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Eine Stunde später befand sich Clarissa mit Damian neben sich und Charlotte auf der Rückbank auf der Autobahn Richtung Frankfurt. In der Frankfurter Innenstadt mieteten sie sich erst mal in einem bezahlbaren Hotel ein und während sie ihre Koffer auspackten, entschloss sich Clarissa, bei Patrizia anzurufen. Sie versuchte es bei Patrizia zu Hause, aber da ging niemand ans Telefon. Auch in der Galerie war sie offensichtlich nicht mehr, also versuchte sie es unter Patrizias Handynummer.

»Hallo«, sagte Patrizia, als sie Clarissas Stimme vernahm. Sie wirkte kühl, nicht so erfreut wie sonst immer, wenn Clarissa angerufen hatte.

»Ich muss mit dir sprechen, Patrizia«, sagte Clarissa. »Ich möchte mich entschuldigen.«

»Ja, ich hab schon gehört, die Dame um die es geht, hat wohl lange, rote Haare. Und da du mich als einen so hysterischen Menschen kennengelernt hast, der sich nicht im Griff hat und zur Gewalttätigkeit neigt ...«

»Patrizia, bitte«, sagte Clarissa mahnend. »Nein, so habe ich dich natürlich nicht kennengelernt. Aber ich würde darüber gerne mit dir persönlich sprechen, können wir uns sehen?«

»Wie stellst du dir das vor, glaubst du ich setz mich jetzt ins Auto und hetze nach Köln?«

»Ich bin in Frankfurt, Patrizia.«

Patrizia schwieg überrascht.

»Du bist hier?« fragte sie schließlich, und sie klang schon etwas sanfter.

»Ja.«

»Ist wieder was passiert?«

»Ja, aber das würde ich dir gerne persönlich erzählen. Ich wohne mit den Kindern in einem Hotel. Können wir uns sehen?«

»Sicher. Wann und wo? Soll ich ins Hotel kommen?«

»Nein«, sagte Clarissa. »Lass uns was essen gehen, ich habe Hunger. Kennst du was Nettes?«

»Silvio«, sagte Patrizia. »Sehr gute, italienische Küche und man hat dort seine Ruhe.«

»Fein, ich bringe allerdings Damian und Charlotte mit. Ich lasse meine Kinder nicht aus den Augen und außerdem haben sie auch Hunger.«

»In Ordnung«, sagte Patrizia.

Clarissa schlüpfte unter die Dusche und entschied sich nach der Dusche für den braunen Hosenanzug, den sie im Koffer hatte. Sorgfältig föhnte sie ihr langes Haar trocken und legte ein leichtes Makeup auf.

Charlotte sah ihr aufmerksam zu. »Ich krieg das nie hin«, sagte sie.

»Was genau?«

»Das mit der Wimperntusche.«

Clarissa musste lachen. »Das stimmt, Tochter, das kriegst du nie hin. Es sieht immer so vollgekleckst aus, wenn du Wimperntusche benutzt.«

»Würdest du mir mal zeigen, wie man das macht?«

Clarissa lächelte und drehte sich zu ihrer Tochter um.

»Gerne.« Es war das erste Mal, dass Charlotte sie in solchen Dingen um Rat fragte. Irgendwie hatte sie sich in letzter Zeit auch verändert. Seit dem Gespräch, das sie an dem Abend miteinander gehabt hatten, als die Kinder zugegeben hatten, dass sie lange schon Bescheid wussten über die außerehelichen Aktivitäten ihrer beiden Elternteile. Charlotte erschien ihr seither viel offener und auch Damian schien nun besser mit ihr klar zu kommen, wo ehrlich alles ausgesprochen worden war.

»Liebst du sie noch?« fragte Charlotte, während Clarissa ihr die Wimpern sorgfältig tuschte.

»Wen?« fragte Clarissa. »Meinst du Patrizia?«

»Ja.«

»Keine Ahnung, Kind. Irgendwie schon, ja.« Sie seufzte und setzte sich auf den Badewannenrand. »Weißt du, sie war ja auch eine gute Freundin für mich«, murmelte sie, während sie die Wimpern ihrer Tochter tuschte.

