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Ein Jahr später saß Clarissa mit Anja im Wohnzimmer vor den Bildern, die sie in den vergangenen Monaten gemalt hatte. Anja hatte Recht behalten. Für Clarissa war es die beste Therapie gewesen, wieder mit dem Malen anzufangen. Schon nach den ersten Pinselstrichen, die ihr anfangs noch schwergefallen waren hatte sie sich gefragt, warum sie eigentlich jemals damit aufgehört hatte. Vielleicht hatte sie keine Emotionen mehr übrig gehabt um sie in ihren Bildern zu verarbeiten. In den letzten Monaten jedoch hatte sie mehr Emotionen gehabt als sie verarbeiten konnte und in der Malerei hatte sie ein Ventil dafür gefunden. Manchmal war sie nächtelang wach, nur weil sie nicht von dem Bild lassen konnte an dem sie gerade arbeitete. Anja war begeistert von Clarissas Werken, allerdings fehlte ihr jegliches Verständnis für Kunst und so hätte sie nicht einmal erklären können, warum ihr die Bilder gefielen. Sie strahlten eine hektische Unruhe und eine Angst aus, die ein empfindsamer Mensch wie Clarissa wahrscheinlich niemals in Worte packen konnte. In ihren Bildern jedoch kamen sie zum Vorschein. Auf Anja übten Clarissas Werke eine unglaubliche Faszination aus. Möglicherweise identifizierte man sich beim Anschauen der Bilder mit irgendetwas. Anja hätte es nicht mit Gewissheit sagen können was es war, aber diese Bilder hatten es eigentlich verdient, ausgestellt zu werden. In Clarissas Bildern lag so viel Schmerz, so viel Liebe, so viel Sehnsucht und so viel Verlangen, wie es wohl nur sie auszudrücken vermochte.

»Sie gehören ausgestellt«, sagte sie zu Clarissa. »Ich weiß, ich habe das jetzt ungefähr fünf Mal gesagt, aber ich meine es auch so.«

»Blödsinn, wer sollte sich denn schon für die Malereien einer Hausfrau interessieren?« antwortete Clarissa bescheiden. Sie spielte diese Bescheidenheit nicht. Sie nahm sich einfach selbst nicht so wichtig. Eine Eigenschaft, die Anja einerseits an ihr schätzte, andererseits auch häufig rügte.

»Du stellst dein Licht immer viel zu sehr unter den Scheffel«, sagte sie. »Du spürst gar nicht, wie viel Freude du schenken kannst. Ich habe eine Bekannte, die eine Galerie hat. Es ist eine kleine Galerie und noch nicht besonders namhaft, aber das ist ja egal. Hautsache, die Menschen bekommen deine Bilder zu sehen.«

»So ein Quatsch«, sagte Clarissa. »Dafür interessiert sich doch niemand! Andere Künstler studieren Kunst, Malerei, was weiß ich und ich komme hier mit meinen Acrylbildern und ein paar Kohlezeichnungen an, die ich im Gästezimmer gemalt habe, was denkst du nur!«

»Dass du viel zu bescheiden bist«, ertönte plötzlich Daniels Stimme.

Die beiden Frauen hatten in ihre Diskussion verstrickt nicht bemerkt, dass er das Zimmer betreten hatte und wohl schon eine ganze Weile in der Tür stand. Er nahm Clarissa sanft in die Arme. Unwillkürlich und ohne es zu wollen, versteifte sie sich. Daniel ließ sie sofort los, aber er ging nicht darauf ein.

»Anja hat recht, diese Bilder gehören ausgestellt, sie sind gut, richtig gut.«

Anja nickte zustimmend. Sie war nicht nur froh darüber, dass Clarissa wieder einen Weg zurück zu ihren künstlerischen Begabungen gefunden hatte, sondern auch darüber dass es ihr offensichtlich gelungen war, sich wieder mit Daniel zu vertragen. Wirklich verziehen hatte sie ihm wohl nicht, ein Umstand, der Anja noch immer Sorgen bereitete.

Clarissa sprach nicht mehr über das, was vor einem Jahr geschehen war. Auch Daniel mied das Thema. Eigentlich war wieder alles wie früher, zumindest oberflächlich betrachtet und das gab doch Anlass zur Hoffnung.

