~*~*~*~

»Hallo, Mama.« Franzi küsste ihre Mutter zur Begrüßung auf die Wange.

»Ich dachte schon, du schaffst es heute gar nicht.« Regine lächelte ihre Tochter an.

Franzi seufzte. »Die Arbeit. Ich konnte mich kaum loseisen. War ziemlich viel los heute. Aber jetzt bin ich ja da.«

»Dann setz dich doch. Ich wollte Pfannkuchen machen. Hast du Hunger mitgebracht?« Ihre Mutter band sich ihre Schürze um, ohne eine Antwort abzuwarten.

Franzi rieb sich über den Bauch. »Und wie. In der Mittagspause bin ich nicht zum Essen gekommen.«

»Und wie geht’s dir?« Regine stellte den Herd an und erhitzte Öl in einer Pfanne. »Du hast schon lange nicht mehr von dir hören lassen.« Es war kein Vorwurf, nur eine besorgte Feststellung.

Franzi zuckte mit den Schultern. »War viel los in den letzten Tagen.«

»Hab ich mir schon gedacht.« Regine gab etwas Teig in die Pfanne. Es zischte.

»Tja . . .« Franzis Finger trommelten auf der Tischplatte herum.

»Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.« Regine drehte sich zu ihr um und krauste die Stirn.

»Das ist nicht so einfach.« Franzi stand auf und goss sich ein Glas Wasser ein.

»Die Arbeit?«, startete ihre Mutter einen Versuch.

Franzi schüttelte den Kopf. »Möchtest du auch?«, lenkte sie ab.

Regine nickte. »Gern.«

Franzi stellte die beiden Gläser auf den bereits gedeckten Küchentisch und setzte sich wieder. Ihr Fuß wippte auf und ab.

»Kind, du machst mich wahnsinnig. Ich kann nicht hellsehen.« Regine wendete den Pfannkuchen. »Meike?«

»Meike und mir geht es gut. Aber –« Franzi brach ab und stieß hörbar die Luft aus.

Regine ließ den Pfannkuchen auf einen Teller gleiten. Sie stellte ihn vor Franzi ab und nahm dann ihr gegenüber Platz. »Aber?« Ihre Augen waren unverwandt auf Franzi gerichtet.

»Aber sie steht nicht zu mir.« Franzi schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass ihr Glas wackelte.

»Das musst du mir genauer erklären«, erwiderte Regine in ruhigem Tonfall.

Manchmal brachte die ewige Ruhe ihrer Mutter Franzi um den Verstand. Statt einfach nur Mitgefühl zu bekunden und ihr zuzusprechen, wollte sie erst alles genau wissen.

»Sonst kann ich mir keine Meinung bilden. Und das willst du doch, oder?«, fügte Regine hinzu, als hätte sie Franzis Gedanken gelesen.

»Hm, ja«, grummelte Franzi.

»Siehst du. Also, erzähl. Was ist passiert?«

»Immer, wenn wir nicht in unseren sicheren vier Wänden sind, darf ich sie nicht anfassen«, begann Franzi. »Von Küssen ganz abgesehen. Sie lässt alle glauben, wir wären einfach nur gute Freundinnen. Mehr nicht.« Franzi malträtierte mit ihrer Gabel den Pfannkuchen. »Meike hat noch niemandem von unserer Beziehung erzählt.« Die Gabel quietschte auf dem Teller.

»Dein Essen und mein Teller können nichts dafür«, versuchte Regine ihr Geschirr zu retten.

»Als würden ich und meine Gefühle gar nicht existieren.« Franzi knallte ihre Gabel auf den Tisch.

»Aber sie liebt dich doch, oder?«

Für einen kurzen Moment schloss Franzi die Augen. »Ich weiß es nicht. Manchmal . . . Ich bin mir nicht sicher.« Ihre Fingernägel gruben sich schmerzhaft in ihre Handfläche. »Alles, was ich weiß, ist, dass ich sie liebe. Und glaub mir, ich kann mich gut erinnern, wie schwer und anstrengend es sein kann, sich zu outen. Aber . . .« Ihre Stimme war heiser geworden. »Aber ich will doch nur, dass alle wissen, wie glücklich wir sind.«

»Wie lange seid ihr jetzt ein Paar?«

Franzi machte ein abschätziges Geräusch. »Ein Paar. Tja . . .«

»Wie lange?«, wiederholte Regine.

»Knapp drei Wochen«, murmelte Franzi. »Aber wiedergetroffen haben wir uns schon vor fünf Wochen.«

»Das ist natürlich auch wirklich eine lange Zeit«, sagte Regine, nicht ohne einen spöttischen Unterton. »Was erwartest du denn? Du hast vermutlich Meikes komplettes Leben auf den Kopf gestellt.«

Franzi runzelte die Stirn. »Hm. Du hast recht.«

»Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war sie vorher verheiratet. Mit einem Mann«, fasste Regine noch einmal Meikes Hetero-Vergangenheit zusammen.