Charlotte begutachtete sich im Spiegel. »Ja, so sieht das gut aus«, sagte sie zufrieden. Sie sah ihre Mutter an. »Was heißt irgendwie schon?«

Clarissa zuckte mit den Schultern.

»Ich hab keine Ahnung, Liebling. Sie hat mir in dieser Zeit sehr viel bedeutet, ja. Es ging mir schlecht und sie hat mir geholfen. Durch sie ging es mir plötzlich wieder gut.«

»Es ging dir so schlecht wegen Papa, nicht? Weil er eine Freundin hatte?«

Clarissa nickte.

»Warum hast du dich nicht scheiden lassen, als du das rausgekriegt hast?« Damian lehnte in der Badezimmertür, wie Clarissa feststellte, aber er wirkte auch sehr interessiert an den Antworten zu den Fragen, die seine Schwester gerade stellte.

»Ich weiß nicht, Charlotte, ich hab ihn einfach noch viel zu sehr geliebt.«

Sie holte tief Luft. »Ich liebe euren Vater sehr, und er ist ein guter Mann. Deswegen bin ich geblieben.«

»Wenn er ein guter Mann wäre, dann wäre er aber nicht fremd gegangen«, sagte Charlotte. Ihr Blick wirkte finster.

»So einfach ist das nicht, Kind.«

»Dann erklär mir das mal.«

»Dafür gibt es keine Erklärung die jemand verstehen könnte, der nicht mittendrin steckt, Charlotte.«

»Versuch es doch einfach mal, vielleicht verstehe ich es ja!«

Clarissa griff nach Charlottes Hand und verließ mit ihr das Badezimmer. Auf dem Weg zum Bett zog sie auch Damian an der Hand hinter sich her. Sie setzten sich nebeneinander auf das Bett und Clarissa hielt die Hände ihrer Kinder und starrte nachdenklich zu Boden.

»Wir sind seit vielen Jahren zusammen«, sagte sie. »In unseren ersten Jahren miteinander hatten wir viel Spaß, wir sind oft weggefahren und haben gerne mal verrückte Dinge getan. Dann haben wir geheiratet und nacheinander seid ihr beiden auf die Welt gekommen. Uns hat irgendwie der Alltag eingeholt. Papa war damit beschäftigt, Karriere zu machen und ich war mit euch Kindern und dem Haushalt beschäftigt.«

»Und warum bist du nicht arbeiten gegangen?« fragte Damian. »Dann wärest du nicht immer so alleine zu Hause gewesen. Vielleicht warst du auch immer zu bequem für Papa.«

»Damian, ich bin Krankenschwester. Als ihr beide alt genug wart, dass ich wieder hätte arbeiten gehen können, hätte mich kein Krankenhaus mehr eingestellt. Das einzige was ich hätte tun können, wäre Altenpflege gewesen, da hätte man mein Examen vielleicht noch anerkannt. Ich war einfach zu lange aus dem Beruf.« Sie holte tief Luft. »Aber wisst ihr, die Frage hat sich irgendwie nie gestellt, Papa fand es gut, dass wir es uns leisten konnten, dass ich zu Hause bleibe. Es war ihm wichtig, dass ihr nicht euch selbst überlassen seid, sondern immer einen Ansprechpartner habt.«

»Und wenn er das alles so gut fand wie es war, warum hat er sich dann eine Freundin gesucht?«

»Naja, wie ich schon sagte, der Alltag hat uns eingeholt. Jeder hat sich auf seine eigenen Aufgaben konzentriert und wir haben die Gemeinsamkeiten aus den Augen verloren.«

»Aber ihr habt euch geliebt.«

Clarissa nickte. »Immer, Charlotte, immer. Ich habe in keiner Minute an meiner Liebe zu eurem Vater gezweifelt, sie war immer da. Sie war nur anders geworden. Und vielleicht hatte diese andere Frau deswegen eine gute Chance euren Vater rumzukriegen.« Sie seufzte. »Wisst ihr, sie war jünger als ich, sie stand im Berufsleben, sie war eine aktive Frau oder ist es noch. Sie hat ein Auge auf ihn geworfen und ihn umgarnt nach allen Regeln der Kunst. Ich denke, da ist Papa aufgefallen, dass sich bei uns was verändert hat, wahrscheinlich hat er darüber früher nicht nachgedacht, so wie ich auch. Plötzlich war ihm klar, dass bei uns alles so normal geworden war, so selbstverständlich.«

Sie lachte.