Nach dem riesigen Streit, den Daniels Affäre vor einem Jahr ausgelöst hatte, waren die beiden für zwei Wochen nach Mallorca gereist. Anja hatte in diesen zwei Wochen die Kinder gehütet. Nicht gerade der romantischste Traumurlaub, aber wenigstens weg von zu Hause, zur Zweisamkeit verurteilt, eine Phase in der sich der weitere Werdegang ihrer Ehe entscheiden sollte. Es hatte nur zwei Wege gegeben, entweder die beiden fanden wieder zueinander und konnten mit dieser Zweisamkeit umgehen oder sie würden einsehen, dass es zu Ende war. Und Anja war ein Stein vom Herzen gefallen, als sie festgestellt hatte, dass die beiden den heftigsten Teil ihrer Krise offensichtlich überwunden hatten, auch wenn die Sache noch längst nicht vollständig ausgestanden war. Aber Clarissa hatte sich entschieden, und zwar für Daniel. Trotzdem, wenn man Clarissa gut kannte, kam man nicht umhin, den noch immer anwesenden Schmerz in ihrem Gesicht festzustellen. Selbst wenn sie lächelte. Dieser Schmerz hatte sich in Clarissa eingebrannt, war immer latent anwesend und gab ihr etwas Wehmütiges, das sie früher nicht ausgestrahlt hatte. Hier und da fiel eine Bemerkung, die Anja als sehr verbittert empfand und sie hoffte sehr, dass Clarissa diese Verbitterung eines Tages überwinden würde.

Als ihre beste Freundin wusste sie auch, dass Clarissa kaum noch mit Daniel schlief. Meist fanden nur recht hilflose Versuche statt, die Daniel in der Regel nach einigen Minuten aufgab. Clarissa drehte sich dann einfach um und versuchte einzuschlafen. Anja war die einzige außenstehende Person, die das wusste. Sie rechnete es Daniel hoch an, dass er trotzdem geduldig blieb, ruhig, bedächtig und vor allem nicht aufgab um seine Frau zu kämpfen.

»Ich spreche mit Patrizia«, sagte sie. »Sie wird sich bestimmt schon in ein paar Tagen bei dir melden und dann solltest du mit ein paar Bildern zu ihr gehen.«

»Kostet so eine Ausstellung nicht einen Haufen Geld?« fragte Clarissa.

»Klar, für die, die ein Bild kaufen schon«, lachte Anja. »Und man wird deine Bilder kaufen, davon bin ich überzeugt.«

»Das wäre schön«, sagte Daniel.

Clarissa wandte sich zu ihm um.

»Warum? Weil ich mich dann am Familieneinkommen beteiligen könnte?«

Sie hatte in den letzten Monaten öfter diesen Ton drauf. Sarkastisch, teilweise richtig bösartig, immer mit dem Vorsatz, ihn zu verletzen. Sie merkte es selbst, aber sie konnte nicht anders.

»Nein«, sagte er geduldig. »Das haben wir nicht nötig. Ich würde es schön finden, weil dir dadurch klar werden würde, dass deine Kunst einen gewissen Wert hat. Auch wenn du sagst, es ist nur dein Hobby. Manche Schriftsteller sind auch nur einfach ihrem Hobby nachgegangen und sind heute berühmt. Wenn man eine solche Begabung hat, dann darf man damit auch nach draußen gehen.«

»Für so gut haltet ihr die Bilder?« fragte Clarissa erstaunt.

Daniel nickte. »Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht so wäre, aber Anja doch erst recht nicht. Du weißt doch selbst dass sie eine knallharte Nuss ist, die sagt was sie denkt.«

Anja stieß ihm in die Seite. »Naja, so weiß aber wenigstens immer jeder woran er mit mir ist, oder?«

Daniel nickte. »Das ist wahr. Auch wenn du manchmal eine Nervensäge bist.«

Clarissa räumte ihre Bilder zusammen.

»Ich finde, ihr macht da viel zu viel Wind drum«, murmelte sie.

»Warum glaubst du nicht an dich?« fragte Anja.

Clarissa zuckte nur mit den Schultern und blieb ihr eine Antwort auf diese Frage schuldig.