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Eine Woche später klingelte Herr Meierhofer an der Haustür. Glücklicherweise war auch Daniel bereits zu Hause. Er arbeitete derzeit nur so viel wie nötig und versuchte, so viel wie möglich bei Clarissa zu sein, um ihr wenigstens ein scheinbares Gefühl von Sicherheit zu geben. Er fühlte sich allerdings hilflos und nutzlos. Wie sollte er gegen einen Feind kämpfen, der unsichtbar blieb und heimtückisch aus dem Hinterhalt zuschlug?
»Herr Ostermann«, sagte Meierhofer. »Darf ich reinkommen?«
»Natürlich.«
Daniel bat ihn ins Wohnzimmer und Clarissa stellte dem Beamten unaufgefordert eine Tasse Kaffee auf den Tisch.
»Danke schön«, sagte der Polizist höflich. »Ich möchte Ihnen unsere Ermittlungsergebnisse mitteilen.« Daniel und Clarissa setzten sich gespannt dem Beamten gegenüber.
»Frau Schweiger war es nicht«, sagte Meierhofer.
»Patrizia war es nicht?« Meierhofer schüttelte den Kopf und rührte nachdenklich in der Kaffeetasse.
»Herr Ostermann, nach dem Sie die Tage auf dem Revier waren und konkrete Angaben und eine Beschreibung der eventuellen Verdächtigen abgegeben haben, dachten wir auch zunächst, wir hätten die Person, die das alles zu verantworten hat. Aber es war ein Irrtum.«
»Aber das ist der einzige Mensch mit langen, roten und lockigen Haaren, den wir kennen«, sagte Clarissa.
»Möglich«, sagte Meierhofer. »Aber sie war es nicht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Sie hat ein Alibi.«
»Aha«, sagte Daniel. All seine Hoffnungen waren geplatzt. Ja, er hatte tatsächlich gehofft, dass Patrizia all das zu verantworten hatte. Es wäre für ihn erklärbar gewesen. Es hätte ihm vielleicht auch das Schuldgefühl genommen, das auf ihm lastete. Auch wenn er sich selbst schon oft wegen dieses Schuldgefühls für verrückt erklärt hatte. Die Sache mit Anita war zwei Jahre her. Aber Clarissa hatte von Anfang an eine Frau vermutet, und zwar eine, die sich in Daniels direktem Umfeld befand. Auch wenn er sich keiner Schuld bewusst war, so war dies doch ein unangenehmer Gedanke für ihn. Immerhin war er der einzige Mensch der wusste, dass Anita sich eben nicht so einfach mit dem Ende des Verhältnisses abgefunden hatte. Und dass er öfter und anders mit ihr kommuniziert hatte als angegeben.
Meierhofer räusperte sich. »Nun, nach Ihrer Anzeige und der Beschreibung dieser Person die wir durch das Bestattungsinstitut bekommen haben, vor allem nach dem Sie uns einen Namen einer möglichen Täterin nennen konnten, haben wir uns natürlich mit den Kollegen in Frankfurt in Verbindung gesetzt. Die Täterin war gegen siebzehn Uhr im Bestattungsinstitut. Und Frau Schweiger kann es nicht gewesen sein. Sie war an diesem Nachmittag in ihrer Galerie.«
»Sagt sie«, murmelte Daniel.
»Ja, das sagt sie. Aber nicht nur sie sagt das, sondern auch der Kunde, der den ganzen Nachmittag über bei ihr war – in Begleitung seiner Frau. Beide sind gegen sechzehn Uhr zu Frau Schweiger in die Galerie gekommen, haben sich die ganzen Bilder angeschaut, die Skulpturen angesehen, haben sich beraten lassen. Und letztlich hat der Kunde auch zwei Bilder gekauft, übrigens Bilder von Ihnen, Frau Ostermann. Er hat mit EC-Karte bezahlt, da steht die Uhrzeit und das Datum auf der Abrechnung. Der Mann wie auch seine Frau haben Frau Schweiger eindeutig als die Frau identifiziert, von der sie in der Galerie beraten wurden.«
»Ich bin froh dass sie es nicht war«, sagte Clarissa leise.
