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Schon vom Parkplatz sah Franzi Cori. Sie lehnte an der Wand des Bowling-Centers und wartete. Gedankenverloren fuhr sie sich mit der Hand durch die kurzen braunen Haare. Wie meistens trug sie eine Jeans, die für Franzis Geschmack mindestens eine Nummer zu groß war.

»Hey, Cori«, begrüßte Franzi ihre beste Freundin.

Cori warf grinsend einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Du bist ja richtig früh dran heute.« Dann drückte sie Franzi fest an sich.

»Ja, war nicht viel los unterwegs.« Der Weg von Goslar nach Braunschweig war zwar nicht allzu weit, aber trotzdem war es in der Vergangenheit schon mehr als einmal passiert, dass Franzi Cori hatte warten lassen. »Kaum zu glauben, dass wir uns schon wieder vier Wochen nicht gesehen haben.«

Cori nickte. »Die Zeit vergeht wie im Flug. Aber wenn ich dich so ansehe . . .«, sie machte einen Schritt zurück und musterte Franzi kritisch von oben bis unten, ». . . scheint sie dir gut zu bekommen.« Sie legte ihren Zeigefinger ans Kinn. »Du siehst richtig gut aus.«

Franzi konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken. »Lass uns reingehen.«

»Willst du deiner besten Freundin nicht zuerst verraten, was der Grund für dein Strahlen ist? So habe ich dich schon lange nicht mehr gesehen.« Mit dem Arm versperrte Cori Franzi, die gerade die Tür aufstoßen wollte, den Weg.

»Natürlich werde ich dir das verraten. Aber lass uns doch erst mal reingehen.« Franzi drängte sich an Cori vorbei. Sie konnte Coris neugierige Blicke in ihrem Nacken förmlich spüren. Es hätte ohnehin keinen Sinn, die Wahrheit vor Cori geheim zu halten, selbst wenn Franzi das beabsichtigt hätte; dafür kannten sie sich zu gut und zu lange. Gemeinsam hatten sie seit dem ersten Semester viele Höhen und Tiefen durchlitten.

»Vielleicht sollten wir das Billardspielen heute ausfallen lassen und direkt zum Essen und Trinken übergehen«, schlug Cori vor, nachdem sie das Bowling-Center betreten hatten.

»Das könnte dir so passen. Du bist wohl nicht in Form«, neckte Franzi sie. »Ich freue mich schon seit einem Monat auf meine Revanche.«

»Na ja, ich glaube, wer sich von uns nicht aufs Spielen konzentrieren kann, das dürfte wohl klar sein«, konterte Cori. »Du wirkst auf jeden Fall so, als hättest du etwas ganz anderes als Billard im Kopf im Moment.« Verschmitzt sah sie Franzi an.

Ihr konnte Franzi wirklich nichts vormachen. »Also gut. Ausnahmsweise. Verzichten wir auf das Spiel und gehen wir direkt zum gemütlichen Teil über.« Sie seufzte theatralisch.

Coris Mundwinkel zuckten. »Wusste ich es doch.«

Franzi fand einen kleinen Tisch in einer Ecke, von dem aus man die Bowlingbahnen beobachten konnte. Für einen Sonntagabend war es ziemlich leer; dementsprechend war es nicht allzu laut.

»Wie geht es Pia?«, fragte Franzi, nachdem sie beide Pizza und Cola bestellt hatten.

»Pia geht es gut. Sehr gut sogar. Sie trifft sie sich gerade mit einer Arbeitskollegin. Aber lenk nicht ab! Es geht nicht um meine Freundin heute Abend.« Coris blaue Augen funkelten. »Die Frage ist: Wie geht es dir?«

Franzi räusperte sich. In den vergangenen vier Wochen, in denen sie ihre beste Freundin nicht gesehen hatte, war viel passiert, sehr viel sogar. »Du erinnerst dich doch noch daran, dass ich zu diesem Klassentreffen eingeladen worden bin?«

Cori nickte. »Klar, und dass du nicht wusstest, ob du wirklich da hingehen solltest. Wobei du mir den wirklichen Grund nicht verraten wolltest. Du hast immer nur Isabel vorgeschoben, aber . . .« Cori drehte das Glas mit ihrer Cola und studierte sekundenlang die braune Flüssigkeit, bevor sie Franzi herausfordernd ansah. »Aber ich bin mir ganz sicher, dass das nicht der einzige Grund war.«

Franzi atmete tief durch. Wie recht Cori hatte. Wo sollte sie nur anfangen? »Ich habe dir bestimmt mal von Meike erzählt.«

»Natürlich. Diese Hetero-Zicke, die sich in der Schule für deine beste Freundin gehalten hat, aber dann sofort das Weite gesucht hat, als sie erfahren hat, dass du ’ne Lesbe bist.« Cori verdrehte die Augen. »Auf so eine Begegnung hätte ich auch keine Lust gehabt.« Sie biss herzhaft in ihre Pizza. Der Käse zog einen langen Faden.