»Wisst ihr, ich liebe euren Vater mit all seinen kleinen Fehlern die er hat. Bei mir musste er sich nicht mehr anstrengen, ich habe ihn sowieso geliebt. Bei der anderen Frau, da musste er sich beweisen. Ich weiß dass das dumm klingen mag für euch, aber so war es wohl. Liebe darf nie selbstverständlich werden.«

»Du meinst also, Papa hat dich nicht mehr zu schätzen gewusst.«

Es war mehr eine Feststellung als eine Frage ihres Sohnes gewesen, und er sah sie sehr ernst an. An diesem Abend fiel ihr wieder einmal auf, wie erwachsen die beiden geworden waren, speziell ihr Sohn.

»Vielleicht ist das so, ja. Aber dann hätte er mich beinahe verloren wegen dieser Sache und in dieser Zeit wurde ihm klar wie viel ich ihm bedeute – und unsere Familie.«

Charlotte nickte wissend. »Und du? Und wie war das mit deinem Verhältnis?« Clarissa wurde rot. Sie kam sich ein wenig schäbig vor, aber es fiel ihr tatsächlich leichter, mit den Kindern über Daniels Fehler zu sprechen als über ihre eigenen, dabei waren die wohl nicht minder schwerwiegend.

»Es ist dir peinlich«, stellte Charlotte fest. Sie grinste. »Bestimmt weil Patrizia eine Frau ist.«

»Nein«, sagte Clarissa. »Überhaupt nicht. Patrizia ist eine tolle Frau und ihr seid beide keine kleinen Kinder mehr, ihr wisst sicher, dass – na ja, wie sagt man so schön, wo die Liebe hinfällt?«

Damian lachte.

»Bist du dir sicher, dass es dir auch recht ist, wenn wir jetzt mitgehen zu deinem Treffen mit Patrizia?«

»Natürlich. Ihr müsst etwas essen und wir haben lange genug alles Mögliche vor euch verheimlicht.« Sie seufzte. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es in Ordnung ist, wenn ich mit euch so offen spreche, aber andererseits habt ihr auch das Recht zu erfahren wie es um eure Eltern steht.«

»Und du meinst wirklich nicht dass Patrizia hinter allem stecken könnte? Oder die Frau mit der Papa...?«

Er unterbrach sich. Es fiel ihm schwer, es auszusprechen. Er wusste, dass er ihr einen Stich versetzte mit der Erwähnung der anderen Frau.

»Nein«, sagte Clarissa. »Patrizia konnte beweisen dass sie es nicht war und diese Frau mit der Papa da zu tun hatte – es ist einfach zu lange her. Sie lebt in Hannover. Und mal ehrlich, sie ist mit Sicherheit nicht der Typ Frau, der so was nötig hat. Als Papa sich umgedreht und für mich entschieden hat, hatte sie wahrscheinlich schon den nächsten an der Angel.«

»Sah sie gut aus?« fragte Charlotte.

»Viel zu gut«, seufzte Clarissa. »Viel zu gut. Solche Frauen haben so was nicht nötig, die können zehn an jedem Finger haben. Und Rache schließe ich auch aus. Warum sollte sie sich zwei Jahre später noch rächen wollen?« Clarissa schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe wirklich keine Ahnung, mit wem wir es zu tun haben. Es ist mit Sicherheit niemand, den wir in Betracht ziehen würden.«

»Naja, « sagte Damian und lachte. »Wenn sie klug ist, hat sie vielleicht mit Absicht so lange gewartet, damit sie niemand mehr verdächtigt. «

Nur eine Stunde später betrat sie mit ihren Kindern als Begleitung das Restaurant, das Patrizia ihr genannt hatte. Schon von der Tür aus sah sie Patrizia in einer ruhigen Ecke sitzen – ihre Lockenmähne, die so feurig wirkte wie ihr Temperament, war einfach zu auffällig als das man diese Frau übersehen konnte. Natürlich. Wie hatte sie sie nur verdächtigen können?