»Das können wir gar nicht wissen«, sagte Daniel
unwirsch. »Vielleicht war sie das nicht mit dem
Beerdigungsinstitut. Vielleicht ist sie aber diejenige, die den
Hund auf dem Gewissen hat! Vielleicht hat sie eine
Komplizin!«
Meierhofer schüttelte den Kopf. »Hören
Sie, Herr Ostermann, die Beschreibung war schon sehr gut. Und als
ich ein Bild von Frau Schweiger gesehen habe, dachte ich mir auch,
dass es ja nur sie gewesen sein kann, denn die Beschreibung passt
hundertprozentig auf sie. Ich meine, so auffällige Haare haben doch
wirklich wenige Damen, nicht? Rothaarig sind viele, aber diese
hüftlangen Locken und die schlanke Figur – so sieht die
Durchschnittsfrau wirklich nicht aus. Nein, sie war es nicht. Sie
kann es nicht gewesen sein. Das Alibi ist hieb und stichfest. Der
Kunde ist für Frau Schweiger ein völlig fremder Mensch, sie kennen
sich privat nicht und weder er noch seine Frau hätten einen Grund,
Frau Schweiger ein Alibi zu geben. Und mal ehrlich, sie ist eine
kluge Frau. Glauben Sie allen Ernstes, eine Frau mit einigermaßen
Köpfchen begibt sich in eine solche Situation? Sucht ein
Beerdigungsinstitut auf, wo sie doch damit rechnen muss, dass man
sich zumindest an diese ungewöhnlichen Haare
erinnert?«
Clarissa erhob sich und seufzte. Sie ging ans Fenster. Der Herbst hatte bereits erste Opfer gefordert. Der Garten lag voller Laub. Die Blätter, die noch an den Bäumen hingen, waren dunkelrot. Die Rosen blühten zwar noch, aber sie sahen nicht mehr besonders frisch aus. Sie hatte viel zu tun. Das Leben musste weitergehen. Sie wusste nur nicht wie sie es anpacken sollte.
»Ich schätze, ich werde mich bei Patrizia entschuldigen müssen«, sagte sie leise. »Sie wird dafür Verständnis haben«, sagte Herr Meierhofer. »Immerhin, sie war zwar nach den Aussagen der Kollegen erst mal sehr aufgebracht, als die in ihr Geschäft marschiert sind, aber sie hat sich schnell beruhigt, war kooperativ und sie schien in erster Linie sehr besorgt um Sie zu sein, Frau Ostermann.«
»Als ich gehört habe, dass die Frau lange, rote, und auch noch lockige Haare hat, dachte ich wirklich, es wäre Patrizia.«
»Das kann man Ihnen nicht übelnehmen, Frau Ostermann«, sagte Meierhofer. »Die Beschreibung hat gepasst und ein Motiv hätte es auch gegeben.«
Clarissa fuhr herum und blickte unsicher zwischen Daniel und dem Polizeibeamten hin und her.
»Ich habe es ihm gesagt«, sagte Daniel leise.
Sie nickte.
Der Beamte erhob sich. »Wir werden natürlich weiter ermitteln«, sagte er. »Ich denke, inzwischen liegt genug vor.«
Er verabschiedete sich freundlich.
»Wo und wie wollen die ermitteln?« fragte Clarissa ihren Mann, als der Beamte das Haus verlassen hatte. »Wer weiß was als nächstes kommt. Und nach was wollen die suchen? Nach einer Frau mit auffälligen, langen, roten Locken?« »Zum Beispiel«, sagte Daniel.
