-2-


Zwei Wochen später stieg sie in Hannover mit zitternden Knien vor einem Hotel aus einem Taxi. Daniel hatte sich bereits am Tag zuvor von ihr verabschiedet und sein Aufenthalt in Hannover würde noch drei weitere Tage dauern. Seit ihrer Entdeckung hatte sie täglich seine Mails gecheckt und auf diese Weise Ort und Zeit des nächsten Treffens herausgefunden. Sie fühlte sich im Recht und trotzdem plagte sie das schlechte Gewissen, weil sie in seiner Privatsphäre schnüffelte. Weil sie sein Passwort geknackt und seine Mails gelesen hatte.

Im Foyer des Hotels atmete sie tief ein. Sie wusste, was auf sie zukam. Dieses Problem hätte sie gerne anders gelöst, aber es würde keinen anderen Weg geben als eine direkte Konfrontation. Daniel war schlau. Und er kannte ihre Schwächen. Sie war nicht gut in Diskussionen. Seinen Argumenten war sie oft nicht gewachsen. Clarissa konnte dunkel erahnen, wie diese Sache ausgehen würde, wenn sie ihn lediglich auf die Mails ansprach.

Im Handumdrehen hätte er eine gute Ausrede parat und würde sie der Schnüffelei anklagen, ein empfindlicher Punkt bei ihr. Denn eigentlich war sie keine Schnüfflerin. Eigentlich respektierte sie die Privatsphäre ihres Mannes. Aber man konnte einem Mann der log und betrog nicht klar machen, dass es ein Bauchgefühl gewesen war, das einen dazu getrieben hatte nachzuschauen. Beweise zu suchen, von denen ihr lieber gewesen wäre, sie hätte sie niemals gefunden. Frauen haben in diesen Dingen einen sehr wachen Instinkt, aber das war ein Umstand, den man einem Mann nicht plausibel erklären konnte. Clarissa hatte Angst vor der Konfrontation, aber sie konnte ihre Entdeckung auch nicht schweigend hinnehmen. Viel lieber hätte sie ihr bis vor zwei Wochen noch so friedliches Leben weiter gelebt. Ohne Höhen und Tiefen, einfach nur angenehm. Eine friedliche, harmonische Ehe, in deren Schoß sie sich fallen lassen und sicher fühlen konnte.

Der Nachtportier gab ihr bereitwillig Auskunft, als sie ihren Ausweis vorlegte, obwohl er sie nicht darum gebeten hatte. Es musste etwas passieren, das ihrer Qual ein Ende machte, wie auch immer dieses Ende aussehen würde. Und nun stand sie mit pochendem Herzen und kreidebleichem Gesicht vor dem Portier, wusste was auf sie zukommen würde, wollte es hinter sich bringen und hatte doch Angst zu sehen, was sie nicht verkraften würde.

»Zimmer 212«, sagte der Portier. »Im zweiten Stock.« Er wirkte ein wenig besorgt. »Soll ich Sie ankündigen?« fragte er, und er hatte den Hörer bereits in der Hand.

»Nein, ich möchte meinen Mann überraschen«, sagte Clarissa mit fester Stimme.

»Aber es wäre vielleicht besser wenn...«

»Lassen Sie das«, sagte Clarissa barsch. »Ich weiß schon dass er nicht alleine ist.«

Der Portier errötete und vertiefte sich in den Inhalt einer Schublade auf der Innenseite der Rezeption. Clarissa steuerte zielstrebig auf den Aufzug zu. Viel zu schnell. Der Aufzug fuhr viel zu schnell. Und viel zu schnell stand sie vor der Tür mit der Nummer 212. Leises Stimmengemurmel war zu hören. Diese Hotels, die Daniel sich aussuchte, waren wirklich erstklassig, man hörte so gut wie nichts. Sie klopfte an. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, aber schließlich hörte sie Daniels Stimme direkt hinter der Tür.

»Ja bitte?«

»Zimmerservice«, sagte sie, und sie bemühte sich, dabei ihre Stimme so gut wie möglich zu verstellen.

Daniel riss die Tür auf, starrte sie ungläubig an und Clarissa erhaschte einen Blick auf das große Bett, das direkt der Tür gegenüber an der Wand stand. Eine Frau mit lockigen, schwarzen Haaren räkelte sich darin, riss aber plötzlich die Bettdecke nach oben und setzte sich kerzengerade hin.

