-15-


Und so kam es, dass Clarissa eines schönen Nachmittags im Dezember, kurz vor Weihnachten, neben Patrizia im Sportwagen saß und mit ihr in die Sauna fuhr. Eine Stunde später saß sie bereits schwitzend neben ihr und versuchte, den Aufguss mit Sandelholz zu genießen, aber es fiel ihr schwer, sie konnte kaum atmen. Erleichtert stürzte sie nach fünfzehn Minuten aus der Saunahütte ins Freie und streckte die Arme nach oben und dann nach der Seite um sich abzukühlen. Als sie sich umdrehte, fiel ihr ein recht gut aussehender Mann auf, Mitte dreißig schätzungsweise, der sie ungeniert anstarrte. Er lächelte als sich ihre Blicke trafen. Patrizia war direkt hinter ihr aus der Saunahütte getreten und sie hatte diesen Blick bemerkt. Sie starrte den Mann giftig an und begab sich dann an Clarissas Seite.

»Also«, sagte sie. »Wir sollten uns abkühlen.«

»Oh nein, in die kalte Brühe gehe ich nicht«, sagte Clarissa. »Ich werde mich unter der Dusche abkühlen und danach ein wenig ins Blubberbad gehen, das entspannt so herrlich. Und dann würde ich gerne was trinken!«

»In Ordnung. Aber ich muss kurz in den Pool«, sagte Patrizia.

Clarissa stand am Rand des Außenpools und sah Patrizia zu, wie sie zwei, drei Runden in dem kalten Wasser schwamm, stöhnend, weil ihr inzwischen auch viel zu kalt war. Es war erleichternd für beide, als sie die geheizten Innenräume betreten konnten, in denen sich der große Whirlpool befand. Clarissa begab sich unter die Dusche und Patrizia begleitete sie, obwohl sie sich draußen schon geduscht hatte. Liebevoll strich sie ihr unter der Dusche über die Arme, presste sich schließlich an sie und küsste sie.

»Patrizia«, sagte Clarissa mahnend. »Muss das sein? Hier?«

»Ach«, sagte Patrizia unbekümmert. »Es sieht uns doch keiner. Die Atmosphäre in der Sauna macht mich immer so geil und du sowieso, was soll ich machen?«

Tatsächlich befanden sie sich in der hintersten Ecke der Duschkabinen, aber Clarissa musste stets daran denken, dass das hier eine andere Situation war als die Liebesspiele in Patrizias Wohnung. Hier waren sie in der Öffentlichkeit. Hier konnten sie einer Nachbarin begegnen, einem Kollegen von Daniel, Freunden, entfernten Bekannten. Es geschah nicht selten, dass sie in dieser Sauna auf Menschen traf, die sie kannte. Patrizia machte das nichts aus, das wusste sie. Aber ihr machte es etwas aus. Patrizia wusste das und es nervte Clarissa, dass sie darauf keine Rücksicht nahm.

Im Whirlpool konfrontierte Patrizia sie gleich wieder mit der nächsten unangenehmen Situation. Kaum hatten sie sich in das blubbernde Wasser gelegt und angefangen, sich ein wenig zu entspannen, gesellte sich der Mann hinzu, der Clarissa draußen so unverblümt angestarrt hatte. Er ließ sich genau neben ihr nieder. Patrizia raste vor Wut, das war schon an ihrem Blick zu erkennen.

»Bist du öfter hier?« fragte er Clarissa. Innerlich musste sie lachen, auch wenn sie wusste, dass Patrizia neben ihr vor Wut schäumte. Ein ziemlich blöder Spruch um eine Frau anzumachen. Patrizia legte ihre Hand auf Clarissas Schenkel und funkelte ihn wütend an. Er registrierte das auch, aber wahrscheinlich dachte er sich noch nichts dabei. Es amüsierte Clarissa auch irgendwie, dass Patrizia eigentlich viel besser aussah und unter anderen Umständen wäre es sicher sie gewesen, die von Männern angesprochen würde. Bei den giftigen Blicken allerdings mit welchen sie die anwesenden Männer bedachte kam natürlich keiner von ihnen auf die Idee, sie anzusprechen.

Clarissa wirkte da schon freundlicher.

»Ich heiße Tom«, sagte er, und er lächelte Clarissa an.

»Clarissa«, antwortete sie, und sie lächelte zurück.

»Habt ihr Lust mit mir was trinken zu gehen?« fragte er arglos.

Er hatte damit zwar beide angesprochen, aber nur Clarissa angesehen. Er lächelte freundlich, aber selbst für Clarissa, die solchen Situationen immer ein wenig arglos gegenüber stand, war ersichtlich, dass er sie näher kennen lernen wollte, dass er Spaß suchte.

»Wir könnten auch erst noch den nächsten Aufguss mitnehmen«, fügte er seiner Frage hinzu.

Patrizia ließ sich ein wenig vom Wasser treiben, bis sie genau vor ihm stand.

