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Daniel atmete noch einmal tief ein, bevor er die Tür zu dem Café in der Frankfurter Innenstadt öffnete, in dem er verabredet war. Es war kein kleines Café und er hatte mit Absicht dieses gewählt. Nicht nur weil es leicht zu finden war, sondern auch weil es groß genug war, damit man als Person unter so vielen Menschen nicht besonders auffiel.

Es war früher Nachmittag und das Café war nicht besonders voll. Aber weil es so groß war, musste Daniel sich erst einmal sammeln um sich einen Überblick verschaffen zu können. Sie war noch nicht da. Zielstrebig steuerte er auf einen freien Tisch recht weit hinten in einer Ecke zu.

Er bestellte eine Tasse Kaffee bei der Kellnerin und blickte nervös immer wieder zur Tür. Schließlich holte er sein Smartphone aus der Tasche, rief seine privaten E-Mails ab und surfte ein bisschen im Internet. Er hasste es, wenn er warten musste. An diesem Tag hasste er es noch viel mehr, denn alleine dass er überhaupt hier saß war etwas, was eigentlich gar nicht sein durfte.

Fünfzehn Minuten später als verabredet nahm er plötzlich einen Duft wahr, der ihm sehr vertraut erschien.

»Anita,« begrüßte er sie. Höflich stand er auf um ihr die Hand zur Begrüßung zu reichen, ganz auf Distanz bedacht.

Anita warf lachend und mit einer schwungvollen, gekonnten Bewegung ihre Haare nach hinten. »So sehr auf Abstand?« lachte sie.

Auch Daniel lachte, aber es war ein hilfloses, verlegenes Lachen. Anita machte einen Schritt auf ihn zu und presste sich an ihn, küsste ihn rechts und links um gleich darauf ihm gegenüber Platz zu nehmen.

Ihre Augen glänzten. Gut sah sie aus. Viel zu gut.

»Dir geht es gut, wie ich sehe,« sagte Daniel.

»Ja,« antwortete sie und schenkte ihm erneut ein strahlendes Lächeln. »Es geht mir sogar so richtig gut. Zumindest beruflich. Doktor Dressler und ich haben uns sozusagen voneinander getrennt. Ich arbeite jetzt nicht mehr im Sekretariat, ich bin im Vertrieb.«

Elegant schlug sie ihre Beine übereinander und winkte selbstbewusst die Kellnerin heran. »Einen Kaffee bitte! Und Sie haben vorne in der Theke Schokoladentorte stehen, davon hätte ich gerne ein Stück.«

»Gerne,« sagte die Kellnerin.

»Im Vertrieb,« wiederholte Daniel ihre Worte. »Dann kommst du viel rum, was?«

»Ach ja. Es ist mit viel Stress verbunden, viele Übernachtungen, aber warum nicht? Es macht letztlich auch Spaß. Was ich vorher bei Dressler verdient habe, ist jetzt fast schon mein Fixgehalt. Dazu bekomme ich Provision und ich fahre einen schicken Dienstwagen. Das Spesenkonto deckt nicht nur die Übernachtungen in netten Hotels ab, sondern auch sonst noch ein paar Extras. Ja doch, Daniel, es geht mir gut.«

»Das freut mich, Anita. Auch wenn ich mich wundere, dass du mich immer noch gelegentlich anrufst oder mir schreibst.«

In diesem Moment brachte die Kellnerin den Kaffee und die Torte, über die sich Anita mit großem Appetit hermachte.

»Warum wundert dich das?« Sie lachte.

»Weil es vorbei ist und wir das eigentlich geklärt hatten. Ich habe so ein bisschen den Eindruck, dass du nicht respektieren möchtest, dass ich die Sache beenden möchte.«

»Ist denn irgendwas zwischen dir und mir passiert?« Sie seufzte und lehnte sich zurück. »Daniel, es ist inzwischen mehr als ein Jahr her. Klar habe ich dich angerufen. Und klar schreibe ich dir ab und zu. Warum nicht? Wir hatten eine tolle Zeit oder etwa nicht?«

Daniel räusperte sich.

»Ja, die hatten wir. Es ist aber so, dass ich solche Sachen einfach nicht mehr bringen kann. Es war eine Katastrophe, fast wäre meine Ehe daran zerbrochen. Clarissa ist daran sowieso zerbrochen und es hat lange gedauert, bis sie emotional wieder auf die Füße gekommen ist. Und jetzt sitze ich schon wieder hier mit dir.«

»Du hättest ja nicht kommen müssen, Daniel. Irgendetwas zieht dich doch auch noch in meine Richtung oder etwa nicht?«

»Nein. Die Frage ist nur warum du nicht locker lässt.«

Erneut lachte Anita. Sie lehnte sich zurück, nippte an ihrem Kaffee und sah ihn lange an.