»Clarissa!« Daniel war mit einem Schlag kreidebleich.

»Ja, da staunst du, was?« sagte sie. Sie betrat das Zimmer und Daniel schloss schnell die Tür.

»Ich kann dir das erklären«, sagte er.

»Versuch es mal«, antwortete Clarissa. Sie konnte den Blick nicht von der Frau abwenden. Sie war eine sehr schöne Frau, keine Frage. Makellose Haut, braungebrannter Teint. Die Frau hatte sich erschrocken aufgesetzt und mit der Decke verhüllt, und doch hatte Clarissa noch einen Blick auf ihren Körper erhaschen können. Endlos lange Beine, sehr wohlgeformt, ein schmaler, durchtrainiert wirkender Bauch und pralle Brüste. Das schwarze Haar fiel in wunderschönen Locken über ihre Schultern und endete irgendwo auf der Bettdecke, da wo Clarissa den Ansatz ihrer Beine vermutete. Ganz eindeutig musste es unter ihren Vorfahren einen rassigen Südländer gegeben haben, denn ihr brauner Teint wirkte sehr natürlich und ihre Haare ebenso, nicht gefärbt. Sie setzte sich auf einen der beiden Sessel, die am Fenster standen.

»Zieh dich an, du Schlampe«, sagte sie in eiskaltem Ton zu der Frau, und warf ihr das Kleid und die Jacke zu, die auf dem Boden vor ihr lagen.

»Daniel...!« stammelte die Frau und sah ihn fragend an.

»Bitte zieh dich an und geh«, sagte Daniel leise. Er starrte betroffen auf den Boden. »Das muss ich jetzt wohl alleine regeln.«

Die Frau sprang aus dem Bett und zog sich an. Clarissa beobachtete sie schweigend. Am liebsten wäre sie ihr ins Gesicht gesprungen, gerne hätte sie mit ihren Fingernägeln hässliche Narben in diese makellose Haut gekratzt. In ihrem Inneren tobte ein Krieg der sie fast atemlos machte. Zu gerne hätte sie diese Frau in diesem Moment einen qualvollen Tod sterben sehen. Sie wusste nicht, was in diesem Moment stärker war, der Hass auf diese Frau oder der Schmerz, der sie fast zerriss. Nach außen hin spürten weder Daniel noch seine Geliebte etwas von ihrem inneren Kampf, von dem Schmerz und der Wut, die Clarissa übermannt hatte. Äußerlich wirkte sie ruhig und gefasst.

Die Frau hatte wirklich einen makellosen Körper, wie Clarissa schmerzlich bewusst wurde. Sie schaute ihr, scheinbar ungerührt, dabei zu, wie sie hastig ihre Klamotten zusammenklaubte und sich anzog.

»Ich rufe dich an«, sagte sie schließlich zu Daniel und steuerte auf die Tür des Zimmers zu.

»Lieber nicht«, sagte Daniel leise.

Sie riss die Augen auf, warf einen verächtlichen Blick auf Clarissa und dann sah sie Daniel fest in die Augen. »Was soll das heißen?«

»Das soll heißen dass ... Anita, du siehst doch, dass sich hier gerade eine Katastrophe anbahnt. Geh nach Hause. Ich denke, das zwischen uns ist vorbei.«

Anita schnaufte schnippisch und knallte die Tür hinter sich zu. Daniel, noch immer kreidebleich, trat mit langsamen Schritten auf den freien Sessel zu und setzte sich.

»Wo sind die Kinder?« fragte er leise.

»Bei Freunden. Sie können dort bis morgen Abend bleiben, ich habe gesagt, dass ich sie dann dort abhole.«

Clarissa hörte ihre eigene Stimme als sei es eine fremde und sie wunderte sich über den Klang. So ruhig. So bestimmt. So gefasst. Dabei tobte in ihrem Inneren ein schrecklicher Kampf. Am liebsten hätte sie geweint und laut geschrien, aber diese Blöße wollte sie sich nicht geben.

»Also«, sagte sie.

»Also was?« fragte Daniel. Er wirkte verunsichert, sah betreten auf den Boden.

»Wie kannst du das erklären?«

Daniel sah sie an und schwieg betroffen. »Wie bist du hier her gekommen?« fragte er nach einer langen Pause quälenden Schweigens.

»Mit dem Zug.«

»Aha«, sagte er.