»Eben. Und wer sagt mir, dass ich nicht nur ein Experiment bin? Dass sie nicht nur einmal ausprobieren will, wie es mit einer Frau ist?« Franzi suchte den Blickkontakt zu Regine. »Und wenn sie dann feststellt, wie schwierig es ist, lesbisch zu sein, sucht sie sich einen Mann, um ihr einfaches Hetero-Leben weiterzuführen. Ich werde abgehakt als nette Abwechslung.«

Regine seufzte und verdrehte die Augen. »Wer sagt dir das?«

»Meine Erfahrung.« Franzi zögerte. »Und Cori. Die hat diese Erfahrung auch gemacht.«

»Wenn zwei erfahrene Lesben das so sehen, muss es ja stimmen«, sagte Regine sarkastisch. »Mensch, Franzi. Du musst Meike Zeit geben, sich in dieser neuen Situation zurechtzufinden. Ein paar Wochen sind nichts. Vielleicht muss sie sich erst einmal selbst über ihre Gefühle klarwerden, bevor sie es allen auf die Nase bindet.« Regine schob sich ein Stückchen Pfannkuchen in den Mund.

»Was heißt denn auf die Nase binden? Ich möchte doch nur ihre Hand halten dürfen oder sie küssen, wenn mir danach ist. Und mich nicht immer umsehen müssen, ob jemand etwas mitbekommen könnte.«

»Ach, Franzi, setz Meike nicht unter Druck. Gib ihr die Zeit, die sie braucht. Ändern kannst du es sowieso nicht«, riet Regine ihrer Tochter. »Das sagt mir meine Erfahrung.«

»Mit Isabel wäre das nicht passiert. Sie hat immer zu mir gestanden.« Franzis Finger fuhren den Rand ihres Tellers entlang. »Mit ihr war alles so einfach.« Ihre Augen wurden feucht. Sie wusste, dass sie Meike gegenüber unfair war. Aber in diesem Moment fühlte sie sich selbst vom Leben unfair behandelt und fand, dass auch sie Mitleid verdient hatte.

Regine griff nach ihrer Hand. »War es das wirklich?«

»Natürlich. Isabel hätte mich nie verleugnet. Mit ihr musste ich niemals darüber diskutieren.« Franzi schluckte, um die aufkommenden Bilder zu unterdrücken.

»Vielleicht nicht darüber. Aber dafür hattet ihr andere Probleme. Du darfst Isabel nicht so verklären.« Regine zögerte. »Isabel war auch keine Heilige.«

Franzi kaute auf ihrer Unterlippe. Natürlich hatte ihre Mutter recht. Auch mit Isabel hatte es schwierige Phasen, Streitereien gegeben. Aber das verdrängte sie erfolgreich.

»Ist es nicht so?«, hakte Regine nach.

Franzi nickte. Eine Träne rann ihre Wange hinunter. »Aber . . .«

»Aber Isabel ist tot. Ich weiß, wovon ich rede. Ich denke auch fast nur an die positiven Eigenschaften deines Vaters, an unsere schönen Zeiten. Dass es manchmal schwierig war und dass mich dein Vater mit manchen Eigenheiten wahnsinnig gemacht hat, das schiebe ich beiseite.« Regine drückte Franzis Hand, die sie immer noch festhielt. »Du darfst Meike und Isabel nicht vergleichen. Meike kann kein Ersatz für Isabel sein . . . sie können nicht den gleichen Platz in deinem Herzen einnehmen. Sonst ist eure Beziehung von vornherein zum Scheitern verurteilt.« Sie lächelte Franzi an.

»Ach, Mama, gut, dass es dich gibt.« Auf einmal erschien alles so viel klarer, so viel machbarer. Franzis Anspannung ließ nach.

Regine machte eine wegwerfende Handbewegung. »Dafür sind Mütter doch da. Aber jetzt mal zu etwas anderem: Was hältst du davon, mit Meike mal vorbeizukommen? Morgen Abend zum Essen zum Beispiel. Ich habe Meike ja nun auch schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

Franzi nickte. »Warum nicht. Ich werde Meike fragen, ob sie Zeit hat.«

»Ich würde mich jedenfalls sehr freuen.«

»Na, wie war es bei deiner Mutter?« Meike legte ihre Arme um Franzi, nachdem diese Meikes Wohnung betreten hatte.

