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Endlich hatte Meike ein paar Minuten für sich. Die Schüler forderten sie ganz schön. Sie setzte sich auf ihr Bett. Die Zeit in Norddeich war wie im Flug vergangen. Heute war schon der letzte Abend; morgen würde sie wieder bei Franzi sein. Endlich. Sie hatte Franzi schrecklich vermisst, in jeder freien Sekunde an sie gedacht. So eine Sehnsucht hatte sie schon lange nicht mehr gespürt. Bei Thomas war sie am Schluss stets froh gewesen, ein paar Tage entfliehen zu können, ihre Ruhe vor ihm zu haben.

Meike wählte Franzis Nummer. Wie jeden Abend freute sie sich darauf, Franzis Stimme zu hören. Aber noch viel lieber hätte sie Franzi persönlich in die Arme geschlossen.

»Guten Abend, mein Sonnenschein«, begrüßte Franzi sie. »Ich wollte gerade zum Schwimmen. Du hast Glück, dass du mich erwischst.«

Meike schloss die Augen und lehnte sich zurück. »Das ist wirklich Glück. Wie hätte ich den Abend ohne deine Stimme überstehen sollen?« Sie lächelte.

»Weißt du schon, wann ihr morgen zurückkommt?«, fragte Franzi.

»Wenn alles gutgeht, so gegen achtzehn Uhr.«

»Du kannst dich ja mal von unterwegs melden.«

»Mach ich.«

»Was hast du heute Schönes unternommen?«, fragte Franzi.

»Heute Morgen waren wir am Meer.« Meike seufzte. »Das war richtig schön.«

»Das glaube ich dir sofort.« Auch Franzi seufzte.

»Und dann hatten die Kinder ein bisschen Freizeit. Gleich ist noch der Abschlussabend. Musik und Tanz.« Meike kicherte. »Und Saft. Jedenfalls offiziell.«

»Wahrscheinlich werden sich die Schüler genauso gewissenhaft daran halten, wie wir das immer getan haben«, bemerkte Franzi, und ihr Grinsen war deutlich zu hören. »Was macht eigentlich dein Kollege? Verhält er sich anständig? Du hast gar nichts mehr von ihm erzählt.«

»Na ja«, druckste Meike herum. Sie hatte Franzi nicht berichtet, was am ersten Abend passiert war. Sie wollte Franzi nicht beunruhigen. Und außerdem . . . Ihr Gewissen zwickte sie. Es hätte Franzi verletzt, wenn sie erfahren hätte, dass Meike sie verleugnet hatte.

»Sag ihm, dass er es mit mir zu tun bekommt, wenn er sich dir gegenüber nicht benimmt.« Franzi lachte.

Aber Meike war nicht nach Lachen zumute, auch wenn es nur ein Scherz hatte sein sollen. »Du musst dir keine Sorgen machen.«

»Du fehlst mir. Ich freue mich, wenn du morgen wieder bei mir bist.«

»Ich mich auch. Mach dir noch einen schönen Abend. Bis morgen«, beendete Meike das Gespräch und legte auf. Sie atmete noch einmal tief durch, ehe sie sich auf den Weg zum Aufenthaltsraum machte.

Karsten und einige Schüler hatten sich bereit erklärt, die Vorbereitungen zu treffen. So kam Meike in einen geschmückten Raum. Die Musik spielte schon – ein Lied, das Meike aus dem Radio kannte.

»Frau Jakobs, da sind Sie ja endlich«, begrüßte Julian sie.

»Das sieht gut aus, was ihr hier gemacht habt.« Meike lächelte ihrem Schüler zu und sah sich bewundernd um.

»Danke schön«, mischte sich Christian ein. Er klopfte Julian auf die Schulter. »Haben Sie einen speziellen Musikwunsch?«

Meike schmunzelte. »Nein, wirklich nicht. Außerdem glaube ich nicht, dass das, was eure alte Lehrerin hört, euch gefallen würde.«

»So alt sind Sie doch gar nicht«, schäkerte Julian mit ihr.

Meike nahm sich ein Glas Cola und setzte sich in eine Ecke. Von hier aus konnte sie gut die Tanzfläche beobachten, auch wenn es ziemlich dunkel in dem Raum war. Die Deckenbeleuchtung war gedimmt – die einzige Möglichkeit, eine Atmosphäre zu schaffen, die wenigstens ein bisschen an eine Disko erinnerte.

Christian saß neben dem CD-Player und kümmerte sich um die Musik. Er war der geborene Unterhalter, das hatte Meike schon mehrfach in der Schule bemerkt – wenn auch eher zu ihrem Leidwesen. Julian tanzte ziemlich eng mit Daniela. Verliebt lächelten sich die beiden an. Offensichtlich waren sie sich im Laufe der Klassenfahrt nähergekommen.

Unweigerlich musste Meike an Franzi denken. Daran, wie Franzi sie ansah. Das Strahlen in ihren Augen. Ihr Lächeln.

»Na, wovon träumst du? Von mir?« Karsten stand vor ihr und grinste sie anzüglich an.

Meike verdrehte die Augen. »Ganz bestimmt nicht.«

»Hast du dir mein Angebot noch einmal durch den Kopf gehen lassen?« Er zwinkerte ihr zu. Das sollte wohl verführerisch wirken, verfehlte diesen Effekt aber völlig – es sah einfach nur lächerlich aus. Meike musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszuprusten.