»Erklär mir was, irgendwas.« Inzwischen rannen ihr doch, auch wenn sie es nicht wollte, dicke Tränen über das Gesicht.«

»Es ist ... ich weiß nicht. Wie soll ich dir das erklären? Ich bin ... ich habe mich einfangen lassen. Sie hat mich angemacht, ich bin drauf reingefallen.«

»Heute?«

Er nickte.

»Du kennst sie also erst seit heute?«

Wieder nickte er.

»Warum lügst du mich an?«

Erstaunt blickte er auf. »Ich lüge doch gar nicht.«

»Doch, das tust du. Wie heißt sie? Anita?« Clarissa fischte den Stapel ausgedruckter E-Mails aus ihrer Handtasche und knallte sie ihm auf den Tisch. »Ich glaube, du kennst den Inhalt dieser Mails«, sagte sie. »Oder soll ich dir was draus vorlesen? War das am Ende etwa gar nicht Anita und du betrügst nicht nur deine Frau mit einer Geliebten, sondern uns beide mit einer weiteren Frau?«

Sie lachte bitter, inzwischen hatte die Wut die Oberhand gewonnen.

»Oh«, sagte sie, und griff nach der obersten Mail. »Vielleicht lese ich dir das hier mal vor!« Sie faltete die Mail auseinander und las vor. »Hallo mein Liebster, die letzte Nacht war so unbeschreiblich und es tut mir so weh, dass du schon wieder nach Hause gefahren bist! Der Gedanke, dass du heute Nacht wieder neben deiner Frau einschlafen und morgen neben ihr aufwachen wirst, macht mich rasend vor Eifersucht. Ich halte das nicht mehr aus! Jetzt muss ich fast vier Wochen warten, bis du wieder nach Hannover kommst, das ist einfach zu viel!«

Clarissa warf den Ausdruck auf den Tisch und schnaufte verächtlich.

»Ein einmaliger Ausrutscher, ja?«

Daniel seufzte, lehnte sich zurück und rieb sich die Augen. »Es tut mir so leid«, sagte er schließlich.

»Was genau tut dir leid, Daniel? Dass du mit mir verheiratet bist und nicht mit ihr? Dass du mich angelogen hast? Dass du mir den braven Ehemann vorspielst und dir in Wirklichkeit das Hirn rausficken lässt, sobald du nach Hannover fährst? Dass du dich wahrscheinlich noch über dein hausbackenes Frauchen lustig machst, wenn du die andere Frau bumst? Dein Frauchen, das zu Hause deine Kinder großzieht, Wäsche wäscht, Hemden bügelt und tonnenweise Einkäufe nach Hause schleppt, damit du was Feines zu essen kriegst, wenn du da bist?«

»Nein«, sagte er. »Ich verstehe auch, dass du verbittert bist, aber so habe ich nie gedacht, glaube mir bitte. Denkst du etwa, ich hätte mich wohl gefühlt bei der ganzen Sache? Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, ich habe mich immer mies gefühlt dabei.«

Clarissa schnaufte. »Das mit dem schlechten Gewissen, das ist so eine Sache, Daniel, denn bei euch Männern scheinen die Schwänze trotzdem immer noch zu funktionieren, auch wenn ihr ein schlechtes Gewissen habt. Hast du wenigstens Kondome benutzt, wenn du sie gevögelt hast?«

Daniel zuckte zusammen. Clarissa traf es wie ein Faustschlag.

»Du hast keine Kondome benutzt? Bist du wahnsinnig?«

»Sie ist gesund«, stieß er hervor. »Und du weißt, dass ich mit Kondomen nicht kann!«

»Du bist von dieser Frau gestiegen, nach Hause gefahren und zu mir gekommen? Du bist so ekelhaft, Daniel, so ekelhaft!«

Clarissa erhob sich.

»Wo gehst du hin?« fragte Daniel.

»Ich nehme den nächsten Zug und fahre nach Hause.«

»Jetzt fährt doch gar keiner mehr.«

»Das ist mir scheißegal! Mit dir in einem Zimmer zu bleiben, ausgerechnet heute, da müsste ich nur kotzen!«

»Bitte bleib hier und lass uns reden«, sagte Daniel leise.

