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Am Wochenende darauf veranstalteten
Clarissa und Daniel eine Abschiedsparty, zu der sie ihre besten
Freunde eingeladen hatten. Klein und überschaubar, insgesamt sechs
Gäste. Weder Clarissa, noch Daniel neigten dazu, sich mit allzu
vielen Menschen einzulassen. Beide hatten eher auf langjährige
Freundschaften gesetzt, Menschen auf die sie sich verlassen
konnten. Anja erschien selbstverständlich mit ihrem
Lebensabschnittsgefährten Erik, den weder Clarissa noch Daniel
besonders mochten. Letztlich aber war er ihr aktueller Freund,
relativ harmlos und seine Zeit in Anjas Armen war absehbar.
Frederic kam mit seiner Frau Dagmar. Frederic hatte bereits mit
Daniel Betriebswirtschaft studiert und war seit Jahren
Geschäftsführer seiner eigenen, kleinen Firma. Er hatte
geschäftlich gesehen ein hartes Jahr hinter sich und war froh, mit
seiner Firma überhaupt überlebt zu haben. In den letzten Monaten
hatten sie sich nicht sehr oft gesehen. Am Tag von Clarissas
Ausstellung in Patrizias Galerie hatten die beiden es sich
allerdings nicht nehmen lassen, trotz der schwierigen
geschäftlichen Situation, sich kurz dort sehen zu lassen. Mit
Dagmar hatte Clarissa sich relativ schnell anfreunden können, sie
war unkompliziert, fröhlich, wenn auch manchmal etwas laut, aber
immer gut gelaunt. Als letzte Gäste erschienen Klaus und Britta.
Die beiden hatten einen Sohn in Damians Alter und Clarissa hatte
sie auf einem Elternabend in der Grundschule kennen gelernt. Sie
hatten relativ schnell gemeinsame Interessen entdeckt und viel Zeit
miteinander verbracht, bis sie auch ihre Männer eines Tages
zusammenführten. Auch diese hatten sich auf Anhieb gut verstanden
und sich viel zu sagen gehabt.
Wie
immer hatte Clarissa sich mit dem Partybuffet sehr viel Mühe
gegeben: Lauter hausgemachte Spezialitäten, von denen sie bereits
seit Jahren wusste, dass es Partyrenner waren: Selbst gemachtes
Aioli, Tsatziki, kalte Frikadellen mit Schafskäsefüllung,
Balkan-Salat wie auch ganz einfachen Kartoffelsalat. Jede Menge
Käsehäppchen, Schinkenröllchen und gefüllte Eier. Für all das hatte
Clarissa den ganzen Tag in der Küche gestanden, aber sie hatte
alles zubereitet mit einer Treffsicherheit und Routine, wie es nur
Hausfrauen fertig bringen, die sich seit vielen Jahren mit solchen
Dingen befassen. Clarissa liebte es, kleine Zusammenkünfte zu
organisieren und Büffets zu arrangieren. Klaus hatte seine Gitarre
mitgebracht. Er war ein lausiger Gitarrist und wusste das auch,
aber die Songs die er mehr schlecht als recht spielen konnte,
kannte jeder und es fand sich stets jemand, der gerne mal lauthals
»Let It Be« oder ein ähnlich bekanntes Lied mitsang. Diese kleinen
Einlagen sorgten auf Partys immer für viel Gelächter und
ausgelassene Stimmung. Auch wenn sie nur mit acht Personen im
Wohnzimmer saßen, diese Zusammenkünfte waren der Beweis dafür, dass
eine gute Party nicht von der Anzahl der Gäste abhing, sondern von
den Menschen, die hier zusammenkamen. Man kannte sich jahrelang
sehr gut, auch untereinander und voneinander unabhängig und somit
hatte jeder in diesem kleinen Kreis allen anderen regelmäßig viel
zu erzählen. Es kam nie Langeweile auf.
Gegen zehn klingelte es noch einmal an der Tür und Clarissa warf Daniel einen mahnenden Blick zu, denn er sang gerade sehr laut und sehr falsch »Lady in Black«.
»Unsere Nachbarn haben dafür offensichtlich kein Verständnis«, sagte sie grinsend. Daniel ließ sich nicht beirren.
»Unsere Nachbarn sollen sich nicht so anstellen!« sagte er.
Er sah Klaus ermutigend an und sofort fing dieser an, die Strophe noch einmal zu spielen, an der sie durch das Klingeln unterbrochen worden waren. Clarissa eilte indes zur Tür. Sie erstarrte vor Schreck, als sie in Patrizias wasserblaue Augen blickte.
