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»Hey, Meike, alles Gute nachträglich.« Wiebke stand schon an Meikes Platz, um sie zu empfangen, als Meike nach der sechsten Stunde ins Lehrerzimmer kam.

»Vielen Dank.« Meike näherte sich lächelnd, und ihre Wangen röteten sich vor Freude. »Dass du daran gedacht hast.«

Wiebke drückte Meike an sich. »Ich hoffe, du hast ordentlich gefeiert.«

»Von mir auch die besten Glückwünsche.« Lachend gesellte sich Mario ebenfalls an Meikes Tisch. »Hattest du denn eine schöne Geburtstagsfeier?«

Meikes Finger wurden feucht. Sollte sie den beiden erzählen, dass Franzi sie vom Bus abgeholt und mit ihr in ihren Geburtstag hineingefeiert hatte? Wenn nicht jetzt, wann dann? Sie musste es endlich sagen. Entschlossen holte sie tief Luft. »Ja, mein Geburtstag war sehr schön. Ich bin ja Freitag erst von der Klassenfahrt wiedergekommen . . .«

Mario nickte. »War bestimmt toll mit unserem Lieblingskollegen.«

Meike verdrehte die Augen. »Und wie. Jedenfalls . . .« Mit einem Mal klebte ihr die Zunge am Gaumen fest, wollte sich nicht mehr bewegen. Nervös trat sie von einem Bein auf das andere. Konnte sie den beiden wirklich von Franzi erzählen? Wie würden sie reagieren? Meike wurde ganz heiß. Der Boden unter ihr fühlte sich plötzlich wackelig an.

»Geht es dir nicht gut?«, fragte Wiebke besorgt. »Du bist ganz blass.«

»War die Klassenfahrt so schlimm?« Mario legte Meike eine Hand auf die Schulter.

»Nein, es ist alles in Ordnung.« Meikes Herz raste. Sie hatte das Gefühl, kaum mehr atmen zu können. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Nein, sie konnte es nicht, sie brachte es einfach nicht fertig. »Jedenfalls . . .«, stotterte sie. »Ich habe dann in meinen Geburtstag reingefeiert, und gestern war meine Familie da. Kleiner Kreis also, nichts besonders Aufregendes.« Sie wischte sich über die Stirn und fühlte sich elend. Warum war sie nur so feige? Wenn es jemanden gab, von dem sie nichts zu befürchten hatte, dann waren es Wiebke und Mario. Auch wenn sie sich wenig privat kannten und austauschten – die beiden schienen verständnisvoll und tolerant zu sein. Und, was noch viel wichtiger war, sie waren keine Klatschtanten und hätten dieses Geheimnis erst einmal für sich behalten können.

»Wie war denn die letzte Woche? Hat Karsten sich anständig verhalten?«, hakte Mario noch einmal nach.

»Na ja . . .« Meike zuckte mit den Schultern. »Es hätte besser sein können, aber es war in Ordnung. Die Schüler hatten viel Spaß, glaube ich. Und ich habe es ja überlebt.« Sie versuchte zu lächeln, aber es geriet schief. Instinktiv suchte sie das Lehrerzimmer nach Karsten ab, und als sie ihn entdeckte, zog es in ihrem Magen. Karsten grinste sie an, als habe er nur darauf gewartet, dass sie in seine Richtung schauen würde.

»Habt ihr noch eine Stunde oder Feierabend?«, fragte Meike ihre Kollegen, um all das Ungesagte, das im Raum zu stehen schien, zu umschiffen.

»Ich muss noch mal ran.« Mario seufzte.

»Gilt für mich auch.« Wiebke griff nach ihrer Tasche. »Bis morgen.«

Mario und Wiebke machten sich auf zur nächsten Schulstunde. Meikes Arbeitstag war glücklicherweise überstanden. Sie packte ihre Sachen zusammen.

»Hast du mich vermisst?«

Sie musste sich gar nicht umdrehen, um zu wissen, wer hinter ihr stand. Diesen unangenehmen herben Duft und diese tiefe Stimme erkannte sie sofort.

»Bestimmt nicht«, erwiderte sie bissig.

»Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Als ob diese Franzi dir alles geben kann, was du brauchst.« Karsten lachte höhnisch.

Mit feuchten Fingern steckte Meike ihre Stifte in die Tasche. »Lass mich einfach in Ruhe.«

»Hast du dir mein Angebot durch den Kopf gehen lassen?«, erkundigte sich Karsten und legte dabei seine Hände auf Meikes Schultern, so dass sie ihm ins Gesicht sehen musste.

»Finger weg!« Meike versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien.

Aber Karsten machte keine Anstalten, seine Hände von ihren Schultern zu nehmen. Und er war stärker als sie. »Ich wiederhole mich nur noch ein allerletztes Mal«, sagte er leise und scheinbar sanft. »Entweder du gehst mit mir aus, oder morgen weiß die ganze Schule Bescheid, mit wem du es so treibst.« Sein Daumen kreiste über Meikes Schulter. Er lehnte sich dichter an sie, so dass sie seine Lippen fast an ihrem Ohr spüren konnte. »Lesbe«, zischte er.

Meikes Kehle war wie zugeschnürt. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie musste selbst steuern, wer wann etwas erfuhr. Aber Karsten würde nicht vor einem Zwangsouting zurückschrecken – da war sie sich sicher.

»Also, was ist?« Er wich etwas zurück, um ihr in die Augen sehen zu können.

Meikes Beine zitterten. Sie musste sich am Tisch festhalten. »In Ordnung.«

»Das heißt, du gehst mit mir aus?« Seine Stimme triefte förmlich vor Genugtuung.

»Ich gehe mit dir aus. Aber dann lässt du mich in Ruhe.«

Karsten grinste hämisch. »Ich wusste, du würdest zur Vernunft kommen. Ich freue mich.« Er leckte sich über die Lippen.

Meike wurde schlecht.

»Die genaue Zeit und den Ort werde ich dir noch mitteilen. Aber halt dir mal den nächsten Montag frei.« Damit drehte er sich um und ging. Selbst von hinten war ihm sein Triumph anzusehen.

Meike blieb niedergeschmettert zurück. Was hatte sie nur getan? Es konnte doch nur schiefgehen. Jetzt hatte er sie noch fester in der Hand, obwohl sie doch gerade das hatte verhindern wollen. Er würde sie niemals in Ruhe lassen – jetzt erst recht nicht mehr.

Franzi tauchte mit einem Kopfsprung in das kühle Wasser ein. In gleichmäßigen Zügen schwamm sie los. Den ganzen Tag hatte sie es vermieden, an die Begegnung mit Meikes Eltern zu denken, aber jetzt ließ sich die Erinnerung nicht länger unterdrücken.

Mit jedem Atemzug wurde die Enttäuschung größer. Nur eine gute Freundin. Es gibt niemanden. Immer wieder hallten die Wortfetzen in Franzis Kopf wider. Warum konnte Meike nicht endlich zu ihrer Liebe stehen? Franzi schlug förmlich auf das Wasser ein. Schon nach wenigen Metern begannen ihre Arme zu schmerzen.

Natürlich war das nicht einfach mit dem Outing. Das wusste Franzi ja selbst noch ganz genau. Welche Sorgen sie sich damals gemacht hatte, es ihren Eltern zu erzählen. Dabei waren ihre Eltern nicht einmal besonders konservativ, und mit Religion hatten sie auch wenig am Hut. Der gestrige Besuch von Johannes Jakobs dagegen hatte Franzi noch einmal deutlich gemacht, wie schwierig Meikes Vater war – und wie verständlich Meikes Angst vor seiner Reaktion. Meike schaffte es ja schon in weniger heiklen Belangen kaum, sich gegen ihn durchzusetzen. Wenn auf jemanden das Wort ›Patriarch‹ passte, dann auf Meikes Vater. Franzi zog die Stirn kraus.

Dazu kam noch, dass Franzi sich ziemlich früh für Frauen interessiert hatte. Es hatte keine Freunde und erst recht keine Ehemänner in ihrem Leben gegeben. Das war sicherlich ein entscheidender Vorteil. Franzis Mutter hatte schnell gewusst, was mit ihr los war. Es hatte keine großen Umwege gegeben, nichts, was die Umwelt irritiert hätte.

