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Wenige Stunden später stand sie mit Kindern und Koffer vor Patrizias Wohnungstür. Patrizia hatte die Galerie an diesem Tag nicht geöffnet, stattdessen hatte sie lieber die Wohnung für ihren Besuch vorbereitet. Im Fitnessraum hatte sie zwei Gästebetten aufgestellt und fast schon glich das Zimmer einem Jugendzimmer. Immerhin war das Zimmer auch mit Fernseher und DVD-Player ausgestattet. Auch eine Stereoanlage stand dort – es war quasi alles vorhanden, was Jugendliche gerne um sich herum haben. Die Betten waren rechts und links an der Wand aufgestellt und die Fitnessgeräte hatten trotzdem noch genügend Platz. Damian staunte nicht schlecht, als er die Wohnung sah und vor allem das Zimmer, in dem er die nächsten Tage verbringen würde.
»Das ist natürlich wirklich besser als ein Hotelzimmer«, murmelte er.
»Tut mir leid, dass ihr euch das Zimmer teilen müsst«, sagte Patrizia. »Aber ich denke, für ein paar Tage geht das mal, nicht?«
»Klar«, sagte Charlotte, und warf ihren Koffer aufs Bett.
»Fühlt euch hier wie zu Hause«, sagte Patrizia. »Wenn ihr Hunger habt, bedient euch, ebenso wenn ihr was trinken wollt. Ihr dürft fernsehen und Musik hören. Ich hoffe ihr fühlt euch hier wohl. Die DVDs stehen dort drüben im Regal, falls euch langweilig wird.«
Sie ließ die beiden alleine und schloss die Tür hinter sich.
»Die ist echt nett«, sagte Charlotte.
Damian nickte. »Papa wird es Mama aber übelnehmen, dass wir hier schlafen«, sagte er. »Immerhin hatten die beiden was miteinander und ich glaube nicht dass er das lustig findet.«
Charlotte zuckte mit den Schultern.
»Mama hat gesagt, sie sind jetzt nur noch Freundinnen.«
»Ja«, sagte Damian. »Das hat Mama gesagt. Aber guck dir Patrizia doch mal an, die sieht schon klasse aus. Und sie ist nett. Und hast du gesehen, wie sie Mama gestern Abend im Restaurant angesehen hat? Und wie sie ihre Hand gehalten hat?«
»Klar hab ich das gesehen«, sagte Charlotte. »Aber wenn Mama sagt, sie sind jetzt nur noch Freundinnen, dann glaube ich ihr das.«
»Und wenn nicht?« sagte Damian. »Ich denk schon dass Papa sauer sein wird, wenn er das hier erfährt.«
»Bestimmt«, sagte Charlotte. Um ihren Mund zeigte sich plötzlich ein trotziger Zug. »Aber weißt du was? Der soll sich nicht so anstellen. Mama hat ihm schließlich auch verziehen und ich finde, das was er gemacht hat, war noch ein Stück schlimmer. Er hatte seine Freundin viel länger und er hat nur Schluss gemacht weil Mama ihm auf die Schliche gekommen ist. Und im Moment geht es Mama nicht gut, ich finde es gut, dass wir jetzt hier sind. Patrizia kann Mama bestimmt weiterhelfen, und wenn es ihr dadurch einfach nur wieder besser geht.« Damian nickte. »Vielleicht hast du recht.«
Clarissa saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und starrte nachdenklich in den Kamin. Er brannte nicht. Aber es war ein seltsames Gefühl. Vor einem Jahr um diese Zeit hatte sie hier mit Patrizia wunderschöne Stunden verbracht. Hier im Wohnzimmer hatten sie sich nie geliebt, dafür hatten sie sich beide viel zu wohl in Patrizias Schlafzimmer gefühlt, aber sie hatten hier oft sehr lange gesessen und sich angeregt unterhalten, kleine Zärtlichkeiten ausgetauscht, etwas miteinander getrunken. Es waren schöne Erinnerungen. Sie schienen so weit weg, obwohl sie gleichzeitig doch so nah waren. Patrizia setzte sich neben sie.