»Oh!« rief sie erstaunt aus.
Patrizia sah ein wenig schüchtern ins Wohnzimmer, eine Schüchternheit, die Clarissa von ihr überhaupt nicht kannte. Sie hatte einen Strauß Blumen in der Hand, den sie Clarissa entgegenhielt.
»Ich wollte mich auch von dir verabschieden«, sagte sie, und sah Clarissa dabei fest in die Augen. Clarissa bemerkte, dass Patrizias Hände zitterten. So sehr, wie ihre eigenen Hände.
»Woher weißt du ...«
Patrizia zog sie in die Küche. Clarissa bemerkte Daniels Blick, zunächst ungläubig, dann fassungslos, und sie hoffte inständig, dass er nicht explodieren würde.
»Woher ich weiß dass du diese kleine Party veranstaltest?«
Clarissa nickte.
»Ich
habe Anja getroffen, es war ein Riesenzufall. Wir kaufen wohl beide
in der gleichen Boutique ein. Sie hat mir erzählt, dass sie heute
auf deine Abschiedsparty geht und ist wohl irgendwie davon
ausgegangen dass ich auch eingeladen wäre.«
Clarissa starrte ein wenig beschämt zu Boden.
»Nur weil ... ich meine ... Clarissa, du musst mich doch jetzt nicht aus deinem Leben verbannen, oder willst du mich nie wieder sehen?«
»Daniel weiß Bescheid«, sagte Clarissa. »Ich habe es ihm erzählt.«
Patrizia nickte. »Prima, dann gibt es ja keine Geheimnisse mehr. Aber das sagtest du ja neulich schon am Telefon. Bevor du einfach den Hörer aufgeknallt hast.«
Im gleichen Moment erschien Daniel in der Küchentür.
Er starrte Patrizia wütend an.
»Das wagst du dich«, zischte er. »Tatsächlich! Du wagst dich hierher zu kommen?«
»Daniel bitte«, sagte Clarissa.
Daniel wandte sich zu Clarissa um.
»Kannst du dir vorstellen, wie ich mich fühle, wenn sie hier ist?«
»Ja. Und es tut mir leid. Ich habe sie nicht eingeladen. Bitte, Patrizia, sei so nett und geh` wieder, das funktioniert nicht. Ich habe meinen Mann genug verletzt.«
Patrizia wandte sich direkt an Daniel und sah ihm herausfordernd in die Augen.
»Ich weiß nicht warum du dich so anstellst, du hast doch gewonnen!« sagte sie. »Sie hat immer gesagt, dass sie dich niemals verlassen würde und am Ende hat sie mich verlassen, weil sie sich für dich entschieden hat! Ich bin die, die sich die Augen aus dem Kopf heult, Daniel. Du hast gewonnen.«
»Ja«, sagte Daniel. Er kniff die Augen zusammen. »Das heißt aber noch lange nicht, dass wir beide jetzt beste Freunde werden. Ich möchte dass du gehst.«
Patrizia seufzte und setzte sich provokant auf einen Küchenstuhl.
»Weißt du, ich will dir deine kleine Party nicht ruinieren. Aber ich werde mich doch hoffentlich noch von der Frau verabschieden können, die ich liebe. Oder? Alle eure Freunde verabschieden sich doch heute von euch, auch wenn ihr euch wahrscheinlich weiterhin gegenseitig Besuche abstatten werdet.«
»Bist du dazu eingeladen?« fauchte Daniel. »Wenn du ein Mann wärest, meine Liebe, würden wir beide das jetzt vor der Haustür austragen.«
»Ihr werdet gar nichts austragen«, sagte
Clarissa, und sie schloss die Küchentür, damit ihre Freunde das
Gespräch nicht verfolgen konnten. Auch wenn sie lauthals lachten
und sangen und sich wenig um das kümmerten, was in der Küche vor
sich ging.
»Wir,
Daniel, werden jetzt wieder zu unseren Gästen gehen. Und du
Patrizia, sei mir nicht böse, aber dass ich dich nicht eingeladen
habe, hatte einen Grund, nämlich genau diesen. Dass du hier
auftauchst, ist rücksichtslos meinem Mann
gegenüber.«
»Ich konnte doch nicht ahnen, dass du es ihm wirklich erzählt hast! Ich dachte du bluffst!«
»Ob mein Mann es weiß oder nicht, das spielt keine Rolle, ich habe die Sache beendet und du kannst dich nicht ungefragt selbst einladen. Es hat einen Grund, wie gesagt, warum ich dich nicht eingeladen habe.«
»Muss man denn gleich zu Feinden werden, nur weil man auseinander geht?« fragte Patrizia.