»Und wenn es eine Perücke war?«
Daniel zuckte die Schultern. »Liebes, ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich bin momentan einfach nur froh, dass die Polizisten inzwischen einsehen, dass wir nicht hysterisch sind. Dass sie die Briefe nicht ernst genommen haben, kann ich jetzt im Nachhinein verstehen, aber das mit dem Hund, das mit dem Beerdigungsinstitut ... also wenn das kein Grund ist zu ermitteln, dann weiß ich auch nicht weiter.«
Clarissa versuchte sich in den nächsten Tagen mit Arbeit abzulenken. Sie reinigte gründlich die Schränke in der Küche, nahm sich die komplette Bügelwäsche vor und eines Morgens beschloss sie, den Garten winterfest zu machen. Gleich nach dem Frühstück ging sie nach draußen. Die Kinder hatten Herbstferien und schliefen noch, aber Daniel war längst aus dem Haus. Sie rechte das Laub zusammen und bildete mehrere kleine Haufen, holte schließlich die Biotonne und füllte sie mit dem alten Laub bis nichts mehr hineinpasste. Der Rest musste eben warten bis zur nächsten Leerung. Sie klaubte die verdorbenen Äpfel vom Boden und warf sie auf einen Laubhaufen. Vielleicht wäre es sogar eine gute Idee, einen Komposthaufen anzulegen, überlegte sie sich. In diesem großen Garten würde sich das bestimmt lohnen. Gegen elf Uhr vormittags war sie mit ihrer Arbeit fertig. Es war ein warmer, sonniger Herbsttag, aber der Wind wehte bereits recht kühl und es war zu erkennen, dass die Natur sich auf den Winterschlaf vorbereitete. Erschöpft ging sie wieder ins Haus.
Sie zuckte zusammen als das Telefon klingelte. Sie hatte in den letzten Tagen sehr oft an Patrizia denken müssen und nun hoffte sie inständig dass es nicht sie war, die da anrief. Selbstverständlich hatte sie vor, sich bei Patrizia zu melden. Mit ihr darüber zu reden, über alles was passiert war, über ihre Gründe, ihr die Polizei auf den Hals zu hetzen. Aber sie wusste nicht wie sie damit umgehen sollte und schob das Gespräch immer wieder auf, obwohl sie wusste, dass es überfällig war.
»Ostermann«, meldete sie sich.
»Clarissa?« vernahm sich eine männliche Stimme.
»Ja?« fragte sie. »Wer ist da?«
»Ich habe deine Anzeige in der Zeitung gelesen. Wie läuft das jetzt?«
»Wie läuft was jetzt?« fragte Clarissa. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Ach Mäuschen, wie niedlich, jetzt spielst du aber Katz und Maus mit mir, was? Du hast doch eine Anzeige aufgegeben, oder etwa nicht?«
»Was für eine Anzeige?« fragte Clarissa verwirrt. Sie grübelte. Hatte Daniel ein Inserat aufgeben? Wollte er irgendetwas verkaufen? Das Auto vielleicht? Nein, das konnte nicht sein. Es war noch nicht so alt und lief über Leasing.
»Das mit den Haus- und Hotelbesuchen, Süße«, sagte der Mann am Telefon. »Was für Haus- und Hotelbesuche?« fragte Clarissa. »Kann es sein, dass Sie sich verwählt haben?«
»Nein«, sagte er. »Sicher nicht. Sie haben doch eine Anzeige in der Zeitung oder etwa nicht?«
»Ich habe kein Inserat aufgeben. Was steht denn in der Anzeige?« fragte sie.
»Vollbusige schlanke Mittvierzigerin sucht netten Herrn für romantische Stunden«, las der Mann vor. »Diskretion wird garantiert, keine finanziellen Interessen. Gerne auch Haus- und Hotelbesuche.«
Clarissa wurde schwindelig. Sie rang nach Luft. »Das kann nicht wahr sein«, sagte sie.
Der Mann am Telefon schien zu merken, dass da etwas nicht stimmte, denn plötzlich wich er von seinem bis dahin vertraulichen »Du« ab und siezte Clarissa. »Haben Sie diese Anzeige etwa nicht aufgegeben?«
»Nein«, sagte Clarissa. Sie fühlte sich, als müsse sie gleich in Ohnmacht fallen.
»Oh«, sagte der Mann. »Vielleicht habe ich mich tatsächlich verwählt.«
»Das glaube ich auch«, sagte sie. Irgendwie war sie erleichtert. Er hatte sich verwählt. Das war keine neue Grausamkeit der Person die sie zu verfolgen schien.