Franzis Herz klopfte schneller. »Sie ist keine Hetero-Zicke«, verteidigte sie Meike vehement und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

Überrascht sah Cori auf. »Ach nein? Jetzt bin ich aber gespannt.« Sie fixierte Franzi mit zusammengezogenen Brauen.

Franzi rieb sich über die Stirn. »Ich war ziemlich verliebt damals in Meike, und dann habe ich sie irgendwann geküsst. Auf einer Klassenfahrt. Auch wenn ich wusste, dass es sie überfordern würde. Natürlich hat sie mich sehr verletzt, als sie sich damals so komplett von mir zurückgezogen hat, aber . . .«

»Jetzt gibt sie dir doch nicht die Schuld dafür?« Cori schüttelte den Kopf und machte eine wegwerfende Handbewegung. »So ein Unsinn. Das ist bei Heteras doch immer dasselbe. Erst machen sie mit, und dann bereuen sie es und tun so, als hätten sie das alles gar nicht gewollt.«

»Meike ist anders.«

Cori schnalzte mit der Zunge. »Irgendetwas stimmt doch hier nicht. Was ist auf dem Klassentreffen passiert?«

Franzi räusperte sich und zögerte. »Also . . .«

»Raus mit der Sprache.«

»Schon gut.« Franzi holte tief Luft. »Als ich sie wiedergesehen habe, waren da sofort wieder die alten Gefühle. Es war, als hätte es diese fünfzehn Jahre dazwischen niemals gegeben. Die gleichen Schmetterlinge. Verstehst du?« Ein Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Und noch am gleichen Abend ist es passiert . . .« Ihre Finger falteten sich ineinander.

»Was ist passiert?« Cori sah Franzi mit geweiteten Augen an.

Franzi räusperte sich erneut. Das Blut schoss ihr in die Wangen.

»Ihr habt miteinander geschlafen?«

Franzi schüttelte den Kopf. »Nein . . . Ja . . . Also . . .«

Cori runzelte die Stirn. »Was denn jetzt?«

»Wir haben uns geküsst. Mindestens. Aber dann . . . Ich weiß es nicht mehr.« Franzi senkte die Stimme. »Am nächsten Morgen lag ich nackt in ihrem Bett.«

»Ähm . . . Ich . . .«, stammelte Cori. »Wow.« Sie nahm einen großen Schluck Cola. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich will dir deine Freude nicht verderben, aber . . .« Sie hielt inne, wischte ihre Hand an ihrem Shirt ab. »Ich meine, in den letzten Jahren ist ja noch so einiges passiert. Hast du das plötzlich alles vergessen?«

Franzi atmete schwer aus. Isabel. Für einen Moment schloss sie die Augen, erwartete den überwältigenden Schmerz, aber sie spürte nur einen Stich im Herzen. »Natürlich nicht. Glaub mir, das hat es am Anfang alles nicht leicht gemacht. Es hört sich jetzt vielleicht unkomplizierter an, als es war.«

Cori nickte. »Bis vor ein paar Wochen hast du es noch kategorisch ausgeschlossen, jemals wieder eine andere Frau zu lieben als Isabel. Nicht, dass ich diese Wandlung nicht durchaus sehr begrüße. Versteh das bitte nicht falsch. Es überrascht mich nur.«

»Mich auch. Das kannst du mir glauben.«

Cori ergriff Franzis Hand. Die Wärme tat gut.