»Hey«, sagte sie. »Du kannst dir deine dämliche Anmache sparen, sie ist mit mir hier, klar?«

»Na und?« fragte er. »Alle Frauen kommen mit ihrer Freundin, wenn sie nicht mit ihrem Mann kommen, wo ist das Problem?«

»Dass sie meine Freundin ist«, keifte Patrizia.

»Und?«

»Ich mag es nicht wenn sie angemacht wird, klar?«

Der Mann lachte.

»Warum nicht? Gönnst du es ihr nicht? Soll ich lieber dich anmachen?«

Patrizia schoss nach vorne wie ein Pfeil und Clarissa konnte nur ahnen, wonach Patrizia so rasend schnell gegriffen hatte, aber Tom verzog sein Gesicht auf eine schmerzhafte Weise und Clarissa betete, dass sie sich irrte.

»Damit das klar ist zwischen uns beiden, ich mag es nicht wenn du meine Freundin anmachst!« zischte Patrizia.

»Patrizia!« Clarissa war die Situation einfach nur peinlich. »Lass das! Sofort!«

Patrizia warf ihr einen verheißungsvollen Blick zu und ließ Tom los, besser gesagt das Teil das sie von ihm in der Hand gehabt hatte. Sein Gesicht war noch immer schmerzhaft verzogen.

»Sorry, ich konnte doch nicht ahnen, dass ihr ein Pärchen seid«, stammelte er.

»Jetzt weißt du es!« sagte Patrizia.

Clarissa war entsetzt. Entsetzt über diese ganze Art ihrer Freundin, die sie soeben erlebt hatte. Wenn Patrizia sich so aufführte, wollte sie mit ihr nichts zu tun haben. Sie stieg entnervt aus dem Whirlpool, griff nach ihrem Bademantel und lief nach vorne in den Restaurantbereich. Dort bestellte sie sich einen Kaffee und es dauerte nicht lange bis Patrizia zu ihr stieß.

»Was soll das? Wieso verschwindest du einfach und lässt mich stehen?« plärrte sie hysterisch.

»Geht es noch ein wenig lauter?«

»Klar«, sagte Patrizia trotzig. »Lauter geht immer!«

»Wag dich ja nicht!«

Patrizia rang nach Luft, setzte sich schließlich an den Tisch kramte ihre Zigarettenspitze aus der Tasche ihres Bademantels. Rauchen war hier verboten. Dafür standen im Außenbereich ein paar Sitzgelegenheiten, doch dafür war es zu dieser Jahreszeit zu kalt. Also spielte sie einfach nur mit der Zigarettenspitze herum und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Nach und nach entspannte sie sich.

Clarissa beobachtete sie fassungslos. Als hätte jemand einen Kippschalter umgelegt. Eben noch war sie aggressiv gewesen, hatte diesen Mann geradezu angegriffen und sie hysterisch angeschnauzt, jetzt saß sie da, bequem in den Korbsessel gelehnt und war plötzlich wieder die coole Patrizia.

»Du spinnst wohl, was war das denn eben für eine Szene?« fragte Clarissa.

»Ach das? Ja, wie soll ich das sagen. Ich hab ihn wohl ... wie nennt man das? An den Eiern gepackt?«

»Das ist Körperverletzung.«

»Ich weiß.«

»Warum tust du das? Glaubst du etwa, ich wäre auf seinen Flirt eingegangen?«

»Na bist du doch!«

»Bin ich nicht! Und selbst wenn! Wieso hast du dann ein Problem damit? Was habe ich dir versprochen?«

»Nichts«, sagte Patrizia. »Aber ich ertrage es nicht, wenn dich jemand anmacht. Und wenn du lesbisch wärest wie ich, dann würde ich mir vielleicht keine Gedanken um so was machen, aber du stehst eigentlich auf Männer und das macht mir Sorgen, verstehst du das nicht?«

»Nein. Ich habe dir immer gesagt, dass ich meinen Mann nicht verlasse, das tu ich für dich nicht und das tu ich auch für keinen Mann. Ich liebe meinen Mann.«

Patrizia verzog das Gesicht.

»Ich kann nicht zusehen, wie dich einer anmacht, das halte ich nicht aus.« Sie seufzte. »Mit Daniel kann ich irgendwie leben, der gehört schon viel länger zu deinem Leben als ich, aber alles andere ist für mich nicht erträglich.«

»Spinn nicht rum, Patrizia! Ich bin inzwischen einundvierzig Jahre alt, ich weiß was ich will, und was ich noch nie wollte waren Saunabekanntschaften oder überhaupt, nähere Bekanntschaften zu irgendwelchen Männern. Der war nett und höflich und hat sich lediglich vorgestellt!«

»Er war auf dem besten Weg, dich richtig anzugraben!«

Clarissa zuckte mit den Schultern.

»Und wenn schon. Was hast du gegen einen kleinen Flirt? Glaubst du es tut mir nicht ab und zu mal gut, wenn ich merke, dass ich noch begehrenswert bin? Er war bereits kurz vor dem Punkt an dem ich solchen Männern üblicherweise sage, dass sie mich bitte in Ruhe lassen sollen. Aber dann ist ja mein Rottweiler dazwischen gegangen.«

Patrizia starrte wütend auf den Boden.