»Es tut mir leid«, sagte der Mann. »Dann vergessen Sie meinen Anruf, ich lege auf und wähle noch einmal.«
»In Ordnung«, sagte Clarissa. Sie legte auf. Wenige Sekunden später klingelte das Telefon erneut.
»Ich habe mich nicht verwählt«, sagte der Mann am Telefon. »Es ist eindeutig Ihre Nummer, die hier in der Zeitung steht.«
»Hören Sie, können Sie mir bitte sagen, in welcher Zeitung diese Anzeige steht?« fragte Clarissa. Sie hatte sich ein wenig gefasst.
»Im Stadtanzeiger«, sagte der Mann.
»Danke«, sagte Clarissa. »Zumindest Sie wissen aber nun, dass da ein Irrtum vorliegen muss.«
»Offensichtlich«, sagte er. »Es tut mir leid, wenn ich Sie belästigt habe.«
»Schon gut«, antwortete Clarissa. »Sie werden nicht der einzige sein, der auf diese Anzeige hin anruft, nun weiß ich wenigstens Bescheid.«
Sie legte auf und wählte sofort Daniels Büronummer.
»Guten Tag Frau Ostermann«, meldete sich Daniels Sekretärin freundlich. »Ihr Mann ist leider in einer Besprechung. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
»Ja«, sagte Clarissa. »Er soll mich bitte sofort zu Hause anrufen. Es ist wichtig.«
»Ist was passiert?« fragte die Sekretärin.
Clarissa fuhr der Schreck durch alle Glieder. »Wie kommen Sie darauf?« fragte sie.
»Weil ... nun, Sie klingen so aufgeregt«, hörte sie Andrea sagen. Sie klang sehr freundlich, ganz anders als ein paar Monate zuvor auf der Firmenfeier. Offenbar wurde sie langsam paranoid.
Clarissa atmete erleichtert auf. »Alles in Ordnung, Andrea«, sagte sie. »Er soll mich bitte anrufen, sobald er aus der Besprechung kommt.«
Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte das Telefon erneut. Aber leider war es nicht Daniel, sondern ein weiterer Mann, der sich auf die Anzeige hin meldete. In der kommenden halben Stunde musste Clarissa noch vier weitere Herren abwimmeln. Sie war den Tränen nahe und als das Telefon ein weiteres Mal klingelte, war sie völlig mutlos, als sie den Hörer abnahm. Sie meldete sich bereits nicht mehr mit ihrem Familiennamen, sondern nur noch mit »hallo«.
»Was ist denn los, Liebes?« hörte sie Daniels Stimme. »Andrea sagte, es sei wichtig?«
»Ja, ist es.«
»Ist wieder ein Brief gekommen oder ...?«
Sie unterbrach ihn aufgeregt. »Daniel, es geht weiter. Es wird immer weitergehen, es wird niemals aufhören!«
»Was ist passiert?« fragte Daniel erneut und bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Jemand hat eine Anzeige im Stadtanzeiger aufgegeben. Vollbusige Mittvierzigerin und so weiter. Sex ohne finanzielle Interessen und hundertprozentige Diskretion. Daniel, das Telefon steht nicht still, was soll ich tun?« Sie hörte ihn schnaufen am anderen Ende.
»Liebling, ich besorge mir jetzt erst mal den Stadtanzeiger. Und dann werde ich damit zur Polizei gehen. Die sollen sich drum kümmern. Und wir müssen uns an die Telekom wenden, ich will dass diese Nummer sofort dicht gemacht wird und wir eine neue kriegen. Ich komme so schnell wie möglich nach Hause, ich muss das jetzt erst mal regeln.«
Clarissa legte auf. Und sofort klingelte das Telefon erneut, aber sie hob nicht ab. Sie wusste schon um was es dem Anrufer ging. Als sie sich umdrehte und in die Küche gehen wollte, bemerkte sie Damian der in der Tür stand.
»Was ist denn jetzt schon wieder los, Mama?« fragte er. Er sah verschlafen aus, seine Augen waren noch verschwollen, die Haare standen ihm zu Berge. Clarissa ließ sich verzweifelt auf das Sofa fallen und erzählte ihrem Sohn von der Anzeige in der Zeitung.
»Mama, was machen wir jetzt?« fragte Damian mit ernstem Gesicht.
