Gilbert ist gegangen, vermutlich kommt er erst morgen früh zurück. Manchmal kommt er auch bei Einbruch der Dunkelheit noch einmal, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Der beängstigende Lärm ist wieder losgegangen, und ich schreibe Dir aus dem Unterschlupf, den Gilbert für mich eingerichtet hat – im Keller von Alexandrines Geschäft, ich erreiche ihn durch die schmale Hintertür, die von unserer Speisekammer in den Laden hinunterführt. Dort lagerte sie immer ihre Blumen wie zuvor Madame Collévillé. Es ist überraschend warm hier unten und viel behaglicher, als Du denkst. Ich fürchtete, in dem fensterlosen Raum Beklemmungen zu bekommen, aber ich gewöhnte mich schnell daran. Gilbert hat eine Bettstatt für mich improvisiert: die Federkernmatratze aus Violettes Zimmer und einen Stapel sehr warmer Wolldecken; ziemlich bequem.

Hier unten sind die Schläge und das Hämmern gedämpft und weniger Besorgnis erregend. Doch es scheint, sie kommen Tag für Tag näher. Ich hörte von Gilbert, sie hätten sich nun die Rue Sainte-Marthe und die Passage Saint-Benoît vorgenommen, wo ich immer mit meinem Bruder umherschlenderte und wo Du als Junge spieltest. Die Spitzhacken nahmen ihre schreckliche Arbeit nun direkt dort auf. Ich habe es selbst nicht gesehen, aber ich kann mir den Schaden nur allzu gut vorstellen. Ach, mein teurer Geliebter, das Viertel unserer Kindheit ist zerstört. Weg ist das urige Kaffeehaus, das Du immer morgens besuchtest. Weg ist die gewundene Passage, die in die Rue Saint-Banoît führte, die düstere, muffige Gasse mit den unebenen Pflastersteinen, wo immer eine süße getigerte Katze umhertollte. Weg die rosa Geranien an den Fenstern, die fröhlichen Kinder, die durch die Straße rannten, alles weg.

Hier unten in den verborgenen Winkeln unseres Hauses fühle ich mich sicher im flackernden Schein der Kerze, der große Schatten auf die staubigen Wände um mich herum wirft. Hin und wieder huscht eine Maus vorbei. Wenn ich es mir hier gemütlich mache, verliere ich jedes Zeitgefühl und weiß nicht, wie viele Stunden oder Tage vergangen sind. Das Haus hält mich in seinem schützenden Griff. Normalerweise warte ich, bis die Schläge verstummt sind. Wenn alles still ist, krieche ich wieder heraus und strecke meine steifen Glieder aus.

Wie könnte ich dieses Haus jemals verlassen, Liebster? Dieses hohe quadratische Haus ist mein Leben. Jedes Zimmer erzählt eine Geschichte. Meine Geschichte. Deine Geschichte. Ich muss diese Geschichten aufs Papier bringen, ich empfinde diesen schrecklichen, unstillbaren Drang. Ich will alle Geschichten ausführlich niederschreiben, auf dass die Worte ihr Eigenleben bekommen, auf dass es sie wirklich gibt. Auf dass die Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner für immer am Leben bleibt. Auf dass wir nicht vergessen werden. Ja, wir, die Bazelets aus der Rue Childebert. Wir lebten hier, und trotz der Knüppel, die das Schicksal uns in den Weg legte, waren wir dort glücklich. Und niemand, hörst Du, niemand kann uns das je nehmen.