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Als sie spät am Abend wach wurde, saß Daniel neben ihr am Bett. Sein Gesicht wirkte besorgt.

»Die Kinder!« rief sie erschrocken und fuhr hoch, als sie sah dass es draußen schon dunkel war.

»Sie haben angerufen und nach dir gefragt. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen bitte noch eine weitere Nacht bei ihren Freunden bleiben, weil wir wichtige Dinge zu besprechen haben.«

Clarissa richtete sich auf, zog die Bettdecke bis unters Kinn und schlang die Arme um ihre Knie.

»Clarissa, ich weiß, alles was ich jetzt sagen könnte klingt wie irgendein Schwachsinn, den du schon hundertmal in Romanen gelesen oder in Filmen gesehen hast. Es tut mir schrecklich leid. Ich habe den größten Fehler meines Lebens gemacht und dich damit furchtbar verletzt, das kann ich nie wieder gut machen. Aber ich würde es gerne versuchen. Wenn du möchtest, ziehe ich aus, dann gehen wir erst mal auf Distanz. Finanziell musst du dir keine Sorgen machen. Vielleicht kriegen wir es wieder hin, wenn ich dich eine Weile in Ruhe lasse. Ich habe Mist gebaut, Clarissa, ganz großen Mist. Aber ich liebe dich. Ich will meine Frau nicht verlieren. Ich will unsere Familie nicht verlieren.«

Er reichte ihr einen Becher schwarzen Kaffee.

»Warum hast du an mich und deine Familie nicht früher gedacht?« fragte Clarissa. »Warum sind wir dir nicht eingefallen, als du diese Frau gefickt hast?«

Er starrte auf den Boden. »Ihr seid mir eingefallen, ständig.«

»Aber der Trieb war stärker, was?«

»Clarissa, ich weiß nicht was mit mir los war. Ich schwöre dir wirklich bei allem was mir heilig ist, wichtig warst immer nur du mir. Vielleicht war es meine Eitelkeit, das ist auch verwerflich und bestimmt keine Ausrede. Wir sind schon so lange zusammen, alles ist so eingespielt und plötzlich tauchte diese Frau in meinem Leben auf. Sie wollte mich haben, sie hat mir das mit einer Leidenschaft deutlich gemacht, die...«

Er verstummte.

»Mit einer Leidenschaft, die du bei mir vermisst hast, was?«

Er nickte, aber er wagte es nicht, sie anzusehen.

»Vielleicht solltest du dir bei der Gelegenheit einfach mal darüber im Klaren werden, dass auch ich eine gewisse Leidenschaft vermisst habe und dich trotzdem nicht betrogen habe, obwohl es mir an Gelegenheiten niemals gemangelt hat. Ich hätte alle Zeit der Welt, mir einen Lover zu halten, so ganz nebenbei, aber ich würde so etwas niemals tun, und weißt du warum, Daniel?«

Er schüttelte den Kopf.

»Weil du für mich der Mittelpunkt meines Lebens warst. Immer. Zu jeder Zeit. Ich wollte deine Leidenschaft und nicht die von irgendeinem anderen Mann. Wenn ich Sehnsüchte irgendwelcher Art hatte, dann standen sie immer in Zusammenhang mit dir und ein anderer hätte sie mir gar nicht erfüllen können.«

»Es tut mir so leid, Clarissa.«

Sie schnaufte. »Dir fehlt also die Leidenschaft, ja? Mir auch! Schon lange nimmst du mich nicht mehr leidenschaftlich in die Arme, wenn du nach Hause kommst, oder wenn du gehst. Und wenn du es tust, dann merkt man, dass du in Gedanken eigentlich schon weg bist! Schon lange fällst du nicht mehr über mich her, wenn ich mich neben dich ins Bett lege. Ich bin einfach nur da. Und nach dem was ich jetzt weiß und gestern Nacht sehen musste, frage ich mich, was bin ich für dich? Deine Haushälterin, mit der du ab und zu mal lustlos schläfst?«

Sie trank gierig den heißen Kaffee und wärmte ihre Hände an der großen Tasse. Alles an ihr schien so kalt zu sein.