»Über was denn? Willst du mir erzählen, wie toll du dich im Bett mit ihr amüsiert hast? Weißt du Daniel, wenn du dich neben mich legst, hast du entweder ein Buch in der Hand oder du schaust noch fern oder du rauchst angestrengt. Immer sieht man dir an, dass du müde bist und eigentlich nicht viel Lust hast auf Sex. Aber ich verstehe das auch. Wenn man so einen jungen Braten haben kann, dann nimmt man keine ausgedörrte Wurst, nicht wahr?«

»Das ist überhaupt nicht wahr und du bist eine sehr attraktive Frau.«

»Warum gehst du dann fremd, wenn du so denkst?«

Inzwischen hatte die Verzweiflung sie wieder übermannt und Clarissa sank kraftlos in den Sessel.

»Clarissa, ich weiß nicht welcher Teufel mich da geritten hat. Vielleicht war es so eine Art Midlife-Crisis.«

»Und jetzt erzählst du mir gleich, dass du sie nie geliebt hast, dass du immer nur mich geliebt hast und dass es nie wieder vorkommt, was?« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Daniel, das ist so billig, das ist ja wie in einem schlechten Film.«

»Ich weiß.« Er stand auf und lief nervös durch das Zimmer. »Clarissa, ich kann dir dazu nicht viel sagen. Ich bin ein Esel. Ein Riesenesel. Es tut mir furchtbar leid, ich würde es so gerne rückgängig machen wenn ich könnte!«

Clarissa schwieg und starrte auf das zerwühlte Bett.

»Wer ist sie überhaupt?«

»Sie ist die Sekretärin von Herrn Beckmann.«

»Aha. Hat sich gleich mal den Partner von Beckmann geschnappt. Und wann wollte sie mein Haus übernehmen? Ich nehme mal an, an den Kindern hatte sie nur wenig Interesse, die machen Arbeit.«

»So weit wäre es nie gekommen, Clarissa, glaub mir.«

Clarissa lachte bitter. »Klar, weil du immer nur mich geliebt hast, nicht wahr? Und mit ihr war das nur etwas Körperliches. Lass mich mal raten, du hast dich einsam gefühlt, ganz schrecklich einsam. Und dann kam sie und hat dich verführt, mit allen Tricks und du warst total machtlos. Und ständig geplagt von einem schlechten Gewissen mir gegenüber, was? Und wahrscheinlich erwartest du jetzt von mir sogar noch Verständnis dafür, weil du es so schwer hast, was?«

Daniel schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Vollidiot. Es tut mir leid. Mehr kann ich dir nicht sagen. Ich wünschte, du hättest das niemals herausgefunden.«

»Klar, denn jetzt ist die Sache ja beendet, nicht? Hätte ich es nicht herausgefunden, wie lange wäre es noch weiter gegangen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich wusste nicht, wie ich da wieder rauskommen sollte.«

»Oh«, sagte Clarissa. »Aber warum hast du denn nicht mit mir gesprochen? Du weißt doch, dass du über alle deine Probleme mit mir reden kannst!« Sie lachte, und erschrak selbst über den Klang ihres Lachens. Es war heiser, es klang böse. Es war ein Lachen, das Daniel Gänsehaut verursachte und ihn erschauern ließ.

»Werde bitte nicht sarkastisch, Clarissa, ich fühle mich schlecht genug.«

»Ich fahre jetzt nach Hause, Daniel.«

»Was wirst du jetzt unternehmen?«

Verächtlich musterte sie ihn von oben bis unten.

»Keine Ahnung. Vielleicht klage ich dich aus dem Haus raus, denn das werde ich natürlich behalten. Und die Kinder bleiben auch bei mir. Und ich werde mir jeden Cent von dir holen, den man mir vor Gericht zusprechen wird. Schließlich bin ich nach fünfzehn Jahren längst aus meinem Beruf als Krankenschwester raus und unsere Lebensplanung war ja auch nicht so gedacht, dass ich jemals wieder in diesem Beruf arbeiten sollte. Du wirst wohl zahlen müssen, mein Lieber. Ob du dir dann noch deine kleine Hure nebenbei leisten kannst, kann ich dir nicht versprechen.«

Daniel setzte sich wieder. »Das wäre gar nicht dein Stil.«

»Nicht?«

»Nein. Aber selbst wenn, ich hätte es verdient.«

»Richtig.«

»Ich würde dir gerne beweisen, dass es ein Ausrutscher war der sich nie mehr wiederholen wird.«

