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Wenige Tage später saß Clarissa mit ihrer besten Freundin Anja in der Küche bei einer Tasse Kaffee zusammen. Sie hatte Anja gerade die ganze Geschichte erzählt und für einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Anja war mit einem Mal genauso bleich im Gesicht wie Clarissa seit Tagen. Sie waren schon seit vielen Jahren miteinander befreundet und Anja hätte für die Ehe zwischen Clarissa und Daniel ihre Hand ins Feuer gelegt. Bis vor wenigen Minuten. Sie konnte nicht fassen, was sie da gerade erfahren hatte. Nervös zündete sie sich eine Zigarette an und nippte an ihrem noch viel zu heißen Kaffee, den Clarissa ihr mechanisch hingestellt hatte.

»Unglaublich«, sagte sie, nach einer kleinen Ewigkeit. »Unglaublich.«

Clarissa liefen schon wieder die Tränen über das Gesicht.

»Was soll ich jetzt tun?« fragte sie leise.

»Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen, Clarissa.«

»Ich weiß zum ersten Mal in meinem Leben nicht was ich tun soll. Das ist grauenhaft. Normalerweise weiß ich in jeder Situation was zu tun ist.«

Anja nickte wissend.

»Ich wusste immer was ich tun muss, ich wusste immer was ich wollte. Ich hatte es nie schwer, Entscheidungen zu treffen. Aber jetzt weiß ich nicht was ich machen soll. Wie soll ich mich verhalten?«

»Wie verhält ER sich?« fragte Anja.

»Daniel? Der ist das schlechte Gewissen in Person. Du siehst ja, er sitzt oben im Gästezimmer, hackt auf seinem Computer herum und traut sich nicht runter.«

»Würde ich auch nicht an seiner Stelle. Er wird auch wissen, dass du jetzt mit mir darüber sprichst.«

Clarissa nickte. »Natürlich, was denn sonst? Wenn er erwartet, dass ich jetzt zur Tagesordnung übergehe und so tue als wäre nichts passiert ...«

»Clarissa, ich kann dir nicht raten was du tun solltest. Wenn mir das mit Erik passieren würde, wäre für mich klar, dass ich ihn verlassen würde. Aber ich lebe auch ein völlig anderes Leben als du.«

»Meinst du, davon sollte man solche Entscheidungen abhängig machen?«

Anja nickte. »Vielleicht nicht ganz, aber es hat bestimmt viel damit zu tun. Schau mal, ich habe immer im Beruf gestanden, ich habe keine Kinder. Dein Leben ist anders. Du hast Damian und Charlotte und sie sind in einem schwierigen Alter. Ob sie eine Trennung jetzt zu diesem Zeitpunkt so gut verkraften könnten, das weiß ich nicht. Du hast keinen Job, das heißt, du wärest auf Unterhalt von Daniel angewiesen. Wobei auch das kein Fehler wäre, denn verdient hätte er es. Ich bin mit Erik seit einem Jahr zusammen. Uns verbindet gar nichts. Wir haben keine großartigen, gemeinsamen Erinnerungen, keine gemeinsamen Kinder, überhaupt keine Kinder. Wir haben keine schlechten Zeiten miteinander durchlebt und unsere Beziehung ist viel oberflächlicher als deine Ehe.«

»Es ist doch egal, gerade wenn man so viele Jahre zusammen verbracht hat«, sagte Clarissa, und schnäuzte sich. »Gerade dann, wenn man so vieles miteinander durchgemacht hat, wenn man so vieles hat, was einen verbindet, sollte doch ein solcher Betrug nicht möglich sein, oder?«

»Nicht möglich ist etwas, das nicht existiert, Clarissa.«

»Für mich schon. Ich habe Daniel über alles geliebt, ich habe nicht mal im Traum drüber nachgedacht, ihn durch einen anderen zu ersetzen.«

»Ich glaube, das hat er auch nicht.«

Clarissa sah ihre Freundin erstaunt an.

»Ich weiß, du kannst es nicht fassen, dass ausgerechnet ich so rede, was?« fragte Anja. »Ich bin deine beste Freundin und wahrscheinlich hast du gedacht, ich würde dir raten, ihn sofort zu verlassen und dir einen guten Anwalt empfehlen, was?«

Clarissa nickte.

