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In den kommenden zwei Wochen regelte Daniel bereits alles, was es zu regeln gab. Er sagte die Stelle in Köln zu und kündigte zum 28. Februar seine Anstellung in Frankfurt, nachdem er den unterschriebenen Vertrag mit der Kölner Firma in der Tasche hatte. In der alten Firma ließ man ihn großzügig zum 1. März gehen, denn den Chefs dort war durchaus klar, dass Daniel eine Abfindung zustand, falls man ihn aus geschäftlichen Gründen entlassen müsste. Und leider sah ja alles danach aus. Daniel war immerhin schon viele Jahre in dieser Firma tätig und hatte sie praktisch mit aufgebaut. Wen interessierten da noch Kündigungsfristen?

»Es ist wohl normal, dass die Ratten das sinkende Schiff verlassen«, hatte der direkte Geschäftsführer gesagt. Als sei in den letzten Wochen nicht ausgerechnet Daniels Stelle ausgiebig diskutiert worden. »Ich wünsche Ihnen viel Glück.«

Daniel schloss einen Mietvertrag für das neue Haus in Köln ab und versprach Clarissa, bei nächster Gelegenheit ein Wochenende mit ihr in der neuen Heimatstadt zu verbringen. Das Haus musste eingerichtet werden und das wollte er mit ihr gemeinsam tun. Die Möbel, mit denen sie bisher gelebt hatten, sollten verkauft oder verschenkt werden, soweit es ging. Daniel wollte einen völlig neuen Anfang und Clarissa begrüßte diese Denkweise, denn für neue Möbel wäre es ohnehin langsam an der Zeit gewesen. Sie hatten zwei Kinder mitmachen müssen und trugen entsprechende Spuren. Nur die Sache mit Patrizia machte ihr weiterhin Sorgen.

»Ich wusste nicht, wie ich aus der Nummer wieder rauskommen sollte.«

Das hatte Daniel damals zu ihr gesagt. Nun wusste sie, wie sich das anfühlte. Auch sie wusste nun im Grunde nicht, wie sie aus dieser Nummer wieder rauskommen sollte. Sie war so lange mit ihrem Mann zusammen. Im Beenden von Beziehungen war sie nun mal nicht sehr erfahren. Aber besser war es sicher, vorzeitig damit anzufangen als abzuwarten, bis die Situation eskalierte. Und vor allem war es wichtig, jetzt sehr bald schon mit Patrizia zu sprechen, statt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Und so fuhr sie in der zweiten Januarwoche zu Patrizia nach Hause. An diesem Nachmittag war sie ohnehin mit ihr verabredet. Sie traf Patrizia im Sportdress an. Offensichtlich hatte sie gerade trainiert. Sie sah wirklich sexy aus in diesem hautengen Dress, der ihre schmale Taille und ihre ansonsten großzügigen Proportionen noch mehr betonte als ihre sonstige Kleidung.

»Warum wirkst du so ernst, Liebes?« fragte Patrizia.

»Ich muss mit dir sprechen.«

»Doch nicht schon wieder wegen der Sache in der Sauna?«

»Wie kommst du darauf?« fragte Clarissa. »Ich habe dazu mein Statement abgegeben und die Sache ist vorbei, oder?«

Clarissa hatte sich zwar in den letzten zwei Wochen ein wenig von ihr distanziert, aber sie hatten sich gesehen, sie hatten sich geliebt, sie hatten viel Zeit miteinander verbracht, wenn auch nicht so viel wie vorher. Die Sache mit der Sauna war ihrer Meinung nach auch längst ausdiskutiert.

»Okay«, sagte Patrizia. »Ich hoffe, dass du mir nicht mehr böse bist. Ich weiß ja dass ich mich blöd benommen habe.«

»Ich muss mit dir über etwas anderes sprechen.«

Clarissa setzte sich im Wohnzimmer auf das Sofa und starrte in die lodernden Flammen im Kamin. Patrizia verstand sich wirklich darauf, es sich zu Hause gemütlich zu machen. Auf dem Tisch standen bereits eine Flasche Sekt im Kühler und zwei Gläser. Natürlich, sie waren ja auch verabredet gewesen. Patrizia setzte sich in den Sessel neben dem Sofa und wischte sich mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn und aus dem Nacken.