»Also, wie ist es mit uns zwei Hübschen?« Karstens Blick ließ nicht von Meike ab.

»Lass mich in Ruhe«, zischte Meike. Es brodelte gewaltig in ihr.

»Überleg es dir gut. Ich warne dich.« Karsten deutete einen Kussmund an. Dann drehte er sich um und gesellte sich zu den Schülern auf die Tanzfläche.

Abschätzig sah Meike ihm nach und verschränkte die Hände vor der Brust. Sie durfte sich von Karsten nicht unter Druck setzen lassen. Auf keinen Fall. Ihre Zähne pressten sich fest aufeinander, bis ihre Kiefermuskeln schmerzten. Warum hatte Karsten es nur so auf sie abgesehen?

»Darf ich mich zu Ihnen setzen? Oder stör ich?« Janas Stimme unterbrach Meikes verärgertes Grübeln.

»Nein, du störst nicht. Wobei auch?« Meike bemühte sich, fröhlich zu klingen.

»Ich dachte nur . . . Sie sahen so in Gedanken versunken aus«, sagte Jana und rückte sich einen Stuhl zurecht. Sie nippte an ihrer Cola. »Ich . . .«, setzte sie an, brach dann aber ab. Stattdessen starte sie geradeaus.

»Was kann ich für dich tun, Jana?«, half Meike nach.

Jana räusperte sich. »Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich . . . dass ich mich verliebt habe.« Mit beiden Händen fuhr sie sich durch die Haare.

Meike nickte. »Das hast du.«

Jana verknotete ihre Finger ineinander. »Und ich bin mir mittlerweile auch ganz sicher. Also, dass ich sie wirklich liebe. Auch wenn sie eine Frau ist. Aber . . .« Sie stockte. Ihr Fuß wippte auf und ab.

»Möchtest du mir verraten, wer es ist?«

Janas Blick wanderte zur Tanzfläche. Ein Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie ihre Mitschülerin entdeckte. »Tabea«, flüsterte sie.

Meike sah Jana forschend an. »Weiß sie es?«

Jana schüttelte den Kopf. »Bisher nicht. Meinen Sie, ich sollte es ihr sagen?« Sie ließ die Schultern hängen. »Ich weiß nicht, ob ich mich das traue. Was, wenn sie mich danach hasst?«

»Glaubst du das denn?«, fragte Meike.

»Eigentlich nicht. Sie hat manchmal schon so Andeutungen gemacht. Aber vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet, weil ich es mir so wünsche.« Jana kaute auf ihrem Fingernagel herum.

»Ach, Jana. Manchmal muss man etwas wagen, um sein Glück zu finden. Das kannst du mir glauben. Aus eigener Erfahrung.« Meike nahm Janas Hand. »Es ist nicht einfach, mit seinen Gefühlen umzugehen . . . dazu zu stehen.«

Tabea sah zu ihnen hinüber und lächelte Jana an.

Jana seufzte. »Ja. Das stimmt.«

»Und vielleicht fühlt Tabea für dich das Gleiche und traut sich nur ebenso wenig, dir davon zu erzählen.«

»Meinen Sie?« Janas Miene hellte sich auf.

»So, wie sie dich anguckt.« Meike zwinkerte Jana zu. »Ich könnte es mir zumindest vorstellen.«

»Danke, Frau Jakobs.« Jana stand auf. »Sie haben mir sehr geholfen.« Sie stieß entschlossen die Luft aus. »Ich glaube, ich habe etwas zu erledigen.«

»Viel Glück!« Meike schmunzelte.

Jana strich ihre Hose glatt und ging dann geradewegs auf Tabea zu. Tabea berührte Janas Arm, als Jana nah genug war. Jana beugte sich zu Tabea und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Es war viel zu laut, als dass Meike etwas hätte verstehen können. Aber das wollte sie auch gar nicht. Das ging nur die beiden etwas an. Noch einmal so jung sein, noch einmal dieses Gefühl des ersten Verliebtseins . . . Meike schloss die Augen. Sie sah sich mit Franzi in diesem ungemütlichen Gebüsch sitzen. Wie Franzi ihre Hand genommen hatte, behutsam ihren Arm entlanggestreichelt hatte. Wie sich ihre Lippen getroffen hatten. Meike hatte nicht gewusst, wie ihr geschah, aber es war wunderschön gewesen. Wie ein Traum.

Als Meike die Augen wieder öffnete, hielt Jana Tabeas Hand. Gemeinsam verließen sie den Raum, konnten ihre Blicke kaum voneinander lassen. Die Zuneigung war nicht zu übersehen.

Meike freute sich für ihre Schülerinnen. Vielleicht fanden sie wirklich zueinander, auch über diese Klassenfahrt hinaus. Wenn sie selbst doch nur auch etwas mutiger wäre. Warum konnte sie nicht Franzis Hand ergreifen? Was hielt sie davon ab? War es die Angst vor den Schülern? Die Angst vor ihren Eltern? Die Angst vor den Nachbarn? Aber warum hatte sie überhaupt Angst? Was sollte denn passieren?

Sie seufzte. Es hatte keinen Sinn, sich erneut darüber den Kopf zu zerbrechen. Das hatte sie oft genug getan. Erst einmal musste alles so bleiben, wie es war. Das war das Beste.

Klassentreffen
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