»Ich mache dir jetzt erst mal Frühstück«, sagte Clarissa.
»Ich kann mir mein Frühstück auch selbst machen«, sagte er. »Ich will wissen, was wir jetzt machen wegen dieser Anrufe.«
Er war so groß geworden. Und er wurde immer erwachsener …
»Ich weiß es nicht, Junge.«
»Mama, das kann nicht ewig so weitergehen. Unser Hund wird umgebracht, ein Beerdigungsinstitut will deine Leiche abholen, du bekommst anonyme Briefe und jetzt das? Das muss aufhören!«
Clarissa lächelte zaghaft. »Junge, was glaubst du wohl, warum wir zur Polizei gegangen sind?«
»Und? Was unternehmen die?«
»Sie ermitteln. Sie werden schon herausfinden wer dahinter steckt.«
»Mama, du hast eine Feindin, ganz offensichtlich, und wir müssen überlegen wer es sein könnte.«
»Damian, darüber grübeln dein Vater und ich seit Monaten! Spätestens seit Sparkys Tod kann ich an gar nichts anderes mehr denken!«
»Du musst hier weg«, sagte Damian. »Wir müssen hier alle weg.«
»Flucht ist keine Lösung. Wer auch immer das sein mag, aber es wird damit nicht aufhören.«
»Vielleicht doch, Mama. Warum fahren wir nicht mal für zwei Wochen weg? Wir haben Ferien.«
»Dein Vater muss arbeiten, Damian.«
»Aber wir müssten keine Angst mehr haben«, sagte plötzlich Charlotte. Clarissa hatte sie nicht kommen hören.
»Du hast Angst?« fragte Clarissa.
Charlotte nickte.
»Ja«,
sagte Clarissa tonlos. »Ich auch. Aber mit zwei Wochen Urlaub ist
die Sache nicht erledigt, versteht ihr? Es wird weitergehen, bis
wir die Person haben, die solche Dinge macht. Und das wiederum ist
Sache der Polizei.«
»Ach«, sagte Damian. »Die Polizei... die machen doch gar nichts!«
»Sie ermitteln, Damian.«
»Ja, aber wohl nicht gründlich!« brüllte er wütend. »Ich mache mir Sorgen um dich! Wer es schafft, einen wehrlosen Hund zu vergiften, ist noch zu anderen Dingen fähig!«
Charlotte setzte sich auf das Sofa und weinte leise. Clarissa nahm sie in den Arm. »Ich verspreche euch Kinder, die Polizei wird herausfinden wer all diese Dinge tut. Bald haben wir Ruhe.«
Damian schüttelte den Kopf und ging in die Küche. Clarissa folgte ihm und räumte Marmelade, Wurst und Käse aus dem Kühlschrank.
Das Telefon klingelte.
»Geht nicht dran«, sagte Clarissa. »Ich möchte nicht dass ihr mit solchem Dreck zu tun habt.«
»Ich kann drangehen«, sagte Damian seelenruhig. »Von mir werden die Typen nichts wollen.« Er meldete sich am Telefon und sofort wurde aufgelegt.
Zwei Stunden später kam Daniel nach Hause.