»Sag mal, du Schnepfe, du bist entweder ein bisschen dümmlich oder total skrupellos, kannst dir was aussuchen!« schimpfte Daniel. »Auf jeden Fall wirst du jetzt mein Haus verlassen, ist das klar?«
Daniel hatte sich drohend vor ihr aufgebaut und Clarissa sah, dass er sich ernsthaft beherrschen musste. Daniel war kein Mann der Frauen schlug, aber so wie er sich vor Patrizia aufgebaut hatte, war Clarissa sich in diesem Moment gar nicht mehr so sicher, ob er sich tatsächlich beherrschen konnte. Patrizia sah ihn für einen Moment von oben bis unten an, dann drückte sie Clarissa die Blumen in die Hand, die sie noch immer nicht angenommen hatte und verließ mit hoch erhobenem Kopf das Haus.
»Schade«, sagte sie, bevor Clarissa die Haustür hinter ihr schloss. »Ich dachte wirklich, wir könnten einfach irgendwie Freundinnen bleiben.«
»Das geht nicht Patrizia«, sagte Clarissa leise. »Du siehst doch, wie verletzt er ist.«
»Ja«, sagte Patrizia. »Ich verstehe ihn ja auch. Aber ich ...«
Sie unterbrach sich und sah zu Boden. »Adieu«,
sagte sie, und wandte sich zum Gehen. Clarissa schloss die Haustür
und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Sie musste kurz durchatmen.
Es tat ihr alles so leid. Patrizia tat ihr leid. Und sie fühlte
sich schuldig, schuldig Daniel gegenüber, schuldig Patrizia
gegenüber.
Daniel
ging langsam und bedächtig wieder ins Wohnzimmer zurück und setzte
sich zu den Freunden, die fast alle, bis auf Anja, überhaupt nicht
bemerkt hatten, dass in der Küche etwas vorgefallen war. Etwas, was
Daniel sehr gekränkt hatte und sowohl ihm, als auch Clarissa die
Laune verdorben hatte. Clarissa zog sich für einen Moment ins
Badezimmer zurück um sich wieder zu beruhigen. Die plötzliche,
unerwartete Konfrontation mit Patrizia machte ihr sehr zu schaffen.
Auch die Art und Weise wie Daniel sie behandelt hatte, tat ihr
leid. Aber sie verfluchte sich selbst am allermeisten. Natürlich
ging es Patrizia schlecht. Es musste sie eine unglaubliche
Überwindung gekostet haben, an diesem Abend hier aufzutauchen. Sie
liebte sie, das war Clarissa bewusst. Sie hatte irgendwann einmal
damit gerechnet, dass sie Clarissa vielleicht eines Tages doch ganz
für sich erobern konnte. Und sie hatte einsehen müssen, dass das
nicht ging. Sie hatte verloren. Trotzdem war sie sich nicht zu
schade dafür, bei ihr aufzutauchen, mit dem vollen Wissen,
Clarissas Mann zu begegnen, ein glückliches Pärchen erleben zu
müssen. Das hatte sie in Kauf genommen. Clarissa fühlte sich
scheußlich, egoistisch, denn auf gewisse Weise hatte sie mit
Patrizia gespielt. Sicher, Patrizia hatte sie verführt und nicht
umgekehrt. Und sicher, sie hatte ihr nie etwas versprochen das sie
nicht gehalten hatte, sie hatte ihr nie etwas vorgemacht. Aber
letztlich hätte ihr klar sein müssen, dass es für Patrizia mehr war
als pure Lustbefriedigung und Abenteuer und dass sie diese Frau
verletzen würde durch die Art und Weise wie sie das Verhältnis
beendet hatte. Patrizia erwartete wenigstens weiter bestehende
Freundschaft von ihr und das konnte sie ihr nicht geben, weil es
Daniel verletzen würde. Egal wie sie es drehte und wendete, einer
der beiden würde sich immer verletzt fühlen und Clarissa hasste
sich dafür, dass sie Patrizia so wehgetan hatte. Schließlich ging
sie wieder nach unten und setzte sich zwischen ihre Freunde. Beide,
sie und Daniel waren für den Rest des Abends eher ruhig, auch wenn
sie trotzdem versuchten zu lachen und ihren Freunden gute Gastgeber
zu sein. Anja beobachtete sie ständig aus den Augenwinkeln. Als
gegen zwei Uhr alle bis auf Anja und Erik gegangen waren, begann
Clarissa den Tisch abzuräumen und Anja eilte sofort herbei um ihr
zu helfen.