»Das kann ich nicht tun, Clarissa.«

Nun zündete sich auch Clarissa eine Zigarette an. Eigentlich rauchte sie sehr wenig, aber in den letzten Tagen hatte ihr Konsum stark zugenommen. Anja legte ihr freundschaftlich die Hand auf den Arm.

»Du liebst ihn doch noch, oder?«

Clarissa nickte und wischte sich erneut Tränen aus den Augen.

»Ach Maus«, sagte Anja, und sie streichelte mitfühlend Clarissas Arm. »Männer können so hirnverbrannte Idioten sein.«

»Ich weiß.«

»Clarissa, ich glaube, Daniel wird viel mehr damit zu tun haben, sich selbst zu verzeihen, was er getan hat als dass du ihm verzeihst.«

»Glaubst du, ja?«

Anja nickte. »Ja, das glaube ich. Bei jedem anderen Mann würde ich dir raten, ihn sofort zu verlassen, aber Daniel ist irgendwie anders. Ich kann mich noch gut dran erinnern, als ihr geheiratet habt. Ich kann mich daran erinnern, wie glücklich er war, als Damian geboren wurde oder später Charlotte. Ich kann mich daran erinnern, wie stolz er war, als ihr dieses Haus gekauft habt und wie liebevoll er dich in den Arm genommen hat, als ihr mir das Haus damals vorgeführt habt. Daniel hat niemals ein schlechtes Wort über dich verloren. Nicht nur bei mir nicht, sondern auch sonst nirgends, denn das hätte ich bestimmt erzählt bekommen. Er hat immer vor dir und den Kindern gestanden wie eine Mauer. Ich als deine beste Freundin wusste immer, wenn er auf dich aufpasst und auf die Kinder, wird dir niemals was passieren. Er liebt dich, er liebt die Kinder.«

»Warum tut er dann so was?«

»Weil Männer einen Riesenschaden haben, Clarissa. Deswegen tun sie so was. Ich glaube wirklich dass es stimmt, was Wissenschaftler behaupten, die sind genetisch so veranlagt und unterliegen einem Zwang, ihre Gene möglichst weitreichend zu verbreiten, selbst wenn sie verhüten. Ich hätte schwören können, dass der einzige Mann, der diesen Schaden wahrscheinlich nicht hat, dein Daniel ist. Aber offensichtlich hat er ihn auch.«

Sie drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus und nahm einen weiteren Schluck Kaffee.

»Weißt du, ich glaube nicht, dass er das getan hat, weil er dich nicht mehr liebt. Wahrscheinlich fehlt es ihm gehörig an Selbstbewusstsein. Er ist älter geworden, er ist beruflich voll eingespannt. Vielleicht fehlte es ihm in seinem Leben an Abenteuer, oder anders herum, vielleicht musste er auf diese Art lernen, wie wichtig ihm sein eigentlich ruhiges Leben doch ist. Männer sehen manchmal nicht mehr, dass sie in ihrer Familie eigentlich ihren Ruhepol gefunden haben, dass es das ist, was ihnen die Kraft gibt, alles draußen zu überstehen. Dass es bei euch im Bett nicht mehr so gelaufen ist, hattest du ja schon mal angedeutet. Und dann kommt so eine rassige junge Frau daher und irgendwas setzt in ihrem Kopf aus. Vielleicht müssen sie sich einfach nur beweisen, dass sie es noch bringen, ich habe keine Ahnung. Aber ich habe so was schon oft beobachtet.«

Clarissa schüttelte den Kopf.

»Mir hat auch vieles gefehlt in unserer Ehe«, sagte sie. »Leidenschaft. Er hat mich überhaupt nicht mehr begehrt. Ich glaube, in der letzten Zeit war ich für ihn einfach nur da.«

»Ja, weil sich die Gewohnheit eingeschlichen hat, aber bei euch beiden. Du warst damit glücklich und zufrieden und ich denke, er wusste nicht was er davon halten sollte. Ich wette, wenn du jetzt zu ihm nach oben gehen würdest und ihm sagen würdest, dass du mit ihm schlafen möchtest, wäre er wieder der leidenschaftliche Daniel, den du mal geheiratet hast.«

»Ich kann nicht mit ihm schlafen, nicht nach dem was ich gesehen habe.«

»Kann ich verstehen«, sagte Anja. »Kann ich wirklich verstehen.«

Clarissa starrte aus dem Fenster.