»Ich war bei der Polizei«, sagte er. »Sie ermitteln.«
»Nett von denen«, sagte Damian zynisch. »Hoffentlich kommt auch endlich mal was dabei heraus!«
»Sei nicht ungerecht Junge«, antwortete Daniel. »So schnell können die nichts herausfinden.«
»Gibt es wenigstens erste Ergebnisse?«
Daniel nickte. »Ja. Glücklicherweise hatte
unser Freund Meierhofer wieder Dienst. Er hat bei der Zeitung
angerufen. Die Dame war sogar persönlich da um die Anzeige
aufzugeben.«
»Aha«,
sagte Clarissa. »Und?«
Daniel seufzte. »Lange, rote Lockenmähne bis zur Hüfte. Schlanke Figur. Die Anzeige wurde gestern Vormittag aufgegeben.«
»Sag mal, muss man sich nicht ausweisen, wenn man solche Anzeigen aufgibt?«
»Das hat Meierhofer den Redakteur auch gefragt. Doch, man muss sich ausweisen. Es war aber kurz vor Redaktionsschluss. Sie hat die Anzeige aufgegeben und bar bezahlt und als der Redakteur sie nach ihrem Ausweis gefragt hat, hat sie auch in der Tasche herumgesucht – und dann mit zuckersüßem Lächeln gesagt, sie hätte ihn wohl vergessen und ob sie ihn nachreichen könnte.«
»Und weil sie so hübsch lächeln konnte, haben die diese Anzeige gedruckt? Ohne Überprüfung der Identität? Ja, da könnte ja jeder kommen und harmlose Nachbarn mit solchen Anzeigen bombardieren!«
»Eben nicht«, sagte Daniel. »Es war wohl ein ganz junger, sehr unerfahrener Redakteur, der die Anzeige entgegen genommen hat. Und sicher hat er sich auch von dem netten Lächeln blenden lassen. Ich schätze, der darf sich einen neuen Job suchen, denn theoretisch könnten wir die Zeitung jetzt verklagen.«
»Theoretisch?«
»Natürlich theoretisch, oder glaubst du ich würde die jetzt wirklich verklagen? Die können im Prinzip nichts dafür, diese Dame die dahinter steckt, scheint mir doch äußerst raffiniert zu sein.«
Erneut klingelte das Telefon.
»Daniel, ich muss hier weg«, sagte Clarissa unvermittelt, auch wenn sie ihren Kindern vor gar nicht allzu langer Zeit noch etwas völlig anderes gesagt hatte. »Ich muss hier weg, ich kann hier nicht bleiben.«
»Aber wo willst du denn hin?« fragte Daniel erstaunt.
»Ich weiß nicht. Lass uns wegfahren! Bitte!« Sie sah ihn so flehentlich an, dass er kaum noch wusste wo er hinschauen sollte.
»Ich kann hier nicht weg, Clarissa«, sagte er leise. »Du weißt das auch. Ich bin erst ein paar Monate in der Firma und ich bin dort der Chef, ich kann nicht von heute auf morgen Urlaub nehmen, auf ungewisse Zeit, und die Firma im Stich lassen. Das geht nicht.«
»Dann fahre ich alleine weg«, sagte sie. »Die Kinder nehme ich mit.«
Daniel atmete tief ein und zündete sich nervös eine Zigarette an.
»Aber wohin willst du denn?« fragte er.
»Ich weiß nicht. Runter nach Frankfurt.«
»Anja hat doch keinen Platz für euch alle drei.«
»Mir egal. Ich will Anja sehen. Bei dieser Gelegenheit kann ich mich auch gleich bei Patrizia entschuldigen. Ich will nach Hause. Ich kann hier nicht bleiben. Ich fühle mich in Gefahr. Ich hab Angst. Und ich hab Angst um die Kinder. Wer weiß wozu diese Person noch fähig ist!«
»Clarissa, bleib doch vernünftig«, versuchte Daniel sie zu beruhigen. »Die Polizei ermittelt, mehr können sie nicht tun, aber sie werden diese Person finden!«
Damian schnaufte. »Wie denn? Indem sie hinter ihren Schreibtischen sitzen?« Daniel atmete erneut tief ein. Man merkte ihm an, wie viel Kraft ihn all das kostete.
»Damian, sei nicht so ungerecht. Sie haben keinerlei Anhaltspunkte außer dass die Dame lange rote, lockige Haare hat. Es könnte auch eine Perücke sein, wahrscheinlich ist es auch eine. Aber sie ermitteln, natürlich informieren sie uns nicht über jeden Schritt. Und früher oder später machen solche Menschen Fehler und werden geschnappt, glaub mir.«
»Ich verstehe Mama, wenn sie Angst hat hier zu bleiben«, sagte Charlotte. »Ich hab auch Angst.«
»Ach, ihr stellt euch jetzt alle an ...«, sagte Daniel vorwurfsvoll. Clarissa erhob sich. Sie atmete tief durch, aber die Wut brach aus ihr heraus und sie hatte sich nicht mehr im Griff.