Patrizia hatte sie wohl auch gleich kommen sehen, denn sie erhob sich von ihrem Platz, kam mit einem erfreuten, aber eher scheuem Lächeln auf sie zu und begrüßte Clarissa zunächst schüchtern, zurückhaltend. Doch schließlich schoss ihr eine Röte ins Gesicht die ihr ausgezeichnet stand, und sie fiel Clarissa vor Freude um den Hals.

»Wie schön dass wir uns sehen können«, sagte sie leise. Dann begrüßte sie die Kinder mit einem förmlichen, aber sehr freundlichen Händedruck. Sie war ihnen in der Vergangenheit einige Male begegnet, wenn sie Clarissa zu Hause besucht hatte.

Sofort als sie sich alle gesetzt hatten, eilte ein Kellner herbei und reichte jedem eine Speisekarte. »Ich komme gleich zu Ihnen,« sagte er.

»Das klingt vielleicht lecker alles«, seufzte Charlotte bereits nach einem oberflächlichen Blick über die Speisekarte. »Ich weiß eh schon was ich esse. Ich nehme die Gnocchi in Gorgonzola.«

Damian grinste. »Du immer«, sagte er. »Iss doch mal was Gescheites. Ich esse ein Steak mit Gorgonzolasoße.« Entschlossen klappte er die Karte zu. Der Kellner eilte wenige Minuten später wieder an ihren Tisch und nahm die Bestellungen auf. Patrizia bestellte eine Flasche Wein.

»Ist dir doch recht?« fragte sie. »Oder musst du noch fahren?«

Clarissa schüttelte den Kopf. »Ich hasse den Frankfurter Stadtverkehr, wir sind mit dem Taxi gekommen.«

»Also«, sagte Patrizia, und sie sah ihr tief in die Augen. »Erzähl mal. Ich weiß nur Bescheid bis zu dem Punkt, als die Polizei bei mir war.«

Clarissa senkte den Kopf und sie fühlte, wie sie errötete. Patrizia griff nach ihrer Hand und legte sie in ihre Hände.

»Rede doch einfach mit mir, Clarissa. Vielleicht hätte ich an deiner Stelle auch vermutet, dass eine Patrizia dahinter steckt. Die Polizei hat mir gesagt, die Haare der Frau wären ziemlich auffällig, sehr lang, in einem feurigen Rot und sehr lockig trotz der Länge. Könnte ja gut auf mich zutreffen, nicht? Also so abwegig war ja der Verdacht gar nicht.«

»Doch, eigentlich schon. Du wärest niemals so dumm und würdest deine Haare so offen zeigen, wenn du so eine Nummer durchziehen würdest. Patrizia, es tut mir so leid, dass du verdächtigt wurdest. Es tut mir noch mehr leid, dass ich mich danach nicht bei dir gemeldet habe. Ich hätte dich anrufen müssen.«

»Ja, das hättest du«, sagte Patrizia. »Aber andererseits kann ich mir vorstellen dass dein Nervenkostüm derzeit nicht das Beste ist und du wahrscheinlich ziemlich durcheinander bist.«

»Patrizia, das mit dem Hund ... das war die Hölle. Ich hab den Hund wirklich geliebt. Er war so ein guter Hund und noch so jung, nicht mal ein Jahr alt konnte er werden. Und er ist so qualvoll gestorben. Und danach – die zwei Männer von der Pietät, die zu uns bestellt worden waren um meine Leiche abzuholen. Das war grauenhaft. Mich hat es geschüttelt, so makaber fand ich das. Als sitzt da draußen tatsächlich jemand, der auf meinen Tod hofft. Aber für was? Um sich dann Daniel schnappen zu können?«