»Was war das vorhin mit Patrizia in der Küche?« fragte sie.
»Das? Ach ... nichts weiter.«
»Hey«, sagte Anja. »Ich kenne dich viel zu gut, also, was war da los?«
»Sie wollte sich verabschieden.« Clarissa räumte die Spülmaschine ein.
»Soso. Und warum hat sie sich nicht zu uns gesetzt und mitgefeiert? Und warum habt ihr hinterher beide so bedrückt ausgesehen, du und Daniel? Und überhaupt, es wundert mich, dass Patrizia offensichtlich nicht mal eingeladen war! Ihr habt doch nun monatelang unheimlich viel Zeit miteinander verbracht.«
Clarissa setzte sich auf den Stuhl auf dem Patrizia vor wenigen Stunden noch gesessen hatte.
»Weil ... ach Anja, warum soll ich dich anlügen, ich hatte was mit Patrizia.«
»Du hattest ...?« Anja lachte, sie hielt sich den Bauch vor Lachen und schließlich hörte sie plötzlich auf und sagte: »Verarsch mich nicht.«
»Tu ich nicht. Ich hatte was mit ihr.«
»Ach du Scheiße«, sagte Anja. »Ich wusste, dass Patrizia lesbisch ist, sie macht da ja keinen Hehl draus.«
»Nein, wohl nicht.«
»Aber Clarissa, du?«
»Ja, ich! Ich hab mich hinreißen
lassen.«
»Soso.«
Anja seufzte. »Das muss ich jetzt erst mal wegstecken. Wenn es dir
recht ist, komme ich morgen Nachmittag noch mal vorbei, da können
wir reden. Seitensprung mit Patrizia, tsss ...unglaublich!« Sie
schüttelte den Kopf.
»Es war kein einmaliger Seitensprung, ich hatte etwas mehr als drei Monate lang ein Verhältnis mit ihr.«
Anja starrte sie ungläubig an. »Okay. Ich fahre jetzt nach Hause, ich muss das ehrlich erst mal verarbeiten. Es ist auch schon spät und ich hab was getrunken. Ich glaube, ich bin heute kein guter Gesprächspartner mehr.«
Sie lief in den Flur und griff nach ihrem Mantel.
»Erik!« rief sie. Der eilte sofort dankbar herbei. Er hatte neben einem äußerst schweigsamen Daniel auf dem Sofa gesessen und nur darauf gewartet, dass Anja ihn endlich zum Gehen aufforderte. Clarissa schloss die Tür hinter ihnen ab und setzte sich zu Daniel.
»Ich kann es nicht fassen«, sagte er. »Sie hat mit dir monatelang ein Verhältnis und dann kommt sie hier her? Sie kommt einfach her! Wie wäre dir zumute gewesen, Clarissa, wenn Anita hier aufgetaucht wäre?«
»Daniel, genauso wahrscheinlich aber ich kann doch nichts dafür. Ich habe sie nicht eingeladen.«
»Das wäre ja auch noch schöner gewesen!«
»Daniel bitte, ich sag es jetzt noch mal, ich kann nichts dafür! Ich habe sie nicht eingeladen!«
»Woher wusste sie denn, dass wir heute feiern?«
»Von Anja. Anja hat sie in einer Boutique getroffen und sich mit ihr unterhalten. Sie hat sie auf die Party angesprochen weil sie davon ausgegangen ist, dass sie auch kommt.«
»Na prima, dann kann ich mich ja bei Anja bedanken.«
»Daniel, Anja wusste nicht was da gelaufen ist, sie wusste nur, dass ich bis dahin viel Zeit mit Patrizia verbracht habe und dass sie meine Agentin ist, unter normalen Umständen wäre es ja auch logisch gewesen, sie einzuladen.«
Daniel schnaufte. »Clarissa, ich gehe jetzt schlafen, ich mag nicht mehr diskutieren. Ich habe getrunken, das geht nicht gut aus. Ich will nie wieder mit dieser Frau konfrontiert werden, das ist wirklich kein schönes Gefühl.«
Clarissa fühlte, wie der Zorn in ihr aufstieg, als Daniel sich anschickte, die Treppenstufen nach oben zu steigen.
»Gut, dann geh jetzt ins Bett und lass mich ruhig mitten im Gespräch stehen, aber vergiss bitte nicht, dass ich einen noch viel schlimmeren Anblick verkraften musste!«
Daniel wurde bleich und machte auf dem Absatz kehrt.