»Wir stellen uns an, ja? Hör mal, es war unser Hund, der grausam gestorben ist wegen dieser Person! Ich habe mich schon durch die Briefe zu Tode erschreckt, aber das mit dem Hund, das war das Schlimmste, was mir jemals passiert ist! Dann will jemand meine Leiche zur Beerdigung abtransportieren! Jetzt kriege ich Anrufe von irgendwelchen Männern, die sich mit mir vergnügen wollen! Daniel! Mach die Augen auf! Es wird gefährlich!«
»Ach«, sagte Daniel, und er schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. »Lasst doch bitte diese Hysterie! Wenn wir zusammenhalten und auf die Polizei vertrauen, dann wird bald alles gut! Lasst euch doch nicht so einschüchtern!«
»Ich bin eingeschüchtert«, sagte Clarissa plötzlich sehr ruhig. »Ich bin ängstlich und eingeschüchtert seit Sparky. Ich habe diesen Hund geliebt und ich werde nicht hier sitzen und warten bis mir dieser Mensch das Allerliebste nimmt was ich habe. Denn es wird nicht aufhören, Daniel, es wird immer weitergehen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du kannst nicht von mir verlangen, dass wir hier bleiben. Als nächstes ist vielleicht eines unserer Kinder dran, Daniel.«
»Die sind groß, die können auf sich aufpassen.
Du hast ihnen gesagt, sie sollen mit Fremden nicht reden,
jedenfalls im Moment nicht, sie sollen niemanden
reinlassen.«
»Ich
verlasse mich nicht darauf, dass meine Kinder sich schützen können,
Daniel. Ich werde hier weggehen und die Kinder mitnehmen. Nein, ich
verlasse dich nicht, ich würde lieber mit dir weggehen, aber du
willst nicht. Ich komme wieder, wenn die Polizei weiß, wer dahinter
steckt!«
Sie lief nach oben ins Schlafzimmer, zerrte den Koffer vom Schrank und warf wahllos Kleidungsstücke hinein. Die Kinder und auch Daniel standen fassungslos in der Schlafzimmertür und sahen ihr dabei zu.
»Geht packen«, sagte sie zu Damian und Charlotte. »Nehmt alles mit was ihr in der nächsten Woche braucht, oder auch für zwei Wochen. Wir fahren noch heute Nacht.«
»Wie wollt ihr denn hier wegkommen?« fragte Daniel ruhig, aber es klang eher wie eine Feststellung dass es jetzt eher zu spät war um noch drei Sitzplätze im Zug nach Frankfurt buchen zu können, als nach einer Frage.
»Ich fahre mit dem Auto, Daniel.«
»Super Clarissa, und wie komme ich zur Arbeit?«
»Du wirst dir ein Taxi nehmen müssen. Ich jedenfalls werde das Auto nehmen.« Daniel schnaufte.
»Du willst das wirklich durchziehen, ja?«
Clarissa nickte.
»Okay«, sagte Daniel. »Dann ist das wohl beschlossene Sache.«
Beleidigt legte er sich auf das Bett und schaute Clarissa beim Packen zu.
Clarissa stopfte ungerührt immer mehr Kleidungsstücke in den Koffer und lief schließlich ins Badezimmer um ihre Kosmetikartikel zu holen.
»Weißt du wie ich mich fühle?« fragte Daniel plötzlich leise.
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Wie ein Idiot, der nicht in der Lage ist, seine Familie zu beschützen.«
Clarissa setzte sich neben ihn und griff nach seiner Hand.
»Du bist kein Idiot, Daniel. Aber es ist offensichtlich, dass du uns nicht beschützen kannst. Wie denn auch? Unser Feind ist unsichtbar. Er schlägt zu wenn wir nicht damit rechnen und auf eine so perfide Art, wie wir sie uns nicht im Traum vorstellen könnten. Wie willst du uns da schützen?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht Kleines, aber ich glaube, die haben diese Frau bald. Es dauert bestimmt nicht mehr lange.«
»Ich kann hier nicht bleiben, Daniel, ich fühle
mich nicht mehr sicher. Es tut mir leid. Ich habe Angst und vor
allem habe ich Angst um meine Kinder.«