~*~*~*~

Schon seit zehn Minuten wartete Franzi. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. Sie war viel zu früh. Ihr Atem formte sich zu einer kleinen weißen Wolke vor ihrem Mund.

Menschen hetzten mit gesenkten Köpfen über den großen Platz vor dem Rathaus. Der Abend war sternenklar. Lichterketten und Straßenlaternen erhellten die Dunkelheit.

Der Wind zerzauste Franzis Haare. Sie vergrub ihre Hände tiefer in ihren Manteltaschen.

»Hallo, Franzi.« Winkend kam Elli auf Franzi zugelaufen. Um ihren Hals trug sie einen dicken roten Schal. Dazu hatte sie die passende Mütze auf.

»Hallo, Elli. Schön, dass du so spontan Zeit hattest.« Franzi sah geradewegs in Ellis braune Augen, die ihr warm entgegenleuchteten. Für einen Augenblick standen sie sich gegenüber und sahen sich nur an.

»Wollen wir los?«, brach Elli das Schweigen. »In zwei Stunden schließt der Weihnachtsmarkt.« Ihr Lächeln ließ Franzis Herz schneller schlagen – sie konnte nichts dagegen tun. »Komm!« Elli ergriff Franzis Hand und schloss fest ihre Finger darum.

Franzi hielt kurz die Luft an. Ihre kalten Finger schmiegten sich perfekt in Ellis Hand.

Sie mischten sich unter die anderen Besucher, Hand in Hand, schlenderten vorbei an Zuckerbäckern, Glasbläsern, Holzschnitzern und Spielzeugmachern, bestaunten die ausgestellten Kunstwerke verschiedener Kunsthandwerker.

Franzi konnte sich nicht genau erinnern, wann sie das letzte Mal mit einer Frau Hand in Hand über den Weihnachtsmarkt gegangen war. Mit Meike jedenfalls wäre das undenkbar gewesen.

Elli sah Franzi von der Seite an. »Alles in Ordnung bei dir? Du bist so schweigsam.« Sie zögerte. »Soll ich deine Hand lieber loslassen? Manchmal bin ich etwas forsch. Entschuldige.«

»Nein, es ist alles okay. Ich muss mich nur daran gewöhnen. Das ist alles.« Langsam wärmte sich Franzis Hand. Es fühlte sich gut an. Neu und aufregend, doch auch irgendwie so vertraut. Wie gern hätte sie das mit Meike erlebt . . . Sie seufzte. Sie musste Meike vergessen. Mit Meike wäre das niemals möglich gewesen – diese Offenheit, diese Ungezwungenheit. Auch wenn sie es sich sehnlichst erhofft hatte.

Der Duft von gebrannten Mandeln, vermischt mit Aromen von Zimt und Vanille, stieg Franzi in die Nase. Sie atmete tief ein. Es roch herrlich. Ein ganz kleines bisschen freute sie sich vielleicht doch auf Weihnachten.

»Möchtest du etwas essen oder trinken?«, fragte Elli in ihre Gedanken hinein.

»Vielleicht einen Glühwein?«

»Gern.«

»Wollen wir in den Weihnachtswald?«, schlug Franzi vor.

Elli nickte. »Das ist eine gute Idee.«

Kurze Zeit später standen sie auf dem duftenden Waldboden unter den zahlreichen großen Nadelbäumen – mitten in der Stadt. Tausende kleine Lichter funkelten in den Tannenzweigen.

»Das ist wirklich einzigartig«, sagte Franzi.

»Fehlt nur noch der Schnee.« Elli lachte.

»Stimmt.« Franzi blickte in den Himmel. »Aber der dürfte heute ausbleiben.«

Elli zuckte mit den Schultern. »Es ist auch so schön.« Sie schenkte Franzi ihr unwiderstehliches Lächeln. Wie zufällig berührten ihre Finger Franzis Arm.

Ein Schauer überlief Franzi. »Ich . . . ähm . . . ich hol uns mal zwei Glühwein«, stammelte sie. Sie musste kurz weg – durchatmen, ihre Gedanken sortieren. Was war nur los mit ihr? Konnte sie sich so schnell neu verlieben? Wollte sie das überhaupt?

Franzi hatte den Glühweinstand erreicht und bestellte zwei Becher Glühwein. Sie mochte Elli, genoss ihre Gegenwart. Aber ob das reichte?