»Trotzdem meinst du, es wäre falsch ihn zu verlassen?«

Anja nickte. »Ja.«

Clarissa sah ihre Freundin an, zuckte mit den Schultern und starrte wieder aus dem Fenster. »Du würdest daran zerbrechen, Clarissa.«

»Glaubst du?«

»Ja. Weil du ihn liebst. Weil du ihn gar nicht verlieren willst. Ich kenne dich. Ich weiß, dass er der Mittelpunkt deines Lebens ist. Ist auch kein Wunder, er ist nicht nur verdammt attraktiv, sondern auch noch witzig und charmant, intelligent und ziemlich erfolgreich. Er ist ein Traummann. Er war immer dein Traummann. Du zerbrichst doch schon alleine bei dem Gedanken, ohne ihn leben zu müssen.«

»Ja, aber ich zerbreche auch bei dem Gedanken, weiter mit ihm zu leben, nachdem er mir so was angetan hat.«

Sie kramte das nächste Taschentuch aus der Verpackung und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Weißt du wie ich mich fühle?« flüsterte sie. Sie flüsterte nicht absichtlich. Sie fühlte sich so elend, dass sie die Worte kaum noch laut aussprechen konnte.

»Ich kann es mir denken«, sagte Anja. »Du denkst darüber nach, dass du viel älter bist, dass du deine Haare bereits färben musst, dass dein Körper nach zwei Schwangerschaften und mit vierzig Jahren für ihn vielleicht nicht mehr begehrenswert ist. Du denkst, er hat dich beschissen, weil du für ihn nur noch die Mutti seiner Kinder bist.«

Clarissa nickte und begann wieder heftig zu weinen.

»Du denkst falsch«, sagte Anja. Sie nahm Clarissa in den Arm. »Er hat dich nicht betrogen, weil er dich nicht mehr liebt. Er hat dich betrogen, weil er sich selbst aus den Augen verloren hat. Diese Tussi hat sein Selbstvertrauen gestärkt. Er konnte sich damit beweisen dass er immer noch ein toller Hecht ist. Dass du ihn liebst, daran ist er gewöhnt. Dass du ihn mit all seinen Fehlerchen liebst, das ist ihm klar. Aber mit dieser Anita, das war was Neues und er musste sich beweisen, dass er noch Pfeffer hat, da wette ich mit dir. Bei dir ist das was anderes.«

»Das macht die Sache nicht weniger schlimm.«

Anja nickte wieder. »Das weiß ich. Aber wenn man versucht ganz neutral zu sein, dann macht es die Sache verständlich. Trotzdem ist sie hundsmiserabel und ich möchte nicht in deiner Haut stecken, denn ich weiß aus Erfahrung, dass das ein schrecklicher Schmerz ist.«

Clarissa schnäuzte sich erneut und schenkte sich eine neue Tasse Kaffee ein. Zusätzlich kippte sie ein Glas Cognac dazu.

»Vom Alkohol solltest du die Finger lassen«, sagte Anja. »Gerade jetzt, in dieser Situation.«

»Ich scheiß drauf«, sagte Clarissa.

Anja bemühte sich um ein Lächeln.

»Clarissa, wenn Daniel ein Riesenidiot wäre, der dich schlecht behandelt und der noch nie Rücksicht auf dich und deine Gefühle genommen hätte, dann wäre ich die erste, die sagen würde, du sollst ihn verlassen, aber dann hätte ich dir etwas in der Art auch schon vorher gesagt. Aber ich glaube tatsächlich, dass er in diese Sache einfach so reingeschlittert ist, so wie er es sagt. Ich glaube, wenn er dich und die Kinder verlieren würde, das wäre das Schlimmste was ihm passieren könnte.«

»Und wenn ich jetzt bei ihm bleibe, dann denkt er doch jedes Mal wenn er mit mir Sex hat an die Andere, glaubst du nicht? Oder ich muss an sie denken, das ist unvorstellbar.«

»Ich glaube, wenn er die Möglichkeit bekäme, jetzt mit dir zu schlafen würdest du merken, dass er tatsächlich mit dir schläft und nicht mit der anderen. Du würdest wahrscheinlich eher an die andere Frau denken als er.«