Patrizia räusperte sich. »Hör mal, die Sache mit den Haaren ... du glaubst doch nicht im Ernst, dass die Frau, wer immer das ist, wirklich solche Haare hat? Ich tippe eher auf das Gegenteil. Sie hat sich praktisch unkenntlich gemacht. Hast du einen Verdacht, irgendeinen?«

Clarissa schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich komme nicht drauf. Ich denke schon seit Monaten, dass es nur jemand aus Daniels Firma sein könnte, denn mit dem neuen Job ging dieser Terror los – jedenfalls kurz darauf. Vielleicht hat ihn da eine Frau angeschmachtet und er hat nicht drauf reagiert. Wer weiß, was sie sich einbildet, vielleicht meint sie, wenn ich aus dem Weg geräumt bin, dann würde er sie bemerken, ich weiß doch auch nicht. Aber irgendwie... Daniel ist total misstrauisch und er achtet auf alles, was seine Mitarbeiter so sagen und tun, aber ihm fiel bisher nichts Besonderes auf. Eher gar nichts. Und letztlich ist es wahrscheinlich auch niemand aus der Firma. Die sind alle total nett, ich habe ja die gesamte Belegschaft kennen gelernt. Alles sehr offen, freundliche Leute. Die einzige, die da anfangs total schräg war, ist seine Sekretärin. Sie wirkte kalt, unfreundlich und völlig desinteressiert an einem guten Verhältnis zu ihren Kollegen. Daniel sagt allerdings, sie sei fachlich eine Nummer eins und rein menschlich hätte sie sich inzwischen auch ganz anders entwickelt. Wahrscheinlich war sie nur unsicher, denn sie war ja auch neu. Wahrscheinlich ist es jemand, den wir niemals vermuten würden – eine Nachbarin vielleicht. Eine Bedienung in dem Restaurant, in dem Daniel mittags essen geht. Es kann jeder sein.«

»Und was war jetzt der Anlass dafür, dass du aus Köln geflohen bist und hier her gekommen bist?«

»Jetzt gibt es sogar eine Anzeige in der Zeitung. Vollbusige Frau sucht Spielgefährten ohne finanzielle Interessen, du verstehst? Mein Telefon hat sich heiß geklingelt. Und ich sag es mal so, Patrizia, ich bin nicht mehr fünfzehn, sondern eine erfahrene Frau, Männer, die auf Grund einer Anzeige bei mir anrufen und mir Angebote machen, verängstigen mich nicht. Aber das war sozusagen wohl das Tüpfelchen auf dem i. Ich musste weg. Ich musste dort weg, und zwar sofort. Ich hatte plötzlich das Gefühl, es in diesem Haus, in dieser Stadt, einfach nicht mehr auszuhalten. Ganz ehrlich gesagt, habe ich Angst dass diese Frau sich als Nächstes an einem meiner Kinder vergreift. Vor allem, was mich rasend macht ist die Tatsache, dass es offenbar jemand ist, der uns gut kennt. Der was von meiner Geliebten mit den langen, roten und lockigen Haaren weiß. Oder glaubst du etwa, dass das ein Zufall ist? Sieht mir so aus, dass da jemand ganz absichtlich den Verdacht auf dich lenken will. Ich habe einfach nur noch Angst.«

»Kann ich verstehen.« Die Kinder hörten aufmerksam zu und jetzt erst fiel es den beiden Frauen auf, dass Patrizia seit Minuten Clarissas Hand in einer liebevollen, zärtlichen Geste zwischen ihren eigenen Händen hielt. Patrizia fühlte sich ertappt und zog ihre Hände zurück.

»Für euch beide muss das die Hölle sein«, sagte sie mitfühlend.

Charlotte wirkte sehr traurig. »Am schlimmsten war das mit Sparky«, sagte sie leise. Patrizia nickte und legte tröstend ihren Arm um das Mädchen.

»Und jetzt wohnt ihr im Hotel?« fragte sie.

Clarissa nickte.