»Wie ist es nach dem Kuss weitergegangen? Ist Meike denn lesbisch? In der Schule damals hat sie das ja offensichtlich noch weit von sich gewiesen.«

»Zuerst einmal musste ich mir darüber klarwerden, was ich wollte.« Franzi fuhr sich durch die Haare. »Wie du gesagt hast – eigentlich dachte ich, ich könnte mich niemals wieder verlieben. Aber bei Meike waren diese Gefühle sofort da. Auch wenn es sich am Anfang nicht richtig anfühlte. Ich konnte nichts dagegen machen. Immer, wenn ich sie gesehen habe, wollte ich ihr nahe sein, ich wollte mit ihr zusammen sein. Doch immer war da auch dieses schlechte Gewissen Isabel gegenüber.« Franzi schluckte. Auch jetzt noch fühlte es sich komisch an – nicht mehr unbedingt falsch, aber . . . gewöhnungsbedürftig. »Weiß du, manchmal habe ich Angst, ich könnte vergessen, wie Isabel aussah. Details, wo sie eine Narbe hatte oder sogar wie ihre Augenfarbe war – sie sind einfach weg.« Sie spürte Tränen aufsteigen und schluckte noch einmal.

»Du wirst Isabel nicht vergessen. Da bin ich mir sicher. Und das ist auch überhaupt nicht nötig.« Cori drückte Franzis Hand ein wenig stärker. »Glaub mir, Isabel hätte nicht gewollt, dass du dein Leben aufgibst. Sie hätte gewollt, dass du glücklich bist.«

Genau dasselbe hatte ihre Mutter ihr gesagt, und Franzi wusste, dass sie recht hatten, Cori und Regine. »Ja, aber das ist leicht gesagt. Es war ein langer Prozess, das zu akzeptieren . . . und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das schon vollkommen abgeschlossen habe. Aber irgendwann konnte ich die Gefühle Meike gegenüber zulassen. Genau genommen hat es gar nicht so lange gedauert.«

»Na ja, wenn man die letzten zwei Jahre als nicht lang bezeichnet.« Cori lächelte. »Aber das freut mich für dich. Und jetzt seid ihr glücklich?«

Franzi spürte einen kleinen Stich. »Wenn wir beide allein sind, könnte es auf dieser Welt nichts Schöneres geben, aber . . .«

»Aber was? Ist Meike nun doch hetero?«

»Nein, Meike ist nicht hetero, sonst wäre sie wohl kaum mit mir zusammen. Aber ich bin ihre erste Frau. Sie braucht Zeit. Das ist alles noch neu für sie und nicht so leicht.«

Coris Tonfall wechselte abrupt ins Abfällige. »Das kommt aufs Gleiche hinaus. Ich weiß, wovon ich rede.«

»Nur weil dir eine Hetera das Herz gebrochen hat, muss mir doch nicht genau das Gleiche passieren«, wandte Franzi ein. Sie erinnerte sich noch gut an die Beziehung von Cori und Manuela. Aber Manuela war nicht Meike.

»Was heißt das denn im Klartext?« Coris Stimme klang scharf.

»Na ja . . . Meike möchte, dass erst einmal niemand etwas von unserer Beziehung weiß, aber das ist nur für den Anfang. Vor allem hat sie Angst, dass jemand an ihrer Schule etwas davon erfährt. Deswegen halten wir unsere Beziehung erst mal geheim.« Franzi bemerkte selbst, wie wenig überzeugend ihre Worte klangen.

Cori entging das nicht. »Süße, ich warne dich. Und du weißt genau, warum. Ich habe das mit Manuela erlebt. Geheimhalten von Beziehungen funktioniert nicht. Zumindest nicht auf Dauer. Überleg dir das gut. Jetzt am Anfang, wenn ihr verliebt seid, dann scheint das alles noch ganz leicht, aber irgendwann . . .« Sie starrte in ihre Cola.

Franzi konnte sich denken, was in Cori vorging. Das Ende ihrer Beziehung zu Manuela war sehr unschön gewesen. »Es muss doch nicht bei allen so ausgehen wie bei euch«, versuchte sie ein weiteres Mal, Coris Bedenken zu zerstreuen.

»Vielleicht nicht, aber wenn man sich liebt, sollte man zu seinen Gefühlen stehen. Auch wenn das vielleicht nicht einfach ist.«

Franzi seufzte. »Du hast ja recht. Aber ich muss ihr noch Zeit geben.« Schließlich waren sie erst ein paar Tage zusammen. Franzi konnte sich noch gut daran erinnern, wie lange es bei ihr selbst gedauert hatte, bis sie sich getraut hatte, sich zu outen – bis sie sich überhaupt erst einmal über ihre sexuelle Identität im Klaren gewesen war. Sie durfte Meike nicht überfordern.

Cori zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst.«

Klassentreffen
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