schmerzen nicht einmal. Der andere Schmerz war zu tief, zu umfassend.

Sie musste hier weg. Cori. Die einzige Person, zu der sie gehen konnte.

Mit letzter Kraft stand Franzi auf und suchte ihr Handy.

»Cori? Ich . . . Kann ich vorbeikommen?«, stammelte Franzi in den Hörer. Es war ein Wunder, dass Cori sie überhaupt verstand.

Ohne zu fragen, was passiert war, stimmte Cori sofort zu. »Oder soll ich besser zu dir kommen? Du hörst dich nicht so an, als könntest du gerade Auto fahren.«

»Nein, ich komme . . .« Franzi schluchzte noch immer. »Ich muss erst mal hier weg.«

»Wie du meinst. Dann bis gleich«, verabschiedete sich Cori. Ihr war deutlich anzuhören, dass sie besorgt um Franzi war.

Geistesabwesend packte Franzi ihre Sachen zusammen. Die Zahnbürste, die sie vor einiger Zeit in Meikes Bad verstaut hatte. Ihr Schlafshirt, das noch nach Meike roch.

Dann setzte sie sich mit ein paar Bögen Papier an den Küchentisch, um Meike eine Nachricht zu hinterlassen. Sie musste ihr schildern, wie sie sich fühlte. Meike sollte begreifen, was sie ihr angetan hatte, wie sehr sie sie verletzt hatte.

Noch immer schwammen ihre Augen in Tränen, die nicht aufhören wollten zu fließen. Der Schmerz war dumpfer geworden, aber unvermindert quälend. Auch Cori würde ihn nicht lindern können, das wusste sie.

Meike hatte sie nie wirklich geliebt. Ihr hätte von Anfang an klar sein müssen, dass Meike nicht zu ihr stehen würde, dass sie es nicht konnte. Zu der Einsamkeit der Verlassenen, Betrogenen gesellte sich der scharfe Schmerz der eingestandenen Selbsttäuschung. Franzi kam sich unendlich verloren vor.

Immer wieder nahm sie ein Blatt Papier und begann zu schreiben, doch genauso oft zerknüllte sie alles wieder und warf es in den Papierkorb. Es war einfach zu schwer, die passenden Worte zu finden. Dann endlich hatte sie es einigermaßen zu ihrer Zufriedenheit hinbekommen. Es war ein langer Brief geworden. Sie legte ihn auf den Küchentisch.

Dann griff sie nach ihrer Tasche. Ein letztes Mal ließ sie ihren Blick durch Meikes Wohnung schweifen, atmete Meikes Duft ein. Er nahm ihr beinahe die Luft zum Atmen.

Es war alles vorbei. Sie hatten niemals wirklich eine Chance gehabt. Warum nur hatte sie es nicht wahrhaben wollen?

Klassentreffen
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