Clarissa schnaufte. »Klar. Du wirst mir jetzt alles Mögliche erzählen. Immerhin haben wir ein Haus gekauft und wir haben die Kinder und ich arbeite seit fünfzehn Jahren nicht mehr. Jedes Gericht dieser Welt würde mir einen Unterhalt zusprechen für die Kinder und mich dass du froh sein könntest, wenn du noch ein Bett hast, in das du dich zum Schlafen legen kannst, das ist dir auch klar, nicht? Jetzt geht es ans Geld, da kriegst du Angst, was?«

»Nein«, sagte Daniel, und er sah ihr fest in die Augen. »Wenn du mich wirklich verlassen willst, dann verstehe ich das. Und wir müssten uns auch nicht lange vor Gericht streiten. Ich würde dir natürlich das Haus lassen und dir so viel Geld überweisen wie du zum Leben brauchst. Darüber werde ich mich niemals mit dir streiten, du bist die Mutter meiner Kinder.«

»Das wäre ja auch das Letzte.«

»Ich würde aber gerne einen Weg finden um dir zu beweisen, dass es wirklich nur ein Ausrutscher war. Und dass ich dich immer noch liebe. Mehr als früher. An meiner Liebe zu dir habe ich nie gezweifelt. Ja, ich würde dir das gerne beweisen...«

Clarissa war unruhig im Zimmer auf und ab marschiert, nun setzte sie sich wieder in den harten Clubsessel.

»Wie willst du das anstellen? Glaubst du, ich werde jemals diese entsetzlichen Bilder los, die sich in meinem Kopf abspielen? Ohne Pause? Denkst du, ich könnte dir jemals wieder vertrauen?«

»Wahrscheinlich nicht so schnell. Aber irgendwann schon.«

Dicke Tränen rannen ihr über die Wangen.

»Daniel, ich sollte das jetzt nicht sagen, aber ich tu es trotzdem, auch wenn ich mich lächerlich mache. Ich habe dich über alles geliebt. Ich habe mich wohl gefühlt in unserer Ehe und ich hätte alles für dich getan, alles. Ich habe dir vertraut. Ich habe niemals, seit ich mit dir verheiratet bin, oder auch vorher, als wir nur zusammen waren, darüber nachgedacht, wie es wäre, mit einem anderen Mann zu schlafen. Und wenn ich entsprechende Angebote bekommen habe, wenn Männer mit mir geflirtet haben, dann habe ich das alles abgewehrt. Niemals hätte ich dich betrogen, weil du mir die ganze Welt bedeutet hast. Und was ist davon übrig?« Sie lachte bitter und wischte die Tränen weg. »Eine vierzigjährige Frau mit Speckröllchen an den Oberschenkeln und am Bauch, mit beginnender Zellulitis, mit Schwangerschaftsstreifen und mit Fältchen um die Augen. Die sich dreimal die Woche im Fitnesscenter quält und versucht, einigermaßen in Form zu bleiben. Eine Frau, die seit mehr als fünfzehn Jahren aus dem Beruf raus ist, die ihr ganzes Leben dir und der Familie gewidmet hat und jetzt vor den Scherben ihres Lebens steht.«

Sie weinte.

»Oh Daniel, das tut so weh, das ist so bitter. Das alles ist gar nicht das Schlimmste an der ganzen Sache. Das Schlimmste ist, dass du einer anderen etwas gegeben hast was mir so viel bedeutet und was ich von dir nicht mehr bekommen habe, schon seit Jahren nicht mehr. Dass dir eine andere gegeben hat, was ich dir so gerne gebe, was du aber von mir schon lange nicht mehr haben willst. Das bedeutet für mich, dass ich dir nichts wert bin. Du warst mir alles wert. Alles. Und das tut so schrecklich weh.«

»Du bist mir alles wert, Clarissa. Aber ich weiß, dass du die Leidenschaft vermisst hast. Und es tut mir so unendlich leid.« Er kniete sich vor sie, griff nach ihren Händen und vergrub seinen Kopf in ihrem Schoß. »Ich bin so ein Idiot. Bitte versuch doch mir zu verzeihen.«

»Wie könnte ich das? Könntest du mir verzeihen, wenn du mich mit einem rassigen Kerl erwischt hättest?«

»Ich habe keine Ahnung. Es wäre total hart für mich. Der Gedanke, dich könnte jemand anderes anfassen ist mir unerträglich.«

»Siehst du, mir auch. Aber ich muss diese unerträglichen Gedanken jetzt ertragen und ich habe dazu sogar noch den passenden Kinofilm im Kopf. Ich habe euer Liebesgeflüster gelesen und ich habe dich mit ihr zusammen erwischt. Wie soll ich das jemals vergessen, Daniel?«

Er weinte plötzlich. Lautlos. Aber sie spürte, wie heiße Tränen in ihren Schoß tropften, ihren Rock durchnässten.