Anja legte beschwörend ihre Hand auf den Arm ihrer Freundin. »Clarissa, du musst alleine entscheiden was du nun tun wirst, aber lass dir mit dieser Entscheidung Zeit. Überstürze nichts. Fang wieder an, was für dich zu tun. Geh ins Solarium, das hast du früher regelmäßig gemacht, mach wieder Sauna, male wieder, fang wieder mit deinen Tonskulpturen an.«

»Und du glaubst, das ändert was?«

Anja nickte. »Ja, das ändert ganz viel. Du musst versuchen, den Fokus wieder auf dich selbst zu lenken. Was ist mit deiner Malerei und deinen Töpferarbeiten? Warum hast du damit aufgehört?«

Clarissa zuckte mit den Schultern. »Das ändert doch alles nichts«, sagte sie leise.

»Doch, das ändert ganz viel. Wenn du wieder mehr an dich denkst und wenn du wieder künstlerisch tätig wirst, Clarissa, so wie ich dich von früher her kenne, wirst du auch zu dir selbst wieder eine ganz andere Einstellung bekommen. Du fühlst dich jetzt wertlos, nicht nur weil Daniel dich betrogen hat. Auch, weil du dich selbst nicht mehr für interessant hältst. Mach dich doch erst mal wieder für dich selbst interessant!«

»Wie könnte ich ihm das jemals verzeihen?« weinte Clarissa. »Ich quäle mich in diesem Scheiß-Fitnesscenter herum, und was habe ich davon?«

Anja zuckte mit den Schultern.

»Das habe ich auch nie verstanden, warum du das machst, denn du hast es immer gehasst. Lass es sein. Mache ab jetzt nur noch Dinge die dich zufrieden stellen und höre auf Dinge zu tun, damit dein Mann zufrieden ist. Befasse dich erst mal wieder mit dir selbst, mit Dingen die dir Freude bereiten und werde dir in Ruhe darüber klar was du willst. Verlassen kannst du ihn immer noch, das kannst du auch nächstes Jahr noch tun. Oder nächste Woche, wenn du bis dahin weißt was du möchtest und wie es für dich weitergehen soll. Bis dahin rate ich dir, nicht überstürzt zu handeln.«

Anja stand auf und nahm Clarissa in den Arm.

»Ich kenne euch beide so lange«, sagte sie. »Du bist meine beste Freundin und ich liebe dich wie eine Schwester. Ich versuche einfach nur neutral zu sein, ich will dich nicht aufhetzen. Mir liegt es am Herzen, dass sich das zwischen euch wieder regelt. Auf die eine oder andere Art. Verstehst du?«

Clarissa nickte, wortlos, aber leise weinend.

Anja schnaufte.

»Und jetzt werde ich mal nach oben gehen zu diesem Vollidioten und ihm mal sagen was ich von ihm halte.«

Sie hatte sich bereits erhoben. Unter normalen Umständen hätte Clarissa alles getan um ihre Freundin aufzuhalten, denn Daniel zu sagen, dass man ihn für einen Vollidioten hielt, kam einer Kriegserklärung gleich. Aber in dieser Situation war es etwas anderes. Insgeheim fand Clarissa es gut, dass Daniel sich jetzt eine Predigt von ihrer besten Freundin anhören musste. Anja war nicht irgendjemand. Sie gehörte irgendwie zur Familie.

Er saß am Computer und starrte einfach nur in den Bildschirm. Mit der Maus klickte er sinnlos auf der Oberfläche des Desktops herum und es war deutlich, dass er nicht beschäftigt war. Dass er sich nur ablenken wollte und in seinen Gedanken ganz sicher woanders war.

»Na?« fragte sie provozierend, als sie die Tür hinter sich schloss. »Denkst du über deine heißblütige Geliebte nach? Ärgerst du dich, weil du sie nicht mehr sehen kannst oder denkst du drüber nach wie du es anstellst, beide behalten zu können?«

Daniel stöhnte auf und lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl nach hinten. Müde rieb er sich die Augen. Jedem anderen Menschen hätte er jetzt die Meinung gesagt und sich die Einmischung verbeten, aber bei Anja lag der Fall anders. Er wusste, dass sie es gut meinte.

Anja zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn.

»Das sieht dir gar nicht ähnlich, was ich da erfahren habe«, sagte sie.

