Monsieur le Préfet,

sicherlich werden Sie diesen Brief nie lesen. Aber vielleicht findet mein Schreiben doch den Weg zu Ihnen, es ist eine winzige Möglichkeit, die ich nutzen will.

Sie kennen mich nicht. Und Sie werden mich auch niemals kennenlernen. Ich heiße Rose Bazelet, geborene Cadoux, und ich lebe in der Rue Childebert, die nun zugunsten der Weiterführung der Rue de Rennes und des Boulevard Saint-Germain abgerissen werden soll.

Ich habe Sie in den letzten fünfzehn Jahren ertragen. Ich habe Ihre Umbauarbeiten ertragen, Ihre Unersättlichkeit, Ihre Unerbittlichkeit. Ich habe den Staub, die Unannehmlichkeiten, die Ströme von Schlamm, die Berge von Schutt, die Zerstörungen und schließlich die Entstehung einer pompösen Stadt ertragen, eines Paris, das nun zu einem Abbild der Gewöhnlichkeit Ihres Vorhabens wird. Und ich habe die Verstümmelung des Jardin du Luxembourg ertragen. Ich habe genug.

Ich war heute im Hôtel de Ville wie viele andere Pariser in meiner Lage, um gegen den Abriss meines Hauses zu protestieren. Mit welchem Hochmut ich empfangen wurde, will ich lieber nicht schildern.

Sind Sie sich bewusst, dass es Bürger in dieser Stadt gibt, die weder mit Ihren Planungen einverstanden sind noch mit der Art und Weise, wie diese Pläne in die Tat umgesetzt werden? Sind Sie sich bewusst, dass Sie »der Attila der geraden Linie« genannt werden? »Bauchaufschlitzer«, »Ripper-Baron«. Vielleicht lächeln Sie über diese Spitznamen. Vielleicht haben der Kaiser und Sie ja beschlossen, sich nicht mit der Meinung des gemeinen Volkes über Ihre »Verschönerungen« aufzuhalten. Tausende Häuser wurden abgerissen. Tausende Menschen wurden gezwungen, ihre Sachen zu packen und umzuziehen. Natürlich sagen Ihnen, der Sie in der gut erhaltenen Pracht des Hôtel de Ville sicher und abgeschirmt sind, solche Strapazen nichts. Und für Sie ist das alles ja vornehmlich eine materielle Angelegenheit. Sie meinen, ein Elternhaus sei einfach eine gewisse Summe wert. Für Sie ist ein Haus lediglich ein Haus. Ich habe gelesen, dass Sie beim Bau des Boulevards, der nun Ihren Namen Haussmann trägt, nicht einmal Halt davor gemacht haben, Ihr Geburtshaus abreißen zu lassen. Ich finde, das sagt alles über Sie aus.

Erleichtert lese ich in den Zeitungen, dass die Zahl Ihrer Feinde wächst, vor allem seit der bedauernswerten Angelegenheit bezüglich der Friedhöfe. Die Menschen fragen sich nun, welche Auswirkungen die vollständige Umgestaltung unserer Hauptstadt für die Zukunft haben wird. Die unwiderruflichen Veränderungen haben ganze Gemeinden, Viertel und Familien auseinandergerissen und sogar Erinnerungen ausgelöscht. Die ärmsten Einwohner von Paris wurden vor die Stadtgrenzen vertrieben, denn sie können sich die Mieten in diesen neuen, modernen Häusern nicht mehr leisten. Darunter werden die Pariser noch viele Jahre zu leiden haben.

Der Schaden ist angerichtet. Ich gehe nicht mehr durch die Straßen meiner Stadt, weil sie mir fremd geworden ist.

Vor fast sechzig Jahren wurde ich, genau wie Sie, hier geboren. Nach Ihrer Ernennung zum Präfekten erlebte ich den Beginn der Stadterneuerung mit, die Begeisterung, den Reiz der Moderne, die alle im Munde führten. Ich erlebte die Verlängerung der Rue de Rivoli, den Bau des Boulevard de Sébastopol, für den das Haus meines Bruders abgerissen wurde, die Einweihung des Boulevard du Prince-Eugène, des Boulevard de Magenta, der Rue Réaumur, den Ausbau der Rue de La Fayette, der Rue de Rennes und des Boulevard Saint-Germain … Den Rest Ihres Wirkens werde ich nicht mehr miterleben müssen, und dafür bin ich unendlich dankbar.

Noch eine letzte Bemerkung. Waren Sie, der Kaiser und Sie selbst, denn nicht überfordert von der schieren Dimension Ihrer hochfliegenden Pläne?

Mir scheint, das ungeheure Ausmaß Ihrer einvernehmlichen ehrgeizigen Projekte hat Sie zu der Ansicht geführt, Paris sei nicht nur die Hauptstadt Frankreichs, sondern der ganzen Welt.

Ich werde mich Ihnen nicht beugen, ich werde mich auch dem Kaiser nicht beugen. Ich lasse mich nicht verjagen wie die anderen Pariser Herdenschafe, deren Existenzen Sie zerstört haben. Ich werde mich Ihnen widersetzen.

Im Namen meines verstorbenen Mannes Armand Bazelet, der in unserem Haus in der Rue Childebert geboren wurde, gelebt, geliebt hat und gestorben ist, werde ich niemals weichen.

Rose Bazelet