»Daniel, zweimal Sex im Monat genügt auch mir nicht, aber wenn ich das Gefühl haben muss, dass mein Mann zu müde ist und er sich nicht gut fühlt nach einem harten Tag, da bin ich rücksichtsvoll und lasse dich in Ruhe. Ich könnte jeden Tag Sex haben, jedenfalls dann, wenn du so leidenschaftlich wärest wie du es früher warst. Früher konnte ich mich nicht mal bücken um etwas aufzuheben ohne dass du gleich in mir warst. Und heute?«

Sie schnaufte wieder verächtlich. »Heute muss ich doch froh sein, wenn du mich überhaupt noch als Frau wahrnimmst. Ich glaube, für dich ist in Bezug auf mich nur noch wichtig, dass hier alles funktioniert. Dass deine Wäsche in Ordnung ist, dass das mit den Kindern alles klappt, dass das Haus sauber ist. Mehr interessiert dich doch an mir gar nicht mehr. Und für alles was Spaß macht, hast du ja deine Anita. Für sie überwindest du sogar deine Abneigung gegen asiatisches Essen.«

Wieder schnaufte sie verächtlich. »Aber ist ja klar. Wenn eine mit straffen Schenkeln und dicken Brüsten dich drum bittet, ist es natürlich viel leichter ihr den Gefallen zu tun als mir.«

»Liebling, das ist beendet, ich schwöre es dir. Und du brauchst überhaupt nicht auf ihrer Figur herumzuhacken oder noch besser gesagt, auf deiner Figur. Du bist eine wunderbare Frau, du siehst klasse aus und ich liebe dich zutiefst und sehr innig. Und das ist etwas, was mich mit dir verbindet, nur mit dir. Anita, das war etwas anderes. Sicher, ich hatte sie gerne und es wäre dämlich von mir zu sagen, ich hätte keinen Spaß gehabt mit ihr. Sie hat mich einfach an einer ganz anderen Stelle gepackt, verstehst du?«

»Natürlich Daniel. Am Schwanz. Vielleicht hätte ich das auch tun sollen, aber bei mir bist du ja immer so abgeschlafft und müde. Vielleicht hätte ich dich auch einfach nur da packen sollen und auf mein Recht bestehen sollen, aber ich dachte immer, wenn man liebt versucht man auch Rücksicht zu nehmen!«

»Du denkst doch nicht wirklich, dass ich mit dir nicht zufrieden und glücklich war? Du denkst doch nicht etwa, dass mein Verhältnis bedeutet, dass du in irgendeiner Form unzulänglich bist?« Er atmete tief ein. »Clarissa, wenn hier jemand unzulänglich ist, dann bin das ich. Du nicht. Du bist eine Wahnsinnsfrau.«

»Lass mich in Ruhe Daniel. Bitte, lass mich einfach nur in Ruhe. Du wirst jetzt alles Mögliche sagen um mich zu beruhigen, du wirst mir alle möglichen Versprechungen machen, nur damit ich mich abrege, aber ich werde mich nicht beruhigen. Und ich werde dir das niemals verzeihen!«

Daniel starrte ein paar Minuten auf den Boden und schwieg. Schließlich erhob er sich.

»Wenn du reden möchtest, ich bin unten im Wohnzimmer. Ich habe übrigens alle meine Termine abgesagt und mir wegen einer wichtigen Familienangelegenheit zwei Wochen frei genommen.«

»Genau«, sagte Clarissa. Sie spürte, wie Hass in ihr aufstieg. »Wir verbringen jetzt zwei Wochen sehr intensiv miteinander, diskutieren alle unsere Probleme weg und wenn wieder alles okay ist, gehst du wieder arbeiten. Sicher steht auch schon bald deine nächste Geschäftsreise nach Hannover an und Anita wird dich sicher sehnsüchtig erwarten.«

»Clarissa, bitte ...«

»Du musst ja eine große Nummer in ihrem Bett gewesen sein«, sagte Clarissa. »Die ganzen Mails lesen sich ja so, als hättet ihr es stundenlang miteinander getrieben. Wie lange dauert es bei uns? Ich glaube, es sind im Schnitt so zehn Minuten. Mit Vorspiel.«

»Clarissa!« Sie lachte, aber es war wieder dieses bittere, gequälte Lachen, ein Lachen das Daniel bis ins Mark erschütterte.