»Bist du hier hochgekommen um die Reste aufzusammeln, die von mir übrig geblieben sind?« fragte er. »Oder wolltest du ein konstruktives Gespräch?«

»Ich wollte dir sagen, dass ich dich für ein Riesenarschloch halte«, sagte Anja. »Aber erst seit heute. Vorher hatte ich dich immer total gerne. Und deswegen möchte ich auch ein konstruktives Gespräch.«

Daniel seufzte. »Ich kann es nicht wieder gutmachen.«

»Nein, das kannst du nicht.«

»Sie wird mich verlassen, oder?« fragte er.

Anja zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Verdient hättest du es.«

»Ich weiß«, sagte er.

»Und? Hast du schon gepackt?«

Er schüttelte den Kopf. »Es tut mir so verdammt leid«, sagte er.

»Klar, ist nicht schön wenn man bei so was erwischt wird«, sagte Anja.

»Es tut mir nicht leid, dass sie mich erwischt hat. Es tut mir leid, dass es passiert ist.«

»Soso.« Sie sah ihn erwartungsvoll an.

»Anja, ich kann es nicht erklären. Ich bin da reingestolpert, ehrlich. Ich wollte es nicht. Ich bin niemals mit dem Vorsatz von zu Hause weggefahren, dass ich jetzt meine Frau betrüge, mir ein paar schöne Tage außerhalb mache!«

»Wie konnte es dann soweit kommen?«

Wieder rieb er sich die Augen. Er war müde, so müde. Wahrscheinlich hatte er noch schlechter geschlafen als Clarissa, die sich mit Valium und Cognac irgendwie in den Schlaf weinte.

»Ich weiß es nicht, Anja. Sie war plötzlich da. Sie wollte mich. Sie ist das ganz gezielt angegangen. Und natürlich habe ich es auch gemerkt. Ich habe mich darüber gefreut, ich fühlte mich geschmeichelt. Natürlich wusste ich, dass es nicht richtig ist, aber ich konnte mich dagegen irgendwie nicht wehren.«

»Klar, so läuft das immer.«

»Weißt du Anja, zuerst dachte ich, es ist nur ein Essen mit ihr, was kann daran schon schlimm sein? Wir essen zusammen und dann geht jeder seiner Wege. Aber aus dem Essen wurde mehr.« Er seufzte.

»Hast du dabei nicht an Clarissa gedacht? Wie würdest du dich fühlen, wenn es umgekehrt laufen würde?«

»Ich würde sterben. Clarissa würde so was aber nicht tun.«

»Nein, das würde sie nicht. Aber ich dachte von dir auch immer, dass du so etwas nicht tun würdest. Und sie übrigens auch.«

Er sah ihr direkt in die Augen und Anja wusste, er war ehrlich zu ihr. Er hatte nichts mehr zu verlieren.

»Anja, vielleicht hat Clarissa recht und ich befinde mich mitten in einer Midlife-Crisis, ich habe keine Ahnung. Ich habe ständig an Clarissa gedacht und ich dachte auch immer, wie schlimm es wäre, wenn sie es erfahren würde. Aber Hannover ist so weit weg und es musste schon ein dummer Zufall sein, dass sie es erfahren würde.«

»Dabei war es nur deine eigene Blödheit.«

Er nickte. »So was kalkulieren wir Männer in solchen Sachen wohl nicht mit ein«, sagte er und er versuchte ein schwaches Lächeln. »Wir halten uns wahrscheinlich für unglaublich schlau, wenn wir so was machen.« Er seufzte erneut. »Weißt du Anja, sie war da, sie wollte mich unbedingt haben und sie hat sich wirklich mächtig angestrengt, um mich zu kriegen. Ich fühlte mich geschmeichelt und bin voll in die Falle getappt.«

»Das macht es nicht besser. Man kann immer nein sagen. Ihr Männer könnt das übrigens auch.«

Er starrte auf den Boden.

»Clarissa liebt dich über alles, du kannst mir nicht erzählen, dir hätte es an Liebe gemangelt.«

»Nein, das kann ich nicht.«

Er stand auf und lief nervös durch den Raum, bevor er sich wieder setzte.