»Möchtet ihr vielleicht lieber bei mir wohnen, solange ihr hier seid?« fragte sie. Damian grinste. Auch wenn er inzwischen sehr erwachsen wirkte, es steckte doch noch ein kleiner, frecher Junge in ihm. »Meine Wohnung ist groß genug«, sagte sie. »Ich könnte meinen Fitnessraum räumen, dann könntet ihr da schlafen.« »Du hast einen Fitnessraum?« fragte Damian. »Cool.«

»Und Mama soll bei dir schlafen?« fragte Charlotte, und sie kniff misstrauisch die Augen zusammen.

»Sie wissen Bescheid«, sagte Clarissa.

Patrizia nickte. »Aha.« Sie steckte eine Zigarette in ihre Zigarettenspitze und zündete sie an. »Mama könnte bei mir schlafen, wenn sie es wollte«, sagte Patrizia. »Aber sie könnte auch mein Schlafzimmer haben und ich könnte auf dem Sofa schlafen.«

»Wenn dann umgekehrt«, sagte Clarissa.

»Nimmst du mein Angebot an?«

»Daniel wird mich verfluchen, aber – ja. Ich nehme dein Angebot an. Ich habe kein gutes Gefühl dabei, im Hotel zu wohnen. Ich fühle mich ausgeliefert. Alles ist dort so anonym. Und ich kann im Moment schlecht alleine sein.«

Patrizia nickte. »Es ist nichts dabei«, sagte sie. Und zu den Kindern gewandt: »Zwischen eurer Mama und mir ist es aus. Ihr braucht euch keine Sorgen machen. Wir sind jetzt nur noch Freundinnen.«

Nur noch Freundinnen... irgendwie tat Clarissa dieser Ausspruch in diesem Moment weh. Wie Patrizia da saß, elegant durch ihre Zigarettenspitze rauchend, mit übereinandergeschlagenen Beinen, sehr damenhaft, und gleichzeitig ein wenig verrucht durch ihre Feuermähne und dem kirschroten Lippenstift, tat es ihr fast leid, dass sie nur noch Freundinnen waren. Sie erinnerte sich an Zeiten, als sie diese festen, runden Brüste liebkost hatte, als sie minutenlang zärtlich diese Lippen geküsst hatte, und nicht nur diese, sondern auch die anderen, die noch zarter waren, die zwischen Patrizias Beinen. Sie musste sich ein wenig schütteln um wieder zu sich zu kommen, als der Kellner das Essen brachte.

»Wir kommen morgen zu dir«, sagte sie schließlich. »Heute Nacht bleiben wir noch im Hotel, ich habe einen langen Tag hinter mir und möchte dann nur noch ins Bett.«

Patrizia nickte. »Ganz wie du möchtest.«

Sie sah ihr direkt in die Augen. Ja, auch bei ihr war das Verlangen noch immer da, war vielleicht größer und stärker als jemals zuvor. Clarissa schalt sich eine dumme Gans, weil sie auch nur ansatzweise vermutet hatte, dass Patrizia zu solchen Grausamkeiten wie die, die ihr widerfahren waren, fähig sein könnte.

Sie fiel in dieser Nacht in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Die Kinder hatten gemeinsam ein eigenes Zimmer genau nebenan, aber Charlotte hatte es vorgezogen, sich in der Nacht in das Bett ihrer Mutter zu schleichen, wie Clarissa erst am nächsten Morgen feststellte. Zärtlich streichelte sie ihrer schlafenden Tochter über die Wange und zupfte ihr ein paar Haare aus dem Gesicht. Charlotte drehte sich stöhnend um und schlief dann ungerührt weiter. Sie würde immer ihr kleines Mädchen bleiben, egal wie alt sie sein würde.

Clarissa schlüpfte unter die Dusche und zog sich an, nachdem sie ihr Make-up aufgelegt hatte. Sie weckte die Kinder und ließ die beiden ebenso duschen und sich anziehen, dann gingen sie zum gemeinsamen Frühstück nach unten in das Hotelrestaurant. Gegen elf Uhr am Vormittag rief Clarissa in Daniels Firma an. Die Durchwahlnummer funktionierte, er hatte sein Telefon nicht umgestellt.