»Mein Gott, was habe ich getan«, sagte er nach einigen Minuten tonlos. Sie schob ihn beiseite.

»Etwas Schreckliches, Daniel«, sagte sie, und sie griff nach ihrem leichten Sommermantel, den sie vorher ausgezogen und über die Lehne des Sessels geworfen hatte, und zog ihn über. »Etwas, was ich dir niemals verzeihen kann. Etwas, womit du fünfzehn Jahre meines Lebens wie einen schlechten Scherz dastehen lässt. Etwas, womit du mein Leben zerstört hast. Und das der Kinder.« Dann griff sie nach ihrer Handtasche.

»Wo gehst du jetzt hin?«

»Wie gesagt, ich nehme den nächsten Zug nach Hause.«

»Bleib doch bitte hier.«

Sie zog die Stirn in Falten. »Hier?« fragte sie, und deutete auf das zerwühlte Bett. »Hier soll ich bleiben? In dem Bett schlafen, wo du vor einer halben Stunde noch dein Betthäschen gevögelt hast? Ein Bett, das noch nach eurem Sex und ihrem Parfüm riecht? Nein danke.«

Sie trat aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Daniel lief ihr nach, aber sie war schneller und er schlug wütend auf die Aufzugtür, die sich hinter ihr geschlossen hatte. Als der Aufzug unten ankam, hetzte er gerade atemlos über die Treppe ins Foyer. Der Portier beobachtete leicht besorgt und mit gerunzelter Stirn die Szene, die sich abspielte.

»Lass mich in Frieden«, sagte Clarissa und sie schlug Daniels Arm beiseite. Schließlich raste sie durch die große Doppeltür des Hotels und stieg in eines der Taxis, die vor dem Eingang ihren Stand hatten. Daniel sah ihr nach, das konnte sie noch aus den Augenwinkeln erkennen.

»Zum Bahnhof«, sagte sie.

Am Bahnhof musste sie geschlagene drei Stunden warten, bis der nächste Zug nach Frankfurt fuhr, aber das war ihr egal. Wartehalle im Bahnhof oder Zugabteil, was spielte das schon für eine Rolle? Ihr Leben, das sie bis vor zwei Wochen noch für friedlich und harmonisch gehalten hatte, ein gutes Leben ohne Höhen und Tiefen, war am Nullpunkt angekommen. Noch vor einigen Wochen war sie lächelnd durch ihr Leben marschiert mit einem Gefühl der tiefen, inneren Zufriedenheit und des Glücks, mit einem Gefühl, als würde sie den Gral in den Händen halten. Jetzt war alles zerbrochen. Ein einziger Scherbenhaufen.

Erschöpft, aber hellwach traf sie am nächsten Morgen gegen elf Uhr am Frankfurter Bahnhof ein und bereits eine halbe Stunde später war sie zu Hause. Gerne hätte sie geschlafen, sie fühlte sich müde und zerschlagen als sie die Haustür aufschloss, aber sie hätte die nötige Ruhe nicht gehabt. Schließlich erinnerte sie sich an das Valium im Medizinschränkchen. Der Arzt hatte es ihr vor einigen Jahren verschrieben, als ihre Mutter gestorben war. Clarissa suchte auf der Packung nach dem Haltbarkeitsdatum. Die Tabletten waren erst vor Kurzem abgelaufen. Sie zuckte mit den Schultern, schluckte ein Valium und lief zielsicher zum Barschrank um sich einen Cognac zu holen. Aus dem einen wurde ein zweiter und schließlich fühlte sie sich schwindelig und so müde, dass die Welt neben ihr hätte untergehen können – Clarissa fühlte sich so erschöpft, dass sie einfach nur noch schlafen wollte. Allen Kummer vergessen und sich wenigstens für ein paar Stunden nicht mehr so schwer verletzt fühlen.