»Anja, was es genau war weiß ich auch nicht. Ich weiß nur eines, ich kann verdammt gut damit leben, wenn ich Anita nie wieder sehe, aber der Gedanke, Clarissa könnte mich jetzt verlassen, der tut unglaublich weh.«

»Klar. Sie würde auch ohne Frage das Haus behalten dürfen und du müsstest zahlen bis du schwarz wirst.«

»Ach«, sagte Daniel. »Darum geht es doch gar nicht. Das ist mir doch völlig egal.«

»Worum geht es dann?«

»Ich liebe Clarissa, Anja, auch wenn das in der jetzigen Situation etwas schwer zu begreifen ist. Wir sind seit sechzehn Jahren verheiratet, seit insgesamt siebzehn Jahren zusammen.«

»Warum konntest du dann nicht nein sagen, als eine andere ihr Glück bei dir probiert hat? Clarissa hat auch schon Verehrer gehabt, mein Lieber, das solltest du wissen. Du weißt, dass wir öfter mal zusammen essen gehen, mal ein Eis essen oder einfach Kaffee trinken. Sie wurde oft angesprochen, sehr oft sogar. Aber die sind immer alle abgeprallt. Clarissa ist eisern, wenn es um so etwas geht. Sie bleibt freundlich, aber völlig distanziert. Sie nimmt keine Telefonnummern an und vergibt ihre nicht und das einzige was sie von sich zeigt ist ihr Ehering. Du kannst dir nicht vorstellen, wie eisig Clarissa werden kann, wenn sie angemacht wird! Vielleicht findest du euer Leben zu geregelt, zu wenig spannend, was weiß ich. Clarissa wusste es zu schätzen. Es war für sie ein ruhiges, friedliches Leben. Sie hat sich sicher gefühlt an deiner Seite und sie hat dir voll vertraut. Sie war glücklich mit dir. Wirklich glücklich. Das hast du kaputt gemacht.«

Daniel wischte sich plötzlich Tränen aus den Augen. Anja war überrascht. Sie hatte ihn nie weinen sehen.

»Weißt du Daniel, ein einmaliger Ausrutscher, aus falscher Eitelkeit heraus, das ist schon schlimm genug. Aber wenn ich diese Sache jetzt richtig verstanden habe, dann war das bereits ein monatelanges Verhältnis! Wenn du doch so sehr an Clarissa denken musstest, wenn sie dir doch so wichtig ist, warum hast du dann dein Verhältnis nicht einfach beendet? Im Gegenteil, ihr habt ja sogar richtig geplant, wann ihr euch seht, oder? Ihr habt telefoniert und euch heiße Mails hin und hergeschickt! Du hast Clarissa über mehrere Monate hinweg belogen und betrogen, aber richtig mit Plan!«

»Ich kam da nicht mehr raus, Anja. Ich kam da einfach nicht mehr raus.«

»Aber warum, Daniel! Warum?«

»Weil ... ich weiß es auch nicht. Anita ist attraktiv. Ich fühlte mich nicht nur anfangs geschmeichelt, sondern eigentlich dauerhaft. Bei uns zu Hause war alles so eingespielt und es gab überhaupt keine Leidenschaft mehr. Anita hat mich ganz anders empfangen und es tat mir so gut!«

»Leidenschaft kommt immer von beiden Partnern«, sagte Anja. »Clarissa sagt, wenn sie nicht manchmal im Bett zu dir gekommen wäre, sich nicht an dich gekuschelt hätte, dann hättet ihr wahrscheinlich überhaupt keinen Sex mehr gehabt.«

»Ich dachte immer, dass SIE es ist, die keine Lust hat.«

»Warum dachtest du das?«

»Weil – ich weiß auch nicht.«

»Weil du ein Idiot bist, Daniel. Ein jämmerlicher Idiot. Ehrlich. Vielleicht hatte sie zwei oder dreimal keine Lust und vielleicht hielt das auch eine längere Zeit an, aber das ist wohl normal dass es solche Phasen gibt, nicht? Oder hast du ständig Lust?«

»Ja.«

»Bullshit. Das ist etwas, was ihr Männer sagen müsst, damit man euch für voll nimmt. Aber wenn du ehrlich bist Daniel, dann gibt es auch bei dir Tage, an denen du einfach nur noch ins Bett willst, einfach nur noch einen Film sehen und dein Hirn nicht mehr anstrengen willst.« Anja schüttelte den Kopf. »Dass ihr Männer immer denkt, ihr müsstet euch bei uns Frauen so darstellen, als könntet ihr immer, als wolltet ihr immer – das ist wirklich dämlich. Und wenn es dann im Bett nicht so läuft, wird es immer gerne auf die Frau geschoben ...«

