Gilbert unterbrach mich mit einer äußerst erstaunlichen Nachricht: Er sah soeben Alexandrine durch die Straße schleichen. Ich fragte ihn, was er damit meine. Er blickte mich streng an.

»Ihr Blumenmädchen, Madame Rose. Diese große, dunkelhaarige Frau mit der riesigen Mähne und dem runden Gesicht.«

»Ja, das ist sie.« Ich lächelte bei Gilberts Beschreibung in mich hinein – sie passte perfekt auf Alexandrine.

»Sie stand vor dem Haus, Madame Rose, und lugte hinein. Ich dachte, sie wollte bei Ihnen klingeln oder die Tür öffnen, also hab ich sie ein bisschen erschreckt. Draußen ist es stockdunkel, und sie fiel vor Schreck fast um, als ich plötzlich um die Ecke kam. Sie rannte weg wie ein kopfloses Huhn, alles ging so schnell, dass sie mich gewiss nicht erkannt hat.«

»Was wollte sie hier?«, fragte ich.

»Na, ich denke, sie hat nach Ihnen gesucht, Madame Rose.«

Ich starrte in sein schmutziges Gesicht.

»Aber sie ist doch im Glauben, ich wäre bei Violette oder zumindest auf dem Weg dorthin.«

Er schürzte die Lippen.

»Sie ist ein kluges Mädchen, Madame Rose. Das wissen Sie. Sie lässt sich nicht so leicht an der Nase herumführen.«

Er hatte natürlich recht. Vor ein paar Wochen hatte Alexandrine mit Adleraugen über den Umzug meiner Möbel und Koffer gewacht.

»Und Sie ziehen wirklich zu Ihrer Tochter, Madame Rose?«, hatte sie beiläufig gefragt, als sie sich über einen meiner Koffer gebeugt und mit Germaines Hilfe versucht hatte, ihn zu schließen.

Und während ich den Fleck an der Wand betrachtet hatte, wo der ovale Spiegel immer hing, hatte ich ihr, noch beiläufiger, geantwortet:

»Ja, natürlich. Aber ich bleibe erst noch eine Zeitlang bei der Baronne de Vresse. Germaine reist mit dem Großteil meines Gepäcks zu meiner Tochter voraus.«

Alexandrine hatte mir einen scharfen Blick zugeworfen. Ihre schrille Stimme hatte mir in den Ohren wehgetan:

»Das ist aber ungewöhnlich, Madame Rose! Ich war erst neulich bei der Baronne und brachte ihr Rosen, aber sie sagte kein Wort davon, dass Sie für eine Weile zu ihr ziehen wollen.«

Ich hatte mich nicht aus der Fassung bringen lassen. Sosehr ich dieses Mädchen auch mag (und glaub mir, Armand, ich bin diesem eigenartigen Geschöpf mit dem kleinen runden Mund weit mehr zugetan als meiner eigenen Tochter), ich konnte keinesfalls zulassen, dass sie sich in meine Pläne einmischte. Also hatte ich eine andere Taktik angewandt. Ich nahm ihre lange schlanke Hand und tätschelte sie.

»Aber, aber, Alexandrine! Was glauben Sie denn, was eine alte Frau wie ich in einem leeren Haus in einer evakuierten Straße noch zu suchen hat? Mir bleibt nichts anderes übrig, als erst zu der Baronne und dann zu meiner Tochter zu ziehen. Und das werde ich auch tun. Vertrauen Sie mir.«

Und mit einem Blick in meine Augen hatte sie gesagt:

»Ich will versuchen, Ihnen zu glauben, Madame Rose, ich will’s versuchen.«

Besorgt sagte ich zu Gilbert:

»Irgendwie hat sie von meiner Tochter erfahren, dass ich noch nicht in Tours angekommen bin … Und vermutlich hat die Baronne ihr gesagt, dass ich nie zu ihr gezogen bin … Ach du liebe Güte!«

»Wir können jederzeit woanders hingehen«, meinte Gilbert. »Ich kenne ein paar Plätze – und die sind überdies wärmer und komfortabler.«

»Nein«, sagte ich schnell. »Ich werde dieses Haus nie verlassen. Niemals.«

Er seufzte verzagt.

»Ja, das weiß ich, Madame Rose. Aber Sie sollten heute Abend mal rausgehen und sich ansehen, was hier los ist. Ich werde meine Laterne abdunkeln. Seit die Kälte eingesetzt hat, werden die abbruchreifen Viertel nicht mehr so streng bewacht. Wir werden ungestört sein. Es ist zwar eisglatt, aber wenn Sie sich an meinem Arm festhalten, kann Ihnen nichts passieren.«

»Was wollen Sie mir zeigen, Gilbert?«

Er schenkte mir sein schiefes, einnehmendes Lächeln.

»Vielleicht wollen Sie sich ja von der Rue Childebert und der Rue d’Erfurth verabschieden, oder?«

Ich schluckte hart.

»Ja, Sie haben recht. Das will ich.«