»Wenn du das so siehst, sollten wir den Nachmittag wohl lieber beenden.«

»Ja, so sehe ich das«, sagte Clarissa. »Und ich bin auch dafür dass wir diesen Nachmittag beenden.«

Wütend trank sie ihren Cognac, den Kaffee ließ sie unberührt stehen. Dann lief sie zu den Duschkabinen. Im Duschraum war sie allein, bis Patrizia kurz darauf ebenfalls die Dusche betrat.

Während sie sich duschte spürte sie, dass Patrizia sie mit unsicheren Blicken bedachte. Schließlich stand sie plötzlich vor ihr, goss ein wenig Duschgel auf ihre Hände und verrieb es in langsamen, streichelnden Bewegungen auf Clarissas Oberkörper. Clarissa stöhnte auf, aber trotzdem sah sie Patrizia fest in die Augen. Sie tat es schon wieder. Oder sie versuchte es. In der Öffentlichkeit.

»Mensch, ich hab dich doch auch lieb«, sagte Clarissa genervt. »Aber ich käme niemals auf die Idee mich so aufzuführen. Und jetzt lass das bitte, denn wir sind noch immer in der Öffentlichkeit.«

Patrizia zuckte mit den Schultern, aber in diesem Moment wirkte sie nicht so überlegen wie sonst so oft, sondern eher sehr traurig. Sie hörte aber wenigstens auf sie zu streicheln und wandte sich der Dusche nebenan zu, seifte ihren eigenen Körper ein.

»Ich bin eben sehr eifersüchtig«, sagte sie.

»Das kannst du aber mit mir nicht machen. So nicht. Das mache ich nicht mit. Wenn Daniel sich so aufgeführt hätte, wäre ich jetzt genauso sauer!«

»Wenn du mit deinem Mann hier gewesen wärest, wäre das gar nicht passiert. Das ist es ja, diese blöden Typen sehen zwei Frauen, überlegen sich welche davon sie anmachen. Da ist kein Kerl dabei, also darf man ruhig baggern. Die denken nicht für fünf Minuten darüber nach, dass diese zwei Frauen vielleicht zusammen sein könnten.«

»Warum sollten sie auch, Patrizia?«

»Weil es inzwischen normal ist, dass schwule oder lesbische Pärchen sich auch öffentlich zeigen.«

»Ja«, sagte Clarissa. »Aber wir beide haben weder geschmust noch Händchen gehalten noch sonst was. Woher hätte er das wissen sollen? Ich bin sicher er hätte es respektiert, wenn er gesehen hätte, dass wir zusammen sind!«

»Du bist doch diejenige, die auf Diskretion in der Öffentlichkeit besteht. Ich hätte kein Problem zu zeigen was ich für dich empfinde.«

»Richtig Patrizia. Ich betrüge meinen Mann seit Monaten mit dir und habe deswegen ein schlechtes Gewissen, aber genau deswegen möchte ich mich wenigstens diskret verhalten. Stell dir vor uns sieht jemand und erzählt es ihm! Kannst du dir vorstellen wie er sich dann fühlen würde? Eine solche Demütigung muss nicht sein.«

Patrizia kniff die Augen zusammen.

»Na ja«, sagte sie. »Vielleicht würde er sich fühlen wie du damals, als du seine Mails gefunden hast.«

Clarissa gab einen zischenden Laut von sich. Sie ärgerte sich über Patrizias Unvermögen, Rücksicht zu nehmen, genauso sehr ärgerte sie sich darüber dass sie gerne Äpfel mit Birnen verglich.

»Ich habe die Mails gefunden, Patrizia. Das war hart genug. Aber noch fürchterlicher wäre es gewesen, wenn mir jemand der es angeblich gut mit mir meint, am Ende noch grinsend erzählt hätte, dass er Daniel mit einer anderen Frau gesehen hat. Das ist kompromittierend! Und es ist so ziemlich die mieseste Demütigung, die man einem Menschen noch antun kann, außer ihn zu betrügen!«

Patrizia sah sie kurz an und schaute dann weg, wusch sich die Haare. Eine halbe Stunde später saßen die beiden Frauen wieder im Auto und waren unterwegs Richtung Innenstadt. Während der ganzen Fahrt redeten die beiden Frauen kein Wort, aber Clarissa fühlte, dass Patrizia litt.

»Sehen wir uns wieder?« fragte Patrizia unsicher, als sie vor Clarissas Haus hielt. Clarissa stieg aus, griff nach der Tasche auf dem Rücksitz und sah ihr noch mal fest in die Augen bevor sie die Autotür schloss. Sie schaute noch einmal über die Beifahrertür in den Innenraum.

»Natürlich sehen wir uns wieder. Aber in die Sauna gehe ich mit dir nie wieder.«

»Es tut mir leid«, sagte Patrizia kleinlaut.

»Das weiß ich«, sagte Clarissa. »Aber das ändert nichts mehr. Sauna mit uns beiden hat sich erledigt.«

Sie schloss die Wagentür und starrte der davon brausenden Patrizia noch eine Weile hinterher. Nachdenklich. Das Ganze geriet außer Kontrolle.