Zwei dampfende Tassen wurden vor Franzi abgestellt. Sie bezahlte, nahm in jede Hand einen Becher und ging zurück zu Elli.

»Lass es dir schmecken.«

»Danke schön.« Elli nahm den Glühwein entgegen und strahlte. Das machte sie noch schöner. »Darf ich dich etwas fragen?«

Franzi umklammerte ihre Tasse. »Natürlich.«

»Das ist vielleicht eine etwas komische Frage. Aber warum hast du mich heute plötzlich angerufen, nachdem du vorher wochenlang nichts hast von dir hören lassen?«

Franzi schluckte. An Ellis offene und direkte Art musste sie sich wirklich noch gewöhnen. Sie räusperte sich. »Ich . . . ich musste mir erst einmal klarwerden, was ich möchte. Die letzten Monate waren etwas schwierig.«

Elli nippte an ihrem Glühwein. »Und jetzt weißt du, was du willst?«

»Also . . . So ganz . . .«, stotterte Franzi.

»Schon gut,« unterbrach Elli. »Du bist mir keine Rechenschaft schuldig.«

»Doch, irgendwie schon. Ehrlich gesagt bin ich mir noch nicht ganz sicher, was ich möchte. Es wäre unfair dir gegenüber, etwas anderes zu behaupten.« Franzi starrte auf ihre Hände hinab.

»Eine andere?«

Franzi nickte schwach. »Ja, bis vor kurzem gab es eine andere. Aber das mit uns hatte keine Zukunft. Wir waren zu verschieden, sind völlig anders mit unserer Liebe umgegangen.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe, den Blick weiterhin gesenkt.

»Liebst du sie noch?«

Nun blickte Franzi Elli direkt in die Augen. »Ich weiß es nicht«, gestand sie ehrlich. Ihre Kehle fühlte sich rau an. »Ich mag dich, Elli. Sehr sogar. Aber ich kann dir im Augenblick nichts versprechen.« Es war gut, das gesagt zu haben. Erleichterung mischte sich mit dem schlechten Gewissen, Elli zu enttäuschen.

Ellis Finger strichen über Franzis Wange. »Schon okay. Lass uns einfach unsere gemeinsame Zeit genießen.«

Ellis Fingerspitzen auf ihrer Haut waren so angenehm warm. »Es tut mir leid«, flüsterte Franzi.

Statt zu antworten, zog Elli Franzi zu sich und bedeckte ihre Lippen mit einem zärtlichen Kuss. Sie schmeckte nach Glühwein.

Franzis Haut kribbelte. Sie spürte ein Ziehen im Magen.

Nach wenigen Sekunden zog sich Elli wieder zurück. Franzi ertappte sich bei dem Wunsch, es hätte länger gedauert.

»Möchtest du noch mit zu mir kommen?«, hörte sie sich plötzlich fragen.

»Wenn du das möchtest, gern.« Elli zwinkerte ihr zu.

Franzi fühlte sich von dem Glühwein ein wenig benebelt. Sie suchte nach ihrem Schlüssel, konnte ihn aber nicht gleich finden. Es dauerte eine Weile, bis sie endlich die Tür geöffnet hatte. »Komm rein«, bat sie Elli.

Elli folgte der Aufforderung. Kaum war die Wohnungstür hinter ihnen ins Schloss gefallen, trafen Ellis Lippen auf Franzis.

Franzi schloss die Augen. Ellis Lippen waren weich und zart.

Mit ihrer Zungenspitze strich Elli an Franzis Lippen entlang. Es kitzelte ein wenig. Franzi öffnete den Mund einen Spalt und ertastete Ellis Zunge mit ihrer. Ihr wurde schwindelig.

Elli knöpfte Franzis Mantel auf und ließ ihn von ihren Schultern zu Boden gleiten. Ihre eigene Jacke folgte. Dann schoben sich Ellis Hände unter Franzis Pullover.

»Geht dir das zu schnell?«

Franzi schüttelte den Kopf. »Nein, mach weiter«, flüsterte sie.

Ellis Finger malten Kreise auf Franzis Haut.

Wenn Meike Franzis nackte Haut berührt hatte, hatte jeder Millimeter in Flammen gestanden. Jede Berührung hatte sie einer Ohnmacht nahe gebracht.

Konzentrier dich auf die Gegenwart, schalt Franzi sich selbst. Meike hatte nichts in ihren Gedanken verloren. Sie war im Begriff, mit Elli zu schlafen. Und sie wollte. Wie zur Bestätigung zog es in ihrem Unterleib.