Sie seufzte. »Wir Frauen sollen uns immer verrenken, nie müde sein, nie gestresst sein, immer schicke Unterwäsche tragen und vor allem immer feucht zwischen den Beinen sein. Und was ist mit euch Männern? Wie kann eine Frau dauergeil sein, wenn der Mann selten da ist und sich selbst dann auch keine Mühe gibt?«

Daniel wischte sich erneut Tränen aus dem Gesicht. »Glaubst du, es gibt eine kleine Chance, dass sie mir verzeiht?«

»Es wird dich viel Arbeit kosten Daniel und ich bin mir nicht sicher.«

»Ich würde im Moment alles tun.«

Anja erhob sich. »Dann fang frühzeitig damit an. Mensch Daniel, ich könnte dich ohrfeigen, wirklich ...«

»Ich könnte mich selbst ohrfeigen.«

»Wenn es für mich etwas gab, worauf ich geschworen habe, Daniel, dann war es eure Ehe. Ihr seid immer wie eine Mauer gewesen. Nichts, was von außen kam, hätte diese Mauer durchdringen können. Und plötzlich zeigt sich, dass diese Mauer voller Risse ist. Und du bist der, der diese Risse verursacht hat. Versuch sie wieder zu reparieren, diese Mauer. Ich kann es nicht ertragen, wenn ich meine beste Freundin so traurig sehen muss. Sie ist total am Ende.«

»Glaubst du, sie wird mich verlassen?«

Anja setzte sich wieder. »Das kann ich dir nicht sagen, Daniel, sie denkt noch nach. Und wenn ich du wäre, würde ich sie nicht unterschätzen. Clarissa ist stark, sie kennt ihre Rechte, sie weiß was ihr zusteht. Aber wenn sie sich dazu entschließen sollte, bei dir zu bleiben, Daniel, dann hoffe ich dass du es zu schätzen weißt. Dann solltest du alles tun um sie wieder glücklich zu machen. Und du solltest höllisch aufpassen, dass du nie wieder einen solchen Fehler machst. Nie wieder!«

Anja knallte die Tür hinter sich zu und ging wieder nach unten zu Clarissa in die Küche. Clarissa saß am Küchentisch und drehte die Cognacflasche in den Händen, deren Inhalt verdächtig abgenommen hatte, seit Anja nach oben gegangen war.

»Und?« fragte sie lallend. »Was hat er gesagt? Ist er stolz auf sich, ja? Mensch, er bringt es noch, er kriegt noch junge Frauen in sein Bett! Was für ein toller Hecht!«

Anja griff nach der Cognacflasche und leerte den Inhalt in der Spüle aus.

»Was denkst du wohl was das ändert?« fragte Clarissa mit leeren Augen. »Davon haben wir noch ganz viele. Mein Mann hat nämlich einen tollen Job und er kriegt jedes Jahr Cognac zu Weihnachten geschenkt. Den Guten natürlich ...«

»Du hörst jetzt auf zu trinken«, sagte Anja energisch und setzte sich Clarissa gegenüber. »Damit machst du nichts besser. Verlass ihn oder bleib bei ihm, aber hör auf zu trinken!«

»Ich kann ihn nicht verlassen«, heulte Clarissa los und stürzte ihrer Freundin in die Arme. »Ich kann nicht, ich kann nicht! Ich liebe diesen Idioten, wie soll ich denn leben ohne ihn? Und warum? Ich kann es mir gar nicht vorstellen wie es wäre, ohne ihn zu sein!« Anja streichelte Clarissa über den Kopf und drückte sie an sich.

»Dann rede mit ihm«, sagte sie leise. »Versuch ihm zu verzeihen.«

»Das kann ich nicht!«

»Eines von beidem wirst du aber können müssen, denn so kannst du nicht weiterleben, er auch nicht und was glaubst du wohl wie das für eure Kinder ist?«

»Warum hat er mir das nur angetan?« heulte sie. »Warum?«

»Das weiß er selbst nicht so genau.« Anja atmete tief durch. Eigentlich war sie immer diejenige, die sich im totalen Gefühlschaos befand und Clarissa die Frau an ihrer Seite, die Lösungen fand und für alles einen Plan hatte.