Sanft küsste Franzi ihre Freundin. »Gut. Ich soll dich schön grüßen.«

Meike strich ihr durch die Haare, was Franzis Herzschlag beschleunigte. »Danke.«

»Und wie war dein Tag?«, fragte Franzi.

Meike zuckte mit den Schultern. »Wie immer. Nichts Aufregendes. Die Stunden für morgen habe ich schon vorbereitet.«

Franzi verlor sich in Meikes Augen. »Ich habe dich vermisst. Wie soll das nur werden, wenn du fünf Tage weg bist?«

»Ich habe dich auch vermisst.« Meikes Lippen suchten Franzis.

Franzi schloss die Augen. Zärtlich fuhr Meikes Zunge über ihren Mund, bis Franzi sie einließ. Warum nur konnte es nicht immer so unbeschwert sein? »Ach, Meike . . .«, seufzte Franzi.

Meikes Finger strichen über Franzis Rücken. »Mein Liebling«, hauchte sie in Franzis Ohr.

»Meine Mutter fragt, ob wir morgen zum Abendessen vorbeikommen.«

Meike ließ von Franzi ab und wich etwas zurück. »Wir beide?«

Franzi nickte. »Ja, sie möchte dich mal wiedersehen. Ist ja schon viele Jahre her.«

Meike rieb sich über die Stirn. »Ich weiß nicht.«

»Wenn du nicht möchtest, musst du nicht. Aber Mama würde sich freuen.« Franzis Augen ruhten erwartungsvoll auf Meike.

Meike drehte sich um und lief in Richtung Wohnzimmer. »Hm«, murmelte sie. »Ob das eine gute Idee ist?«

»Meine Mutter beißt nicht«, bemerkte Franzi, die ihr gefolgt war.

Meike setzte sich auf die Couch. »Das nehme ich auch nicht an.« Hörbar stieß sie die Luft aus.

»Warum möchtest du dann nicht mitkommen?«

»Tja . . .«, begann Meike. Sie umklammerte ein Kissen und presste es vor ihren Bauch. »Was wird deine Mutter von mir halten?«

Franzi ließ sich neben Meike nieder und legte den Arm um sie. »Was soll sie denn von dir halten? Sie fand dich immer sehr sympathisch. Das wird sich nicht geändert haben.« Ihre Finger begannen Meikes Arm entlangzuwandern. »Außerdem weiß sie, dass du mich glücklich machst. Deswegen wird sie dich erst recht sofort wieder in ihr Herz schließen. Da bin ich mir ganz sicher.«

Meike schluckte. »Ich meine . . .«, setzte sie erneut an.

»Weil wir ein Paar sind?«

»Ja.« Meike nickte. »Solange das nur Theorie ist, ist es sicherlich etwas anderes, als wenn wir ihr beide gegenübersitzen.«

»Mach dir darüber keine Gedanken. Meine Mutter ist sehr tolerant. Auch mit Isabel . . .« Franzi brach ab, ehe die Erinnerungen zu konkret werden konnten. »Jedenfalls akzeptiert meine Mutter mich so, wie ich bin, und meine Freundinnen sind herzlich willkommen.«

»Wenn ich das doch auch von meinen Eltern behaupten könnte. Aber sie würden sicherlich ausrasten, wenn sie von unserer Beziehung erfahren würden. Besonders mein Vater.«

»Aber das muss doch nicht in allen Familien so sein.«

Meike nickte wieder. Sie rang noch eine Weile mit sich. »Gut, ich komme mit«, stimmte sie dann schließlich zu.

Erfreut zog Franzi Meike an sich. »Schön.« Sie drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

»Franzi, ich bin so froh, dich wiedergetroffen zu haben.« Meikes Fingerkuppen fuhren die Konturen von Franzis Gesicht nach. »Das, was ich mit dir fühle . . .« Sie ergriff Franzis Hand und sah ihr tief in die Augen. »Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passiert. Alles vor dir . . . Das ist gar kein Vergleich.«

Franzi lächelte. »Meinst du das ernst?«

Meike erwiderte das Lächeln. »Natürlich meine ich das ernst. So etwas sage ich nicht nur so.«

Klassentreffen
titlepage.xhtml
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_000.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_001.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_002.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_003.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_004.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_005.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_006.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_007.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_008.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_009.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_010.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_011.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_012.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_013.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_014.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_015.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_016.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_017.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_018.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_019.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_020.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_021.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_022.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_023.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_024.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_025.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_026.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_027.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_028.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_029.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_030.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_031.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_032.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_033.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_034.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_035.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_036.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_037.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_038.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_039.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_040.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_041.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_042.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_043.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_044.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_045.html
CR!KY88SBHP1D14XBHRZSSE93P3FP1M_split_046.html