»Was hast du auf dem Herzen, Schatz?«

Clarissa atmete tief ein.

»Ich weiß nicht wo ich anfangen soll.«

»Am Anfang«, sagte Patrizia. Sie lächelte, aber sie wirkte ein wenig zaghaft. Es war nicht zu übersehen, dass dies ein ernstes Gespräch werden würde. Patrizia mochte äußerlich selbstbewusst wirken, aber ihr ganzes kokettes und extravagantes Auftreten war nur die Überspielung ihrer Unsicherheiten, so viel hatte Clarissa in den letzten Monaten gelernt. Patrizia gab sich als mondäne Geschäftsfrau, die den Spaßfaktor des Lebens gerne auskostete, aber eigentlich war sie sanft, zartfühlend und wie Clarissa inzwischen bewusst war: Sehr verletzlich und lange nicht so selbstbewusst, wie sie vorgab.

»Patrizia, bei meinem Mann haben sich ernste berufliche Veränderungen ergeben.«

»Wird er arbeitslos?« fragte Patrizia.

»Nein. Er tritt eine neue Stelle an.«

»Gut, und was geht mich das an?«

»Die neue Stelle ist in Köln. Er fängt am 1. März an.«

Patrizia wurde bleich. »Heißt das etwa, ihr zieht nach Köln?«

Clarissa nickte. »Für immer?«

»Naja, es sieht so aus.«

»Und was wird aus uns?«

Clarissa starrte auf ihre Füße. Solche Gespräche lagen ihr überhaupt nicht. Sie hasste diese Situation. Es war an die zwanzig Jahre her, dass sie das letzte Mal ein solches Gespräch hatte führen müssen.

»Patrizia, wir müssen das beenden. So oder so. Auch wenn wir nicht umziehen würden. Aber den Umzug nehme ich zum Anlass.«

»Aber ich könnte doch meine Galerie nach Köln verlegen, das wäre überhaupt kein Problem! Köln ist eine tolle Stadt!«

»Ich weiß, dass du das tun könntest und es auch tun würdest. Aber darum geht es nicht nur, Patrizia.«

»Du willst unsere Beziehung beenden?«

Clarissa nickte.

»Einfach so?«

»Nein, nicht einfach so. Nach langem Nachdenken. Nach mehreren Monaten mit einem verdammt schlechten Gewissen. Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen.«

»Also dieser Saunanachmittag, der hat dich doch schwer belastet, was?«

»An diesem Tag ist mir klar geworden, dass ich eine Entscheidung treffen muss. Es ist unfair, Patrizia, unfair dir gegenüber, noch unfairer Daniel gegenüber. Ich hätte kein Problem, mich mit dir als Paar in der Öffentlichkeit zu zeigen, wenn ich nicht Panik haben müsste, dass Daniel es auf solche Art erfährt. Aber ich habe diese Panik. Ich will nicht dass er es erfährt. Ich will meine Ehe nicht verlieren. Wir sind so viele Jahre zusammen und ich liebe ihn sehr. Ich muss mich für einen von euch entscheiden und meine Entscheidung ist gefallen. Ich habe dich auch nie belogen, Patrizia. Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ...«

Sie unterbrach sich.

Patrizia rauchte nervös. Tränen liefen ihr über das Gesicht.

»Du weißt gar nicht was du mir antust«, sagte sie.

»Doch, ich weiß was ich dir antue«, sagte Clarissa. »Aber ich muss jetzt mein Leben aufräumen, bitte versteh das doch. Ich muss mich für eine Seite entscheiden. Ich kann diese Beziehung mit dir nicht weiterführen. Es wird sowieso durch die Entfernung demnächst nur noch komplizierter. Aber das ist nicht der Grund. Ich liebe meinen Mann, ich will ihn nicht verlieren. Ich muss das mit dir beenden, auch wenn es weh tut.«

»Dir scheint es nicht weh zu tun. Ich bin die einzige die leidet. Du siehst mir ziemlich kühl und überlegt aus.«

»Das bin ich nicht. Das siehst du falsch.«

Patrizia wischte sich die Tränen ab.