»Warum ich nicht locker lasse? Daniel, du bist ein toller Mann. Ich habe deine Frau erlebt. Ich weiß, was wir beide miteinander hatten. Es war eine geile Zeit und ich für meinen Teil war sehr verliebt in dich. Das bin ich immer noch. Und ich glaube nun einmal nicht, dass du lebenslang mit deiner Frau zusammenbleiben wirst.«

»Warum nicht?« Daniel klickte nervös auf seinem Smartphone herum. »Warum glaubst du das nicht, nachdem ich meine Entscheidung getroffen habe?«

Ihr Lachen klang heiser, aber schließlich fing sie sich wieder und lehnte sich nach vorne. Aufreizend gewährte sie ihm Einblick auf ihre wohlgeformten Brüste, deren Ansatz er durch den tiefen Ausschnitt besser sehen konnte als ihm lieb war. Provozierend sah sie ihm in die Augen.

»Weil du es bist, Daniel. Und weil ich weiß wie es zwischen uns gewesen ist. Und ich habe deine Frau gesehen.«

Daniel legte sein Smartphone beiseite und begann ersatzweise mit dem Kaffeelöffel unsichtbare Linien auf dem Tisch zu zeichnen.

»Meine Frau ist wundervoll und ich hatte es leider mal für einen kurzen Zeitraum vergessen.«

»Du bist wundervoll, Daniel. Und deine Ehe, dein ganzes Leben ist langweilig. Das hast du immer gesagt und ich habe es gesehen, als sie dieses Hotelzimmer gestürmt hat. Ich weiß dass du dich nach Leidenschaft sehnst und dass du es krachen lassen möchtest, statt diese hausbackenen Nummern durchzuziehen.«

Erneut lachte sie.

Daniel schnaufte. »Ach Anita, ich habe mich nicht grundlos für meine Frau und gegen dich entschieden. Ich liebe Clarissa.«

»Jaja,« sagte Anita. Sie nahm ihn nicht ernst. »Denk nicht, ich hätte niemals meinen Spaß. Ich komme viel herum. Ich habe Kunden in Frankfurt, in Berlin, in Hannover, in Bonn und sogar im allertiefsten Osten. Da ergibt sich so manche Gelegenheit.«

»Und was willst du dann von mir?«

»Gar nichts, wenn du es nicht willst, Daniel. Ich glaube kaum, dass ich zu den Frauen gehöre, die es nötig haben zu betteln. Ich möchte mich in Erinnerung bringen denn ja, für mich warst du der Mann meines Lebens. Mir ist klar, dass du dich nicht anders entscheiden konntest, da sind die Kinder, der Job, das Haus. Und wahrscheinlich warst du noch nicht soweit. Aber eines Tages wirst du soweit sein und dann will ich nicht so weit weg sein.«

Daniel lachte.

»Dann hast du es wohl doch nötig. Normalerweise, so wie du aussiehst, könntest du doch jeden haben.«

»Vielleicht habe ich trotz all meiner Weiblichkeit ein paar männliche Gene«, lachte sie. »Vielleicht möchte ich nur das haben, was ich nicht haben kann. Wie auch immer Daniel, ich konnte dich nicht vergessen und vielleicht will ich es auch nicht.«

»Die Zeit der Ficks in Hotelzimmern ist für mich einfach vorbei,« antwortete Daniel.

»Du missverstehst mich,« sagte Anita und beugte sich erneut vor. Sie sah ihm tief in die Augen. »Einen Fick in einem Hotelzimmer kann ich immer und überall haben, wenn ich will. Ich will aber dich und ich will dich mit Haut und Haar. Und vielleicht kriege ich dich eines Tages.«

Wieder lachte sie.

»Dranbleiben ist alles, wie im Vertrieb.«

Sie nahm ihre Tasse auf und trank in kleinen Schlucken, von ein paar Pausen unterbrochen ihren Kaffee. Während der ganzen Zeit sah sie Daniel an. Er konnte ihren Blick nicht erwidern. Er malte weiterhin unsichtbare Linien mit dem Löffelchen auf den Tisch und schaute im Café überall hin, nur nicht ihr in die Augen.

»Keine Ahnung, warum du mich für so eine große Nummer hältst,« sagte er schließlich und erhob sich. »Aber ich gehe jetzt. Das mit uns ist aus. Daran gibt es nichts zu rütteln.«

Er griff nach einem Schein und legte ihn auf das Tablett, das auf dem Tisch stand. »Das sollte auch für deinen Kaffee und die Torte reichen.«

Als er das Café verließ spürte er selbst, dass sein Gang irgendwie schwach war, kraftlos, ohne jede Energie.