»Ja, das musstet du. Aber seit dem, Clarissa, tu ich alles für dich, ich tu alles um diesen schrecklichen Fehler wieder gut zu machen, den ich begangen habe und jetzt ist es für mich einfach ein Riesenschock, der Frau gegenüber zu stehen, die monatelang mit meiner Frau gevögelt hat, okay?«
»Kann ich verstehen Daniel, aber du darfst nicht vergessen, dass ich dich damals erwischt habe, ansonsten wäre dein Verhältnis vielleicht noch monatelang weitergegangen. Ich hingegen habe meines von selbst beendet und vor allem, du hast es von mir erfahren, ich habe dir alles gebeichtet. Alleine daran solltest du eigentlich sehen, dass die Sache beendet ist und wenn sie hier auftaucht, dann kann ich dafür nichts!«
Daniel schnaufte und begann wieder, die Treppen nach oben zu steigen. Nun drehte er sich erneut um.
»Clarissa, ich sag dir nur eins, ich will diese Frau nie wieder sehen müssen und ich dulde sie nicht in meinem Haus, lass dir das gesagt sein. Egal unter welchen Umständen und auch in hundert Jahren nicht! Und du brauchst hier gar nicht meine Fehler gegen deine Fehler aufzuwiegen, wir haben beide schwerwiegende Fehler gemacht! Aber niemals und unter keinen Umständen hätte ich dich auch noch mit meinem Fehltritt konfrontiert! Ich habe dich um Verzeihung gebeten, ich habe alles für dich getan, ich habe mich damit abgefunden, dass du mich über Monate, mehr als ein Jahr lang, täglich dafür bestraft hast was ich getan habe. Ich habe den Eindruck dass du jetzt, nachdem du den gleichen Mist gebaut hast, irgendwie der Meinung bist, jetzt sind wir quitt und ich hätte den Mund zu halten! Und ich halte meinen Mund nicht, ich will diese Frau nie wieder sehen und du wirst sie auch nicht wiedersehen, ansonsten war es das für mich! Und jetzt gehe ich schlafen. Gute Nacht!«
Clarissa setzte sich noch auf eine
Zigarettenlänge ins Wohnzimmer und starrte vor sich hin.
Schließlich schenkte sie sich noch einen Cognac ein. Ihr Tröster
seit mehr als einem Jahr. Und ach ... wahrscheinlich schon viel
länger. Nur hatte sie früher nie drüber nachgedacht. Liebe war
schon seltsam. So unvollkommen. Und in den meisten Zeiten des
Lebens überhaupt nicht romantisch: Meist war die Liebe wohl eher
ein Kampf ums Überleben und um die Machtverhältnisse. Irgendjemand
wurde immer verletzt, sobald Gefühle existierten.
Für
Daniel empfand sie tiefe Liebe. Und für Patricia? Sympathie,
Leidenschaft. Neugier auf das Unbekannte. Der Reiz des Abenteuers.
Das genügte nicht für das, was Patrizia sich von ihr erhofft hatte.
Und jetzt hatte sie einen Riesenärger mit Daniel, denn keine Frage,
sie konnte verdammt gut nachvollziehen wie er sich fühlte.
Andererseits tat ihr auch Patrizia leid, denn offensichtlich – und
das hatte Patrizia ja auch immer wieder beteuert – war es für sie
mehr gewesen als Verliebtheit und Leidenschaft und Abenteuer. Ihren
Blick, den sie anfangs als schüchtern eingestuft hatte, würde sie
wahrscheinlich nie wieder vergessen können, denn plötzlich wurde
ihr klar, dass dieser Blick mit Schüchternheit überhaupt nichts zu
tun hatte. Patrizia liebte sie und sie litt sehr unter dem Verlust.
Sie selbst hatte die Sache beendet, Daniel alles gebeichtet und war
danach einfach zur Tagesordnung übergegangen. Klar, dass Patrizia
das nicht konnte. Clarissa kam sich sehr schäbig vor. Patrizia litt
wahrscheinlich fürchterlich, während sie sich wieder voll ihrem
Familienleben gewidmet hatte, ihren Blick auf den Umzug gerichtet
hatte und im Geist eigentlich schon in Köln in dem neuen Haus
lebte. Sie hätte so gerne etwas für Patrizia getan, irgendetwas das
ihr helfen würde, darüber hinwegzukommen, aber natürlich war da
nichts, was sie für sie tun konnte. Außer aus ihrem Blickfeld zu
verschwinden und darauf hoffen, dass sie sich eines Tages in eine
andere Frau verlieben würde.