»Hallo Liebes«, sagte er. »Wo bist du? Ich habe mir Sorgen gemacht. Es wäre nett gewesen, wenn du gestern Abend mal angerufen hättest.«

»Ach Daniel«, sagte Clarissa. »Ich hatte gestern Abend keinen Nerv mehr. Und ich hatte ein ausführliches Gespräch mit Patrizia. Wir waren essen, die Kinder waren auch mit. Ich wollte nicht gestört werden, denn ich hatte ihr eine Menge zu erklären wie du weißt. Also habe ich das Handy ausgeschaltet.«

»Nett von dir«, sagte Daniel zynisch.

Clarissa atmete tief ein.

»Wenn wir uns in dieser Situation zerstreiten, hilft uns das sicher nicht weiter. Es könnte eher hinderlich sein.«

»Du hast recht. Wo wohnst du?« »Im Hotel. Bis heute jedenfalls, aber ich checke jetzt wieder aus.«

»Und dann? Fährst du zu Anja?«

Clarissa starrte auf den Boden. Vielleicht war ihre Zusage, bei Patrizia zu übernachten, doch ein wenig voreilig gewesen. Mit Sicherheit würde Daniel das nicht gut verkraften.

»Nein«, sagte sie.

»Wo willst du unterkommen?«

»Bei Patrizia.«

Sie hörte wie Daniel nach Luft schnappte.

»Bei Patrizia? Bist du übergeschnappt?«

»Nein Daniel, ich fühle mich alleine. Ich muss jemanden bei mir haben.«

»Oh ich bin überzeugt davon, dass Patrizia sehr gerne bei dir ist! Sie wird bestimmt sehr liebevoll Händchen halten mit dir!«

»Daniel, das ist vorbei mit ihr und mir. Es geht nur noch um Freundschaft.«

»Respektiere bitte, dass ich das nicht wünsche.«

»Respektiere du bitte, dass ich Angst habe, dass ich meine Kinder dabei habe und dass ich nicht in einem Hotel schlafen möchte! Unser Haus ist vermietet und Anja hat sowieso keinen Platz! Ich habe übrigens auch mehrfach versucht sie anzurufen, aber ich habe sie nicht erreicht!«

Clarissa fühlte, wie eine Aggressivität von ihr Besitz ergriff, die ihr bis dahin unbekannt gewesen war.

»Clarissa, wenn du mit dieser Frau ... das ist das Ende unserer Ehe, ist das klar?«

»Ich werde nicht ...«

»Ach!« unterbrach er sie wütend. »Hör doch auf dir was vorzumachen! Natürlich wird das Ganze wieder von vorne losgehen!«

»Und wenn schon, Daniel, und wenn schon! Was solls! Ich hätte auch genauso gut in Köln bleiben können, mir seelenruhig mit anschauen können, wie diese Frau, die es auf mich abgesehen hat, nach meinem Hund dann nacheinander meine Kinder umbringt und dann mich, damit sie freies Feld hat!«

»So ein Blödsinn«, sagte Daniel. »Damit sie freies Feld hat, was ist das für ein Quatsch! Ich habe keine heimliche Verehrerin!«

»Du bist ein Mann, Daniel! Und Männer merken so was nicht, so ist das einfach, und je unwahrscheinlicher die Bedingungen sind, um so weniger merkt ihr so was! Glaub mir, da ist eine äußerst wild auf dich und ich muss deswegen dran glauben!«

»Und das berechtigt dich dazu, bei Patrizia einzuziehen, ja?«

»Ja Daniel. Weil Patrizia momentan der einzige Mensch in meiner näheren Umgebung ist, der mir ein klein wenig das Gefühl von Sicherheit vermitteln kann.«

»Na dann«, sagte Daniel patzig. »Dann haben wir beide uns ja wohl nichts mehr zu sagen.« Er knallte den Hörer auf.

Es hätte ihr klar sein müssen, dass er diese Sache nicht verkraften würde. Aber es war tatsächlich so, wie sie es ihm gerade erklärt hatte: Patrizia war in der Tat der einzige Mensch in diesem Moment, bei dem sie sich ein wenig sicher fühlte.