»Naja, was soll ich sagen? Du willst das beenden. Du willst lieber mit deinem Mann zusammen sein. Das werde ich akzeptieren müssen.«

»Schön dass du es so siehst«, sagte Clarissa. »Hör zu, die Zeit mit dir hat mir viel bedeutet und....«

»Lass den Quatsch«, sagte Patrizia. Sie hob abwehrend ihre Hände. »Lass es einfach sein. Ich will solchen Scheiß nicht hören! Es war toll mit dir Patrizia, ja, es war schön, aber jetzt ist es Zeit weiterzuziehen...lass es einfach, so was braucht kein Mensch.«

Clarissa seufzte und sie war selbst den Tränen nahe. »Nun gut, wenn du so reagierst ... ich wollte dir nur sagen, dass es eine schöne Zeit war mit dir, die ich nicht missen möchte. Du hast mir viel gegeben und mein Leben verändert, es bereichert.«

»Ich frage mich schon seit zwei Wochen, was dich bedrückt«, sagte Patrizia. »Ich dumme Gans dachte tatsächlich, es läge an der Geschichte, die in der Sauna passiert ist. Glaubst du, ich hätte nicht gemerkt, dass du dich danach von mir distanziert hast?«

»Ich habe nachgedacht, Patrizia.«

»Das weiß ich. Weißt du, das unterscheidet eine lesbische Beziehung von einer Hetero-Beziehung. Eine Frau merkt es ganz genau, wenn eine andere Frau etwas auf dem Herzen hat. Einem Mann wäre vielleicht nur aufgefallen, dass du ruhiger geworden bist, aber ich habe natürlich bemerkt dass dich etwas bedrückt. Ich hab dich auch mehrfach gefragt, ob ich dir helfen kann. Ob du reden möchtest. Du hast immer gesagt, es wäre nichts. Aber glaubst du, ich hätte nicht gemerkt dass du am Grübeln bist?«

»Es fiel mir auch nicht leicht, diese Entscheidung zu treffen, Patrizia.«

»Aber du hast sie jetzt getroffen.«

Patrizia wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und zündete sich gleich die nächste Zigarette an.

»Ich habe dir immer gesagt, dass ich Daniel nicht aufgeben werde.«

»Weiß ich. Aber du bist ja selbst Frau und du weißt ja, bei uns Frauen stirbt die Hoffnung immer zuletzt. Ich dachte, es genügt, wenn ich dich einfach liebe und vielleicht würdest du dich am Ende doch für ein Leben mit mir entscheiden. Irgendwann einmal! Und ich hätte dir alle Zeit der Welt gelassen!«

»Du bedeutest mir sehr viel, auch wenn ich unsere Beziehung an dieser Stelle beenden muss«, sagte Clarissa. »Und wer weiß ... wäre ich alleine Patrizia, dann wäre dein Wunsch vielleicht sogar in Erfüllung gegangen.«

Patrizia fing sich langsam wieder. »Fein«, sagte sie in scharfem Ton. »Raus hier.«

Clarissa erhob sich. »Dein Ernst?«

Patrizia nickte, wischte sich noch einmal die Tränen ab, erhob sich und lief mit energischen Schritten zur Tür.

»Raus!« sagte sie und öffnete die Wohnungstür. »Du wirst deine Entscheidung noch bereuen!«

Ein tiefer Schrecken durchfuhr Clarissa. »Drohst du mir? Was hast du vor?«

»Nichts habe ich vor. Aber du wirst es bereuen und das schon bald.«

Clarissa betrat das Treppenhaus und sah sich noch einmal um, aber das einzige was sie noch von Patrizia sehen konnte war ihre wilde, rote Lockenmähne, die hinter der zuknallenden Wohnungstür verschwand. Im Treppenhaus lehnte sie sich an die Wand und atmete tief durch um gegen die aufsteigenden Tränen anzukämpfen, aber es gelang ihr nicht. Weinend ging sie in die Hocke, saß minutenlang im Hausflur und weinte stille Tränen. Irgendwann konnte sie schließlich die nötige Kraft aufbringen um aufzustehen und zum Aufzug zu laufen. Patrizia hatte völlig anders reagiert als sie gedacht hatte. Würdevoller. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Sie fühlte sich nicht gut und als sie eine Stunde später zu Hause ankam, schluckte sie erst mal eine Kopfschmerztablette und legte sich ins Bett. Sie musste jetzt eine Weile alleine sein.