»Ich glaube, den Kindern gefällt das Zimmer. Dein Sohn hat nicht schlecht gestaunt als er die Fitnessgeräte gesehen hat, ich denke, er wird mit Sicherheit das eine oder andere bald ausprobieren.«
»Kann nicht schaden«, lachte Clarissa. »Ich
finde es sehr nett, wie du dich um die zwei bemühst.«
»Naja«,
sagte Patrizia. »Ich hatte eigentlich nie was mit ihnen zu tun,
aber jetzt wo ich sie so live erlebe, kann ich nur sagen, du hast
sehr nette Kinder. Sie wissen sich zu benehmen und sind trotzdem
sehr natürlich. Du kannst stolz auf sie sein.« »Danke«, sagte
Clarissa. »Mein Mann nimmt es mir übrigens sehr übel, dass ich mit
den Kindern zu dir gezogen bin.«
»Kann ich mir denken«, sagte Patrizia.
»Ich hätte es mir auch denken können, wahrscheinlich würde ich an seiner Stelle genauso reagieren. Aber ich bin dir sehr dankbar für dein Angebot, denn hier fühle ich mich ziemlich sicher. Und das sollte Daniel respektieren.«
»Ich fasse dich nicht an«, sagte Patrizia lächelnd, aber sie wirkte trotz des Lächelns ein wenig traurig. Clarissa griff nach ihrer Hand. Sie sah Patrizia nicht an, aber es war schön, ihre Hand in ihrer zu spüren, ihre Nähe zu spüren.
»Ich habe ihm gesagt, dass wir nur noch Freundinnen sind.«
»Aber das glaubt er natürlich nicht«, bemerkte Patrizia.
»Nein.«
»Das wirst du nicht ändern können. Entweder er vertraut dir oder – na ja, ich weiß auch nicht. In der derzeitigen Situation sollte er vielleicht lieber drüber nachdenken, dass du hier bei mir in Sicherheit bist, die Kinder auch, dass euch hier nichts passieren kann. Wer weiß, was noch alles auf euch zugekommen wäre. Ich möchte zu gerne wissen, wer so was tut.«
»Und ich erst«, sagte Clarissa. »Ich weiß nicht ob du dir vorstellen kannst wie ich mich fühle. Ich fühle mich so müde und so ausgebrannt. Und gleichzeitig bin ich so wach und kann nicht schlafen. Ich schrecke ständig aus dem Schlaf hoch, in der letzten Nacht habe ich das erste Mal seit Monaten wieder wirklich durchgeschlafen. Ich hab Angst. Hier nicht. Aber in unserem Haus in Köln war die Angst mein ständiger Begleiter. Und einsam war ich auch. Keine Freunde. Das wäre vielleicht gar nicht so sehr aufgefallen, wenn dieser ganze Terror nicht gewesen wäre. Ich bin es einfach gewöhnt, dass ich mit meinen Freunden sprechen kann, wenn es mir schlecht geht, aber mit meinem Umzug nach Köln habe ich irgendwie doch alles hinter mir gelassen. Sicher, wir haben noch gute Kontakte zu unseren Freunden, aber eben alles auf Entfernung. Man kann nicht mal schnell bei seiner Freundin auf einen Kaffee reinschneien. Besuche müssen gut geplant werden. Und letztlich hat jeder von uns ein so aufwendiges Leben, dass die Zeit dafür gar nicht da ist.«
Patrizia nickte. »Es ist dir also nicht wirklich gelungen, in Köln Fuß zu fassen.«
Clarissa lächelte müde.
»Patrizia, das Haus ist toll und der Garten wunderschön. Aber wenn ich den Garten sehe, muss ich an meinen Hund denken. Wenn ich im Haus bin, sehe ich die zwei Typen von dem Beerdigungsinstitut vor mir. Ich bin vielleicht zu sensibel, aber ich werde mich in diesem Haus nie wieder wohl fühlen können, obwohl es wunderschön ist. Es ist zu viel Negatives passiert.«
»Und du hast auch keine Freundschaften knüpfen
können?«
»Nein«,
sagte Clarissa. »Und das ist auch etwas, was mir das Gefühl gibt,
dass ich dort niemals zuhause sein werde, verstehst du? Mit
Nachbarn will ich nichts Näheres zu tun haben, so was geht nie gut.