»Ist auch klar«, sagte sie und heuchelte Verständnis. »Wer kann schon stundenlang bei einer alten Fregatte wie mir, was? Da macht man das Licht aus und erfüllt seine Pflicht, damit die Alte weiterhin schön funktioniert, nicht? Damit man unbesorgt seinem Vergnügen nachgehen kann.«

»Wie kommst du nur darauf, Clarissa und denkst du wirklich, du bist so wertlos, wie du es jetzt hier darstellst oder ist das nur deine Wut? Ich liebe dich und ich möchte dich nicht verlieren! Du und unsere Familie – das bedeutet mir alles!«

»Darüber hättest du früher nachdenken müssen.«

»Das weiß ich. Manchmal macht man dumme Sachen. Und manchmal machen auch intelligente Menschen richtig schlimme Fehler.«

»Das waren keine dummen Sachen, Daniel. Das war grober, vorsätzlicher und monatelanger Betrug. Vielleicht bist du anfangs reingestolpert, aber du hättest es irgendwann erkennen und die Notbremse ziehen müssen. Aber diese Sache ging jetzt über mehrere Monate. Monate, in denen du mich belogen hast, in voller Absicht, nur um nicht auf das eine oder das andere verzichten zu müssen. Und wenn ich es nicht herausgefunden hätte, wäre es wahrscheinlich noch monatelang weitergegangen. Und wer weiß, vielleicht hättest du es nur beendet, weil die nächste Frau dich anhechelt. Oder vielleicht eines Tages festgestellt, dass Anita auch gut kochen kann? Nein danke, Daniel!«

»Du musst erst wieder auf die Beine kommen, Clarissa«, sagte Daniel. »Dich beruhigen. Und dann besprechen wir in aller Ruhe, wie wir weiterhin vorgehen.«

»Ich kann dir sagen wie ich vorgehe!« brüllte Clarissa und warf die Kaffeetasse an den Schlafzimmerschrank. »Ich mache dich fertig, ich nehme dir alles, was dir etwas bedeutet, ich zerstöre dein Leben, so wie du es mit meinem getan hast!«

Daniel schlich aus dem Schlafzimmer und sie hörte, wie er die Treppe nach unten lief. Clarissa griff nach dem Valium, das neben ihr auf dem Nachttisch lag und schluckte eine weitere Tablette. Nur nichts mehr hören, nichts mehr sehen, vor allem bitte, nichts mehr fühlen müssen, denn es tat so weh. Es zerriss sie innerlich. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er blieb und sie weiterhin mit ihm zusammenlebte, obwohl es diese andere Frau gegeben hatte. Aber sie konnte auch nicht mit dem Gedanken leben, ihn nun aufzugeben. Am liebsten wäre ihr gewesen, sie hätte die Zeit zurückdrehen und einfach nur zur rechten Zeit am rechten Ort sein können, die ganze Sache von vornherein verhindern, aber das ging natürlich nicht. Sie schaltete den Fernseher ein, der im Schlafzimmer stand und zappte sich gleichgültig durch die Programme. Schließlich stieg sie die Treppen hinunter ins Wohnzimmer und holte die Cognacflasche aus dem Schrank. Daniel registrierte es schweigend, Clarissa würdigte ihn keines Blickes. Gegen zehn Uhr abends und nach einigen kräftigen Schlucken aus der Flasche übermannte sie der Schlaf. Ein tiefer, traumloser Schlaf, in dem sie nichts spürte. Wie erstrebenswert in dieser Situation.