Elli zog sich ihren Pullover über den Kopf, knöpfte ihre Hose auf. »Zieh dich auch aus«, forderte sie Franzi auf.

Ohne darüber nachzudenken, folgte Franzi Ellis Beispiel, bis sie vollkommen nackt vor Elli stand. Es war so anders als mit Meike. Meistens hatte Franzi die Initiative ergriffen und Meike ausgezogen – manchmal ganz langsam, manchmal stürmisch . . .

Elli legte ihre Arme um Franzi. Zärtlich knabberte sie an ihrem Hals. »Hast du ein bequemes Bett?«

»Natürlich«, erwiderte Franzi. Sie ergriff Ellis Hand und zog sie mit sich ins Schlafzimmer. Vor dem Bett blieben sie stehen. Franzi wandte sich zu Elli um und ließ ihren Blick an deren Körper entlanggleiten. Elli hatte eine gute Figur, schlank, aber an den richtigen Stellen sehr weiblich. Sie war deutlich muskulöser als Meike; Meikes Po war ein wenig runder, genauso, wie Franzi es mochte.

Ellis Arme, die sich um sie schlangen, holten Franzi neuerlich in die Gegenwart zurück. Sie fielen auf das Bett. Elli kam auf Franzi zum Liegen.

Sie umschloss mit ihren Händen Franzis Brüste, rollte die Brustwarzen zwischen ihren Fingern.

Franzi schloss die Augen. Sie stöhnte leise.

»Gefällt dir das?«, wollte Elli wissen.

Franzi öffnete die Augen wieder und blickte geradewegs in Ellis Gesicht.

Sie schreckte zurück. Sie konnte das nicht. Alles erinnerte sie an Meike. Regungslos blieb sie liegen.

»Was ist los?« Elli hielt inne.

»Es geht nicht. Noch nicht. Es tut mir so leid.« Franzi presste die Lippen aufeinander.

Elli sank laut seufzend auf die Matratze zurück. »Das hab ich schon befürchtet.«

Franzi setzte sich auf, zog die Knie an und umschlang ihre Beine. »Es hat nichts mit dir zu tun.« Aber sie wünschte sich nichts sehnlicher, als mit Meike statt Elli hier im Bett zu liegen, Meike im Arm zu halten, sie zu berühren. Elli hatte sich bemüht, aber das reichte nicht. Es war immer noch Meike, die Franzis Denken und Fühlen beherrschte.

»Es ist mir wohl nicht vergönnt, dir näherzukommen«, meinte Elli mit einem bedauernden Schulterzucken.

»Entschuldige.« Franzis Mund war ganz trocken. »Es geht einfach nicht.«

»Ist schon gut. Was hältst du stattdessen von einem Kaffee? Dann können wir noch ein wenig plaudern, wenn du Lust hast.« Elli legte ihre Hand auf Franzis Rücken.

Dankbar lächelte Franzi sie an. So elend sie sich auch fühlte, weil sie Elli enttäuscht hatte – sie wusste, dass es richtig war. Wäre es besser, ihr etwas vorzuspielen und dabei an eine andere zu denken?

Wenig später saßen sie angezogen an Franzis Küchentisch. Der Kaffee verströmte sein herbes Aroma.

»Ich habe selten so eine faszinierende Frau wie dich getroffen«, begann Elli.

Verlegen rührte Franzi in ihrem Milchkaffee. »Dabei habe ich dich gerade alles andere als toll behandelt.«

»Ach, vergiss das einfach.«

Aber so schnell konnte Franzi es nicht vergessen. Elli war eine wundervolle Frau, die durchaus etwas in ihr hätte auslösen können, wenn sie sich zu einem anderen Zeitpunkt getroffen hätten. Sie hätte es gern vermieden, Elli so abzuweisen. »Elli, ich mag dich wirklich. Ich möchte dich gern näher kennenlernen, aber du musst mir ein bisschen Zeit lassen.« Sie senkte den Blick. Ihre Finger verknoteten sich ineinander. »Wenn du das überhaupt möchtest . . . Wenn nicht, kann ich es auch verstehen.«

»Ich möchte, auf jeden Fall. Nimm dir alle Zeit, die du brauchst.«

Franzi nickte. »Ich melde mich bei dir, okay? Und dieses Mal lasse ich dich nicht so lange in der Luft hängen.«

Klassentreffen
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