In letzter Sekunde sah Franzi den Beckenrand auf sich zukommen. Sie wendete und kraulte weiter.

Außerdem war sie als Apothekerin bei weitem nicht so abhängig von ihrem beruflichen Umfeld wie Meike. Es gab keine homophoben oder verunsicherten Schüler, die ihr das Leben schwermachen konnten. Keine Eltern, die Sorge hatten, ihre Sprösslinge seien bei einer lesbischen Lehrerin nicht gut aufgehoben. Mit wem Franzi zusammenlebte, interessierte an ihrem Arbeitsplatz niemanden.

Franzi schnappte nach Luft. Sie war heute nicht in Form; schon jetzt fühlte sie sich erschöpft. Mit Mühe kämpfte sie sich zur Treppe. Sie war weit hinter ihrem eigentlichen Pensum zurückgeblieben. Und den Kopf hatte sie auch nicht freibekommen . . .

Sie seufzte, kletterte aus dem Wasser und nahm ihre Schwimmbrille ab. Zurück an ihrem Platz ergriff sie ihr Handtuch und trocknete sich kurz das Gesicht ab. Dann schlüpfte sie in ihre Badelatschen, um sich auf den Weg in die Dusche zu machen.

Warum war Meike ausgerechnet Lehrerin? Das machte alles so schrecklich kompliziert.

In diesem Moment fiel ihr die Schwimmbrille auf den Boden. Doch noch ehe sie danach greifen konnte, hatte sich bereits die Bademeisterin gebückt und hob sie auf.

»Bitte schön.« Sie reichte Franzi die Brille. Für einen winzigen Augenblick streifte sie dabei Franzis Hand.

»Ähm . . . Danke schön«, stotterte Franzi.

»Kein Problem.« Die Bademeisterin lächelte. »Ich bin übrigens Elli.« Sie reichte Franzi die Hand.

Ihre Blicke trafen sich und hielten sich kurz fest. Elli hatte schöne, schokoladenbraune Augen. Franzi spürte ihren Herzschlag in ihren Ohren pochen. Aber das musste an der Anstrengung liegen. Sie nahm Ellis Hand, die sich warm und weich anfühlte. »Ah«, war alles, was sie erwiderte.

Elli lachte. »Hast du auch einen Namen?«

Nun musste Franzi grinsen. Warum benahm sie sich auf einmal wie ein Teenager? »Franzi«, stellte sie sich vor.

»Schön, dich mal kennenzulernen, Franzi.« Elli zwinkerte ihr zu. »Du bist mir schon ein paarmal aufgefallen. Du bist ziemlich regelmäßig hier.«

Franzi nickte. Das war sie. Aber sie hatte Elli noch nie bemerkt. Dabei war diese mit ihren kurzen schwarzen Haaren und ihrer muskulösen Figur durchaus nicht unscheinbar . . . »Ich muss dann mal.«

»Bis zum nächsten Mal.« Elli lächelte noch immer. Sie hatte perfekte weiße Zähne.

Franzi ging weiter in Richtung Dusche. Sie schüttelte den Kopf. Was war das denn für eine bescheuerte Verabschiedung gewesen? Und überhaupt, was wollte diese Elli von ihr? Aber eigentlich spielte das überhaupt keine Rolle. Nicht, solange es Meike in ihrem Leben gab.

Sie stellte das heiße Wasser an.

Wenig später war sie fertig geduscht und angezogen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis Meike zu ihr kam. Franzi griff nach ihrem Handy, um Meike zu fragen, ob alles bei der geplanten Verabredung blieb. Auf dem Display leuchtete bereits ein kleiner Briefumschlag.

Franzi öffnete die Nachricht.

Ich freue mich auf den gemeinsamen Abend mit dir. Meike.

Franzi lächelte. Sie freute sich auch auf die Zeit mit Meike. Sie liebte Meike – daran bestand kein Zweifel. Es war ihr größtes Glück, Meike auf dem Klassentreffen wiedergefunden zu haben. Egal, wie schwierig es manchmal auch sein mochte. Ihre Gefühle für Meike waren stark genug.

Klassentreffen
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