»Clarissa, siebzehn Jahre lang warst du glücklich mit ihm. Siebzehn Jahre lang hast du niemals an ihm gezweifelt. Ihr habt zwei Kinder miteinander. Ihr habt schon alle möglichen Krisen hinter euch gebracht. Erinnere dich an all das. Wirfst du das weg, weil Daniel einen Fehler gemacht hat? Einen großen Fehler, den niemand mehr bereut als er?«

»Wenn ich ihm jetzt verzeihe, dann wird er das doch wieder tun«, heulte Clarissa. »Sobald die Sache vergessen ist, findet sich bestimmt die nächste Schlampe!«

»Das glaube ich nicht, Clarissa. Ich glaube, er hat aus diesem Fehler gelernt.«

Clarissa griff nach der Kaffeetasse und warf sie vor Zorn auf den Boden. »Was denken diese Idioten sich eigentlich? Da heiratet man sie, kriegt Kinder von ihnen, hält ihnen das Haus sauber, zieht die Brut groß, verzichtet auf sein eigenes Leben, auf die eigene Weiterentwicklung, und was tun sie? Sie lassen sich von irgendeiner Schlampe das Hirn rausvögeln und nach Hause kommen sie dann, wenn sie Hunger haben oder frische Wäsche brauchen!«

»Naja, ganz so ist das sicher nicht«, sagte Anja.

»Doch, genauso ist es!« heulte Clarissa und warf die zweite Tasse, die auf dem Tisch gestanden hatte, in ihrer Wut auch noch auf den Boden. Anja hielt sie nicht davon ab. Wut war okay. Wut war besser als die Verzweiflung und die Hilflosigkeit, die Clarissa bisher empfunden hatte.

»Man fühlt sich irgendwann, als wäre man nur noch so was wie eine Mutti, nicht nur für den Nachwuchs, sondern auch für deren Erzeuger! Was sieht er denn in mir? Doch nur die, die sein Haus sauber hält, einkauft, kocht, wäscht, putzt! Mit welchen Augen sieht er mich, wenn er sich abends neben mich ins Bett legt? Und wenn er wie in den letzten Monaten, zweimal im Monat mit mir schläft? Als die Alte, die man mal kurz ruhig stellen muss? Die Alte, die man zur Abwechslung auch mal befriedigen muss, damit sie sich nicht irgendwo einen anderen sucht und die bequeme Hütte zu Hause damit unbequem wird?«

»Hör damit auf!« ertönte plötzlich Daniels Stimme aus der Küchentür. Clarissa hob den Kopf. »Du Scheißkerl! Du verfluchter Scheißkerl!« brüllte sie.

Anja hatte Mühe sie zu halten. Clarissa war so wütend, dass sie ohne zu zögern auf Daniel losgehen wollte.

»Lass sie ruhig«, sagte Daniel zu Anja. Anja ließ Clarissas Arm los und im gleichen Moment sprang Clarissa ihren Mann an wie ein Tiger, der seine Beute zerreißen wollte. Daniel hätte kein Problem damit gehabt sie abzuwehren, aber er ließ sie drauflosschlagen. Clarissa trommelte mit beiden Fäusten auf seine Brust und schließlich brach sie verzweifelt weinend zusammen. Daniel hob sie hoch und setzte sich auf einen Stuhl, sie hielt er auf seinem Schoß. Unwillkürlich nahm er sie in beide Arme und ließ sie weinen.

Anja griff nach ihrer Jacke. Clarissa wusste, wo sie zu erreichen war und nun war der Moment gekommen, in dem eine wirkliche Freundin einfach diskret zu gehen hatte. Vielleicht der Moment einer endgültigen Entscheidung. Und so zog sie die Haustür hinter sich zu und hoffte inständig, dass es Daniel an diesem Abend gelingen würde, mit Clarissa zu sprechen, konstruktiv zu sprechen. Dass es Clarissa gelingen würde, ihrem Mann diesen Fehltritt irgendwann zu verzeihen und einen neuen Anfang zu machen. Sie wusste von sich selbst, sie hätte ihm diesen Fehltritt niemals verziehen. Aber hier ging es nicht um sie, sondern um Clarissa und Daniel, ein Paar das man einfach in der Gesamtheit lieben musste als guter Freund. Ein Paar, von dem man sich wünschte, dass die Harmonie wieder Einzug halten würde.