Aber man lernt einfach niemanden kennen! Daniel ist in der Firma
der Chef und mit dem Chef verabredet sich niemand, weil das nach
Schleimerei aussieht. Er hat kaum Zeit, mal mit mir auszugehen so
wie früher. Wir sind zwar immer nur essen gegangen oder mal ins
Kino, aber auch das läuft nicht mehr. Daniel ist ständig
ausgepowert und müde, und ich verstehe das auch. Er steht ziemlich
unter Stress in dieser Firma und dieser Terror, dem wir ausgesetzt
sind, geht ihm auch an die Substanz. Ich komme nur raus, wenn ich
einkaufen muss. Und dann nur bis in den nächsten Supermarkt. Als
ich Sparky noch hatte, war ich regelmäßig spazieren, und da hat man
sich mal mit anderen Hundebesitzern unterhalten. Aber das war auch
schon alles. Ja, ich fühle mich da einsam und ich fühle mich nicht
wohl.«
»Du würdest also gerne wieder in Frankfurt leben, was?«
Clarissa nickte. »Ja. Aber das geht wohl nicht. Daniels Firma, in der er früher gearbeitet hat, ist tatsächlich inzwischen pleite. Außerdem würden sie ihn ohnehin nicht mehr einstellen, nachdem er gegangen ist. In Köln hat er einen sicheren Job.«
»Dann muss er halt pendeln«, sagte Patrizia. »Es gibt genügend Ehen, in denen sich die Partner nur am Wochenende sehen.«
»Schwierig Patrizia, denn die Kinder zum Beispiel haben sich inzwischen in Köln ein Leben aufgebaut. Sie haben sich in der Schule eingelebt, sie haben Freunde. Damian hat eine ganz liebe Freundin, ich schätze, es ist jetzt schon schwer für ihn, dass er sie vorübergehend nicht sehen kann, während wir in Frankfurt sind. Momentan ist einfach alles total verfahren.«
Patrizia nickte wissend, dann erhob sie sich und holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank.
»Trotzdem trinken wir jetzt mal ein Glas Sekt auf unser Wiedersehen«, sagte sie. »Mir ist jetzt danach.«
Wenige Stunden später lag Clarissa auf dem Sofa im Wohnzimmer und wälzte sich unruhig hin und her. Sie hielt es nicht sehr lange aus. Gegen ein Uhr nachts tapste sie auf Zehenspitzen nach oben in Patrizias Schlafzimmer. Auch Patrizia war noch wach, denn sie setzte sich sofort im Bett auf und knipste die kleine Lampe an, die neben ihrem Bett stand.
»Kannst du nicht schlafen?« fragte sie.
»Nein«, sagte Clarissa. Patrizia hob einladend ihre Bettdecke und Clarissa kuschelte sich darunter, presste sich an Patrizia und seufzte, als sie den vertrauten Geruch einatmete.
»Weißt du, wie oft ich mich danach gesehnt habe, mal so mit dir einschlafen zu dürfen?« fragte Patrizia leise.
Clarissa nickte. »Ich weiß. Du hast es manchmal erwähnt.«
»Naja. Auf die eine oder andere Art ist mir mein Wunsch ja nun doch erfüllt worden.«
Clarissa schlang ihren rechten Arm um Patrizias Hüften und kuschelte sich noch enger an sie.
»Ich will nicht«, sagte sie. »Ich will einfach nur hier so mit dir liegen, verstehst du?«
»Natürlich, Liebes«, sagte Patrizia, und streichelte sanft Clarissas Schulter.
»Natürlich. Du hast auch so schon genug Probleme.«
Sie stellte den Wecker auf acht Uhr.
»Oder glaubst du, dass deine Kinder früher wach sind?«
»Nein«, sagte Clarissa.
»Gut. Ich finde nämlich, die sind schon belastet genug, wir müssen jetzt nicht noch gemeinsam aus dem Schlafzimmer kommen.«
Clarissa war dankbar für Patrizias Vernunft,
denn daran hatte sie nicht gedacht. Viel mehr lag sie in diesem
Moment da, eng umschlungen mit Patrizia und genoss zum ersten Mal
seit Monaten wieder das Gefühl ihrer Nähe zu Patrizia und vor allem
ein Gefühl der Sicherheit. Sie saugte den Duft ihrer Haare tief in
sich ein und schlief wenige Sekunden später ruhig ein.